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Predigt über Exodus 16, 2.3.11 -32

Friedenskirche 5. 8. 1984

Lieder: 129, 1,4 - 6;     380, 1, 4, 5;     197,5 - 7;     159, 1 - 3;   Psalm 23;   Matthäus 6, 24 ff

Die Fleischtöpfe Ägyptens oder: die Wirtschafts Ordnung Gottes muss nicht immer Kaviar sein.

Gliederung:                1. Hunger macht Glaubenszweifel

2. Gott als Versorger

3. Wohlstand oder Freiheit - wieder deren falsche Identität!

 

Liebe Gemeinde!

Der große und lange Marsch ins gelobte Land geht durch viele Entbehrungen. Die Freiheit eines Volkes kostet schon so einigen Kampf. Mose hat sich durchgekämpft mit den chabiru, den Hebräern, verarmten Nomaden, die in den ägyptischen Städten Pitom und Ramses zu harter Zwangsarbeit im Städtebau eingeteilt waren. Er hat einen Aufseher, einen Sklaventreiber erschlagen, weil er die Sklaverei mit ihren Peitschenschläge nicht mit ansehen konnte. Er hat auf die Peitsche mit Mord geantwortet, weil für ihn Sklaverei tödlich ist, ebenso schlimm wie Mord. Und dann sind sie geflohen vor den Streitwagen der ägyptischen Armee, bis durch die Sümpfe nördlich des Roten Meeres, wo die schweren Streitwagen einsackten. Die orientalischen Ausmalungen beschreiben dieses Entrinnen als Gang durch das Meer, das wie Mauern zu beiden Seiten des Nomadentracks steht und hinter ihm schlagen die Wellen zusammen und begraben das ägyptische Heer in sich.

Während des langen Marsches aus der Sklaverei in die neue Heimat in Kanaan müssen sie aber durch die Wüste. Sie erleben Tage zwischen den Wasserstätten, wo ihnen nichts erspart bleibt. Und dann, wenn Hunger und Durst kommen, dann sind plötzlich alle Freiheitsinteressen unwichtig, alle Ideale eines besseren Lebens verdunstet und das einzige Argument, das noch zählt, ist Essen. Erst kommt das Fressen, dann die Moral, sagt Bertolt Brecht.

Ohne Essen wird Gott brotlos. Denn wer nichts zu essen hat, ist nicht an Gott interessiert, sondern am Brot. Die hungrigen Israeliten pfeifen auf Freiheit, die ihnen Gott geben will, pfeifen auf die neue Heimat, die vor ihnen liegt, pfeifen auf Gott. Lieber Sklave sein in Ägypten, aber satt zu essen, Brot und Fleisch jede Menge. Lieber tot als hungrig. Lieber ohne Gott, aber mit vollem Magen.

Gott oder Brot - diese Alternative empfinden die Israeliten mit ihrem knurrenden Magen. Und in der Tat, die Weissagungen dieses Gottes sind keine Rezepte, wie man schnell zu Essen kommt. Wäre Essen das Wichtigste im Leben, wozu dann der Aufbruch in ein neues Land? Essen gab es in Ägypten genug. Dass keiner mehr ohne Würde lebt, ohne Freiheit - das ist Gottes Programm, was über das bloße Essen hinausgeht. Daß jeder genug zu essen hat, das haben die Länder des Kommunismus in vorbildlicher Weise realisiert. Wir wollen aber nicht nur Sattheit, sondern die Verwirklichung der Menschenrechte. Wir wollen Freizügigkeit. Daß keiner wegen seiner Meinung hinter Gittern muss. Übrigens ist bei vielen Ostblock-Kritikern nicht dies das Hauptargument, sondern eben doch die Fleischtöpfe Ägyptens: daß man zuwenig Apfelsinen und Autos im Osten hat, wiegt schwerer als die Inhaftierung von Dissidenten. Wie traurig materialistisch doch unsere Kritik am Materialismus drüben ist! Viele, die meisten, die in den goldenen Westen kommen, kommen scheußlicher Weise auch nicht wegen des Wunsches, ihre Meinung frei zu äußern, sondern wegen der Apfelsinen und Autos. Und Sie merken erst, wenn Sie hier sind, dass unsere kapitalistische Wirtschaft ein ganz brutales Pokerspiel ist, bei vielen Aussiedlern reicht es zwar für Apfelsinen, aber nicht mehr fürs Auto. Eigentlich ist es bezeichnend, dass die, die wirklich für die Freiheit kämpfen im Osten, überhaupt nicht daran denken, in den Westen zu gehen. Sie gehen lieber ins Gefängnis als zu uns. Das sollte uns zu denken geben! Es gibt unter uns diesen vulgäre Materialismus, der alles daran misst, was man ißt. Freiheit wird bei uns doch immer mehr zu der Graf-Otto-Freiheit, die wahrhaft fürstlich darin ist, daß sie die altmodische Gleichung des christlichen Westens, nämlich „Freiheit = Brot“ für jeden, gleichsam in den Delikatessenladen schickt: Freiheit gleich Kaviar.

Gott oder Brot - Elia in der Wüste, Johannes der Täufer in der Wüste, Jesus in der Wüste. Die biblischen Gottesmänner haben gehungert, um Gott nahe sein zu können. Sie haben sich der Versuchung ausgesetzt, so wie die fastenden Mönche im Mittelalter nach ihnen, weil sie wußten, dass Menschen nicht vom Brot allein leben. Dorothee Sölle sagt: Wir sterben den Tod am Brot allein. Wir verkaufen unsere Freiheit für Kaviar.

Das erste Interesse Christi war niemals, selbst satt zu werden. Das erste Interesse Christi war, daß alle satt werden. Unsere Graf-Otto-Freiheit, die sich erfüllt glaubt, solange Milch und Honig, Apfelsinen und Autos, Öl und Geld in Strömen fließen, diese Kaviar-Freiheit lebt von der Ausbeutung und dem Hunger von Millionen Menschen in den armen Ländern dieser Erde, die wir uns als moderne Sklaven halten, genannt: Handelspartner. Wer heute Gott dankt für unseren Kaviar, lästert Gott, der seinen Sohn gab als Brot für alle Menschen, als Zeichen und Weisung, unser tägliches Brot gemeinsam zu teilen, mit der ganzen Welt zu teilen.

Die Israeliten zweifelten am guten Willen Gottes, als ihr Bauch einmal leer war. Sie zweifelten überhaupt an Gott oder genauer: sie glaubten Mose nicht mehr, daß er im Auftrag Gottes handelt. Denn Gott kann ja unmöglich zulassen, dass sie einmal Hunger haben auf dem Weg in das Land der Gerechtigkeit und menschlichen Freiheit und Würde. Dass sie gepeitscht wurden in Ägypten, war plötzlich das kleinere Übel. Lieber Peitsche als Hunger. Verwöhnte Kinder im Zeltlager reagieren auch so: sobald mal Hunger aufkommt für eine Stunde, wollen sie am liebsten sofort wieder nach Hause, auf dass sie eben noch geschimpft haben, weil sie zu Hause so früh ins Bett müssen. Was wir uns von Gott wünschen, ist das Schlaraffenland: alles nur vom feinsten. Dann sind wir zufrieden. Aber wir haben das weltbeste Essen. Und unsere Kirchen sind leer. Die Weddinghofener, die die ganze Nacht durchgefeiert und gegrillt haben, wer sitzt schon in der Kirche am nächsten Morgen?

Nein, auch wenn Gott uns Kaviar gäbe, wir würden es als Gottes verdammte Pflicht ansehen, uns mit Kaviar zufüttern, aber deshalb nach seinem Willen zu leben - wir würden es nicht. Auch der Kaviar-Gott hätte nicht mehr Sympathien bei uns. Er würde und wird während des Genießens nämlich vergessen. Der religiöse Materialismus - Gott als Versorger - stärkt nicht den Glauben, macht nicht williger für Gottes Willen, daß alle Menschen satt und in Würde und Freiheit leben können sollen. Gegen die Unzufriedenheit mit Gott, gegen die Zweifel an Gott hilft jedenfalls nicht unser Wohlstand.

Und trotzdem, so erzählt es die Bibel, sorgt Gott für Essen bei dem langen Marsch ins freie Leben. Aber Gott sorgt für Essen nicht fürstlich - mit Bonzen-Kaviar - sondern göttlich: alle werden satt. Das Wunder der Mose-Geschichte in der Wüste mit dem Manna besteht darin, dass jeder nur soviel bekommt, wie er braucht, um satt zu werden. Die Pfiffigen, die sich was auf die hohe Kante legen von den Körnern, müssen am nächsten Morgen erleben, das ist verfault ist. Ihre egoistische Sucht nach mehr als dem Notwendigen wird bestraft, indem die Vorräte faulen und Würmer bekommen. Gott will nicht, dass die Leute sich wieder bereichern und jeder in seine Tasche wirtschaftet. Die Wirtschafts Ordnung Gottes ist klar und unmissverständlich: das gebietet Gott: ein jeder sammele soviel, wie er und seine Familie braucht. Wenn nicht gesammelt hat, wird keinen Überschuss haben, wer wenig gesammelt hat, hat trotzdem keinen Mangel. Niemand soll etwas aufheben bis zum nächsten Morgen.

Wenn Jesus uns beten lehrt: unser tägliches Brot gib uns heute, dann heißt das: nicht für schätzesammeln, sondern nur so viel nehmen, wie wir heute essen. Darauf vertrauen, dass Gott auch morgen für uns Brot hat. Wer darauf vertraut, wer wirklich von Gott, nicht von seiner Fleißarbeit, die Garantie fürs Überleben erwartet, der ist frei von dem Zwang, aus Angst vor einer ungewissen Zukunft alles zu scheffeln, was er kriegen kann. Der kann vom großen Kuchen auch getrost anderen ihren Teil überlassen. Der kann abgeben und teilen. Der wird dann selbst, wie unser Herr Jesus Christus, zum Brot Gottes, dass sich vermehrt nicht durch Horten, sondern durch Teilen. Daran wird man den Speiseplan Gottes erkennen: nicht am Kaviar für Graf Otto, sondern an der Sattheit aller, am Brot für die Welt. Amen.