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Predigt über Jesaja 52,7 - 10

Friedenskirche/Wichernhaus    4.Advent, 18.12. 1983

Lieder 402,1 - 3;      12,1 + 2; 5 + 6;      152, 5; 6,5

Der zweite Prophet, der unter dem Namen Jesaja geredet und verkündigt hat, sprach den resignierten und angepaßten Resten des Volkes Israel im babylonischen Exil Mut zu. Denen, die ihre Köpfe seit Jahrzehnten haben hängen lassen und die sich abgefunden hatten mit der scheinbar unabänderlichen Gefangenschaft in einem fremden Land unter fremder Religion, mit fremden Lebensgewohnheiten. Wo alle nur noch sagen, man könnte ja doch nichts machen, da macht der zweite Jesaja Hoffnungen auf die Befreiung. Die Zeit der Herrschaft Babylons sei gezählt, sagt er, und sieht im Erstarken des Perserkönig Kyros II. die Rettung. Es gibt mitten im Elend der Gefangenschaft politisch guten Grund zur Hoffnung auf Befreiung, auf Rückkehr nach Jerusalem, das über 70 Jahre in Trümmern lag, er ist von denen Heimkehrenden wieder aufgebaut wurde. Die Boten, die das herannahende Heer der Perser in Babylon als Schreckensbotschaft den Babyloniern ankündigten, sie sind Freudenboten in den Augen und Ohren der gefangenen Israeliten. Im Fall der Feinde sieht der zweite Jesaja den Sieg des Gottes von Israel, ein Zeichen dafür, daß letztlich in all dem Elend der 70 Jahre Exil Israels Gott doch das letzte Wort sprechen wird: das Wort der Vergebung und Befreiung. Darin zeigt sich, daß Gott Herr über die Geschichte des Menschen ist, daß er das letzte Wort behält, und seien die Herren dieser Welt noch so lautstark, die Herren Babylons, Roms und Washingtons. Gott tröstet sein Volk, indem er den Gefangenen neue Heimat schafft. Indem Trümmer zu neuen Städten aufwachsen, indem die mutlos gewordenen Grund zur Hoffnung erleben, leibhaftig vor ihren Augen und greifbar mit ihren Händen.

„Raffe dich auf, raffe dich auf, wach auf, wach auf“, ruft der Prophet den entmutigen und angepaßten Leuten seines Volkes zu. Mitten im Elend sagt er die Befreiung an. Eine alte babylonisch ägyptische Tradition beim Ritual der Krönung eines neuen Königs preist die kommende Herrschaft dieses Königs als Zeit des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlstandes an. Also Grund zum Jubel. Quasi eine Art Parteiprogramm, Lobeshymne und Regierungserklärung des neuen Königs in einem. So selten solche Vorabversprechungen jemals von politischen Machthabern eingelöst worden sein mögen: Gerechtigkeit, Friede und Wohlstand für alle: so dringend heften sich doch jedes Mal wieder die Hoffnung der Bevölkerung an neue starke Männer.

Aber nicht Kyros, der Perserkönig wird bejubelt vom dem zweiten Propheten Jesaja, sondern der Gott Israels. Ihm spricht der zweite Jesaja die Fähigkeit und Möglichkeit zu, wirklich und letztendlich Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen. Nicht Kyros, der Perser, ist die treibende Kraft der Weltgeschichte damals, sondern hinter allem menschlichen Königs- und Präsidenten-Marionetten sieht der Prophet Gott handeln. Darum gilt der Jubel und die Freude auch keinem Wahlsieg oder Schlachtensieg irgendeines Königs, irgendeines Präsidenten oder Kanzlers oder einer Partei, sondern in alledem einzig dem Gott, der in tiefster Not seines Volkes Rettung schafft. Daß Gottes Friedensmacht Vertrauen des Propheten ist, daß sie stärker ist als menschliche Militärmacht. Und so sieht er in all dem Krieg und Kampf, der zwischen dem Perser her und Babylon im Anmarsch war, ein Stück der Befreiungsgeschichte Gottes, ein unter dem Anschein des Gegenteils verborgenes Stück Friedensgeschichte. Kein Eiapopeia, was kommen würde, aber durch alle Schrecken hindurch wußte Jesaja den langen Arm des Friedenswillens Gottes wirken. Das möchte ich Ihnen, liebe Gemeinde, heute sagen: wir dürfen den Mut jetzt nicht senden lassen. Nachdem die Regierung den Startschuß zur Vorbereitung des dritten Weltkrieges gegeben hat: Stärker als alle menschliche Zerstörungsmacht und stärker als alle atomare Sprengkraft, stärker als alle Verirrungen und Verblendungen unsere Politiker wird die Macht Gottes sein.

Diese Macht ist in den Schwachen mächtig. Von diesem Paradox lebt das Christentum. Die Macht Gottes war niemals Eiapopeia, die Friedensmacht Gottes hatte stets sehr leidvoll Aspekte. Wir haben diese Macht Gottes in der Krippe eines alten Stalles in einem Provinznest namens Bethlehem am Rande des römischen Reiches wiedergefunden. Dieser Mann Jesus, Spielball in den Machtkämpfen zwischen jüdischer Hierarchie und römischer Kolonialmacht, wird zum Idol der Schwächsten in Palästina, zum Helfer der Armen, Gebeugten und verlorenen. Er preist die Sanftmütigen, Friedfertigen, Hungrigen nach Gerechtigkeit, die Verfolgten und Armen. Unter ihnen wird Gottes Herrschaft wachsen. Er wurde hingerichtet. Aber seine Leute haben immerhin die Einheit des römischen Reiches zerbrochen: mit Diskussionen und mit Verweigerungen, dem Kaiser zu gehorchen. Diese Verweigerung der Schwachen, den Mächtigen zu parieren, ist über alle Jahrhunderte der Motor des christlichen Lebens geblieben.

Die Macht Gottes, die Menschen so stark macht, daß sie vor den Henkern keine Angst mehr haben, hat sich durch alle Jahrhunderte durchgehalten. Martin Luther war einer dieser mutigen, die wussten, daß Gottes Macht stärker ist als die des Papstes. Seitdem hat es immer wieder Menschen gegeben, die im Exil, unterdrückt von Terror und Gewalt, der befreienden Macht Gottes mehr zutrauen als den Folterwerkzeuge oder Atombomben der Unterdrücker.

Auch heute wieder haben wir die Situation, daß die, die eigentlich unseren Willen in einer Demokratie repräsentieren sollen, gegen unseren Willen, gegen 74% der Bevölkerung, sich für den Kalten Krieg und für die Schreckensmacht der Waffen entschieden haben, um angeblich Frieden zu garantieren.

Und wir erwarten das Kommen des Königs, der Frieden bringt, wir feiern die Ankunft Christi, aber es kommen erstmal nur die Pershing 2. Traurige Zeiten. Wie sollen wir uns da freuen?

Ich glaube, daß diese Situation heute genauso ist wie damals, in der biblischen Zeit des Exils, der Zeit der Kindermorde und Verfolgungen, derzeit der Mutlosigkeit und Apathie. Und damals wie heute ist genau in diese Zeit und keine bessere das Wort von der Freudenboten gesagt. In traurigen Zeiten feierte der zweite Jesaja und die Weisen aus dem Morgenland und feiern auch wir heute die Königsherrschaft Gottes, dessen Macht in den Schwachen sichtbar wird. Und damals wie heute vertrauen wir auf diese Stärke, die ausgeht vom einfachen Volk, von den Verfolgten, Armen, Gebeugten, Hungrigen nach Gerechtigkeit. Auf diese Stärke der Schwachen dürfen wir bauen.

In Vietnam hat ein schwaches Volk mit der Stärke seines Überlebenswillens gegen alle Superwaffen der Amerikaner gesiegt. In Nicaragua hat eine Gruppe von Bauern gegen die Terror Truppe des Diktators Somoza gesiegt. Und ich glaube, daß auch unser Volk mit seinem Willen zur Abrüstung und zum Überleben stärker sein wird als alle Mächte der Angst, die uns auf Waffen Vertrauen machen wollen. Wir werden es unserer Regierung deutlich machen, daß sie gegen die Mehrheit regiert und ihr die demokratische Rechnung präsentieren. Wir werden die Köpfe nicht hängenlassen, weil wir wissen: stärker als alle Macht der irdischen Gewalthaber ist das Friedensreich Gottes, das in den Schwachen und Rechtlosen mächtig wird. Darum geben wir jetzt nicht auf mit der Hoffnung auf die anbrechende Herrschaft Gottes, die begann mit einem Kind im Stall. Amen.