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Predigt über Johannes 17, 20 - 26

Heeren Himmelfahrt 12.05. 1983

Lieder: 90,1 - 3; 92,1 - 57 159, 1 - 3

Aufbau:

  1. Jesus und Gott: der Vater und der Sohn oder die Liebe
  2. Jesus und seine Gemeinde: der Freund unter Freunden
  3. Die Kirche in der Welt: gesamte im Namen der Liebe

Liebe Gemeinde!

Woran erkennt man einen Christen? Wo sehen wir Gott? Was ist geblieben von Jesus, den Gottes Sohn? Wichtige Fragen. Mögliche Antworten: Christen sind nicht erkennbar. Gott ist nicht sichtbar, Jesus ist tot.

Das sagten damals, zur Zeit des Evangelisten Johannes, die Gegner der Christen. Und die Christen waren ratlos, unsicher, haben sich in die Enge gedrängt gefühlt. Man lachte sie aus als Esel, man amüsierte sich über einen Gott, der einfach am Kreuz stirbt und aus der Traum. Und bisher ist er ja immer noch nicht wiedergekommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Jesus ist tot, Gott unsichtbar, die Christen unkenntlich und nichts Besonderes. Das Unternehmen Kirche kann sich begraben lassen.

Und das Unternehmen Kirche hat sich nicht begraben lassen, sondern nachgedacht über die Vorwürfe der Beliebigkeit des christlichen Glaubens. Und der Evangelist Johannes hat eine sehr eindeutige Antwort gefunden: in seiner Deutung des Lebens Jesu geht es immer wieder um den sehr eindeutigen Satz: Gott ist Liebe. Wir wollen ein wenig über die Bedeutung dieses Satzes nachdenken.

1. Jesus und Gott - Sohn und Vater

ABBA = Papa - so nennt Jesus Gott. Er redet zu ihm nicht in diesen abscheulichen Kirchengebetsslang, in steifen und würdigen Anreden, sondern ganz locker vom Hocker. Er sagt zu dem Allmächtigen, hoch erhabenen, heiligen Herrn der Heerscharen: Papa. Damit ist der ganze Kirchenplunder über Bord geworfen. Keine Ehrerbietung, kein heiliges Kribbeln, keine feierliche Etikette sind die angemessene Anrede für den Herrn aller Herren, sondern schlicht „Papa, Vater“. Ausdruck des sich Wohlfühlens, der Geborgenheit, des Vertrauens ohne die leiseste Angst. Vor Gott kann man einfach keine Angst mehr haben, seit wir wissen, wer oder was er ist: Liebe.

Nicht jeder von uns hat einen lieben Vater gehabt, geschweige denn einen Vater, der die Liebe selbst ist. Die Härte der Arbeit und die perverse Aufgeblasenheit unserer abscheulichen Männerwelt machen die lieben Väter zur Ausnahme. Jesus muß im Zimmermann Josef einen ganz wunderbaren Vater gehabt haben. Josef, der Maria behalten hat, obwohl sie, wie die Legende von der Jungfrauengeburt behauptet, ein uneheliches Kind hatte. Nur, wenn Jesus einen lieben Vater gehabt hat, konnte er überhaupt auf die Idee kommen, die Liebe Gottes als das Sein und Tun eines Vaters zu beschreiben, Gott mit seinem Vater zu vergleichen, ja Gott als Vater, als lieben Vater, als Vater, der die Liebe selbst ist, anzureden. Vater und Sohn, Gleichnis der Liebe zwischen Gott und Mensch. Menschliches Gleichnis der göttlichen Liebe. Hören wir einmal auf die Sätze, die der Jesus des Evangelisten Johannes über sich und den Vater sagt: der Sohn ist im Vater und der Vater im Sohn. So dumm der Witz mit den Bekannten ist, die in der Kinderwagen glotzen und der Mutter bescheinigen: ganz der Vater, ganz der Vater, obwohl dem Baby noch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem Vater anzusehen ist - ein Moment der Wahrheit ist dran. Je älter ich werde, umso mehr wird mir, obwohl ich es nicht will, die Ähnlichkeit mit meinem Vater bewußt. Bis hinein in gleiche Schriftzüge. In mir ist mehr von meinem Vater, als mir lieb ist. Wahrscheinlich werde ich noch einmal genauso predigen wie er. Der Vater ist in mir: die Einflüsse des Vaters haben den Sohn geprägt. Ebenso kann Jesus im Johannesevangelium sagen: ich bin in meinen Jüngern und in deren Jüngern, also in der Kirche. Wie Jesus in uns ist? Durch die Er-Innerung seiner Worte und Taten. In der Erinnerung, die wir ja heute im Abendmahl feiern, ist Jesus in uns lebendig, unter uns: „solches tut zu meinem Gedächtnis“.

Genauso hat Jesus Gott in Erinnerung: durch die erste Hälfte der Bibel, die bei allem Harten und Grausamen doch von Gott erzählt als dem, der die Menschen liebhat und für Ihr Wohl und ihre Freiheit sorgt. So ist also der Gott, der Liebe ist, dem Sohn Jesus bekannt und vertraut geworden. So sehr, daß Jesus sagt: Ich und der Vater sind eins. Jesus hat den Sinn der ganzen Gebote begriffen und zusammengefasst auf das Eine, was keiner besitzt und jeder braucht: Liebe.

Ich habe angefangen damit zu erzählen, was Jesus über Vater und Sohn sagt. Das erste haben wir versucht, durchzudenken: der Vater ist im Sohn lebendig. Sowie Jesus in den Jüngern und letztlich noch in uns lebendig ist. Das zweite aber ist schwerer zu verstehen: der Sohn ist im Vater. Oder auch: wir sind in Christus.

Ich vermute, daß ein Vater, der seinen Sohn liebt, ihn so sehr in sein Herz geschlossen hat, daß, wie der Sohn den Papa nachmacht und darin verinnerlicht, so auch der Papa seinen Sohn in all der Lebendigkeit und Eigenheit, die auch schon ein ganz kleiner Junge hat, in sich aufnimmt; ja, ich glaube, die Eltern machen ihre Kinder auch nach. Wie wäre sonst die Babysprache viele Mütter und Väter zu erklären?

Wir kommen damit zu der Erkenntnis, daß in der Liebe beide Partner Nachmacher des anderen sind. Jeder macht den anderen nach. Dadurch werden sie einander ähnlicher. Die Frau von Johann Sebastian Bach hatte zuletzt so haargenau dieselbe Notenschrift, daß unsere Musikwissenschaftler nicht wissen, hat es Bach selbst geschrieben oder seine Anna Magdalena. Die Schrift ist jedenfalls identisch geworden. Vielleicht verstehen wir jetzt ein wenig mehr daß dieses Wort: ich und der Vater sind eins, Ausdruck und Resultat der Liebe ist.

Der Sohn Jesus ist durch den Vater geprägt. Aber der Vater ist durch den Sohn Jesus ebenso geprägt. Der Mensch Jesus ist durch Gott geprägt. Er lebt in und aus der Liebe. Aber Gott ist durch den Menschen Jesus eindeutig neu geprägt. Seit Jesus wissen wir: Gott ist Liebe, nur Liebe und nicht auch noch der Zorn, der Kriegsgott des Alten Testamentes.

Jesus hat unser Bild von Gott verwandelt. Nicht mehr Zorn und Gnade, böse und gut, Schöpfer und Richter, sondern nur noch Liebe, Gnade, Barmherzigkeit. Wo bleibt das Böse, der Zorn Gottes, das Gericht? Es bleibt in der Welt. Die Welt, die Menschen ohne Gott, ohne Liebe machen sich gegenseitig fertig. Machen sich das Leben zur Hölle. Sie haben keine Liebe. Sie kennen Gott nicht: "Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese (die Jünger) haben erkannt, daß du mich gesandt hast. Und so habe ich ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen (also auch in uns) sei und ich in ihnen." Jesus hat uns Gottes Namen, Gottes wahres Wesen kundgetan: Gott ist Liebe, Gott ist wie ein Papa.

2. Jesus und seine Gemeinde: der Freund unter Freunden

Jesus hat uns das nicht gesagt. Er hat es uns vorgelebt mit seinem ganzen Leben und mit seinem Tod. Er hat sein Leben geopfert für seine Freunde, die er liebt. So hat Jesus uns gezeigt, wie Gott Liebe ist: der Herr wäscht den Knechten die Füße, der Hirte lässt sein Leben für die Schafe. "Nicht für diese (die Jünger) allein bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben." Jesus bittet Gott für uns. "Daß alle eins seien". Wie Liebe Vater und Sohn zur gegenseitigen Nachahmung und Angleichung führt, bis sie eins sind, so soll auch unter uns die Liebe uns einander durch Nachahmung ähnlich machen. Oder besser, nicht indem wir uns gegenseitig nachmachen, sondern indem wir Jesus nachmachen.

In dem wir Jesus nachmachen, lernen wir lieben. Indem wir Jesus nachmachen, werden wir uns ähnlicher und überwinden die Mauern, die zwischen uns stehen. Indem wir von Jesus die Liebe Gottes kennenlernen, lernen wir uns selbst erkennen als Menschen, die diese Liebe brauchen und ohne sie verschmachten. Wir alle brauchen Liebe, und wenn wir sonst auch noch so verschieden sind, darin sind wir alle gleich.

3. Die Kirche in der Welt: Gesandte im Namen der Liebe

"Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe ich auch diese (die Jünger, uns) in die Welt gesandt ." Jesus ist gesamt von Gott, um den Menschen zu sagen und zu zeigen, vorzuleben, daß Gott Liebe ist. Und daß Gott will, daß wir uns lieben. Jeder sich selbst und jeder seinen nächsten und darin Gott. Mit allen Menschen verbindet uns die Suche nach Liebe, nach Zuwendung und Zärtlichkeit. Wenn die Christen gute Früchte am Weinstock Jesu sind, wenn die Welt uns wirklich abnehmen soll, daß Gott Liebe und nicht beliebig ist, müssen wir in unserem Leben etwas von dieser Liebe durchscheinen lassen für die anderen. Zunächst einmal müssen wir lernen, uns von Gott lieben zu lassen. Uns bei Gott ganz und gar wohl zu fühlen. Unsere Kirchengemeinde muß ein Ort sein, wo jeder sich wohlfühlen kann. Ein Ort der Erfahrbarkeit von Gottes Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wo einer für den anderen eintritt, wo wir solidarisch miteinander sind, eins in der Liebe. Wir sind noch am Anfang. wir müssen da weitermachen. Jesus weiter nachmachen. Dann werden die anderen sehen: die Christen leben von der Gewissheit der Liebe Gottes und haben daraus die Kraft, einander und den anderen beizustehen in der Lieblosigkeit dieser Welt. Amen.