Bodelschwinghh:
8.Dez. 1985
Liebe
Gemeinde!
Warum haben viele von uns eigentlich einen Garten? Weil er da ist? Weil
man
schon immer einen
Garten hatte und das
gar nicht anders kennt? Oder als Hobby, um in der freien
Zeit etwas schönes zu tun? Was ist denn
eigentlich das Gute an einem Garten? Daß
er Mühe macht? Daß einmal Rasenmähen von
der Wiese hier neben dem Bodelschwinghhaus
über 1000 DM kostet? Damit
Sie, Liebe Gemeinde, beim sönntäglichen
Gang zur Kirche sagen können: Alles sauber, alles gut in
Schuß! -? Ich pflege
meinen Garten nicht gut. Ich habe dazu auch kaum Zeit. Aber wenn ich
aus meinem
Wohnzimmerfenster in den Garten schaue,
dann überkommt mich, wenn mein Herz
nicht gerade voll mit anderen Dingen ist, ein großes
Glücksgefühl. Das schöne
ist für
mich nicht die Ordnung. Sondern
das Wachsen der Natur. Ich habe vor 4 Monaten eine
zu groß gewordene Juccapalme einfach
abgesägt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie
es überleben wird. Der obere Teil mit den
Blättern ist wieder angewachsen. Das ging relativ
schnell, obwohl ich auch jeden Tag morgens
nach dem Aufstehen etst einmal geguckt
habe, ob schon Wurzel zu sehen sind, und die kamen dann nach einem
Monat. Als ich sie
bemerkte, habe ich voll Freude
meine Süße angerufen und ihr strahlend erzählt:
Du, rate mal, was sich bei mir entwickelt hat? Sie mußte
dreimal raten, dann wußte
sie die richtige Lösung. Die Juccapalme
hat Wurzeln gekriegt! Aber der abgesägte Unterteil,
der Stumpf, der hat nicht neu
ausgeschlagen. Nicht nach zwei, nicht nach drei, nicht
nach vier Monaten. Hoffnungslos? Ich war
mir nicht sicher, ob ich den großen Blumentopf
mit dem abgestorbenen Stil drin nicht langsam mal wegwerfen sollte. Meine Katze Mia
wühlte auch ständig drin
herum, , ich weiß auch nicht, was sie da suchte.
Und vor einigen Tage dachte ich, daß
ein Blatt von einer anderen Blume in den Topf
gefallen wäre. Nach zwei Tagen war es
aber immer noch nicht verwelkt. Da schaute
ich näher hin und bekam einen riesigen Freudenschreck: Das war
ja gar kein altes
Blatt, das war ein kleiner zarter Trieb,
der aus dem alten Topf herauskam. Die totgeglaubte
Palme beginnt ein neues Leben! Aber an einer ganz anderen Stelle, als
ich zunächst
erwartet hatte. Ich mußte an die
bekannte Stelle aus dem Jesajabuch denken: Und
es wird ein Sproß hervorkommen aus der
Wurzel Isais... Dazu gibt es dann auch das Weihnachtslied:
Es ist ein Ros entsprungen aus
einer Wurzel zart. Wissen Sie jetzt, Liebe Gemeinde,
wieso ich Ihnen von meiner
Blumenpflege erzählt habe? Weil es das Thema von
Advent ist: Aus einem totgeglaubten Stamm
bricht neues Leben hervor, ganz anders als
erwartet, aber voller zarter und wunderbarer Schönheit! Kennen
Sie das Gefühl auch,
wenn Blumen, die man im Herzen schon
fast aufgegeben hatte, wieder aufwachen?
Es ist ein unbeschreiblich hoffnungsvolles
Glücksgefühl! Wenn Sie mich fragen,
warum ich Blumen liebe, dann würde ich
sagen: Weil sie mir Hoffnung machen. Weil
sie Beispiele sind, daß aus dem Tod neues Leben entsteht.
Weil sie Zeichen für
die Auferstehung
sind! Es gibt doch die
eine Geschichte von der Auferstehung Jesu, wo Maria
ins Grab geht und da ist ein Mann
zugange. Sie denkt, das ist der Gärtner und fragt
ihn nach Jesus, wo der liegt, seine
Leiche. An seiner Stimme erkennt sie im Gärtner schließlich Jesus.
Jesus der gute Hirte, Jesus
der Gärtner. Kein Zufall, diese Verwechselung.
Jesus ist wirklich der Gärtner! Wir brauchen die
Gärten als Lehrer. Sie lehren
uns, daß unverhofft neues Leben entstehen
kann, wo wir keine Chancen mehr sahen. Sie lehren uns, daß es
mitunter sehr sehr
lange dauern kann, bis ein totgesagtes
Pflänzlein zu neuem Leben erwacht. Sie lehren
uns, daß man viel Geduld haben muß, wenn man etwas
ernten will. Die Gärten sind
Lehrmeister der Geduld. Sicherlich wäre
es uns oft fast lieber, wenn der Rasen nicht
so schnell wachsen würde. Gärten haben auch
schnellwachsende Pflanzen. Aber von
heute auf morgen passiert da gar nichts.
Und was passiert, ist nicht mit bloßem Auge im
Wachsen sichtbar. Das Wachsen selbst können
wir nicht sehen, es geht bestenfalls mit Zeitraffer.
Aber ohne solche Rafinessen ist
das Wachsen nicht zu sehen. Man muß sich gedulden.
Und man kann selbst mit dem besten
Dünger das Wachsen nicht beschleunigen.
Es wächst von selbst. Man kann etwas gießen. Man
kann etwas zertreten, ausreißen,
vergiften. Aber man kann es nicht
zum Wachsen bringen. Es gibt Hausfrauen, die
tun alles mögliche, um ihre Blumen in
Schuß zu halten, düngen, wischen Blätter, gießen nach
Vorschrift - und es vertrocknet
ihnen doch alles im Lauf der Zeit. Und andere
wiederum tun kaum etwas für ihre Blumen und es wächst
und gedeiht alles wie im
Paradies. Zum Wachsen kann man keinen
zwingen. Das ist es. Die Freiheit, die uns das
höchste Gut ist. Die Saat wächst von
allein. Jesus hat das Starkwerden der Kraft Gottes
auf dieser unserer Erde oft verglichen
mit Korn, was erst gesät wird, in die Erde gelegt
wird und verwest, aber aus diesem
sterbenden Korn entsteht etwas Wunderbares: das
neue Leben, neues Korn. Und so langsam wie
das Korn reift, wächst die Gottesherrschaft
auf der Erde. Und so klein wie anfangs das Senfkorn und so
groß am Ende
wie der Senfbaum, so wird Gottes Kraft
und Herrlichkeit sich auf unserer Erde langsam
aber bestimmt vermehren. Gottes Reich wächst wie eine Blume.
Selbst wenn man sie
absägt, wird das Wachsen nicht aufhören.
Dafür steht im alten Testament der Regenbogen:
Noch im Regen taucht schon wieder Sonne auf und macht die triefelige Regenstimmung wieder
hoffnungsvoll.
Warten, Geduld haben. Es ist nicht leicht. Es soll alles schnell gehen
in
unserer Computergesellschaft. Prompte
Bedienung ist angesagt. Überall wird damit geworben,
daß etwas schnell geht. Schnelligkeit
ist zum Wert an sich geworden.
Die Autos werden nach Schnelligkeit beurteilt.
Die Menschen werden nach ihren Autos beurteilt. Und danach, wie schnell
sie etwas
können. Wie schnell sie lernen,
arbeiten, begreifen, reagieren. Tempo ist alles. Wenn
man mal warten muß, wird man sofort
ärgerlich. Man sieht seine kostbare Zeit vertan.
Man ist geizig mit Zeit. Man hat keine
Zeit. Man lebt ohne Zeit, in ständiger Hektik,
in Panik. Man lebt gar nicht mehr, so wenig Zeit hat man. Man ist im
Grunde
tot, weil die
Hektik einen zerstört. Und
dann geht man am besten in den Garten. Und schaut den Blumen beim
Wachsen zu. Man
lernt von ihnen, daß Leben Zeit braucht.
Daß alles seine Zeit hat und braucht. Man
lernt, die Hoffnung nicht aufzugeben, wenn nicht alles sofort klappt.
Man
lernt, den Dingen
Zeit zu lassen. Man
lernt, sich selbst Zeit zu geben für Dingen, die man tun möchte. Man wird
auch geduldig gegen sich
selbst. Man erfährt von den Blumen: Eines Tages
wird es soweit sein. Solange braucht es
aber. Gucken Sie
mal die Geschichte der
Friedensbewegung an: Von 1980 an wurde es jedes
Jahr mehr an Protesten gegen die
Atomwaffen in unserem Land. Und nach diesem schrecklichen
Stationierungsbeschluß war
nichts mehr, gar nichts. Wo gibt es noch Menschen,
die für den Frieden demonstrieren,
schweigen oder sonstwie? Die Luft ist raus.
Kein langer Atem mehr da. Die Hoffnung ist enttäuscht. Die
Chancen sind vertan.
Es ist wie ein
abgesägter Baum. Die
Friedensbewegung ist tot, weil sie nicht von der unbeirrbaren
Hoffnung getragen war, daß selbst
das schier Unmögliche noch möglich wird
dem, der hofft. Die Geduld, der lange Atem war nicht groß
genug. Jakobus ermahnt
seine Freunde zur Geduld, weil auch damals, über 80 Jahre nach
dem Tod Jesu, noch
immer Jesus nicht
wiedergekommen war zum Weltgericht. Die Leute
hatten ja damals jede Minute damit gerechnet, daß das
Weltgericht beginnt. Und wurden
allmählich immer enttäuschter und
zweifelten an der Wahrheit dessen, was alles damit
zusammenhing. Gottes Gerechtigkeit, der
Sieg der Liebe in dieser lieblosen Welt - wo
war davon etwas zu spüren? Redeten die
Christen sich da nicht eine Spinnerei ein? Wann
kommt denn endlich der Tag Gottes, der
Gerichtstag Christi. Wann? Die Geduld ist
erschöpft. Immer nur Warten? So
haben
nach einigen Jahrhunderten die Christen schließlich die
Hoffnung weitgehend
aufgegeben und singen jetzt: Alle
Jahre wieder kommt das Christuskind auf die
Erde nieder. Immer genau zu Weihnachten. Deshalb gibt es da dann auch
den großen
Geschäftsrummel. Hektik des
Weihnachtsfestes. Viel zu tun, kaum noch Zeit. Liebe Gemeinde! Ich
möchte Ihnen
heute nur die Blumen ans Herz legen. Lernen Sie von den Blumen! Akzeptieren Sie,
daß viele Dinge, besonders
gute Dinge, ihre Weile haben müssen. Lernen
Sie wieder den langen Atem. Atmen Sie tief und lang durch. Lassen Sie
sich
Zeit. Lassen Sie
anderen Menschen Zeit.
Zeit zu lernen, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Tun des
Guten. So
schmerzlich es oft ist, fremdes Leid
mitansehen zu müssen, so schnell man gerne helfen
will - wenn man es kann, so soll man es
tun! Aber viel Leid können wir nicht im Hauruck-Verfahren
abschaffen. Wir müssen geduldig werden. Wir müssen
lernen, nicht gleich
aufzugeben, wenn etwas nicht sofort auf
Anhieb klappt. Wir müssen lernen, die Veränderung
unserer Welt im richtigen Maßstab zu sehen, die Jahrzehnte
als kleine Schritte
betrachten. Dann werden wir den
langen Atem behalten, die innere Ruhe und die
Ausdauer, die für uns Christen nötig sind,
um am Ball zu bleiben und nicht enttäuscht
die Finger von der Arbeit an unserem Erdball weg und in den
Schoß hinein legen.
Gott braucht gute Gärtner in seinem
Reich. Er braucht Menschen, die den wachsenden
Dingen ihre Zeit lassen und zur rechten Zeit da sind, um hilfreich zuzufassen. Diese Geduld ist
alles andere als
ein faules Sich-Abfinden mit der Welt so wie
sie ist. Diese Geduld läßt den Dinge die
Wachstumszeit, die sie brauchen, um zu reifen.
Sie vergewaltigt die Dinge nicht und zerstört nicht die zarten
Pflänzlein der Hoffnung,
sondern behütet und pflegt die Keime
und Sprößlinge. So nur und nicht durch brutale
Gewalt, wird unsere Erde, werden die Menschen genesen vom zwanghaften Druck und der
Unterdrückung, die die bisherige
Geschichte der Menschen ständig reproduziert
hat. Geduld ist das Gegenteil von Unterdrückung. Geduld gibt
noch dem Unmöglichen
eine Chance. Geduld gibt nicht
auf. Geduld läßt Zeit. Geduld
läßt wachsen.
Geduld macht groß und stark. Geduld weiß,
daß nicht wir die Welt erhalten können,
sondern nur Gott. Geduld glaubt, daß
Gott alles zum Guten wenden wird. Geduld
ist die Kraft, mit der Gott unsere Welt wenden wird. Amen.