Liebe Schwestern und Brüder!
Ich kann kein Blut sehen. Als ich vorgestern beim Arzt war und er
anfing, von blutigen Dingen zu erzählen, bin ich
gleich
schon in Ohnmacht gefallen. Es ist da so eine Angst vor
Verletzung hinter. Noch weniger wäre es mir möglich,
als
Chirurg wie Dr. Gercek zu arbeiten und mit dem Skalpell bis
tief
in die inneren Organe eines Menschen vorzudringen. Es ist
eine
Angst da vor der Verletzung, die entsteht, wenn man einem
Menschen zu nahe kommt, so nahe, daß es ihm mitten hineingeht
in
seinen Körper. So löst auch die Vorstellung
von Gottes
Wort als einem zweischneidigen Schwert, welches uns bis an
die
Knochen in den Leib geht, Angst in mir aus. Was so unter die
Haut
geht, ist leicht tödlich, wie etwa die Klappmesser unserer
jüngeren Generation zwischen Kneipe und Knast. Aber
der
Chirurg hat ja das umgekehrte Interesse wie der Rocker. Er
will
unter die Haut, um tief im Inneren etwas wieder heil zu machen. Ich
glaube, das Wort Gottes kann beides sein. Es kann wie ein
Klappmesser Menschen tödlich beleidigen in ihrem
Innersten,
nämlich dann, wenn sie sich für unfehlbar
halten wie
der Papst,der es auch nicht ist und das genau weiß. Dann
werden sie beleidigt sein, wenn sie aus dem Reden der Bibel
erfahren, daß sie keineswegs nur okay sind und
große
Klasse, sondern auch sehr verbrecherische Anlagen in sich
haben,
die anderen Menschen weh tun. Das Wort Gottes kann aber auch wirken wie
das Messer eines Chirurgs. Es kann zu inneren
Zerstörungen
vordringen und dort, am Kern der Krankheit, Segensreiches
bewirken. Genau wie eine Operation tut auch die Operation des
Wortes Gottes oft weh. Die scharfe Zunge des Pastors kann diesen
Schmerz des Eingriffes hervorrufen, was wir uns so ungern
gefallen lassen - es kann das unerbittlich klare Urteil eines
erfahrenen Freundes sein, der unsere Schwachstellen besser
erkennt als wir selbst. Es kann aber auch das Urteil des
Richters
sein, der uns unser Unrecht spürbar
vorhält. Und
vielleicht ist es auch die innere Stimme, die uns immer wieder
auf unsere Fehler anspricht und bohrt und sagt: Du bist nicht
okay. Und wie das helfende Chirurgenmesser gleichzeitig Schmerz und
Gesundung schaffen kann, so hat gute Kritik neben dem
Verletzenden auch das Hilfreiche des Wegweisers, den wir
brauchen, um gut anzukommen. Das Wort Gottes ist ein
kritisches
Wort an uns. Es zeigt uns unsere Unvollkommenheit und unsere Fehler. Es
zeigt uns dies durch einen Kontrast. Durch die Geschichte
Jesu,
der doch sehr andere gelebt hat als wir, der aber doch so
gelebt
hat, daß es ganz und gar nicht unmöglich oder
abwegig
wäre, es ähnlich mit unserem Leben zu
halten, - durch
Jesus erfahren wir uns als Sünder. Indem wir sehen,
wie er
Menschen geliebt hat, geht uns auf, wie wenig wir bereit
sind,
das zu tun. Unsere Lieblosigkeit wird an der Liebe Christi sichtbar,
durch den Kontrast. So richtet uns das Wort Gottes. Es zeigt
uns,
wie die Liebe ist, damit wir erkennen, wie wenig Liebe wir
geben
und haben. Es zeigt uns, daß Gott uns liebt, damit wir
mutig werden, selbst Gottes Liebe für andere
Menschen
deutlich zu machen in unserem Handeln. Die Kraft des Heiligen
Geistes ist eine kritische Kraft der richtigen
Selbsteinschätzung. Nur wer sich einigermaßen gut
kennt,
kann die Folgen der eigenen Schwächen
bewältigen. Nur
wer dran denkt, daß sein Bein frisch gebrochen ist, wird
im
Krankenhaus nicht unvorsichtig herumturnen und alles nur noch schlimmer
machen. Man muß seine Schwächen erkennen,
berücksichtigen, einplanen, damit sie nicht zu
schlimmen
Folgen führen. Ich muß wissen, was ich nicht kann,
damit ich
mir nichts übermenschliches zumiute. Und ich
muß
wissen, was ich nicht kann, damit ich genau das vielleicht
noch
ein bißchen mehr trainiere. Damit ich weiß, worauf
ich
achten muß. Die anderen Dinge gehen sowieso
unbewußt
richtig. Kritik will also die Schwachstellen zeigen, um sie
zu
trainieren, damit die Schwächen keine schlimmen Folgen haben.
Kritik tut weh und muß doch sein bei der Suche nach
der
Wahrheit und dem richtigen Leben. Oft habe ich Zweifel, ob es
überhaupt was nützt, zu predigen. Ich weiß
aus
Umfrageergebnissen, daß Predigten nur das bestärken,
was die
Hörer ohnehin glauben und daß die
Aussagen, die dem
Hörer nicht passen, einfach überhört werden
oder
man sagt: das war aber nicht das Wort Gottes! "Das Wort
Gottes
ist lebendig und wirksam." Sagt der Hebräerbrief.
Was
löst eine Predigt schon aus? Im besten Fall ein
gutes
Gefühl? Im anderen Fall etwas Unbehagen? Oder wäre es
nicht
auch Zeichen für das Wort Gottes, daß es
uns
Ärger bereitet? Wir wollen uns nicht ärgern lassen
vom
Wort Gottes. Predigt als Schwert, das bis ins Mark dringt,
soetwas lehnen wir ab. Wir leugnen dann, daß es das
Wort
Gottes war. Liebe Schwestern und Brüder! Mit diesen
Sätzen können noch fast alle einverstanden sein.
Jeder
weiß, daß er Kritik von der Kanzel nicht sehr gern
hört. Aber würde ich es jetzt konkretisieren auf die
entscheidenden Fragen des Glaubens, etwa Feindesliebe:Pershing 2 ist
Sünde und soll hier nicht sein! - dann würden alle
sagen: Er
predigt wieder Politik, aber nicht das Wort Gottes. So haben wir unsere
Abwehrmechanismen gegen Gottes Wort. Die Geschichten Jesu
sind
voll von solchen Abwehrmechanismen gegen die Ausstrahlung
Jesu
auf der Seite der Pharisäer und Schriftgelehrten.
Sie
streiten dauernd mit Jesus, weil sie sich ärgern
über
das, was Jesus sagt und tut. So sagt Paulus mit vollem
Recht:Das
Wort vom Kreuz ist den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine
Torheit. Ich glaube, zur Lebendigkeit und Wirsamkeit des
Wortes
Gottes ist, daß es uns manchmal wurmt und
ärgert. Die
Schärfe des Gotteswortes dringt bis dahin, wo Geist und
Seele zusammentreffen. Sagt der
Hebräerbrief. Der
Schnittpunkt von Geist und Seele ist das Gebiet der
Psychologie.
Wenn Gott die Seele des Menschen kennt bis in die geheimsten
Wünsche, und das sind die uns selbst unbewußten,
dann kennt
Gott uns besser als wir uns selbst. Und wer nur ein
bißchen
nachdenkt über sich selbst, der weiß, wie wenig
man
sich wirklich kennt. Wir alle leben damit, daß wir uns was
vormachen. Wir alle spielen unser Theater so recht und
schlecht.
Alles stereotype Rollen, die wir von anderen
übernommen
haben und die uns nicht auf den Leib geschrieben sind, sondern eher
auf den Leib geprügelt. Die besserwisserischen
Männertypen, hart und eisern, Kruppstahlopas, die
gesitteten
Damen, die selbst die Liebenswürdigkeit in Person
sind, aber
beim Tratsch über die Nachbarin so richtig die Sau rauslassen
-
unser alltägliches Theaterspielen entspricht nicht
dem, was
wir im tiefen Inneren wirklich wollen und denken. Der Harte
Mann
ist gewöhnlich das Riesenbaby, ohne den Mut, zu weerden
wie
die Kinder. Die Edelmütigen haben oft auch sehr finstere
Gefühle. Luther wußte nur zu gut, wie auch
die
Heiligen vom Teufel geritten werden. Die Abgründe der
Bosheit unserer Seele genau auszuloten, das tut weh, weil man
sich gern besser hätte. Aber es ist als Aufgabe des
Psychiaters auch zugleich die Hilfe, die Menschen an der Grenze
der Selbstzerstörung fähig macht,
mit ihren
finsteren und traurigen Zügen zu leben. Und dadurch
zu
überleben. Glücklich kann ein Mensch nur im Einklag
mit sich
werden. Wenn es keine Kluft zwischen den verborgenen
Wünschen und den bewußten Motiven gibt.
Die geheimsten
Wünsche in uns, die wir uns nie eingestehen mögen, es
sind
im Grunde nicht die Abgründe der Bosheit. Es sind
sehr
zärtliche Strebungen. Es sind Wünsche der
Liebe, der
Geborgenheit, der Unbekümmertheit. Sehnsüchte nach
einem Leben ohne Tränen. Der Wunsch, grenzenlos
Schönes
zu erleben, grenzenlos geliebt zu werden und grenzenlos
jemanden
zu lieben ohne Zurückweisung zu erleben. Die
verborgenen
Wünsche sind fast wie das Heiligtum eines Tempels. Und drum
herum sieht es böse aus. Wir erleben
überall, daß
diese Wünsche von außen, von anderen
verstellt werden.
Das tut uns weh. Darum kapseln wir uns ab. Wir zeigen anderen
nicht mehr unseren Kindertraum, weil er ja doch nicht
erfüllt wird. Wir werden hart, verschlosssen,
unnahbar. Wir
nehmen die Rollen an, die man uns vormacht. Und das zarte
Fädchen der Hoffnungen des Kindes in uns reißt ab.
Die
Hoffnungen werden in uns begraben. Wir schweigen
sie tot.
Wir resignieren. Man kann ja doch nichts machen. Unsere
Kinderträume werden uns selbst zum Geheimnis. Und Gott kennt
dieses Geheimnis. Gott weiß um unsere kindlichen
verborgenen Sehnsüchte. Und er sagt sie uns noch
einmal.
Diesmal nicht von innen heraus, sondern durch Boten auf der
Kanzel. Die dort Liebe predigen und Frieden und
Gerechtigkeit,
die sprechen das aus, was die Kinder in uns sich
wünschen.
Darum wurmt uns das Wort Gottes: Weil es unseren
unterdrückten eigenen Wünschen zutiefst entspricht.
Gott
will, was alle Kinder dieser Erde wollen, auch die Kinder in
uns
Erwachsenen, die wir totschweigen: Kein Mensch soll
gequält
werden, jeder soll Vater und Mutter haben, ein schönes Haus
zum
wohnen, einen Garten zum Spiel, Essen für alle und
Frieden
auf der ganzen Welt. Das ist unsere Hoffnung, die
ärgerliche
Hoffnung Gottes: Der einzige Schmerz, den es dann noch geben
wird, ist der Liebeskummer. "Es gibt nichts, was Gott verborgen
wäre. Alles liegt nackt und bloß vor den
Augen dessen
da, dem wir Rechenschaft schuldig sind." Stellen wir uns vor, Gott
sieht uns so, wie wir wirklich sind. Wir sehen uns so, wie
wir
unser Theater spielen. Wenn Gott nun uns erträgt, so wie wir
sind,
dann gibt es keinen Grund, weshalb wir uns selbst nicht auch
ertragen können sollen. Vor den Augen Gottes sind
wir wie
spielende Kinder. Unser Lieblingsspiel ist heute Verstecken. Wenn
Gottes Reich anbricht, werden die Kinder Gottes andere Spiele
spielen, weniger nervtötende. Ihr Spiel wird die
Aufrichtigkeit, die Zärtlichkeit, das Schmusen, das
vertrauende Erzählen, das gemeinsame
Träumen sein. Ich
habe mir vorgenommen, schon jetzt so allmählich
damit
anzufangen. Amen.
p.s. Covenant Players in Bergkamen!