Zum Impressum

Predigt über Römer 13,11f

2. Advent Friedenskirche & Wichernhaus 4.12. 1983

Lieder: 7,3  -  5;   14, 1  -  3;   4 + 5;     152,5;    159, 1  -  3;    10,1, 4,5

Die Nacht, die lange Nacht

Die Nacht, in der wir ruhig schlafen - es ist die Nacht, in der Menschen in Kneipen solange trinken und trinken, bis sie nichts mehr fühlen, von den Sorgen um den verlorenen Arbeitsplatz, um die erloschene Liebe zu ihrer Frau / ihrem Mann, um die Öde ihres Lebens.

Nacht, in der Menschen unter Tage arbeiten und am Hochofen und am chemischen Schmelztiegel, damit die Produktion weitergeht, pausenlos, unaufhaltsam, unerbittlich. Aber am 7. Tage ruhte Gott, nur die Produktion lief weiter auf vollen Touren denn jede Sekunde, die sie ruht, wäre für den Unternehmer ein Verdienstausfall.

Nacht, in der Menschen weinen, weil das Bett nehmen ihnen für immer nun leer ist.

Nacht, in der Mütter schweißüberströmt Kinder aus ihrem Schoß in die nüchterne Welt des Krankenhauses hinein pressen.

Nacht, in der Menschen in kalten Gefängniszellen warten auf die nächsten Foltern am kommenden Tag. Nacht, in der krebskranke Menschen die letzte Stunde ihres Lebens durchröcheln.

Nacht in der Menschen vor Hunger nicht schlafen können.

Nacht, in der Menschen im Fieber fantasieren, bewacht von ihren Angehörigen.

Nacht, in der Menschen in Bordellen ihre Wollust an fremden Frauen austoben.

Nacht, in der sich Menschen gegenseitig zu Boden schlagen. Nacht in der getötet wird.

Nacht, in der zwei Menschen sich ihre gegenseitige Liebe zeigen und die Freude völliger Hingabe in ihrer Lust als einen Schimmer von Paradies erfahren dürfen.

Nacht in der Menschen mit den Zähnen knirschen und von Verfolgung träumen.

Nacht in der Babys nach der Brust schreien.

Nacht, in der wir unendliche Sehnsucht verspüren nach einem anderen Menschen, der bei uns ist, der uns nicht alleine läßt in diesem Grau in Grau, in diesem unendlichen Kreislauf von Geborenwerden, Geschundenwerden, Sekunden lang glücklich sein, und zugrunde gehen zu der Erde, von der wir genommen sind.

Nacht, in der uns alles so sinnlos vorkommt, auf diesem Planeten irgendwo herumgeschleudert in irgendeiner beliebigen Galaxie dieses Weltraums.

Nacht, in der wir uns unendlich klein vorkommen unter einem Sternenhimmel, der so unvorstellbar viel größer ist, als alles, was uns groß erscheint. Nacht, in der wir schlafen und nicht mehr Herr über uns selbst sind, ausgeliefert unseren Träumen, unseren Ängsten, unseren verborgenen Wünschen und Trieben.

Nacht, in der wir schwach da liegen, das versuchen zu verarbeiten, was wir erlebt haben, ganz im Bann der erlebten Vergangenheit.

Nacht, in der wir nichts tun können, in der uns die Hände gebunden sind, in der wir hilflos sind, weil uns das Licht fehlt, daß in alle Ecken dringt und uns sicher macht, weil wir alles besser erkennen können.

Nacht, in der wir unfähig sind zu sehen, was um uns herum geschieht, in der Dunkelheit.

Nacht, in der wird im Dunkel um uns und dem Dunkel in uns hilflos ausgeliefert sind.

Nacht, in der wir nichts tun können. Nacht, in der Gott gehandelt hat. Nacht, in der ein Mensch geboren wurde, den sie Jesus nannten. Nacht, in der einige Hirten auf dem Felde Engel erschienen, die Frieden angekündigten in Bethlehem.

Nacht, in der Jesus verraten wird. Nacht, in der Jesus das Brot nahm, es den Jüngern gab, damit alle satt werden, und sagte: Nehmt und eßt, das ist mein Leib.

Nacht, in der Jesus seinen Tod deutet als Zeichen des neuen Bundes zwischen Gott und uns: eines Bundes der Liebe und Versöhnung.

Nacht in der Jesus verraten wurde. Nacht, in der Menschen immer wieder auch heute noch, Jesus verraten. Nacht in der Menschen nichts tun. Nacht, in der Menschen schweigen, wenn Jesus gefangen wird. Nacht, in der Menschen die Achseln zucken, wenn Jesus gefoltert wird.

Nacht, in der Menschen sagen, man kann ja doch nichts machen, wenn in einer, in jeder Nacht 14.000 Kinder verhungern und eine Milliarde DM für Waffen ausgegeben wird.

Nacht, in der Menschen die letzte Gelegenheit verpaßt haben, sich gegen Atomwaffen in unserem Land zu wehren. Nacht in der Jesus verraten wurde.

Nacht in der Jesus sagte: stecke dein Schwert an seinen Platz, denn wer das Schwert benutzt, wird durch das Schwert umkommen. Nacht, in der Schwerter zu Atomwaffen umgeschmiedet wurden, statt zu Pflugscharen.

Es wird Zeit, über den Tag zu reden. Der Tag, an dem sich freuen dürfen die Armen, Verfolgten, Trauernden, Leidenden, Hungrigen nach Gerechtigkeit. Der Tag, an dem Jesus kommt, zu richten die Lebenden und die Toten. Tag der Gerechtigkeit. Diesen Tag, wo die Gebeugten aufstehen werden, dieser Tag der Auferstehung und des Aufstandes gegen die Herren, die mit dem Tod und der Nacht uns regieren, diesen Tag werden wir vorbereiten in der Stille unserer Nächte, mit unseren Gebeten und Petitionen, mit unseren Versammlungen im Haus Gottes und unter freiem Himmel, in unzähligen Gesprächen über Unrecht und Recht, über Ausbeutung und scheinbare Demokratie. Der Tag, wo wir uns das nicht mehr alles gefallen lassen. Der Tag wo wir das Spiel nicht mehr mitspielen. Der Tag, wo wir beschließen, das Geld für die Rüstung stattdessen für die Menschen in Hunger und Elend auszugeben.

Der Tag, wo wir gelernt haben werden, daß man doch etwas tun kann gegen das Unrecht, wenn man es wirklich will. Der Tag, an dem Atomwaffen verschrottet werden, wo Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, Panzer zu Traktoren umgerüstet und die Mikroelektronik der Mittelstreckenraketen in der Krebsforschung neuen Einsatz findet.

Der Tag, an dem endlich die Arbeit und die Güter gerecht verteilt sind. Der Tag Christi. Er wird kommen. Darum laßt uns bei denen sein, die ihn erwarten und nicht verschlafen im Faulbett der Angst und Resignation, sondern bereit und gerüstet mit der Waffe des Lichtes, die da heißt: Gewaltlosigkeit, Unbestechlichkeit, Unbeirrbarkeit, Unerbittlichkeit, Wachsamkeit.

Die Nacht ist vorgerückt. Bald kommt der Tag. Amen.