Friedenskirche/Wichernhaus
4.Advent,
18.12. 1983
Lieder
402,1 - 3; 12,1
+ 2; 5
+ 6; 152,
5; 6,5
Der
zweite Prophet, der unter dem Namen Jesaja geredet und
verkündigt
hat, sprach den resignierten und angepaßten Resten des Volkes
Israel im
babylonischen Exil Mut zu. Denen, die ihre Köpfe seit
Jahrzehnten haben hängen
lassen und die sich abgefunden hatten mit der scheinbar
unabänderlichen
Gefangenschaft in einem fremden Land unter fremder Religion, mit
fremden Lebensgewohnheiten.
Wo alle nur noch sagen, man könnte ja doch nichts machen, da
macht der zweite
Jesaja Hoffnungen auf die Befreiung. Die Zeit der Herrschaft Babylons
sei
gezählt, sagt er, und sieht im Erstarken des
Perserkönig Kyros II. die Rettung.
Es gibt mitten im Elend der Gefangenschaft politisch guten Grund zur
Hoffnung auf
Befreiung, auf Rückkehr nach Jerusalem, das über 70
Jahre in Trümmern lag, er
ist von denen Heimkehrenden wieder aufgebaut wurde. Die Boten, die das
herannahende Heer der Perser in Babylon als Schreckensbotschaft den
Babyloniern
ankündigten, sie sind Freudenboten in den Augen und Ohren der
gefangenen Israeliten.
Im Fall der Feinde sieht der zweite Jesaja den Sieg des Gottes von
Israel, ein
Zeichen dafür, daß letztlich in all dem Elend der 70
Jahre Exil Israels Gott doch
das letzte Wort sprechen wird: das Wort der Vergebung und Befreiung.
Darin
zeigt sich, daß Gott Herr über die Geschichte des
Menschen ist, daß er das
letzte Wort behält, und seien die Herren dieser Welt noch so
lautstark, die
Herren Babylons, Roms und Washingtons. Gott tröstet sein Volk,
indem er den
Gefangenen neue Heimat schafft. Indem Trümmer zu neuen
Städten aufwachsen,
indem die mutlos gewordenen Grund zur Hoffnung erleben, leibhaftig vor
ihren
Augen und greifbar mit ihren Händen.
„Raffe
dich auf, raffe dich auf, wach auf, wach auf“, ruft der
Prophet
den entmutigen und angepaßten Leuten seines Volkes zu. Mitten
im Elend sagt er
die Befreiung an. Eine alte babylonisch ägyptische Tradition
beim Ritual der
Krönung eines neuen Königs preist die kommende
Herrschaft dieses Königs als
Zeit des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlstandes an. Also Grund
zum
Jubel. Quasi eine Art Parteiprogramm, Lobeshymne und
Regierungserklärung des
neuen Königs in einem. So selten solche Vorabversprechungen
jemals von
politischen Machthabern eingelöst worden sein mögen:
Gerechtigkeit, Friede und
Wohlstand für alle: so dringend heften sich doch jedes Mal
wieder die Hoffnung
der Bevölkerung an neue starke Männer.
Aber
nicht Kyros, der Perserkönig wird bejubelt vom dem zweiten
Propheten
Jesaja, sondern der Gott Israels. Ihm spricht der zweite Jesaja die
Fähigkeit
und Möglichkeit zu, wirklich und letztendlich Gerechtigkeit
und Frieden zu
schaffen. Nicht Kyros, der Perser, ist die treibende Kraft der
Weltgeschichte
damals, sondern hinter allem menschlichen Königs- und
Präsidenten-Marionetten
sieht der Prophet Gott handeln. Darum gilt der Jubel und die Freude
auch keinem
Wahlsieg oder Schlachtensieg irgendeines Königs, irgendeines
Präsidenten oder
Kanzlers oder einer Partei, sondern in alledem einzig dem Gott, der in
tiefster
Not seines Volkes Rettung schafft. Daß Gottes Friedensmacht
Vertrauen des
Propheten ist, daß sie stärker ist als menschliche
Militärmacht. Und so sieht
er in all dem Krieg und Kampf, der zwischen dem Perser her und Babylon
im
Anmarsch war, ein Stück der Befreiungsgeschichte Gottes, ein
unter dem Anschein
des Gegenteils verborgenes Stück Friedensgeschichte. Kein
Eiapopeia, was kommen
würde, aber durch alle Schrecken hindurch wußte
Jesaja den langen Arm des Friedenswillens
Gottes wirken. Das möchte ich Ihnen, liebe Gemeinde, heute
sagen: wir dürfen
den Mut jetzt nicht senden lassen. Nachdem die Regierung den
Startschuß zur
Vorbereitung des dritten Weltkrieges gegeben hat: Stärker als
alle menschliche
Zerstörungsmacht und stärker als alle atomare
Sprengkraft, stärker als alle
Verirrungen und Verblendungen unsere Politiker wird die Macht Gottes
sein.
Diese
Macht ist in den Schwachen mächtig. Von diesem Paradox lebt
das
Christentum. Die Macht Gottes war niemals Eiapopeia, die Friedensmacht
Gottes hatte
stets sehr leidvoll Aspekte. Wir haben diese Macht Gottes in der Krippe
eines
alten Stalles in einem Provinznest namens Bethlehem am Rande des
römischen
Reiches wiedergefunden. Dieser Mann Jesus, Spielball in den
Machtkämpfen
zwischen jüdischer Hierarchie und römischer
Kolonialmacht, wird zum Idol der Schwächsten
in Palästina, zum Helfer der Armen, Gebeugten und verlorenen.
Er preist die
Sanftmütigen, Friedfertigen, Hungrigen nach Gerechtigkeit, die
Verfolgten und
Armen. Unter ihnen wird Gottes Herrschaft wachsen. Er wurde
hingerichtet. Aber
seine Leute haben immerhin die Einheit des römischen Reiches
zerbrochen: mit
Diskussionen und mit Verweigerungen, dem Kaiser zu gehorchen. Diese
Verweigerung
der Schwachen, den Mächtigen zu parieren, ist über
alle Jahrhunderte der Motor
des christlichen Lebens geblieben.
Die
Macht Gottes, die Menschen so stark macht, daß sie vor den
Henkern
keine Angst mehr haben, hat sich durch alle Jahrhunderte durchgehalten.
Martin
Luther war einer dieser mutigen, die wussten, daß Gottes
Macht stärker ist als
die des Papstes. Seitdem hat es immer wieder Menschen gegeben, die im
Exil,
unterdrückt von Terror und Gewalt, der befreienden Macht
Gottes mehr zutrauen
als den Folterwerkzeuge oder Atombomben der Unterdrücker.
Auch
heute wieder haben wir die Situation, daß die, die eigentlich
unseren Willen in einer Demokratie repräsentieren sollen,
gegen unseren Willen,
gegen 74% der Bevölkerung, sich für den Kalten Krieg
und für die Schreckensmacht
der Waffen entschieden haben, um angeblich Frieden zu garantieren.
Und
wir erwarten das Kommen des Königs, der Frieden bringt, wir
feiern
die Ankunft Christi, aber es kommen erstmal nur die Pershing 2.
Traurige
Zeiten. Wie sollen wir uns da freuen?
Ich
glaube, daß diese Situation heute genauso ist wie damals, in
der
biblischen Zeit des Exils, der Zeit der Kindermorde und Verfolgungen,
derzeit
der Mutlosigkeit und Apathie. Und damals wie heute ist genau in diese
Zeit und keine bessere das Wort von der
Freudenboten gesagt. In
traurigen Zeiten feierte der zweite Jesaja und die Weisen aus dem
Morgenland
und feiern auch wir heute die Königsherrschaft Gottes, dessen
Macht in den
Schwachen sichtbar wird. Und damals wie heute vertrauen wir auf diese
Stärke,
die ausgeht vom einfachen Volk, von den Verfolgten, Armen, Gebeugten,
Hungrigen
nach Gerechtigkeit. Auf diese Stärke der Schwachen
dürfen wir bauen.
In
Vietnam hat ein schwaches Volk mit der Stärke seines
Überlebenswillens
gegen alle Superwaffen der Amerikaner gesiegt. In Nicaragua hat eine
Gruppe von
Bauern gegen die Terror Truppe des Diktators Somoza gesiegt. Und ich
glaube, daß
auch unser Volk mit seinem Willen zur Abrüstung und zum
Überleben stärker sein
wird als alle Mächte der Angst, die uns auf Waffen Vertrauen
machen wollen. Wir
werden es unserer Regierung deutlich machen, daß sie gegen
die Mehrheit regiert
und ihr die demokratische Rechnung präsentieren. Wir werden
die Köpfe nicht
hängenlassen, weil wir wissen: stärker als alle Macht
der irdischen Gewalthaber
ist das Friedensreich Gottes, das in den Schwachen und Rechtlosen
mächtig wird.
Darum geben wir jetzt nicht auf mit der Hoffnung auf die anbrechende
Herrschaft
Gottes, die begann mit einem Kind im Stall. Amen.