Liebe Gemeinde!
Lepra ist heute heilbar. Damals gab es nur eine Möglichkeit,
die Bevölkerung gegen die große Ansteckungsgefahr zu
schützen. Man ordnete eine Quarantäne für
die Erkrankten an. Wenn Sie gesund geworden sind, mußten sie
sich den Priestern im Tempel zur Kontrolle vorstellen und durften dann
wieder unter den normalen Leuten leben. Diese Quarantäne war
eine Verbannung, fast eine Art Isolationsfolter. Die an Lepra
Erkrankten zogen sich in die Berge zurück wo sie gemeinsam
hausten. Ihr Leben war die Hölle.
Im Alten Testament gibt es so etwas wie die vorgeschobene Todesgrenze.
Auch schon Schwerstkranke wurden als Tote erlebt, noch bevor sie dann
tatsächlich gestorben waren. Man kann von einer Art sozialem
Tod sprechen. Krankheit galt damals als Folge von Sünde. Wer
krank war mußte etwas Schlimmes getan haben. Deshalb sah man
die Kranken generell als sündhafte Menschen an. Sie waren
durch ihre Krankheit in den Augen der Leute unten durch.
Jesus auf dem Weg zum Kreuz, von Galiläa und Samarien nach
Jerusalem, überschreitet ständig Grenzen. Die
Samaritaner waren für die Juden "unrein". Ein
Aussätziger war das noch viel mehr. Aussätzige waren
doppelt unrein! Wenn Jesus also Aussätzige heilt, dann
verstößt er gegen die Ausschlußregeln des
jüdischen Klerus.
Die geheilten Aussätzigen sind Jesus unglaublich dankbar. Ihre
Isolation hat endlich ein Ende und sie dürfen wieder zu ihren
Familien zurückkehren. Das Pikante an dieser Situation ist,
daß gerade die vom jüdischen Denken her
„unreinsten“, die Gott am fernsten sind, Gott
danken. Die Gott nahe sind, haben es nicht nötig. Jesus erntet
wenig Dank, Gott auch.
Die Pointe ist folgende: Indem Jesus Geschichten erzählt und
erlebt, in denen gerade das Unerwartete passiert, die Guten
böse sind und die Bösen gut, sprengt er die Grenzen
auf, die wir ziehen zwischen beiden. Er universalisiert die
Güte Gottes und die authentische Gemeinde. Nicht nur die
frommen Juden gehören zum Volk Gottes, sondern auch die
Samaritaner, Syrophönizier und andere. Oft sieht Jesus bei
diesen Menschen eine viel größere praktische
Frömmigkeit als bei den Juden selbst. Und für ihn ist
nicht die Volkszugehörigkeit das entscheidende Kriterium
für das Verhältnis zu Gott, sondern der Glaube und
die Liebe, die ein Mensch hat.
Das Kreuz ist Zeichen einer Welt, in der Gutes nicht mit Gutem
vergolten wird, wohl aber Böses mit Bösem und oft
auch noch Gutes mit Bösen. Undank ist der Welt Lohn, die nicht
genügend Überschuß an Liebe hat, um dankbar
sein zu können.
Dank als Tugend der Christen erfordert weder Hilflosigkeit noch
Untertänigkeit, sondern sehr viel Selbstbewußtsein.
Nur starke Menschen können danken. Danken ist auch kein
formeller Akt, wo man zu jemandem „Danke“ sagt,
sondern auch wesentlich ein Lebenshaltung. Nämlich zu sehen
und zu wissen, daß wir fast alles, was wir sind, nicht
unserer eigenen Kraft verdanken, sondern von Geburt an angewiesen auf
fremde Hilfe und gespeist von dem, was eine Jahrhunderte lange
Tradition von Arbeitern aller Art an Kulturgütern und
Lebensmitteln aller Art geschaffen hat. Wer darüber
glücklich sein kann, daß so vieles in seinem Leben
ein großes Geschenk ist, der kann von Herzen danken
für all den Reichtum unseres Lebens, mit dem wir
verwöhnt sind. Amen.