Zum Impressum

Erntedankfestpredigt zu Psalm 23    Friedenskirche 6. Okt. 1985

Liebe Gemeinde! Erntedankfest ist der falsche Begriff. Wir sollten es  Ernteundankfest nennen. Ist es dankbar gegen Gott, wenn wir für Millionen Mark  jährlich die Ernteüberschüsse der EG vernichten, damit die Preise stabil bleiben?  Während in Afrika die Menschen an der durch Regenmangel ausbleibenden Ernte  verhungern? Erntedankfest feiern ist zum Skandal geworden, wo die einen ihre Ernte  vernichten und die anderen gar keine haben. Für uns ist es ja gar nicht mehr Gott, der  eine gute Ernte gibt. Es sind die Finanzminister mit ihren Subventionen und ihrer  Agrarpolitik. Aber es ist auch nicht Gott, der die Leute in Äthiopien und vielen anderen  Ländern der Erde verhungern läßt. Es sind Menschen, die die Wirtschaftsstrukturen  geprägt haben. Es sind Menschen, die die Preise machen. Es sind Menschen, die auf  andere schießen bei den Aufständen, die die Armen gelegentlich trotz ihres Fatalismus  und ihrer Hoffnungslosigkeit doch noch probieren. Es sind Menschen, die sich in den  Ministerien armer Länder vor Bodenreformen und Neuverteilung des Landes drücken,  weil ihre eigene Familie oft selbst riesigen Großgrundbesitz, Plantagen oder Haciendas  hat, die sich dann nicht vergrößern könnten. Hunger wird von Menschen gemacht, von  Ministern, Industriellen, Großgrundbesitzer und von uns harmlosen Verbrauchern.  Aber der 23. Psalm macht Gott für unser Wohlergehen verantwortlich. Der Herr ist  mein Hirte, singt ein Tempelsänger am Jerusalemer Tempel, der Hofkapelle des Königs  David. Gott ist wie ein guter Hirte, der für seine Schafe die besten Weidegründe auftut,  der weiß, wo seine Herde gut weiterziehen kann, der sie in Gefahren mit seinem  Schäferstab verteidigt. Der Psalm bricht das Bild Gottes als des guten Hirten ab, es geht  vom Schafehüten direkt und unvermittelt ins Menschenhüten über. Denn Schafen wird  natürlich nicht der Tisch im Angesicht ihrer Feinde bereitet und ihnen wird der Kopf  nicht gesalbt wie damals den neugekrönten Königen, sondern geschoren wie heute den  frischgebackenen Möchtegernpankern. Erst recht wird Schafen nicht voll eingeschenkt.  Schon eher dem König David selbst, der es sich auch leisten konnte, in den Vollen zu  leben. Wir haben sicherlich nicht alle königlichen Luxus. Es gibt unter uns Leute mit  leerem Eisschrank. Aber die haben dafür Farbfernseher, Polstermöbel und Dusche, und  das hatte König David nicht! Das haben aber noch so einige auf der Welt nicht. Bei aller  Kritik an der schauderhaften Finanz- und Sozialpolitik nicht nur der deutschen und  amerikanischen Wirtschaftsführung und Regierung, bei aller Klage über Arbeislosigkeit  hierzulande: Uns geht es gut, verglichen mit den Campesinos auf den Bananenplantagen  Guatemalas, den Schwarzafrikanern in den Goldbergwerken von Südafrika, den  Hirsebauern Mosambiques und den evangelischen Deutschen aus Leschkirch im  rumänischen Siebenbürgen, für die wir heute Gaben sammeln, um ihnen Pakete mit  Mehl, Reis, Nudeln, Kaffee, Tee und anderen Nahrungsmitteln zu schicken. Uns geht es  noch verdammt gut. Wir können weiß Gott dankbar sein. Für uns gilt der 23. Psalm. Wir können das so auswendig lernen und beten, wie es da  steht: Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zu frischem Wasser. Du  salbest mein Haupt mit Haarspray und schenkest mir voll ein. Gutes und  Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Ja, das können wir so sagen. Daran  wird sich auch wohl nicht viel ändern. Für uns kann deshalb der eine mögliche  Erntedank so aussehen wie der Schlußsatz des Psalms: Ich werde bleiben im Hause des  Herrn immerdar. Ich werde, auf Deutsch gesagt, immer wieder mal zum Tempel nach  Jerusalem ziehen, dort meine alte Ziege schlachten lassen, als Dankopfer für Gott und  Festschmaus ewig hungriger Priesterbäuche; ich werde nicht aus der Kirche austreten,  ich werde Weihnachten mal hingehen, ich komme auch schon mal zur Teestube, ich  glaube irgendwie, daß es ja doch da oben jemand gibt, der alles so herrlich regieret.  Unser Erntedank ist präzise der 23. Psalm. Und so, wie es da steht, so, wie es uns ums  Herz ist, gerät es zum reinsten Zynismus. Daß wir satt sind, ist nicht Gottes Verdienst.  Daß in Afrika gehungert und gestorben wird, ist nicht Gottes Schuld. Daß wir satt sind,  ist aber auch nicht unser Verdienst. Daß in Afrika gehungert wird, ist aber auch mit  unsere Schuld. Daß wir satt sind, ist nicht Gottes Verdienst, sondern unsere Schuld, weil  es Kehrseite des Verhungernlassens in der 3. Welt ist. Darum ist der 23. Psalm nicht  wirklich Ausdruck unseres Glaubens. Solange es Verhungernlassen und Vernichten der Ernteüberschüsse gibt, ist der 23.  Psalm Lüge. Gott würde gelobt nicht allein für unseren Wohlstand, sondern auch für  dessen Kehrseite, das Elend der 3. Welt. Ich glaube nicht, daß ein guter Hirte nur die  fetten Schafe dieser Erde hütet und mitansieht, wie riesige Herden magerer Schafe  verrecken. Wenn Gott der gute Hirte ist, dann ist Gutes und Barmherzigkeit nicht nur  für die reichen Christen in Europa und Nordamerika und die Superreichen  Kolonialfamilien in den Hungerländern bestimmt, sondern eher für die Armen. Solange  es Arme gibt, ist es zynisch, Gott für den eigenen Wohlstand zu danken. Solange Gott  Menschen verhungern läßt, hätte er keinen Dank verdient, auch nicht von denen, die er  satt macht. Darum lese ich den Psalm nicht als Danklied der reichen Christen an einen  ungerechten Gott, sondern als Ausdruck der Hoffnung auf einen neuen Himmel und  eine neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt. Nicht jetzt, wo die Satten die anderen  verhungern lassen, darf man Gott für das Sattsein danken. Sondern in einer Welt, in der  jeder satt ist, dort wird der Psalm 23 neu gesungen als Loblied auf den guten Hirten, der  alle seine Schafe auf grüner Aue weidet, der alle zu frischem Wasser führt und damit  ihre Seelen erquickt. Es ist nicht viel, um dies zu erreichen. Noch nie zuvor hat es soviel Nahrungsmittel  auf der Welt gegeben wie mit unseren heutigen Erntetechniken. Es wäre auch nicht sehr  teuer, Bodenreformen in den armen Ländern durchzuführen. Jede Familie bekäme  soviel Acker zugewiesen, Samen, Gerätschaften und Bewässerung, daß sie sich selbst  versorgen könnte. Aber das geht nicht. Weil dazu der Großgrundbesitzer seine  Baumwollplantage oder seine Organgenfarm hergeben müßte, die er mühsam  zusammengekauft hat aus dem Konkurs Pleite gegangener Kleinbauern. Oder die er  durch seine Revolvermänner mit Vertreibung gewisser ärmlicher Nachbarn vergrößert  hat. Und diese Revolvermänner, die Todesschwadrone in El Salvador und vielen  anderen Ländern, kümmern sich auch um alle Gewerkschafter in den armen Ländern,  die nach Neuverteilung des Landes rufen.  Aber wer ißt die Banane, die Orange, wer trägt das Baumwollhemd, was auf diesen  blutigen Plantagen herangezogen wurde? Wir. Das ist es. Unsere Mitschuld. Wir essen  Orangen von Feldern, auf denen besser Bohnen wachsen sollten, um die Campesinos,  die Erntearbeiter satt zu machen, die nach der Orangenernte für 10 Monate keine  Arbeit und kein Geld bekommen werden und die ihr Glück in der Mülltonne von  reichen finden müssen. In fast allen unterentwickelten Ländern wächst der Hunger und das Elend imnmer  noch, weil der Boden für Exportgüter in großen Monokulturen ausgelaugt wird, statt mit  kleinbäuerlichem Mischanbau. Plantagenwirtschaft nutzt den Boden viel weniger aus  als kleine Schrebergartenäcker. Ceylon etwa hat die Hälfte aller Nutzböden für Tee  aufbereitet. Mit dem Erlös für den Tee kauft Ceylon dann Nahrungsmittel ein, die es  viel billiger genausogut selbst hätte anbauen können statt dem Tee. Und der Teestrauch  laugt den Boden regelrecht aus, zieht alle Nährstoffe des Bodens heraus, sodaß nach  einigen Jahren die Teesträucher eingehen, weil sie keine Nährstoffe mehr finden. Und  dann muß man neues Land für Teeanbau erschließen und auf den bisherigen Teefeldern  wächst nichts mehr über Jahre hinweg. Das ist Raubbau und man fragt sich, warum die  nicht gleich statt Tee Bohnen, Soja und Getreide anbauen. Antwort: Weil wir ja den Tee  haben wollen. Dasselbe mit Kaffee, Zitrusfrüchten und so weiter. Unser verwöhnter  Gaumen erzeugt die Nachfrage auf dem Weltmarkt, die reiche Plantagenbesitzer dazu  anstachelt, immer mehr Böden aufzukaufen oder durch Terror sich anzueignen für den  Anbau von unseren Delikatessen aus fernen Ländern. Unser Kaffeedurst bringt die  Nachbarn brasilianischer Tschibo-Plantangen um ihr Bohnenfeldchen. Unsere  Fleischeslust bringt die argentinischen Landarbeiter um Böden, die statt für  Rinderherden genausogut zur Selbstversorgung der Armen optimal nutzbar wären. In  den armen Ländern wird diese Möglichkeit durch die Gewehre der Großgrundbesitzer  oder des Militärs, die aus unseren Waffenfabriken vom Erlös der Rinderhälften und  Bananen angeschafft wurden. Bei uns wird die Sättigung der Armen durch  Selbstversorgung verhindert durch unseren Appetit aufs Exotische. Wer ißt denn heute  noch einen miesen deutschen Apfel. Es muß die Banane sein. An jeder Banane hungert  in Guatemala ein Kind. Liebe Gemeinde! Es ist nicht so, daß wir unsere Ernteüberschüsse großmütig der 3.  Welt vermachen müßten, um sie nicht zu vernichten. Die 3. Welt könnte leicht zehnmal  satt werden, wenn nicht nur dort für unsere Luxusmägen angebaut würde. Mag sein, daß  es besser ist, die Tomaten irgendwie nach Afrika zu schicken, ehe sie bei uns von  Planierraupen eingestampft werden, um unsere Preise stabil zu halten. Aber nicht diese  Almosen aus unserem Abfall sind die Rettung der Armen, sondern die Umstellung  unseres Speiseplans. Essen Sie mehr Gemüse und Obst aus unserem Land. Auch bei uns  wachsen Vitamine. Das ist es, was ich Ihnen heute als Tip zur Besserung der Welt  mitgeben möchte: War es vor einem Jahr die Kampagne gegen die Fleischeslust, die  viele belächeln und einige sehr ernst genommen haben, so möchte ich heute dazufügen:  Eßt nicht nur weniger Fleisch, sondern mehr europäisches Obst und Gemüse. Habt  keine Angst, daß der Kaffeepflücker arbeitslos wird, wenn ihr euren Eduscho gegen  Vollmilch tauscht. Er hat sowieso nur für zwei Monate Arbeit und verdient sowenig, daß  die Hälfte seiner Kinder schon gestorben ist und die restlichen kurz davor. Das bißchen  Hungerlohn für die harte Plantagenarbeit rettet kein einziges Menschenleben. Unser  Beitrag zu einer Welt ohne Hunger heute lautet: Essen, was hier wächst. Dann wird man  eines Tages den Druck auf dem Weltmarkt geschaffen haben, daß die Plantagen pleite  gehen und endlich die Kleinbauern das Land erben. Dann werden wird mit diesen  Kleinbauern singen: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.