Zum Impressum

Predigt über Lukas 18, 31 - 43

Gehalten in Heeren am 13.2. 1983

Lieder: 214, 1, 2, 5; 471, 1 + 5 - 8; 337, 1 plus 3-5

Liebe Gemeinde!

Zwei Erzählungen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Beim Evangelisten Markus steht noch eine Geschichte vor dem Rangstreit der Jünger um die besten Plätze im Himmelreich dazwischen. Jesus sagt seine Leidensgeschichte an. Jesus heilt einen Blinden. Was hat das miteinander zu tun? Vielleicht sehr viel in einer Welt, in der unser kleines Leiden blind macht für das große Leiden der anderen und blind für das Leiden Gottes. Und darum eben auch blind für die Herrlichkeit Gottes.

1. Jesu Leiden und Gottes Wille zum Heil

Jesus nimmt seine 12 Jünger zur Seite, teilt ihnen mit, was nicht alle wissen müssen, weil sie es nicht verstehen werden. Aber auch die Jünger werden es nicht verstehen. Jesus spricht im Verborgenen und sein Wort, sein Sinn, bleibt verborgen. Sie sind auf dem Weg nach Jerusalem. Der Stadt, die Propheten tötet. Der Stadt, über die Jesus weint. Der Stadt, in der Jesus als Befreierkönig, als Messias gefeiert wird und in der er zu Tode gefoltert wird. Es ist der letzte Marsch der Jesusbewegung. Dann werden sie sich zerstreuen in alle Winde.

Jesus weiß, was ihm blüht, wenn er in die Höhle des Löwen geht. Ihm blüht der Tod, wie vielen Propheten vor ihm. Ihm blüht das neue Leben Gottes, dass sich durch keinen Tod, durch keine Folter töten lässt. Jesus ist erblüht in diesem neuen Leben Gottes, lebt so allein aus der Liebe Gottes heraus, dass ihn die Furcht vor Jerusalem, vor Folter und Tod, nicht mehr abschrecken können. Vor dem Mut Jesu versagt der Terror der Machthaber Judäas und Roms. So wie viele Propheten des Alten Testaments Zeugnis und Kunde von dieser Freiheit Gottes als Verheißung für die kommende Zeit gegeben haben, so versteht Jesus sich als Demonstrant der Freiheit der Kinder Gottes, einer Freiheit, die auch kein Tod zerstören kann. Was die Propheten ansagten: ein Mann, auf den sie ihre Schuld häufen, der zum Sündenbock und zum Bildschirm aller Wünsche und Ängste wird: Fürwahr, er nahm auf sich ihre Krankheiten und Dummheiten, ihre Wut und ihre Sehnsüchte. Er ließ sich ein in das Spiel der Masse, die ihre Führer wählt und verwirft. Er wurde zum Spielball ihrer Wünsche nach Freiheit und Unabhängigkeit, er, der Mann, der frei lebte. Man spielte mit ihm, man spielte ihm übel mit. Jesus war nicht so naiv, zu verkennen, worauf er sich bei diesem Spiel einließ: ein Spiel mit Todesausgang. Eine Art Gladiatorenspiel, wie später in den Arenen Roms. Jesus spielt von Anfang an nicht auf Gewinn hin. Er ist bereit zu verlieren. Er weiß und sagt: Wer sein Leben verliert, der wird es neu gewinnen (Lukas 17,33). Unter dem Tod ist neues Leben verborgen. Unter dem Leiden ist die Herrlichkeit Gottes verborgen. Jesus liebt diese Verborgenheit. Darum kann er verzichten auf die Sichtbarkeit der Herrlichkeit Gottes. Darum beschränkt er sich auf die kleinen Zeichen, in denen nur für die Sehenden, Wissenden einen Strahl des Lichtes Gottes auf die Erde fällt. Gott will im Dunkeln wohnen, und hat es doch erhellt. So sieht Jesus sein kommendes Leiden unter dem Lichtblick der Auferstehung, des neuen Lebens aus Gott, was frei macht von alle Angst, die wir haben.

Lukas hat in dieser Leidensankündigung die früheste Erzählung, den knappsten Bericht über Jesus, der nach Jesu Tod damals wie ein Gerücht von Mund zu Mund durch die Lande ging, aufgenommen und ihn vor die ausführliche Berichterstattung von der Leidensgeschichte Jesu gestellt, um uns deutlich zu machen, dass Jesus bewusst sein ein Kreuz auf sich nahm, weil er darunter die Herrlichkeit Gottes wusste.

2. Die Verborgenheit der Befreiungsmacht Gottes und die Blindheit der Welt

Ausgerechnet der Blinde sieht, dass Jesus der Sohn Davids ist, also der Nachfolger Davids, der ebenso die Freiheit für Israel bringt. Der Blinde kündigt Jesus schon bei Jericho, also noch eine ganze Strecke vor Jerusalem, als Befreierkönig an. Er sagt: Jesus, du Sohn Davids. Er meint: Jesus, du unser neuer Führer in die Freiheit. Er meinte sicherlich auch: politische Freiheit von Rom, wie es vor und nach Jesus immer wieder Messiasse gab, die mit Gewalt einen Unabhängigkeitskampf gegen Rom versuchten und verloren haben. Der Blinde sieht die Freiheit Jesu. Er sieht, aus welcher Freiheit Jesus lebt. Welche Freiheit er bringen kann. Gegen allen Anstand, gegen die guten Mahnungen zur Besonnenheit, gegen die Drohungen der Leute, die mit Jesus gehen, schreit der Blinde solange nach Jesus, bis Jesus ihn holen lässt und fragt, was er will, wie er das Erbarmen sich vorstellt. Und der Blinde sagt: Herr, dass ich wieder sehen kann. Dass ihm die Barmherzigkeit Jesu die Augen öffnet. Und sie tut es. Eigentlich hat der Blinde ja schon als Blinder mehr gesehen als die anderen. Er sah die Freiheit, die Befreiungsmacht Jesu. Die Macht, die frei macht von Angst vor Leiden, Folter, Tod; die Macht, die lebendig macht. Gegenüber dem Blinden war die ganze übrige, sehende Welt blind.

Sogar die Jünger verstehen nur Bahnhof oder den großen Sieg Jesu ohne den Blick für die Tiefe der Leiden und der Verzweiflung, durch die sie dabei hindurch müssen. Sie sind naiv, weil sie nicht ahnen, was das Heil Gottes kostet, für Jesus selbst und für die, die ihm nachfolgen. Sie sind noch nicht bereit, zu verlieren. Darum können Sie auch nicht gewinnen.

Der Blinde hat alles verloren. Er hat kein Augenlicht und er sitzt am Straßenrand und bettelt. Hat kein Geld. Lebt von der mangelhaften Barmherzigkeit der Vorübergehenden. Wie mangelhaft die ist, zeigt sich darin, dass sie ihm nicht einmal ein Wort mit Jesus gönnen. So ist der Blinde eigentlich ganz verloren. Und in dieser Verlorenheit kann er eben alles gewinnen. Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen. Weil der Blinde verloren ist, hat er den ungetrübten Blick für Jesu Freiheit. Den anderen ist der Blick verstellt durch die Sorge um all das, was sie haben und darum möglicherweise auch verlieren können. Was sie besitzen, macht sie blind für Gott in dem Menschen Jesus.

3. Die Erkenntnis der heilenden Kraft Gottes und das neue Leben.

Der Blinde war blind für die Welt. So konnte er Jesus sehen. Jesus zeigt ihm die Barmherzigkeit Gottes, weil er Jesus vertraut und glaubt. Und alsbald wurde er wieder sehend. Jesus öffnet dem Blinden, der in seiner Verlorenheit Gottes Freiheit besser sieht als die Sehenden, seine Augen endlich auch für diese Welt. Der Blinde wird sehend für die Welt. Er wird sehen für das Schöne der Natur und das Schreckliche unter den Menschen. Und darum schließt er sich der Jesusbewegung an. Darum geht er mit Jesus, der Welt die Freiheit der Kinder Gottes zu zeigen, damit die Welt in ihrer Verlorenheit das neue Leben Gottes erkennt und leben lernt. Weil er es am eigenen Leib und im eigenen Leid erfahren hat, drängt es den sehenden Blinden, das allen zu zeigen. Er engagiert sich dafür mit seinem ganzen weiteren Leben.

Ich glaube, jeder von uns ist der Blinde. Jeder von uns ist blind für die Verlorenheit der Welt. Jeder ist verblendet durch all das, was er hat, zu verlieren hat. Und erst, wenn wir unser Herz nicht mehr daran hängen, wenn wir merken, wie wenig wir sind, wie sehr unser wirkliches Leben nicht gesichert ist durch den Besitz, den wir haben, wenn wir existentiell wieder erleben, dass wir Bettler sind, ganz angewiesen auf fremde Gnade und Hilfe, ganz angewiesen auf Gottes Gnade und Hilfe, dann ist unser Blick klar für Jesus, für die Freiheit, die er hat und bringt. Dann können wir loslassen von Hab und Gut und ganz mit ihm mitziehen, ganz in seiner Nachfolge in der neuen Freiheit der Kinder Gottes gehen. Und dieser Weg führt uns zurück in die Welt, aus der wir kommen, eine Welt voller Schönheiten und Schrecken. Und wir sind in den Spuren Jesu auf dem Weg, die Schrecken dieser Welt zu bekämpfen mit den Waffen Gottes, mit Klugheit und ohne Falsch, mit Herzlichkeit, Barmherzigkeit und Liebe. Es gibt genug zu tun. Wer wirklich Bettler geworden ist, hat die Hände frei, zuzupacken. Wer wirklich sehend geworden ist, weiß, wo er mit anfassen muss. Amen.