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Predigt über 1. Thessalonicher 5, 14-24

Friedenskirche 23.9. 84 +13. 7.86
Lieder: 241, 1-5; 133, 1-5; 241, 6-9; 139; Psalm 103; Matthäus 6

Christliche Stimmung

Liebe Gemeinde!
Es soll ordentlich, friedlich, geduldig zu gehen in der christlichen Gemeinde, fröhlich, dankbar, begeistert, tolerant, aber auch kritisch, fordert der Apostel Paulus von den Glaubensgenossen in Thessaloniki, nur so könne ein jeder am Tage des Weltgerichts bestehen. Das ist möglich sei so zu leben, wie eben gesagt und wie es Gottes Wille ist, sei durch das Leben Christi demonstriert und garantiert. Gott, der Gott des Friedens, will, daß seine Kirche in Frieden untereinander lebt.
Liebe Gemeinde, alleine die Tatsache, daß Paulus dies alles, was doch eigentlich selbstverständlich wäre, so eindringlich am Ende seines Briefes betont, das zeigt doch, daß alle diese Forderungen keineswegs so selbstverständliche Realität des damaligen Gemeindelebens gewesen sein können: denn wer wäre so dumm, einem Fußgänger das Fußgehen ans Herz zu legen oder einem Beter das Beten! Wenn Paulus von den Christen in Thessaloniki Ordnung, Frieden, Geduld, Fröhlichkeit, Dankbarkeit, Toleranz und Kritik fordert, dann doch, weil all diese menschlichen Züge dort unterentwickelt waren.
Ein schwacher Trost für uns: an Gehässigkeit hat es also auch damals unter Christen nicht gefehlt. Unter Christen sein war schon immer wie - um mit Karl May zu sprechen - unter Geiern zu leben.
Ich vermute, daß die eindringlichen Ermahnungen des Paulus nur wenig geändert haben an diesen christlichen Untugenden. Warum nur hat es, seitdem die Botschaft von einem Gott, der Liebe ist und will, so wenig Liebe in der Gemeinschaft, die sich auf diesen Gott beruft und von ihm berufen fühlt, gegeben? Warum ist die Macht des Teufels so stark unter Christen? Warum ist die Kirche für viele immer noch der beste Beweis gegen die Existenz Gottes? Warum geht es in der Gemeinde so intrigant und gehässig zu?
Der Psychoanalytiker Sigmund Freud hat in seinen massenpsychologische Überlegungen Grundlagen zu einer Antwort auf die Frage nach der Bosheit der Heiligen entwickelt, die unser protestantischer Gewährsmann Martin Luther nur dogmatisch konstatieren konnte mit dem Satz: simul justus et peccator. Der Christ sei eben zugleich Sünder und Gerechter, oder mit der Confessio Augustana Artikel 7: Congregatio sanctorum: die Gemeinschaft der Heiligen, ist eben auch Gemeinschaft der Sünder.
Zur Sache: des Übels Wurzel liegt schon in seiner Benennung: so wie Paulus die Thessaloniki zur Liebe auffordert, legt er schon die Grundlage der typischen christlichen Lieblosigkeiten. Er predigt ihnen etwas an, was sie so, wie es gefordert wird, gar nicht realisieren können. Vielleicht ist dies das Grundproblem aller Ermahnungen: die nur gepredigte oder herbeigeredet Liebe ist Schall und Rauch.
Seid allezeit fröhlich. Diese Aufforderung ist schlimm! Nicht nur, daß die Super-Colgate-keep-smiling-Reklame uns Stereotypen vorgaukeln will, schön leben heiße Hepp und Pepp. Nein, es gibt so viel, wo gelebt wird, was mich traurig macht und verletzt, was mich eher zum Heulen und zum Schreien treibt, aber nicht zu Fröhlichkeit und Lobgesängen. Jesus hat nie verlangt, lieber Christ, bitte jetzt ein seliges Lächeln aufsetzen, betont freundlich wirken, so und jetzt noch ein nettes Küsschen wie die Politiker es vor den Kameras auf den Flughäfen und die Prinzessinnen beim Gala-Abend für den Frau-im-Spiegel-Reporter aufsetzen. Jesus hat bitterlich geweint über Jerusalem, hat in dieser Stadt durchaus ungeduldig im Tempel die Peitsche geschwungen und war auch sonst oft genug wütend, genervt, traurig.
Seid allezeit fröhlich - das ist nur die halbe Wahrheit über die Stimmung der Christen und damit schon die ganze Unwahrheit. Was dabei herauskommt, sind jene verlogenen Zeitgenossen, die immerzu ein reserviertes Lächeln, immer einen freundlich klingendes Wort auf den Lippen haben, aber sobald der Angelächelte weg ist, erstmal ihrem Ärger über ihn Luft machen müssen. Die Masche der christlich-aufgesetzten Fröhlichkeit im Umgang ist nur der Auftakt der anschließenden üblen Nachrede: weil die Konfliktpunkte im direkten Kontakt verschwiegen werden, nicht aus Wohlwollen, sondern aus plötzlicher Feigheit vor vielleicht nötigem Streit, kommen sie dann hinterfotzig als Klatsch heraus.
Was ist schuld an der christlichen Verlogenheit? Zu glauben, die Sünde sei schon damit tot, daß man so tut, als gäbe es sie nicht. Man will gerne aus sich selbst einen Heiligen machen: Man will gerne ein guter Mensch sein. Da passen dann die kleinen Aggressionen und Ressentiments nicht hin, die man denen gegenüber hegt, die man laut Befehl von oben ja lieben soll und nichts als lieben. Weil es verboten ist, jemanden einfach nicht leiden zu können, weil man es als Heiliger ja auch schaffen soll, mit allen gut auszukommen, deshalb werden die unheiligen Antipathien aus dem direkten Kontakt in den indirekten verlegt. Man redet über einen, statt mit ihm.
Weil jeder ein Heiliger sein will, auf jeden Fall besser als der andere, deshalb Lächeln alle um die Wette und pressen die Judas Küsse unentwegt einander auf. Das nur verdrängte Böse aber macht sich im Unbewußten selbstständig und sucht sich seine Wege der Gehässigkeiten durch alle Fassaden der Freundlichkeit hindurch. Es liegt dann zwischen den Zeilen, statt in den Worten. Es ist dann das schleichende Gift statt der drohenden Faust, es ist dann die besonders raffinierte Art, einen mit Nettigkeiten kleinzukriegen. Seid allezeit fröhlich - das könnte dann die Kunst sein, einander zu zerfleischen mit der Mine des Heiligen.
Liebe Gemeinde, ich sehe nur einen Ausweg aus dieser unmenschlichen Freundlichkeit: den falschen Heiligenschein fallen lassen: einander eingestehen und zugestehen, daß man sich nicht lieben kann, daß man miteinander nicht zurecht kommt. Das einen am anderen Dinge stören, die man eben nicht so einfach schlucken kann. Dem anderen sagen, daß er kein Heiliger ist, so wie wir ihn vielleicht gerne oder wenigstens lieber hätten. Aber dann auch aufhören, selbst ein Heiliger sein zu wollen, selbst die überragenden moralischen Qualitäten demonstrieren zu müssen. Nicht irgendwelche christlichen Tugenden sollten wir demonstrieren, sondern einfach nur unser Herz, das in der Regel in all seiner Sehnsucht nach Liebe eine lieblose Mördergrube ist. Unter der anständigen Fassade unserer Christlichkeit sind wir alle doch nicht besser als der andere: in unserem Herzen sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Ein Glück für uns, daß keiner reingucken kann. Ein Glück? Falsch! Kein Glück, denn es macht unglücklich, wenn man nie sein Herz öffnen kann mit all dem Verletzenden und Unanständigen, was da drinne ist.
Es macht uns krank, wenn wir immer den Heiligen spielen sollen und nie zeigen dürfen, daß wir in Wirklichkeit Sünder sind.
Machen wir uns doch nichts vor. Tun wir doch nicht so als sei einer von uns besser als der andere. Aber tun wir dann bitte auch nicht so, als sei einer von uns schlechter als der andere. Machen wir also keinen schlecht. Vielleicht werden wir dann besser, vielleicht jagen wir so dem Guten nach: indem wir uns solidarisieren miteinander als Sauhaufen Gottes, oder mit dem Barmer Bekenntnis gesagt: als Gemeinschaft der von Gott begnadeten Sünder. Dann ist nicht mehr unsere Güte wichtig, sondern die Güte Gottes, der uns mit all unserer Unvollkommenheit vollkommen liebt. Amen.