Zum Impressum

Predigt über Lukas 14, 25 - 33

Bodelschwingh und Wichernhaus 3. 6. 1983 - Auferstehungskirche 10.6. 1983 - Friedenskirche 20.1. 1985

Die verletzende Schärfe des Wortes vom Kreuz

Lieder: 274, 1 - 4, 256, 1 - 3; 4 - 6; 159, 1 - 3; Lesung Lukas 16,9 - 13

Spruch über Jesu Jüngerschaft: Haß auf die familiale Gebundenheit im Alltag. Und Kreuz tragen und mitgehen. Gleichnis vom Turmbau zu Babel kalkulierte Entsorgung. Gleichnis vom Kriegsplan in der NATO: Overkill. Spruch von der Schärfe des Salzes.

  1. Ethik des christlichen Wanderradikalismus.
  2. Jesus und die Familienpolitik
  3. Die Freiheit der Christen vom besitzt als Gnade.

Liebe Schwestern und Brüder! So werden wir gerne angeredet. Wir fühlen uns dadurch verbunden, hinein genommen in eine große Familie. Die uns, so hoffen wir, geben soll, was uns die Kleinfamilie eben doch nicht bringt. Geborgenheit, Verständnis, Geduld miteinander und Anerkennung. Da ist ein Vater, der alle seine Kinder liebt.

Und nun hören wir von diesem einen Bruder Jesus, daß wir nicht in seine Gemeinschaft aufgenommen werden, wenn wir nicht unsere Schwestern, Brüder, Mütter, Väter, Ehegatten und Kinder hassen. Ja wie? Jetzt predigt uns Jesus auch noch den Ärger, den wir sowieso zu Hause haben, wo 46 % aller Ehen geschieden sind und der Rest sich mehr oder weniger zusammenrauft, wo die Eltern ihre Kinder als unangenehme Belästigung beim Fernsehen oder miteinanderschlafen ansehen, und wo die Kinder bloß niemals so werden wollen wie die Eltern und null Bock auf nix haben. Jeder hat sein Kreuz mit der Familie. Und wer keine mehr hat, ist auch nicht so ganz glücklich. Jesus predigt uns aber nun eben nicht das Kreuz mit der Familie sondern das Kreuz ohne die Familie. Ohne die Sicherheit und Geborgenheit, die auch noch die zerstrittene Familie irgendwo und irgendwie bietet.

Gerhard Theißen, Seite 16: Heimatlosigkeit, Familienlosigkeit und Besitzlosigkeit der Jesusbewegung.

Sein Kreuz tragen: Indiz für eine Nachösterlichkeit des Spruches. Misei=n, hassen, entsagen. Die Besitzlosigkeit ist eine Aufgabe. Die Sorglosigkeit um den nächsten Tag, wie die Lilien auf dem Feld und die Vögel unter dem Himmel. Das tägliche Brot neu erbitten.

Nur wer heimatlos ist, lernt täglich neu, daß Gott unsere Heimat ist. Nur wer keine Familie hat, ist offen für die Gemeinschaft der Heiligen. Nur wer keinen Besitz hat, erfährt jeder Zeit, daß wir bei Gott in besseren Händen sind als wenn wir alles selbst in der Hand haben.

2. Familienpolitik ist daher etwas dem Urchristentum völlig fremdes. Diese Dissonanz müssen wir stehen lassen und nicht zukleistern! Jesus hat anders gelebt als wir. Nicht haben, sondern sein. Nicht Sicherheit, sondern Glück. Wir können heute nicht Penner werden. Wir haben Verantwortung für unsere Familie, die damals aber auch! Aber wer sich heute engagiert, kommt immer in Konflikt mit seiner Familienidylle.

3. Nicht die Familie ist das höchste Gut der Christen, sondern die Liebe zu allem, besonders aber zu den Armen. Die Familie ist nicht mehr als ein Ort der Zuflucht. Sie ist Stärkungsmittel im Kampf für die neue Welt Gottes. Die Familie ist aber nicht das Zielbild von Gottes neuer Welt.

Wer nur in der Familie seine Aufgabe sieht, wird so dumm wie das Salz, daß seine Schärfe verloren hat. Diese Leute mit dem übergroßen Familiensinn sind unbrauchbar für die Würzung dieser Welt mit dem Salz der Erde.

Wie oft habe ich an der Haustür gehört: Nein ich habe keine Zeit, mich in der Kirche oder sonstwo zu engagieren, ich habe genug mit meiner Familie zu tun. Wer so im eigenen Saft schmort, ist auch viel zu langweilig und uninteressant, um die Welt bereichern zu können mit seinen Gaben.

Es sind auch selten die besten Familien, die nur auf Familie machen. Die wirklich guten Familien strahlen aus, sind Salz der Erde, befähigen ihre Väter, in der Gewerkschaft aktiv zu bleiben, ihre Mütter, in der Kirchengemeinde mitzuarbeiten, ihre Kinder, für den Frieden zu demonstrieren. Da haben sich die Eltern und Kinder auch was zu erzählen, wenn sie am öffentlichen Leben teilnehmen. So wie man sich damals was zu erzählen hatte von einem Mann, der gekreuzigt wurde, weil er die Nächstenliebe wichtiger nahm als irgendwelche religiösen oder politischen Gesetze.

Und Gottes Segen liegt nun einmal nicht auf der Familienpolitik, die ja auch hinten und vorne nur noch eine Farce ist, wo alle gesellschaftlichen Strukturen wie Wechselschicht und unterschiedliche Schulstundenzahlen, Fernsehen usw. die Familien systematisch zerrütten, ohne daß es da einen Ausweg gibt. Nein, Gottes Segen liegt auf den Außenseitern, die nicht in der Familie aufgehen, sondern herauskommen aus ihren Ledersesseln, auf die Straße gehen und sich auf die Anfänge der Jesusbewegung besinnen: Heimatlos leben, damit Gott unsere Zuflucht wird für und für. Familienlos leben, damit Gott unser Vater wird, der uns trägt und nährt wie Vögel unter dem Himmel. Besitz abgeben lernen, damit alle satt werden, nicht nur wir Industrienationen. Und dabei die verblüffende Erfahrung machen, daß nur der, der mit leeren Händen dasteht, die Liebe annehmen kann, die von Gott kommt. Nur wer seine Habe loslassen kann und nicht mehr als das Wichtigste nimmt, der wird offen und frei, Gottes Hände zu fassen, die eben nicht den Reichen hingehalten sind. Gott liebt die Reichen deshalb nicht, weil diese sich selbst ja schon so sehr lieben, daß sie für Gottes Liebe gar keinen Sinn mehr haben. Der reiche Jüngling kommt eben nicht in das Reich Gottes. Es sei denn er verkauft, verschenkt, was er hat. Nur dann nimmt ihn Jesus an. Wir sollen wissen, was wir wollen. Wir können nur eins: entsagen, Salz werden oder in Familie und Besitz bleiben.