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Predigt über Matthäus 21, 1 - 9

Friedenskirche 1. Advent, 2.12. 1984

Der Messias und sein kommendes Friedensreich oder der Guerillero?

Liebe Gemeinde!

Jesus geht nach Jerusalem. In die Stadt, die Propheten tötet. Er ist berühmt geworden. Man weiß, da kommt eine Persönlichkeit. Ein beliebter Wanderprediger aus Galiläa wagt sich schließlich in die Metropole Israel, in die Nähe der Mächtigen, der Hohepriester, des Königs Herodes und des römischen Zentrums der Besatzungstruppen. Er erregt großes Aufsehen, als er die Stadt betritt.

Vielleicht ist etwas dran an der Geschichte mit dem Esel und den Palmenzweigen. Mit den ausgebreiteten Kleidern, dem Hosianna. Vielleicht ist Jesus wirklich wie ein neuer König empfangen worden, dem in der politischen Krise damals alle zutrauten, in einer Palastrevolution die Macht zu übernehmen und die Kolonie Palästina frei zu kämpfen von der Besatzungsmacht der Römer. Vielleicht haben die Leute damals wirklich geglaubt, Jesus sei dieser Messias, der kommt, Revolution macht und ein neues Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufbaut, wo Waffen umgeschmolzen werden in Werkzeug, was dem Leben dient. Jesus, der Guerillero des gerechten Befreiungskampfes? Waren das die Träume der Armen damals, so sind sie bitter enttäuscht worden: lediglich bei der Kritik am Tempelbetrieb gebraucht Jesus die Peitsche gegen die Geschäftemacher mit der Religion. Gegen König oder römische Legion verhält sich Jesus völlig harmlos, eine Machtübernahme seinerseits scheitert an der Weigerung Jesu, gegen Menschen mit Waffengewalt vorzugehen. Wäre Jesus wirklich als Messias in der Guerillero-Version verstanden und begrüßt worden, wäre man schnell enttäuscht worden. Also hätten ihn seine Anhänger in puncto Gewaltlosigkeit noch nie wirklich verstanden.

Nehmen wir mal an, sie hätten Jesus doch einigermaßen gut zugehört, hätten verstanden, daß Jesus nicht mit Revolution durch Waffengewalt arbeiten wollte, sondern die Methoden der Gewalt selbst revolutioniert und Umwelt: Das Schwache wird zur eigentlichen Stärke, vermeintliche Stärke entlarvt sich als Schwäche, so wie es Psychologen in der Frage der Verdrängungsmechanismen analysieren. Nehmen wir mal an, sie hätten den Kindern und Enkeln weitersagen wollen: Jesus war ein König, dessen macht die Ohnmacht war, dessen Waffe die Sanftmut, dessen Sieg ein Sieg über die Herzen der Menschen, in denen Friede einkehrt und Wissen um Gerechtigkeit im Handeln, dann wird Jesu Einzug in Jerusalem wohl weniger pompös und glorreich verlaufen sein, als die Geschichten es beschreiben.

Der Eindruck, daß die Geschichte vom Einzug in Jerusalem weniger exakt historisch als eher symbolisch zu verstehen ist, verstärkt sich, wenn man die Zutaten dieser Geschichte auf ihre Herkunft gefragt: Esel, warum ein Esel? Tochter Zion, warum diese Anrede an das Volk von Jerusalem? Kleider, wieso breiten die Leute Kleider von Jesus aus? Hosianna, warum singen die Leute Psalm 118, wo ein knapp dem Tode Entronnener Gott für den Sieg dankt?

Der Einzug Jesu in Jerusalem wird vom Evangelisten Markus und Matthäus gekennzeichnet durch Esel, Tochter Zion, Kleiderteppich und Hosiana-Danklied. Diese Zutaten haben symbolische Bedeutung, die wichtiger ist als die Frage, ob es denn tatsächlich so passiert ist. Sie sagen etwas über die Sicht Jesu durch die Augen der ersten Christen. Die nämlich erinnerten sich beim Marsch auf Jerusalem an die Zeit, wo Israel gefangen war in der Hand der Babylonier und von einer triumphalen Rückkehr träumte.

„Tochter Zion“, sagte der dritte Jesaja, damals am Ende des babylonischen Exils, „du wirst zurückkehren, das zerstörte Jerusalem wird man neu errichten, das geknechtete Volk wird nach seiner Befreiung im Triumphzug nach Jerusalem zurückkehren und es wird eine Zeit des Friedens anbrechen.“ Tochter Zion, eine Anrede an Gefangene und Ansage ihrer Befreiung.

„Dein König kommt zu dir auf einem Esel“, zum Zeichen seiner friedlichen Absicht reitet der König kein Pferd, kein Streitross, sondern wie in uralten Königszeiten ein Maultier. So fantasiert der Prophet Sacharja von einem Friedenskönig, der massiv Abrüstungspolitik betreibt. „Er wird die Streitwagen ausrotten aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, ausgerottet werden auch die Kriegsbogen. Er schafft den Völkern Frieden durch seinen Spruch“, das heißt durch Verhandlungen, Diplomatie und Völkerrecht. Dieser Friedenskönig ist geradezu die biblische Erfindung der UNO, lange bevor die Völker soweit waren, ihre Macht einem allgemeingültigen Recht zu unterstellen. Wie schwer dies ist, zeigt heute die USA, die vorab schon gesagt hat, ganz gleich, was das Gerichtsurteil der UNO und der Gerichtshof der Völker in Den Haag zum amerikanischen Militär Einsatz in Nicaragua sagen wird, Präsident Reagan wird tun, was er will.

Dieser Eselskönig, Sacharjas Abrüstungsexperte Nummer 1, war wesentlich vernünftiger als die Großmacht, deren Fahne an so manchem Raketenstützpunkt unseres Landes weht. Der Hohn auf die Sanftmut findet dann Ausdruck in der römischen Wandschmiererei, wo am Kreuz ein Esel hängt: Euer Gott, dieser sanfte Jesus, ist ein Esel und Trottel gewesen, der von Macht und Verantwortung nichts verstand, dessen Softie-Politik ein Reinfall war, gescheitert am Kreuz. Dieser Esel Jesus sagte: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Und in der Tat: überall in den Ländern dieser Erde sagen heute Christen: Wir treten in Jesu Namen für Frieden und Gerechtigkeit gegen Atomwaffen und Ausbeutung ein.

Die Jerusalemer breiteten vor Jesus ihre Kleider zu einem roten Teppich auf dem Weg aus, erzählt Matthäus. Darin schwingt Erinnerung an eine frühere Wende in der Politik Israels mit: als König Ahab die Baals-Religion seiner Frau Isebel annimmt, als das ganze Land verunsichert ist und unter ideologischer Vorherrschaft einer fremden Kultur lebt, da kommt der Seher Samuel zu einem gewissen Jehu und salbt ihn zum König, der jetzt per Palastrevolution das politische Chaos des herrschenden Königs Ahab beseitigen soll. Die Freunde Jehus breiten darauf ihre Kleider vor ihm aus und die Revolution beginnt. Die Kleider auf dem Weg sind der Auftakt zum Aufruhr. Auch diese Erinnerung kommt Matthäus, wenn er an Jesu Leben denkt. Jesus hat Aufruhr in das politisch-religiöse Chaos gebracht. Es ging ihm dabei um die Wiederherstellung der Ordnung: "Wer unter euch der größte sein will, der sei euer aller Diener ."

"Hosianna: hilft doch, laß es gelingen! " so singen die Leute. Sie singen Psalm 118, das Danklied der Sieger, die nur knapp dem Tode entronnen sind, die man schon aufgab, Ihnen keine Chance mehr gab. Und die dann wie durch ein Wunder Hilfe erfahren. Diese Hilfe, sagen sie, kam durch Gott. So sehen die Jerusalemer in Jesus auch einen Helfer Gottes. Jesus ist Gottes Hilfe. Aber anders als manche dachten.

Tochter Zion, Esel, Kleider, Hosianna - der Geschmack, der sich mit diesen Zutaten ergibt, ist die Befreiung der Gefangenen, Sanftmut, Aufruhr, Hilfe Gottes in der Not.

So war Jesus, so kam er nach Jerusalem. In der Erinnerung an alte Geschichten von David, Jesaja, Jehu, und Sacharja geht dem Evangelisten auf, was Jesus für uns ist: Befreier, Revolutionär, Gottes Hilfe in der Not und das alles eben durch Sanftmut.

Advent - auf Deutsch: Ankunft, Ankunft Jesu in unserem Leben, Ankunft des Richters zum Weltgericht - Ankunft eines neuen Reiches von Frieden und Gerechtigkeit in dieser Hunger-und Waffenwelt, das sind Perspektiven des christlichen Glaubens, der ebenfalls aus alten Geschichten etwas für unsere Gegenwart lernt. Die Geschichte Jesu, des sanftmütigen Revolutionärs, des gewaltlosen Helfers der Armen, verkörpert die Erfüllung der prophetischen Hoffnungen auf Gottes umfassende und umwälzende Hilfe. Jesus befreit vom Zwang, vom Sachzwang der Machtausübung, indem er ausbricht in den revolutionären Verzicht auf Gewalt. Er hat die Schwachstellen der Stärkepolitik durchschaut: die hochgerüsteten Matadore sind unbeholfen, täppisch und hilflos ihrem Misstrauen gegeneinander ausgeliefert. Sie haben nicht den Mut und die Kraft zu einseitigen Vertrauensvorschüssen. Sie sind aus Feigheit und Angst unfähig zur Abrüstung, obwohl sie alle dieses Ziel haben. Sie sind die Verlierer. Sie haben das Vertrauen verloren, daß zum Frieden nötig ist. Sie haben auch das Vertrauen der Regierten verloren. Nie zuvor haben so große Teile der Bevölkerung Kritik an den traditionellen Kursen der Politiker genommen.

Jesu Lehre von der Macht der Machtlosen, von der Gewaltlosigkeit, wird einmal die einzige vernünftige Politik werden. Die wahren Sieger brauchen keine Waffen. Wer die Herzen der Menschen gewonnen hat, dessen Worte sind stärker als Waffen. Bei Goebbels war diese Macht tödliche Demagogie. Denn sie argumentierte mit Waffen und für Waffengebrauch. Bei Ghandi hat es Indien von den Waffen der Engländer befreit.

Advent - Ankunft: es wird eine Zeit Gottes geben, in der es Argumente gibt, die nicht mehr bestehende Gewalt rechtfertigen. Wer darauf hofft, darf Advent feiern als Vorfreude auf Gottes Reich. Amen.