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Predigt  über Jak 5,7-9     

Bodelschwinghh: 8.Dez. 1985

Adventliche Geduld als der lange  Atem der Christen.      

Liebe Gemeinde! Warum haben viele von uns eigentlich einen Garten? Weil er da ist? Weil man schon  immer einen Garten hatte und das gar nicht anders kennt? Oder als Hobby, um in der  freien Zeit etwas schönes zu tun? Was ist denn eigentlich das Gute an einem Garten?  Daß er Mühe macht? Daß einmal Rasenmähen von der Wiese hier neben dem  Bodelschwinghhaus über 1000 DM kostet? Damit Sie, Liebe Gemeinde, beim  sönntäglichen Gang zur Kirche sagen können: Alles sauber, alles gut in Schuß! -? Ich pflege meinen Garten nicht gut. Ich habe dazu auch kaum Zeit. Aber wenn ich aus  meinem Wohnzimmerfenster in den Garten schaue, dann überkommt mich, wenn mein  Herz nicht gerade voll mit anderen Dingen ist, ein großes Glücksgefühl. Das schöne ist  für mich nicht die Ordnung. Sondern das Wachsen der Natur. Ich habe vor 4 Monaten  eine zu groß gewordene Juccapalme einfach abgesägt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob  sie es überleben wird. Der obere Teil mit den Blättern ist wieder angewachsen. Das ging  relativ schnell, obwohl ich auch jeden Tag morgens nach dem Aufstehen etst einmal  geguckt habe, ob schon Wurzel zu sehen sind, und die kamen dann nach einem Monat.  Als ich sie bemerkte, habe ich voll Freude meine Süße angerufen und ihr strahlend  erzählt: Du, rate mal, was sich bei mir entwickelt hat? Sie mußte dreimal raten, dann  wußte sie die richtige Lösung. Die Juccapalme hat Wurzeln gekriegt! Aber der abgesägte  Unterteil, der Stumpf, der hat nicht neu ausgeschlagen. Nicht nach zwei, nicht nach drei,  nicht nach vier Monaten. Hoffnungslos? Ich war mir nicht sicher, ob ich den großen  Blumentopf mit dem abgestorbenen Stil drin nicht langsam mal wegwerfen sollte.  Meine Katze Mia wühlte auch ständig drin herum, , ich weiß auch nicht, was sie da  suchte. Und vor einigen Tage dachte ich, daß ein Blatt von einer anderen Blume in den  Topf gefallen wäre. Nach zwei Tagen war es aber immer noch nicht verwelkt. Da  schaute ich näher hin und bekam einen riesigen Freudenschreck: Das war ja gar kein  altes Blatt, das war ein kleiner zarter Trieb, der aus dem alten Topf herauskam. Die  totgeglaubte Palme beginnt ein neues Leben! Aber an einer ganz anderen Stelle, als ich  zunächst erwartet hatte. Ich mußte an die bekannte Stelle aus dem Jesajabuch denken:  Und es wird ein Sproß hervorkommen aus der Wurzel Isais... Dazu gibt es dann auch das  Weihnachtslied: Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart. Wissen Sie jetzt, Liebe  Gemeinde, wieso ich Ihnen von meiner Blumenpflege erzählt habe? Weil es das Thema  von Advent ist: Aus einem totgeglaubten Stamm bricht neues Leben hervor, ganz anders  als erwartet, aber voller zarter und wunderbarer Schönheit! Kennen Sie das Gefühl  auch, wenn Blumen, die man im Herzen schon fast aufgegeben hatte, wieder  aufwachen? Es ist ein unbeschreiblich hoffnungsvolles Glücksgefühl! Wenn Sie mich  fragen, warum ich Blumen liebe, dann würde ich sagen: Weil sie mir Hoffnung machen.  Weil sie Beispiele sind, daß aus dem Tod neues Leben entsteht. Weil sie Zeichen für die  Auferstehung sind! Es gibt doch die eine Geschichte von der Auferstehung Jesu, wo  Maria ins Grab geht und da ist ein Mann zugange. Sie denkt, das ist der Gärtner und  fragt ihn nach Jesus, wo der liegt, seine Leiche. An seiner Stimme erkennt sie im Gärtner  schließlich Jesus. Jesus der gute Hirte, Jesus der Gärtner. Kein Zufall, diese  Verwechselung. Jesus ist wirklich der Gärtner! Wir brauchen die Gärten als Lehrer. Sie lehren uns, daß unverhofft neues Leben  entstehen kann, wo wir keine Chancen mehr sahen. Sie lehren uns, daß es mitunter sehr  sehr lange dauern kann, bis ein totgesagtes Pflänzlein zu neuem Leben erwacht. Sie  lehren uns, daß man viel Geduld haben muß, wenn man etwas ernten will. Die Gärten  sind Lehrmeister der Geduld. Sicherlich wäre es uns oft fast lieber, wenn der Rasen  nicht so schnell wachsen würde. Gärten haben auch schnellwachsende Pflanzen. Aber  von heute auf morgen passiert da gar nichts. Und was passiert, ist nicht mit bloßem Auge  im Wachsen sichtbar. Das Wachsen selbst können wir nicht sehen, es geht bestenfalls mit  Zeitraffer. Aber ohne solche Rafinessen ist das Wachsen nicht zu sehen. Man muß sich  gedulden. Und man kann selbst mit dem besten Dünger das Wachsen nicht  beschleunigen. Es wächst von selbst. Man kann etwas gießen. Man kann etwas zertreten,  ausreißen, vergiften. Aber man kann es nicht zum Wachsen bringen. Es gibt Hausfrauen,  die tun alles mögliche, um ihre Blumen in Schuß zu halten, düngen, wischen Blätter,  gießen nach Vorschrift - und es vertrocknet ihnen doch alles im Lauf der Zeit. Und  andere wiederum tun kaum etwas für ihre Blumen und es wächst und gedeiht alles wie  im Paradies. Zum Wachsen kann man keinen zwingen. Das ist es. Die Freiheit, die uns  das höchste Gut ist. Die Saat wächst von allein. Jesus hat das Starkwerden der Kraft  Gottes auf dieser unserer Erde oft verglichen mit Korn, was erst gesät wird, in die Erde  gelegt wird und verwest, aber aus diesem sterbenden Korn entsteht etwas Wunderbares:  das neue Leben, neues Korn. Und so langsam wie das Korn reift, wächst die  Gottesherrschaft auf der Erde. Und so klein wie anfangs das Senfkorn und so groß am  Ende wie der Senfbaum, so wird Gottes Kraft und Herrlichkeit sich auf unserer Erde  langsam aber bestimmt vermehren. Gottes Reich wächst wie eine Blume. Selbst wenn  man sie absägt, wird das Wachsen nicht aufhören. Dafür steht im alten Testament der  Regenbogen: Noch im Regen taucht schon wieder Sonne auf und macht die triefelige  Regenstimmung wieder hoffnungsvoll.  Warten, Geduld haben. Es ist nicht leicht. Es soll alles schnell gehen in unserer Computergesellschaft.  Prompte Bedienung ist angesagt. Überall wird damit geworben, daß etwas schnell geht.  Schnelligkeit ist zum Wert an sich geworden. Die Autos werden nach Schnelligkeit  beurteilt. Die Menschen werden nach ihren Autos beurteilt. Und danach, wie schnell sie  etwas können. Wie schnell sie lernen, arbeiten, begreifen, reagieren. Tempo ist alles.  Wenn man mal warten muß, wird man sofort ärgerlich. Man sieht seine kostbare Zeit  vertan. Man ist geizig mit Zeit. Man hat keine Zeit. Man lebt ohne Zeit, in ständiger  Hektik, in Panik. Man lebt gar nicht mehr, so wenig Zeit hat man. Man ist im Grunde tot,  weil die Hektik einen zerstört. Und dann geht man am besten in den Garten. Und schaut den Blumen beim Wachsen  zu. Man lernt von ihnen, daß Leben Zeit braucht. Daß alles seine Zeit hat und braucht.  Man lernt, die Hoffnung nicht aufzugeben, wenn nicht alles sofort klappt. Man lernt,  den Dingen Zeit zu lassen. Man lernt, sich selbst Zeit zu geben für Dingen, die man tun  möchte. Man wird auch geduldig gegen sich selbst. Man erfährt von den Blumen: Eines  Tages wird es soweit sein. Solange braucht es aber.  Gucken Sie mal die Geschichte der Friedensbewegung an: Von 1980 an wurde es  jedes Jahr mehr an Protesten gegen die Atomwaffen in unserem Land. Und nach diesem  schrecklichen Stationierungsbeschluß war nichts mehr, gar nichts. Wo gibt es noch  Menschen, die für den Frieden demonstrieren, schweigen oder sonstwie? Die Luft ist  raus. Kein langer Atem mehr da. Die Hoffnung ist enttäuscht. Die Chancen sind vertan.  Es ist wie ein abgesägter Baum. Die Friedensbewegung ist tot, weil sie nicht von der  unbeirrbaren Hoffnung getragen war, daß selbst das schier Unmögliche noch möglich  wird dem, der hofft. Die Geduld, der lange Atem war nicht groß genug. Jakobus ermahnt seine Freunde zur Geduld, weil auch damals, über 80 Jahre nach  dem Tod Jesu, noch immer Jesus nicht wiedergekommen war zum Weltgericht. Die  Leute hatten ja damals jede Minute damit gerechnet, daß das Weltgericht beginnt. Und  wurden allmählich immer enttäuschter und zweifelten an der Wahrheit dessen, was alles  damit zusammenhing. Gottes Gerechtigkeit, der Sieg der Liebe in dieser lieblosen Welt -  wo war davon etwas zu spüren? Redeten die Christen sich da nicht eine Spinnerei ein?  Wann kommt denn endlich der Tag Gottes, der Gerichtstag Christi. Wann? Die Geduld  ist erschöpft. Immer nur Warten?  So haben nach einigen Jahrhunderten die Christen schließlich die Hoffnung  weitgehend aufgegeben und singen jetzt: Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf  die Erde nieder. Immer genau zu Weihnachten. Deshalb gibt es da dann auch den  großen Geschäftsrummel. Hektik des Weihnachtsfestes. Viel zu tun, kaum noch Zeit. Liebe Gemeinde! Ich möchte Ihnen heute nur die Blumen ans Herz legen. Lernen Sie von den Blumen!  Akzeptieren Sie, daß viele Dinge, besonders gute Dinge, ihre Weile haben müssen.  Lernen Sie wieder den langen Atem. Atmen Sie tief und lang durch. Lassen Sie sich Zeit.  Lassen Sie anderen Menschen Zeit. Zeit zu lernen, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Tun  des Guten.  So schmerzlich es oft ist, fremdes Leid mitansehen zu müssen, so schnell man gerne  helfen will - wenn man es kann, so soll man es tun! Aber viel Leid können wir nicht im  Hauruck-Verfahren abschaffen. Wir müssen geduldig werden. Wir müssen lernen, nicht  gleich aufzugeben, wenn etwas nicht sofort auf Anhieb klappt. Wir müssen lernen, die  Veränderung unserer Welt im richtigen Maßstab zu sehen, die Jahrzehnte als kleine  Schritte betrachten. Dann werden wir den langen Atem behalten, die innere Ruhe und  die Ausdauer, die für uns Christen nötig sind, um am Ball zu bleiben und nicht  enttäuscht die Finger von der Arbeit an unserem Erdball weg und in den Schoß hinein  legen. Gott braucht gute Gärtner in seinem Reich. Er braucht Menschen, die den  wachsenden Dingen ihre Zeit lassen und zur rechten Zeit da sind, um hilfreich  zuzufassen. Diese Geduld ist alles andere als ein faules Sich-Abfinden mit der Welt so  wie sie ist. Diese Geduld läßt den Dinge die Wachstumszeit, die sie brauchen, um zu  reifen. Sie vergewaltigt die Dinge nicht und zerstört nicht die zarten Pflänzlein der  Hoffnung, sondern behütet und pflegt die Keime und Sprößlinge. So nur und nicht durch  brutale Gewalt, wird unsere Erde, werden die Menschen genesen vom zwanghaften  Druck und der Unterdrückung, die die bisherige Geschichte der Menschen ständig  reproduziert hat. Geduld ist das Gegenteil von Unterdrückung. Geduld gibt noch dem  Unmöglichen eine Chance. Geduld gibt nicht auf. Geduld läßt Zeit. Geduld läßt  wachsen. Geduld macht groß und stark. Geduld weiß, daß nicht wir die Welt erhalten  können, sondern nur Gott. Geduld glaubt, daß Gott alles zum Guten wenden wird.  Geduld ist die Kraft, mit der Gott unsere Welt wenden wird. Amen.