Friedenskirche
1. Advent, 2.12. 1984
Liebe
Gemeinde!
Jesus
geht nach Jerusalem. In die Stadt, die Propheten tötet. Er ist
berühmt geworden. Man weiß, da kommt eine
Persönlichkeit. Ein beliebter
Wanderprediger aus Galiläa wagt sich schließlich in
die Metropole Israel, in
die Nähe der Mächtigen, der Hohepriester, des
Königs Herodes und des römischen
Zentrums der Besatzungstruppen. Er erregt großes Aufsehen,
als er die Stadt
betritt.
Vielleicht
ist etwas dran an der Geschichte mit dem Esel und den Palmenzweigen.
Mit den ausgebreiteten Kleidern, dem Hosianna. Vielleicht ist Jesus
wirklich
wie ein neuer König empfangen worden, dem in der politischen
Krise damals alle
zutrauten, in einer Palastrevolution die Macht zu übernehmen
und die Kolonie
Palästina frei zu kämpfen von der Besatzungsmacht der
Römer. Vielleicht haben
die Leute damals wirklich geglaubt, Jesus sei dieser Messias, der
kommt,
Revolution macht und ein neues Reich des Friedens und der Gerechtigkeit
aufbaut, wo Waffen umgeschmolzen werden in Werkzeug, was dem Leben
dient.
Jesus, der Guerillero des gerechten Befreiungskampfes? Waren das die
Träume der
Armen damals, so sind sie bitter enttäuscht worden: lediglich
bei der Kritik am
Tempelbetrieb gebraucht Jesus die Peitsche gegen die
Geschäftemacher mit der
Religion. Gegen König oder römische Legion
verhält sich Jesus völlig harmlos,
eine Machtübernahme seinerseits scheitert an der Weigerung
Jesu, gegen Menschen
mit Waffengewalt vorzugehen. Wäre Jesus wirklich als Messias
in der Guerillero-Version
verstanden und begrüßt worden, wäre man
schnell enttäuscht worden. Also hätten
ihn seine Anhänger in puncto Gewaltlosigkeit noch nie wirklich
verstanden.
Nehmen
wir mal an, sie hätten Jesus doch einigermaßen gut
zugehört,
hätten verstanden, daß Jesus nicht mit Revolution
durch Waffengewalt arbeiten
wollte, sondern die Methoden der Gewalt selbst revolutioniert und
Umwelt: Das
Schwache wird zur eigentlichen Stärke, vermeintliche
Stärke entlarvt sich als
Schwäche, so wie es Psychologen in der Frage der
Verdrängungsmechanismen
analysieren. Nehmen wir mal an, sie hätten den Kindern und
Enkeln weitersagen
wollen: Jesus war ein König, dessen macht die Ohnmacht war,
dessen Waffe die
Sanftmut, dessen Sieg ein Sieg über die Herzen der Menschen,
in denen Friede
einkehrt und Wissen um Gerechtigkeit im Handeln, dann wird Jesu Einzug
in
Jerusalem wohl weniger pompös und glorreich verlaufen sein,
als die Geschichten
es beschreiben.
Der
Eindruck, daß die Geschichte vom Einzug in Jerusalem weniger
exakt
historisch als eher symbolisch zu verstehen ist, verstärkt
sich, wenn man die
Zutaten dieser Geschichte auf ihre Herkunft gefragt: Esel, warum ein
Esel?
Tochter Zion, warum diese Anrede an das Volk von Jerusalem? Kleider,
wieso
breiten die Leute Kleider von Jesus aus? Hosianna, warum singen die
Leute Psalm
118, wo ein knapp dem Tode Entronnener Gott für den Sieg dankt?
Der
Einzug Jesu in Jerusalem wird vom Evangelisten Markus und
Matthäus
gekennzeichnet durch Esel, Tochter Zion, Kleiderteppich und
Hosiana-Danklied.
Diese Zutaten haben symbolische Bedeutung, die wichtiger ist als die
Frage, ob
es denn tatsächlich so passiert ist. Sie sagen etwas
über die Sicht Jesu durch
die Augen der ersten Christen. Die nämlich erinnerten sich
beim Marsch auf
Jerusalem an die Zeit, wo Israel gefangen war in der Hand der
Babylonier und
von einer triumphalen Rückkehr träumte.
„Tochter
Zion“, sagte der dritte Jesaja, damals am Ende des
babylonischen Exils, „du wirst zurückkehren, das
zerstörte Jerusalem wird man
neu errichten, das geknechtete Volk wird nach seiner Befreiung im
Triumphzug
nach Jerusalem zurückkehren und es wird eine Zeit des Friedens
anbrechen.“
Tochter Zion, eine Anrede an Gefangene und Ansage ihrer Befreiung.
„Dein
König kommt zu dir auf einem Esel“, zum Zeichen
seiner friedlichen
Absicht reitet der König kein Pferd, kein Streitross, sondern
wie in uralten Königszeiten
ein Maultier. So fantasiert der Prophet Sacharja von einem
Friedenskönig, der massiv
Abrüstungspolitik betreibt. „Er wird die Streitwagen
ausrotten aus Ephraim und
die Rosse aus Jerusalem, ausgerottet werden auch die Kriegsbogen. Er
schafft
den Völkern Frieden durch seinen Spruch“, das
heißt durch Verhandlungen,
Diplomatie und Völkerrecht. Dieser Friedenskönig ist
geradezu die biblische
Erfindung der UNO, lange bevor die Völker soweit waren, ihre
Macht einem
allgemeingültigen Recht zu unterstellen. Wie schwer dies ist,
zeigt heute die
USA, die vorab schon gesagt hat, ganz gleich, was das Gerichtsurteil
der UNO
und der Gerichtshof der Völker in Den Haag zum amerikanischen
Militär Einsatz
in Nicaragua sagen wird, Präsident Reagan wird tun, was er
will.
Dieser
Eselskönig, Sacharjas Abrüstungsexperte Nummer 1, war
wesentlich
vernünftiger als die Großmacht, deren Fahne an so
manchem Raketenstützpunkt unseres
Landes weht. Der Hohn auf die Sanftmut findet dann Ausdruck in der
römischen Wandschmiererei,
wo am Kreuz ein Esel hängt: Euer Gott, dieser sanfte Jesus,
ist ein Esel und
Trottel gewesen, der von Macht und Verantwortung nichts verstand,
dessen Softie-Politik
ein Reinfall war, gescheitert am Kreuz. Dieser Esel Jesus sagte: Selig
sind die
Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Und in
der Tat: überall in
den Ländern dieser Erde sagen heute Christen: Wir treten in
Jesu Namen für
Frieden und Gerechtigkeit gegen Atomwaffen und Ausbeutung ein.
Die
Jerusalemer breiteten vor Jesus ihre Kleider zu einem roten Teppich
auf dem Weg aus, erzählt Matthäus. Darin schwingt
Erinnerung an eine frühere
Wende in der Politik Israels mit: als König Ahab die
Baals-Religion seiner Frau
Isebel annimmt, als das ganze Land verunsichert ist und unter
ideologischer
Vorherrschaft einer fremden Kultur lebt, da kommt der Seher Samuel zu
einem
gewissen Jehu und salbt ihn zum König, der jetzt per
Palastrevolution das
politische Chaos des herrschenden Königs Ahab beseitigen soll.
Die Freunde Jehus
breiten darauf ihre Kleider vor ihm aus und die Revolution beginnt. Die
Kleider
auf dem Weg sind der Auftakt zum Aufruhr. Auch diese Erinnerung kommt
Matthäus,
wenn er an Jesu Leben denkt. Jesus hat Aufruhr in das
politisch-religiöse Chaos
gebracht. Es ging ihm dabei um die Wiederherstellung der Ordnung: "Wer
unter
euch der größte sein will, der sei euer aller Diener
."
"Hosianna:
hilft doch, laß es gelingen! " so singen die Leute.
Sie singen Psalm 118, das Danklied der Sieger, die nur knapp dem Tode
entronnen
sind, die man schon aufgab, Ihnen keine Chance mehr gab. Und die dann
wie durch
ein Wunder Hilfe erfahren. Diese Hilfe, sagen sie, kam durch Gott. So
sehen die
Jerusalemer in Jesus auch einen Helfer Gottes. Jesus ist Gottes Hilfe.
Aber
anders als manche dachten.
Tochter
Zion, Esel, Kleider, Hosianna - der Geschmack, der sich mit
diesen Zutaten ergibt, ist die Befreiung der Gefangenen, Sanftmut,
Aufruhr,
Hilfe Gottes in der Not.
So
war Jesus, so kam er nach Jerusalem. In der Erinnerung an alte
Geschichten von David, Jesaja, Jehu, und Sacharja geht dem Evangelisten
auf,
was Jesus für uns ist: Befreier, Revolutionär, Gottes
Hilfe in der Not und das
alles eben durch Sanftmut.
Advent
- auf Deutsch: Ankunft, Ankunft Jesu in unserem Leben, Ankunft
des Richters zum Weltgericht - Ankunft eines neuen Reiches von Frieden
und
Gerechtigkeit in dieser Hunger-und Waffenwelt, das sind Perspektiven
des
christlichen Glaubens, der ebenfalls aus alten Geschichten etwas
für unsere
Gegenwart lernt. Die Geschichte Jesu, des sanftmütigen
Revolutionärs, des
gewaltlosen Helfers der Armen, verkörpert die
Erfüllung der prophetischen
Hoffnungen auf Gottes umfassende und umwälzende Hilfe. Jesus
befreit vom Zwang,
vom Sachzwang der Machtausübung, indem er ausbricht in den
revolutionären
Verzicht auf Gewalt. Er hat die Schwachstellen der
Stärkepolitik durchschaut:
die hochgerüsteten Matadore sind unbeholfen, täppisch
und hilflos ihrem
Misstrauen gegeneinander ausgeliefert. Sie haben nicht den Mut und die
Kraft zu
einseitigen Vertrauensvorschüssen. Sie sind aus Feigheit und
Angst unfähig zur
Abrüstung, obwohl sie alle dieses Ziel haben. Sie sind die
Verlierer. Sie haben
das Vertrauen verloren, daß zum Frieden nötig ist.
Sie haben auch das Vertrauen
der Regierten verloren. Nie zuvor haben so große Teile der
Bevölkerung Kritik
an den traditionellen Kursen der Politiker genommen.
Jesu
Lehre von der Macht der Machtlosen, von der Gewaltlosigkeit, wird
einmal die einzige vernünftige Politik werden. Die wahren
Sieger brauchen keine
Waffen. Wer die Herzen der Menschen gewonnen hat, dessen Worte sind
stärker als
Waffen. Bei Goebbels war diese Macht tödliche Demagogie. Denn
sie argumentierte
mit Waffen und für Waffengebrauch. Bei Ghandi hat es Indien
von den Waffen der
Engländer befreit.
Advent
- Ankunft: es wird eine Zeit Gottes geben, in der es Argumente
gibt, die nicht mehr bestehende Gewalt rechtfertigen. Wer darauf hofft,
darf
Advent feiern als Vorfreude auf Gottes Reich. Amen.