Friedenskirche
+ Wichernhaus 17.7. 83; Büscherstiftung 23.7. 83;
Bodelschwingh + Overberge 24.7. 83
Lieder:
127, 1 - 3; 197, 1, 2, 576 - 8; 152,5 + 6
Da
war einer blind geboren. Sie verachteten den Balg. Sie sagten: er ist
vom Teufel gezeugt. Diese Mißgeburt. Oder sie sagten: die
Eltern sind schuld.
Schadhaftes Erbgut. Mutter Säuferin, Vater
drogenabhängig. Anders kann das doch
nicht gekommen sein, ein behindertes Kind. Kann nichts sehen, kann
nichts
vernünftiges tun, zu blöd zum Arbeiten, gerade gut
genug, um den Leuten, die vorüberziehen
in der Fußgängerzone oder am Ausgang des Tempels in
der City Jerusalems ein
paar Drachmen abzuluchsen. Taugt nur zum Betteln. Lebt vom Mitleid der
Frommen.
Doch die Frommen sind hart. Sie sagen: er ist selbst schuld. Keine
Krankheit
schickt Gott ohne Grund. Er muß gesündigt haben.
Oder die Eltern. Das hat er
nun davon. Die einzige Frage, die wir haben, wenn mal etwas schief
geht: Wer
ist schuld? Wenn wir dann einen Sündenbock haben, den wir
verdammen können,
sind wir erleichtert. Wenigstens unseren Zorn können wir
ausspielen. Eine ganze
Filmgattung ist der Suche nach dem Schuldigen gewidmet: der Krimi. Das
kann oft
wichtig sein: dem Übel an die Wurzel zu gehen. Sehen, woher
der Schwefel in der
Luft kommt; nachforschen, woher die Grundwasserverseuchung stammt;
ergründen,
welche Erreger Krebs verursachen. Aber oft sind wir vorschnell: die
Türken
sollen schuld sein an der Arbeitslosigkeit, sagen die neuen Nazis.
Nicht etwa
die Mikroelektronik, die Rationalisierung und der Einsatz von Robotern.
Wir
suchen nach Schuldigen. Wir blicken zurück. Wir sehen uns
nicht um nach einer
Möglichkeit, das Schiefgegangene geradezurücken, das
Kranke zu heilen, das
Unrecht wieder zu Recht zu machen. Wir wollen bestrafen. Weil das
leichter ist
als Gerechtigkeit zu schaffen.
Jesus
soll auch Kommissar spielen. Er soll ermitteln, wer schuld ist an
der Erblindung. Jesus macht einen Brei aus Erde und Spucke und heilt
die
Erblindung. Er heilt sie am Sabbat, was verboten ist, weil Arbeit die
Ruheordnung stört. Jesus macht sich selbst schuldig, um eine
Schuld aus der
Welt zu schaffen: die Schuld, daß ein Mensch nicht sehen
kann. Jesus diskutiert
nicht über die Ursachen und genesen und kommt dann vor lauter
Theorie nicht
mehr zum Handeln. Jesus sieht die Zukunft: da ist ein Mensch, der
muß sehen
lernen. Und er sorgt dafür, daß der Blinde eine
sehende Zukunft bekommt. Wie
oft diskutieren wir so lange, bis es zu spät ist zum Handeln!
Bis uns die Nacht
das Licht nimmt, in dem wir hätten arbeiten können.
Wie oft ist es bei allem
Gerede zu spät geworden zum rechtzeitigen Handeln! Wir
diskutieren, ob der
Hunger durch unsere Brot-für-die-Welt-Spenden denn wirklich zu
beseitigen ist.
Inzwischen verhungern weitere tausende Menschen. Wir diskutieren, ob
saurer
Regen wirklich Wälder kaputtmacht. Bis wir was tun werden, ist
unser Wald
verdorrt. Wir diskutieren, ob Fernseher Kinder brutaler machen. Bis wir
was tun
werden, sitzen unsere Kinder im Knast. Wir diskutieren, ob Atomraketen
uns
Sicherheit verschaffen. Bis wir was tun werden, haben wir sie und
kriegen sie
auch nicht mehr weg. Wir diskutieren und diskutieren, wir sagen man
kann ja
doch nichts machen. Und solange wir reden, machen die da oben
seelenruhig doch,
was sie wollen. Wir reden darüber, ob die Schwarzen in
Südafrika und Namibia
das Recht haben, mit Gewalt Widerstand gegen die weiße
Unterdrückung zu
leisten. Und geben Ihnen keine Unterstützung. Und unsere
Zeitungen schweigen
über die alltäglichen Gewalttaten der
Weißen gegen die Schwarzen. Wir reden und
reden von Dingen, über die wir keine Ahnung haben. Aber wir sollen
reden
darüber. Solange wir nur reden, sind wir ungefährlich
für die, die handeln.
Solange wir reden, bleibt alles beim Alten. Solange wir reden,
überlassen wir
denen das Feld, die uns reden lassen und selbst doch immer weiter
machen, was
sie wollen. Solange wir reden, sind wir blind. Blind dafür,
daß es höchste Zeit
ist, aufzuhören zu reden und etwas zu tun. Blind für
das Gebot der Stunde.
Blind für die vielen Möglichkeiten, doch etwas zu
tun, damit die da oben nicht
alles machen, was sie nicht sollen.
Die
da oben haben die Zeit genutzt: sie haben inzwischen schon die
Gefängnisse renoviert, in die wir kommen sollen, wenn wir
handeln. Sie haben
unseren Argumenten schon den Wind aus den Segeln nehmen lassen durch
ihre
angeblichen Experten. Die da oben sind immer höher geklettert,
während wir mit
Scheuklappen vor Augen nur immer geredet und geredet haben.
Jesus,
der da oben am Kreuz, hat gehandelt. Hat sich strafbar gemacht
durch das augenblickliche helfen. Er hat den Blinden das Augenlicht
gegeben. Er
hat uns ein Zeichen gegeben, wie wir handeln sollen und daß
wir handeln sollen.
Nicht nur reden. Und die da oben haben ihn gekreuzigt. Und die da unten
haben
über seinen Tod geredet und geredet. Bis es wieder mal zu
spät war. "Wir
müssen die Werke Gottes Wirken, solange es Tag ist; es kommt
die Nacht, da
niemand wirken kann." Wir haben keine Zeit zu verlieren. Sonst sind wir
verloren! Wir haben auch genug geredet. Gegen den Hunger, so haben wir
erkannt,
hilft nur eine neue Weltwirtschaftsordnung, keine Almosen, sondern
Selbstständigkeit der armen Länder. Wir sollen die
Länder unterstützen, die
neue Wege gehen, statt sie ausbluten zu lassen, bis sie uns wieder
gefügig
sind. Gegen den sauren Regen helfen nur drastische Maßnahmen
in der Entsorgung
unserer Industrie. Es müssen Filter eingebaut werden in die
Schornsteine. Wir
sollten Politikern, Gewerkschaften und Unternehmern Druck machen,
solange die
Wälder noch stehen. Auch wenn die uns drohen mit Verringerung
von
Arbeitsplätzen. Das tun sie ja trotzdem! Mit und ohne
Luftfilter oder
Klärbecken. Gegen die Aufrüstung hilft nur
abrüsten. Wir sollten den Politikern
und Verbündeten Druck machen und sagen, daß wir kein
Pulverfaß in unserem Land
wollen, daß wir kein Kriegsschauplatz für einen auf
Europa begrenzen Atomkrieg
sein wollen und daß wir so ganz gut leben, auch wenn die
Russen schon seit 20
Jahren ihre Raketen auf uns gerichtet haben, heißen sie nun
SS4, SS5, oder SS20.
Und schließlich: gegen unsere Blindheit hilft kein Wegschauen
vom Bösen in der
Welt. Hilft auch kein Drumherumgerede, man könne sowieso
nichts machen. Gegen
unsere Blindheit hilft vielleicht nicht einmal noch so gute
Informationen. Es
hilft nur handeln. Wer auf die Straße geht und
öffentlich fordert: kein toter
Wald, keine Rüstungsexporte, kein ungerechter Handel mit armen
Ländern, keine
Atomwaffen bei uns - der wird etwas in Bewegung setzen, was ihm und den
anderen
die Augen öffnet. Sehen lernen wir beim Handeln und Arbeiten
an Gottes neuer
Welt. Nicht beim Reden und Reden. Das hat Jesus, der Sohn Gottes uns
gezeigt.
Die Zeit, noch was zu tun, rennt. Laufen wir mit! Amen.