Friedenskirche 5. 8. 1984
Lieder: 129, 1,4 - 6; 380,
1,
4, 5;
197,5 - 7;
159, 1 - 3;
Psalm 23;
Matthäus 6, 24 ff
Gliederung:
1.
Hunger macht Glaubenszweifel
2. Gott als Versorger
3. Wohlstand oder
Freiheit - wieder deren falsche Identität!
Liebe
Gemeinde!
Der
große und lange Marsch ins gelobte Land geht durch viele
Entbehrungen. Die Freiheit eines Volkes kostet schon so einigen Kampf.
Mose hat
sich durchgekämpft mit den chabiru, den Hebräern,
verarmten Nomaden, die in den
ägyptischen Städten Pitom und Ramses zu harter
Zwangsarbeit im Städtebau
eingeteilt waren. Er hat einen Aufseher, einen Sklaventreiber
erschlagen, weil
er die Sklaverei mit ihren Peitschenschläge nicht mit ansehen
konnte. Er hat
auf die Peitsche mit Mord geantwortet, weil für ihn Sklaverei
tödlich ist,
ebenso schlimm wie Mord. Und dann sind sie geflohen vor den Streitwagen
der
ägyptischen Armee, bis durch die Sümpfe
nördlich des Roten Meeres, wo die
schweren Streitwagen einsackten. Die orientalischen Ausmalungen
beschreiben
dieses Entrinnen als Gang durch das Meer, das wie Mauern zu beiden
Seiten des
Nomadentracks steht und hinter ihm schlagen die Wellen zusammen und
begraben
das ägyptische Heer in sich.
Während
des langen Marsches aus der Sklaverei in die neue Heimat in
Kanaan müssen sie aber durch die Wüste. Sie erleben
Tage zwischen den
Wasserstätten, wo ihnen nichts erspart bleibt. Und dann, wenn
Hunger und Durst
kommen, dann sind plötzlich alle Freiheitsinteressen
unwichtig, alle Ideale
eines besseren Lebens verdunstet und das einzige Argument, das noch
zählt, ist
Essen. Erst kommt das Fressen, dann die Moral, sagt Bertolt Brecht.
Ohne
Essen wird Gott brotlos. Denn wer nichts zu essen hat, ist nicht
an Gott interessiert, sondern am Brot. Die hungrigen Israeliten pfeifen
auf
Freiheit, die ihnen Gott geben will, pfeifen auf die neue Heimat, die
vor ihnen
liegt, pfeifen auf Gott. Lieber Sklave sein in Ägypten, aber
satt zu essen,
Brot und Fleisch jede Menge. Lieber tot als hungrig. Lieber ohne Gott,
aber mit
vollem Magen.
Gott
oder Brot - diese Alternative empfinden die Israeliten mit ihrem
knurrenden Magen. Und in der Tat, die Weissagungen dieses Gottes sind
keine
Rezepte, wie man schnell zu Essen kommt. Wäre Essen das
Wichtigste im Leben,
wozu dann der Aufbruch in ein neues Land? Essen gab es in
Ägypten genug. Dass
keiner mehr ohne Würde lebt, ohne Freiheit - das ist Gottes
Programm, was über
das bloße Essen hinausgeht. Daß jeder genug zu
essen hat, das haben die Länder
des Kommunismus in vorbildlicher Weise realisiert. Wir wollen aber
nicht nur
Sattheit, sondern die Verwirklichung der Menschenrechte. Wir wollen
Freizügigkeit. Daß keiner wegen seiner Meinung
hinter Gittern muss. Übrigens
ist bei vielen Ostblock-Kritikern nicht dies das Hauptargument, sondern
eben
doch die Fleischtöpfe Ägyptens: daß man
zuwenig Apfelsinen und Autos im Osten
hat, wiegt schwerer als die Inhaftierung von Dissidenten. Wie traurig
materialistisch doch unsere Kritik am Materialismus drüben
ist! Viele, die
meisten, die in den goldenen Westen kommen, kommen
scheußlicher Weise auch
nicht wegen des Wunsches, ihre Meinung frei zu
äußern, sondern wegen der
Apfelsinen und Autos. Und Sie merken erst, wenn Sie hier sind, dass
unsere
kapitalistische Wirtschaft ein ganz brutales Pokerspiel ist, bei vielen
Aussiedlern reicht es zwar für Apfelsinen, aber nicht mehr
fürs Auto.
Eigentlich ist es bezeichnend, dass die, die wirklich für die
Freiheit kämpfen
im Osten, überhaupt nicht daran denken, in den Westen zu
gehen. Sie gehen
lieber ins Gefängnis als zu uns. Das sollte uns zu denken
geben! Es gibt unter
uns diesen vulgäre Materialismus, der alles daran misst, was
man ißt. Freiheit
wird bei uns doch immer mehr zu der Graf-Otto-Freiheit, die wahrhaft
fürstlich
darin ist, daß sie die altmodische Gleichung des christlichen
Westens, nämlich
„Freiheit = Brot“ für jeden, gleichsam in
den Delikatessenladen schickt:
Freiheit gleich Kaviar.
Gott
oder Brot - Elia in der Wüste, Johannes der Täufer in
der Wüste,
Jesus in der Wüste. Die biblischen Gottesmänner haben
gehungert, um Gott nahe
sein zu können. Sie haben sich der Versuchung ausgesetzt, so
wie die fastenden
Mönche im Mittelalter nach ihnen, weil sie wußten,
dass Menschen nicht vom Brot
allein leben. Dorothee Sölle sagt: Wir sterben den Tod am Brot
allein. Wir
verkaufen unsere Freiheit für Kaviar.
Das
erste Interesse Christi war niemals, selbst satt zu werden. Das
erste Interesse Christi war, daß alle satt werden. Unsere
Graf-Otto-Freiheit,
die sich erfüllt glaubt, solange Milch und Honig, Apfelsinen
und Autos, Öl und
Geld in Strömen fließen, diese Kaviar-Freiheit lebt
von der Ausbeutung und dem
Hunger von Millionen Menschen in den armen Ländern dieser
Erde, die wir uns als
moderne Sklaven halten, genannt: Handelspartner. Wer heute Gott dankt
für
unseren Kaviar, lästert Gott, der seinen Sohn gab als Brot
für alle
Menschen, als Zeichen und Weisung, unser tägliches Brot
gemeinsam zu teilen,
mit der ganzen Welt zu teilen.
Die
Israeliten zweifelten am guten Willen Gottes, als ihr Bauch einmal
leer war. Sie zweifelten überhaupt an Gott oder genauer: sie
glaubten Mose
nicht mehr, daß er im Auftrag Gottes handelt. Denn Gott kann
ja unmöglich
zulassen, dass sie einmal Hunger haben auf dem Weg in das Land der
Gerechtigkeit und menschlichen Freiheit und Würde. Dass sie
gepeitscht wurden
in Ägypten, war plötzlich das kleinere Übel.
Lieber Peitsche als Hunger.
Verwöhnte Kinder im Zeltlager reagieren auch so: sobald mal
Hunger aufkommt für
eine Stunde, wollen sie am liebsten sofort wieder nach Hause, auf dass
sie eben
noch geschimpft haben, weil sie zu Hause so früh ins Bett
müssen. Was wir uns
von Gott wünschen, ist das Schlaraffenland: alles nur vom
feinsten. Dann sind
wir zufrieden. Aber wir haben das weltbeste Essen. Und unsere Kirchen
sind
leer. Die Weddinghofener, die die ganze Nacht durchgefeiert und
gegrillt haben,
wer sitzt schon in der Kirche am nächsten Morgen?
Nein,
auch wenn Gott uns Kaviar gäbe, wir würden es als
Gottes
verdammte Pflicht ansehen, uns mit Kaviar zufüttern, aber
deshalb nach seinem
Willen zu leben - wir würden es nicht. Auch der Kaviar-Gott
hätte nicht mehr
Sympathien bei uns. Er würde und wird während des
Genießens nämlich vergessen.
Der religiöse Materialismus - Gott als Versorger -
stärkt nicht den Glauben,
macht nicht williger für Gottes Willen, daß alle
Menschen satt und in Würde und
Freiheit leben können sollen. Gegen die Unzufriedenheit mit
Gott, gegen die
Zweifel an Gott hilft jedenfalls nicht unser Wohlstand.
Und
trotzdem, so erzählt es die Bibel, sorgt Gott für
Essen bei dem langen Marsch
ins freie Leben. Aber Gott sorgt für Essen nicht
fürstlich - mit Bonzen-Kaviar
- sondern göttlich: alle
werden
satt. Das Wunder der Mose-Geschichte in der Wüste mit dem
Manna besteht darin,
dass jeder nur soviel bekommt, wie er braucht, um satt zu werden. Die
Pfiffigen, die sich was auf die hohe Kante legen von den
Körnern, müssen am
nächsten Morgen erleben, das ist verfault ist. Ihre
egoistische Sucht nach mehr
als dem Notwendigen wird bestraft, indem die Vorräte faulen
und Würmer
bekommen. Gott will nicht, dass die Leute sich wieder bereichern und
jeder in
seine Tasche wirtschaftet. Die Wirtschafts Ordnung Gottes ist klar und
unmissverständlich: das gebietet Gott: ein jeder sammele
soviel, wie er und
seine Familie braucht. Wenn nicht gesammelt hat, wird keinen
Überschuss haben,
wer wenig gesammelt hat, hat trotzdem keinen Mangel. Niemand soll etwas
aufheben bis zum nächsten Morgen.
Wenn
Jesus uns beten lehrt: unser tägliches Brot gib uns heute,
dann heißt das:
nicht für schätzesammeln, sondern nur so viel nehmen,
wie wir heute essen.
Darauf vertrauen, dass Gott auch morgen für uns Brot hat. Wer
darauf vertraut,
wer wirklich von Gott, nicht von seiner Fleißarbeit, die
Garantie fürs
Überleben erwartet, der ist frei von dem Zwang, aus Angst vor
einer ungewissen
Zukunft alles zu scheffeln, was er kriegen kann. Der kann vom
großen Kuchen
auch getrost anderen ihren Teil überlassen. Der kann abgeben
und teilen. Der
wird dann selbst, wie unser Herr Jesus Christus, zum Brot Gottes, dass
sich
vermehrt nicht durch Horten, sondern durch Teilen. Daran wird man den
Speiseplan Gottes erkennen: nicht am Kaviar für Graf Otto,
sondern an der
Sattheit aller, am Brot für die Welt. Amen.