Bergkamen
Friedenskirche Kantate 1.5. 1983
Lieder:
187, 1 - 5; 183, 1 + 2; 229, 1 + 3; 385,3 + 5; 141,5
Liebe
Gemeinde, wie können wir, angesichts zunehmender
Arbeitslosigkeit,
die ja jetzt im Aufschwung ist, um es mit dem Wahlslogan einer
namenhaften
Partei zu sagen, wie können wir heute, am Tag der Arbeit, die
immer mehr
Menschen loswerden, Gott loben. In den Gebetskreise der Freikirche in
Heeren
habe ich im Januar gehört, wie fast alle gebetet haben:
„Allmächtiger himmlischer
Vater, wir danken dir, daß wir so wunderbar frei leben
dürfen in diesem Staat,
nicht so unterdrückt wie in der Ostzone.“
Bezeichnenderweise war auch
keiner dabei, der frei war von Arbeit, also arbeitslos. Wenn das so
ist, wäre
zu befürchten, daß nur die, denen es gut geht, denen
geholfen ist, Gott loben
können als Hilfe. Die können wirklich sagen: ich
fühle mich sicher und habe
keine Angst. Die können auch sagen: Gott ist meine Kraft und
meine Musik. Dann
wäre der Jubel über die erfahren Hilfe Gottes das
Privileg der wenigen, denen
es gut geht auf Kosten der vielen, den es denen es schlecht geht.
Gotteslob als
infame Tarnung der Schuld am Unglück der anderen in
Lateinamerika, Indien,
Afrika und den Arbeitsämtern. Nein! So wird Gott in
Deutschland oder Amerika
gelobt, als Garant wirtschaftlicher Überlegenheit
über die, die auf der Strecke
bleiben. So wird Gott aber nicht in der Bibel gelobt. In der Bibel, in
unserem
Predigttext heute, wird Gott noch gar nicht gelobt. Da steht:
„an jenem Tage“.
Nicht jetzt schon.
Kurzer
Rückblick: Jesaja, der Prophet in Jerusalem, warnt vor dem
Auflehnung gegen die damalige Großmacht Assyrien. In der Tat,
die Assyrer haben
das Nordreich Israel erobert, die Juden deportiert und der
König Hiskia von
Jerusalem hat noch Glück gehabt, daß sie seine Stadt
nicht zerstört hatten. Jesaja
warnt vor Aufrüstung und einer Politik der Stärke. Er
sagt: „Jahwe, Gott, ist
unsere Stärke.“ Kein Schwert, kein Streitwagen,
keine geschickte
Bündnispolitik. Oder modern: keine Panzer, keine Pershing 2,
keine NATO. Gott
allein ist unsere Stärke. Nicht der dezente Charme unserer
Politik. Der
Grundton Jesajas ist also weiß Gott nicht der Jubel. Wie
kommt dann ein Jubelstück
in das Jesajabuch?
So
ein prophetisches Buch ist ja nicht in einem Zug geschrieben, wie
etwa ein Simmel-Roman. Jesaja hielt ab und zu Ansprachen. Und er hatte
eine
Schar von Fans, die immer mit dabei waren. Die behielten besonders
markante
Sätze oder Passagen aus Jesajas Ansprachen, um sie bei
Gelegenheit, also ständig,
weiter zu erzählen. Und irgendwann gab es dann so viele
Geschichten, daß man
Angst bekam, sie nicht mehr alle im Kopf zu behalten. Darum schrieb man
sie
auf. Wann macht der also kleine Sammlungen von Worten und Geschichten
des
Propheten Jesaja. Wenn einem noch was hinterher einfiel, dann schreibt
man es
vorne vor oder hinten dran. Und aus 7 solchen kleinen Spruch- und
Anekdoten-Sammlungen
ist also der erste Teil des Jesaja Buches entstanden. Ganz komisch:
Einige haben
noch den fürchterlich vielen kritischen und bösen
Worten Jesajas hinten dran
irgendwelche freundlichen, versöhnlichen Jubelworte
angehängt. Sie sind vom
Thema und Sprachstil her ganz oft so verschieden von Jesajas Sprache
und
Denken, daß man mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen kann:
Jesaja hat das nicht
selbst gesagt, höchstens einer seiner Fans, der zwar etwas
ähnlich dachte, aber
eben die Härte der Kritik und des Rufes zum politischen
Machtverzicht nicht
ertragen konnte. Dann mußte zum Schluß noch was
Nettes gesagt oder geschrieben
werden. Und sowas Nettes ist unser Predigttext heute.
Träume
vom Heil, von Hilfe, von Gott als Glück der jetzt noch
unglücklichen. "An jenem Tag wirst du sagen: ich lobe Dich, ja
W. Du warst
zornig, aber dein Zorn hat sich gewendet, jetzt tröstest du
mich. " Jena
Tag-wann war das? Wann ist das? Damals, zur Zeit Jesajas, wo das
Nordreich
Israel in die harte assyrische Verbannung verschleppt wurde, da war es
ganz
sicher der Tag, an dem Assyrien selbst durch eine andere
Großmacht, es war
Babylon, so geschlagen wurde, daß die Israeliten wieder in
ihre Heimat
zurückkehren konnten. Befreiung aus der assyrischen
Gefangenschaft. "Singt:
Jahwe! Denn er hat eine Erhebung bewirkt. Das erzählt auf der
ganzen
Erde." So sollen die Gefangenen singen am Tag ihrer Befreiung. Die
Gefangenschaft
soll nicht vergessen sein: "Du warst zornig auf mich." Weswegen?
Jesaja sagt es wieder und wieder: Weil du nicht auf Gottes Hilfe
vertraut ist,
sondern dir ein Arsenal von Rüstung anschafftest, was den
Feind dann erst recht
provoziert hat, loszuschlagen. Das ist der Zorn Gottes: Er
lässt uns ungestraft
rüsten, bis die Rüstung uns unser Leben zur
Hölle macht von immer größerer
Furcht, immer größere Misstrauen, wo endlich
irgendwann ein Ding hochgeht und
dann die Hölle los geht, schlimmer als damals die grausamen
Foltern der
Assyrer. "Dein Zorn hat sich gewendet." Wann? Vor oder nach dem
Atomkrieg? Wird es denn danach noch einen geben, der Gott loben kann?
Vielleicht in Amerika, bei uns jedenfalls nicht.
Wie
wendet sich Gottes Zorn? Doch wohl, indem wir uns wenden, umkehren
von dem eitelen und überheblichen Versuch, unser Wohl durch
permanente
Todesrüstung zu sichern. Indem wir Gott und nicht den Waffen
vertrauen. Nur die
gute Macht Gottes kann unser Leben frei machen von Angst und
Unterdrückung. Waffen
schaffen allemale neue Waffen, neue Gewalt, neues Unrecht. Das ist es
doch, was
wir den Ostblockstaaten vorwerfen: das allein mit Gewalt eine
Revolution noch
lange keine bessere Gerechtigkeit schafft, sondern wieder neues Unrecht
gebiert.
Jubel
über die Befreier Macht Gottes. In Jerusalem spielt eine Band
auf
einem Gemeindefest anlässlich der Rückkehr der
Gefangenen von Assyrien:
kreischt und jubelt, ihr Leute aus Jerusalem schreit der
Sänger ins Mikrofon:
groß ist ja weh. Er hat uns geholfen. Er hat uns frei gemacht
aus der
Gefangenschaft wie damals in Ägypten. " und die Volksmenge
brüllt:
"ja weh !" Und stampft und klatscht im Rhythmus der Band. Und sie
sollen wissen, daß Gott und sein Name wie eine Burg sind. Man
kann in ihrem
Schutz Leben. Aber man kann sie nicht stürmen. Der Name Gottes
lässt sich nicht
ohne böse Folgen vereinnahmen für die jeweiligen
Meinungen. Es gilt, auf Gottes
Wort zu hören, nicht mit dem Wort "Gott" höre zu
gewinnen. Welche
Erfahrung dann zurecht mit dem Wort Gott, mit dem Namen Gottes
abgedeckt werden
kann, sagt uns ja das Wort Gottes: Gott ist da, wo wir Hilfe, Befreiung
erfahren. Gott ist da, wo wir keine Angst mehr haben. Gottes da als
Kraft, die
uns erfüllt und glücklich und fröhlich
macht. Gott ist Musik. Aber vermutlich
weder James Last, Marschmusik noch Heino. Gott ist wie eine frische
Quelle.
Unsere Quellen sind alle nicht mehr frisch, sondern chemisch
angereichert. Uns
werden da schöne Sachen von Gott erzählt.
Glück Hilfe Befreiung Trost
Sicherheit Kraft Musik Jubel Erhebung. Und die Musik soll das weiter
singen und
weitersagen auf der ganzen Erde: daß Gott schön ist.
Wir sehen davon vielleicht
noch eine Menge in unserem persönlichen Leben. So wie der
Heerener Gebetskreis.
Danke Gott, daß es mir so prima geht. Und ich esse das
Schnitzel, an dem heute
ein kleines Mädchen in Indien verhungern wird. Und ich habe
den Arbeitsplatz,
wo durch Rationalisierung vorgestern zwei türkische Frauen
weggekündigt wurden.
Aber
was sollen die zu Gott sagen, die sterben müssen wegen meinem
Heißhunger auf Schnitzel und meinem Glück, kein
Türke zu sein und leichter
jetzt Arbeit zu finden? Und die sind ja gewöhnlich nicht oft
in der Kirche und
halten nicht viel von Jubel in ihrer schlimmen und
bedrückenden Lage.
Heute
am 1. Mai, dem Tag der Arbeit und vor 50 Jahren, 1933 dem Tag des
Verbotes der Gewerkschaften durch die Faschisten, haben wir keinen
Grund zum
Jubeln. Der Aufschwung, der uns versprochen wurde, ist in den Kassen
der
Unternehmen spürbar, nicht in den Löhnen der
Arbeiter. Aufwärts gehen stetig
allein die Zahlen der Arbeitslosen. Immer noch kein Grund zum Jubel.
Aber jetzt
verrate ich euch liebe Gemeinde, das Patentrezept zum Lobe Gottes:
Die
Wege zum Abbau der Arbeitslosigkeit sind allgemein bekannt:
Verkürzung des Arbeitstages, Herabsetzung der
Lebensarbeitszeit, mehr Urlaub,
weniger Überstunden, Teilzeitarbeit und halbe Stellen. Warum
soll die eine
Hälfte dick verdienen und am Herzinfarkt sterben vor
Überarbeitung, während die
andere Hälfte in dumpfer Lethargie herum sitzt, trinkt und
unglücklich ist. Wir
wollen gerechte Verteilung der Arbeit auf alle, das wird die politische
Aufgabe
der Zukunft im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.
Aber
wer Arbeit hat, muß darum noch nicht unbedingt gleich jubeln.
Viele
haben ja noch Arbeit. Aber es wird doch eigentlich wenig gejubelt.
"Siehe,
Gott ist mein Glück, ich fühle mich sicher und habe
keine Angst. Denn meine
Kraft und meine Musik ist Jahwe." Nie gab es so viel Musik wie heute.
Im
Auto, Kaufhaus, zu Hause, beim Jogging, Eislaufen, Sonntagsreiten,
überall ist
Musik. Jeder hört heute Musik, ob Orgelkonzert, Rockpalast
oder Wunschkonzert
im WDR. Die Lust am Jubel, den die Musik ja oft enthält und
ausdrückt, ist
objektiv sehr groß. Auch die Arbeitslosen hören den
Jubel der Musik. Denn sie
ahnen: wenn sie auch das nicht mehr hätten, sich
mitreißen zu lassen durch die
Töne aus einem Lautsprecher, dann wäre es erst recht
deprimierend in ihrem
Leben. Eigenartig: diese Jubelmusik macht uns für Stunden den
Jammer unserer
tristen Alltäglichkeit vergessen. Dagegen, gegen das
Einlullen, protestierte
Bonhoeffer mit dem Spruch: "Nur wer für die Juden schreit,
darf
gregorianisch singen." Protestlied und Jubelruf, Klage und Lob
gehören
zusammen. Aber die Juden, für die Bonhoeffer schrie und in
gewisser Weise auch
starb, gingen singend in Majdanek in die Gaskammern. Es gibt diese
Hoffnung
noch angesichts des Todes: Gott ist mein Glück. Ich habe keine
Angst mehr. Wer
auf die gute Macht Gottes hofft, wird noch im Elend so jubeln, als
sähe er
schon den Anbruch der Morgenröte eines neuen Tages, an dem
unsere Musik kein
Elend mehr verschleiert, weil es kein Elend mehr gibt. Amen.