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Predigt über Epheser 4,1-6

Friedenskirche/Wichernhaus 14. 10. 1984
Lieder: 126,1-4;    214,1-3;    214,5;    207,3+4;    Psalm 33    Matthäus 23, 1-16;    Acta2

Liebe Gemeinde,
Trennungen gibt es mehr als gemeinsame Positionen. Und der Geist Jesu ist ein Geist, der die Geister scheidet. An ihm zerbrechen die verwandtschaftlichen Beziehungen: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert." Jesus schafft Streit und Zwiespalt in der damaligen jüdischen Sehne. Und er wird immer wieder auch in bestehenden Zwiespalt hinein gerissen, Gott oder Kaiser, helfen oder Sonntagsruhe einhalten, Leben schützen oder Gesetze beachten.
Das ganze Leben Jesu verstehe ich als die Frage an uns: Was macht Gott in den Menschen? Und Jesus sagt: Gott macht Liebe, während die Juden damals gesagt hätten, Gott macht saubere, korrekte und ordnungsgemäße Verhältnisse. Liebe oder Korrektheit - da scheiden sich die Geister. Wir würden gern beides zugleich. Und fast alle Geschichten von Jesus zeigen, dass beides zugleich nicht geht. Gottes Reich verletzt die Regeln der alten Welt. Gottes Reich stellt neue Regeln auf, das Gesetz Christi ist die Liebe. Das ist so sehr allgemein gesagt. Sobald es konkret wird, geht der Streit los.
Beispiel 1 für die Geisterscheidung: Was ist wichtiger und mehr Gottesliebe: die Sabbatruhe einhalten und keine Arbeit und auch keine Heilungen zu verrichten, oder einen Menschen gesund zu machen? Unsere pfiffige Antwort: man kann doch beides respektieren, Sabbatruhe und die Leiden der Krankheit, in dem Jesus die Heilung am folgende Tage durchgeführt hätte. Hat er aber nicht! Dieser Schlingel.
Beispiel 2 der Geisterscheidung: Worauf guckt Gott eher: auf die äußere Figur eines Menschen oder auf sein Inneres? Was ist wichtiger: kurze Haare und schicke Kleidung oder ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte anderer? Worum soll sich ein Mensch mehr kümmern, gesetzt den Fall, beides zugleich schafft er nicht? Würde oder Mitgefühl  - und beides vereint gibt es äußerst selten. Matthäus 23, 1-16
Beispiel 3 für Geisterscheidung: Die reformierte Kirche hat gesagt: Atomwaffen sind Sünde und gegen Gottes willen. Wir sagen daher als Glaubensbekenntnis folgenden Satz: "Atomwaffen nein! Ohne jedes Ja!" Das gehört zum rechten Glauben dazu, Atomwaffen rigoros abzulehnen. Ja, sagt da die lutherische Fraktion unserer Kirche, aber was ist mit unserer Sicherheit? Sollen wir auf Abschreckung dann einfach verzichten und damit die Russen ins Land locken? So entsteht der Streit um Atomwaffen und Gottes Frieden. Die Geister scheiden sich.
Seid Christen nach Gottes Willen fragen, hat es über die konkrete Gestalt von Gottes Willen Streit gegeben. Sogar mit Waffen. Und wir sind von der Uneinigkeit auch nicht verschont.
Und je tiefer die Zerwürfnisse unter Christen waren, umso mehr wurde die Wiederherstellung der Einheit und Gesprächsfähigkeit selbst zum Thema, um dass es ging. Am Anfang dieses Jahrhunderts haben sich aufgeweckte Christen aus Europa und Amerika in den Kopf gesetzt, über eine spezielle Organisationen die Einheit zwischen den Kirchen in aller Welt schrittweise herbeizuführen. Das ist der Ökumenische Rat der Kirchen. Hier treffen sich die verschiedensten Menschen: Schwarze, Weiße, Rote, Gelbe; Lutheraner, Angelikaner, Reformierte, Baptisten; philippinische Pastoren und afrikanische Christen, wohlhabende Bischöfe und bescheidene einfache Gemeindeglieder. Und alle, die getrennt voneinander sind durch ihre Rasse, Nation, Sprache, Arbeit und besonders durch Arm und Reich, die sagen dort auf ihren Vollversammlungen: wir alle haben denselben Herrn Jesus Christus. Wir haben denselben Glauben und dieselbe Taufe. Gott hat uns alle gleich lieb wie ein Vater seine Kinder. Bei allem, was wir an Streit haben, vergessen wir das nicht: Jesus verbindet uns. Wir alle wollen tun, was er getan hat, wir alle sind noch am lernen, seine große Welt-Schule. Wir lehnen keinen ab, weil er nicht so ist wie wir, denn wir wissen, Gott liebt alle Menschen. Mit dieser Gewissheit bemühen wir uns auch um die, die uns nicht passen.
Das ist nicht einfach. So leicht kann der Arme den Reichen nicht als Bruder gelten lassen, wo er doch verhungert am Reichtum der Reichen. So leicht kann der unterdrückte den Militärmann nicht gelten lassen, wo doch seine Leute an dessen Kugeln sterben. Da gibt es keine Toleranz. Die wäre da auch nicht christlich. Sondern Einheit in Jesus Christus heißt hier: Aufteilen des Reichtums, aufhören zu schießen. Die Einheit in Christus kostet die einen eben doch eine ganze Menge Geld und Machtverlust. Und wie ernst es mit dem Frieden Gottes ist, der uns verbindet, das erkennt man daran, wie es um das Abgeben von Reichtum Ansehen und Macht bestellt ist. Schlecht.
Ist es nicht falsche Versöhnung, wenn Arm und Reich gemeinsam Abendmahl feiern, hinterher aber jeder an seinen Mittagstisch geht, und der ist beim einen der beiden leer? Ist Abendmahl da nicht eine Lüge? Eine Vorspiegelung von Einheit, ohne dass man sich einig ist?
Ich meine, die Kirche hat oft und allzu oft unter dem Deckmantel der Einheit all das brutal niedergehalten, was ihrem Kurs nicht entsprach. Und oft gibt es Wichtigeres als Einheit. Dann müssen wir uns streiten. Faulen Frieden dulden wir nicht. Die Bischöfe der Armen Kirchen haben den Bischöfen der Reichen Kirche auf der Versammlung des Ökumenischen Rates in Nairobi 1975 gesagt: "Ihr nennt uns Brüder, aber lasst uns verhungern. Darum nennen wir euch Gegner." Und sie haben Recht. Solange wir dulden, dass in Südafrika schwarze Christen verfolgt und recht- und brotlos verenden, solange sind wir Feinde und der eine Herr, der eine Glaube, die eine Taufe ist machtlos und wirkungslos. Verlesen von Tutu-Brief!
Wenn wirklich ein Gott unsere alle gemeinsam bestimmende Wirklichkeit sein soll, wenn wirklich ein Herr, Jesus Christus, uns durch sein Vorbild im Leben führt, wenn dies wirklich von allen geglaubt wird und werden soll, dann müssen wir unsere Brüder auch wie Brüder behandeln, nicht wie Feinde.
Zur Einheit des großen Leibes Christi gehört auch der Streit. Aber zum Stil dieses Streites gehört Christi Fähigkeit, den anderen trotz seiner kontroversen Meinung zu behandeln wie jemanden, den Gott lieb hat und der Gott wertvoll ist. Nur dann zeigt sich etwas vom Herrsein Gottes, der allen Vater ist, wenn wir andere wie seine Kinder behandeln. Bei allem Streit - lasst uns dies nicht ganz vergessen. Amen.