Zum Impressum

Predigt über Röm 14,10-13   

Auferstehungsk:23.Feb.86

Wer hat Recht?

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich fühle mich gerichtet von diesem Text. Meinen Bruder nicht richten. Nicht  verdammen. Ich denke an meinen, an unseren alltäglichen Tratsch, ich denke an das  Reden über andere, die sich nicht melden können und alles richtig stellen. Ich denke  daran, wie ich meinen Gegnern Unrecht tue, wenn ich versuche, mein Herz einem  Freund auszuschütten. Ich denke an meinen Ärger, wie er mir die Möglichkeit  verschließt, von meinem Gegner her die strittige Sache zu sehen. Ich bete für meinen  Gegner, aber ich bitte nur darum, daß er mich versteht, nicht, daß ich ihn verstehe. Ich weiß, auch ich bin Gegenstand von Tratsch und ungerechten Urteilen, die  teilweise auf falscher Information beruhen. Ich erinnere mich noch an den Anfang hier  in Weddinghofen, als man mich aufgrund langer Haare verurteilte, als Leute tratschten,  ich würde mich mit Talar und Stahlhelm aufs Motorrad schwingen und zum Friedhof  düsen. Viel Ärger aufgrund falscher Information, aber auch mancher Ärger über  Tatsachen, die anstößig waren oder sind - meine Art, wenig auf Äußerlichkeiten zu  achten, weil ich kein Pastor geworden bin für die Fassade, sondern fürs Herz, für die  Seele.  Es war so manches falsch, was ich gemacht habe. Aber ich habe es selten durch den  Tratsch eingesehen, daß es falsch war, sondern nur durch aufrichtige Freunde in der  Gemeinde, die mir Kritik gegeben haben, ohne mir darin zuviel zuzumuten. Ich habe oft  gesagt: Du, jetzt reicht es. Laß mich darüber erst mal eine Weile nachdenken, dann  reden wir weiter. So helfen Freunde: Durch gute, unerbittlich klare Kritik. Der Tratsch,  die vielen, die mich im Bausch und Bogen verdammt haben, haben mir kein Stück  geholfen. Sie haben mich nicht verstehen können, sie haben mir ihr eigenes Denken und  Fühlen nicht mitgeteilt. Ihr Gericht über mich war ohne Wirkung. Das Schlimme an  unserem Bibeltext von Paulus ist ja: Sobald ich sage:Richte nicht deinen Bruder: - so  verurteile ich ja schon wieder etwas. Ich verurteile den, der seinen Bruder verurteilt. Ich  verurteile ihn, weil er verurteilt. Und schon kann jemand kommen und sagen: Hallo du,  jetzt machst du ja genau dasselbe, du verurteilst auch jemanden. Du bist also kein Stück  besser.  Genau das ist der springende Punkt: Ich bin kein Stuck besser. In dieser Erkenntnis  liegt das Evangelium. Wenn Luther sagt: Wir sind alle Sünder, so liegt darin nicht eine  Nivellierung der guten Taten mit den echten Schweinereien, die es viel zu viel gibt,  sondern das weise Wissen, daß noach im besten Werk unlautere Absichten stecken und  noch in der schlimmsten Tat ein gescheiterter Versuch liegt, Recht zu schaffen.  Richtet nicht! - wie oft stimme ich nicht mit Dingen überein, die ein anderer tut.  Heißt das, ich soll immer schön ruhig sein, jeden alles machen lassen? Ich glaube, das  würde im Chaos enden. Wir brauchen die Menschen, die uns helfen durch ihrer Kritik,  die uns zeigen, wo sie nicht mehr mitkönnen. Denn es lebt nicht jeder vor sich hin,  sondern wir leben miteinander für ein gemeinsames Ziel: für Gottes Welt. Und nicht  immer ist meine Idee dazu die richtige, nicht immer deine Idee. Darum brauchen wir  den gegenseitigen Rat, die Kritik. Wir brauchen das Gespräch, das dialogische  Miteinander, das gute Wort, was weiterführt.  Nur eins hilft selten: Die Verdammung, die endgültige Verurteilung, die keine  Revision zuläßt. Wer den anderen abgestempelt hat, der läßt ihm keinen Weg mehr, den  man gemeinsam gehen könnte. Das führt zu keinem Ziel, nützt dem Reich Gottes nicht.  Es hilft aber dem Teufel, wenn wir uns gegenseitig unsere Verdammungsurteile  attestieren. Der freut sich dann in uns. Dann wird uns teuflich wohl ums Herz, wenn wir  einen so richtig verteufeln können. Brauchen wir das, müssen wir so unsere Aggressionen austoben, werden wir nicht  anders damit fertig, unsere Gegner zu bekämpfen? Ich möchte mit Ihnen, Liebe Gemeinde, jetzt einen Schlachtplan machen. Nehmen  wir an, wir haben einen Gegner, mit dessen Tun wir überhaupt nicht einverstanden sind.  Möglichkeit eins: Wir schimpfen, schreien, protestieren, verurteilen scharf. Damit  treiben wir ihn in die Enge. Er wird widerborstig wie ein geängstigtes Stachelschwein. Er  verteidigt sich in seiner Angst, daß er im Unrecht sein könnte, mit allen Mitteln. Er hat  keine Trümpfe mehr in der Hand. Also holt er die fiesen Sachen aus der Munitionskiste.  Er schlägt unter die Gürtellinie, weil ihm die Argumente ausgehen. Er hat kein Recht,  das wissen wir. Aber es tut uns trotzdem weh, unter unserer Gürtellinie. Jetzt haben wir  noch mehr Recht, unseren Gegner zu verdammen. Wir verschärfen unser Urteil, seine  Angst wächst, er tritt wieder und noch böser unter die Gürtellinie. Fazit: Obwohl wir im  Recht sind, ernten wir Schläge unter die Gürtellinie. Warum: Weil unser Gegner in der  Ecke gedrängt keine andere Wahl mehr hatte. Wir haben ihm die Möglichkeit zu einem  fairen Kampf verwehrt.  Möglichkeit zwei: Unser Gegner ist im Unrecht, wie bei Fall eins. Aber wir hauen es  ihm nicht als Bratpfanne vor den Schädel, sondern fragen nur vorsichtig an: Lieber  Bruder sowieso, ich kann verstehen, wieso du dich so und so verhalten hast. Aber hast du  auch bedacht, daß der und der und der unter deinem Verhalten sehr leiden mußte?  Wolltest du das, oder ist es vielleicht deiner Aufmerksamkkeit entgangen? - So, liebe  Gemeinde, ich bin gespannt, wie Bruder Sowieso nun reagieren wird. Immer noch wie  ein Schwein, ein Stachelschwein? Oder nicht vielleicht doch eher mit Einsicht: Ja, doch,  das habe ich gar nicht im Blick gehabt, das wollte ich gar nicht, daß andere darunter  leiden. Und im Nu ist unser Gegner genau da angekommen, wo wir es uns wünschten: Er gibt  die Position auf, die ihn zu unserem Gegner gemacht hat. Er ist für uns kein Störenfried  mehr, sondern er wird für uns zum möglichen Gesprächspartner, zum Bundesgenossen,  zum Mitstreiter unserer Sache. So funktioniert christliche Bündnispolitik. Ich sage das mir, nicht Ihnen, Liebe  Gemeinde! Ich hoffe, Sie haben sich wiederfinden können in manchem, was ich mir einmal  wieder klarmachen mußte. Soweit sind wir also. Wir haben uns den Mechanismus der  Vergebung und des Dialogs klar gemacht. Wir wissen jetzt wieder, die Worte der  Vergebung heißen: Hast du dir denn auch überlegt, daß du dem und dem weh tust? Wir  wissen, wie wenig der Vorwurf nützt: Du hast aber... Wir wissen, daß Vergebung nicht  heißt, alles Schlechte fraglos hinzunehmen. Wir wissen, daß Vergebung darin besteht,  Verstehen zu lernen und Verständnis zu wecken, eine Brücke des Verstandes zwischen  den Streitenden zu errichten mit der Technik sanfter, behutsamer Fragen.  Liebe Gemeinde! Das war die Theorie! Jetzt käme die Praxis. Und da geht es mir vor  Gott wie dem Zöllner: Gott sei mir Sünder gnädig! Meine Vergebungspraxis ist dürftig.  Ihre auch? Ist vielleicht deshalb die Welt so weit noch weg vom Reich Gottes, weil unser  aller Vergebungspraxis so übel aussieht? Gott sei uns Sündern gnädig! Indem wir alle  uns mit unseren Gegnern zusammen unter das richtende Wort Gottes stellen, indem wir  alle uns als Versager bekennen, finden wir zu Gott und zueinander. Der Gottesdienst  hat diese Brücke der Vergebung durch das gemeinsamen Sündenbekenntnis  festgehalten. Es ist oft nicht mehr ganz verständlich, wieso ich da plötzlich auf  Kommando sagen soll, daß ich ein Sünder bin, zumal, wenn ich supergute Laune habe,  mich freue über die gegenwart Gottes und vielleicht mich einmal gar nicht schlecht  fühle. Dann bitte ich das Sündenbekenntnis zu verstehen als ein Training. Wenn wir  nicht lernen, uns zu bücken, werden wir nie fähig, andere Menschen einmal zu tragen,  wenn sie unsere Kraft des Verstehens und der Vergebung brauchen. Wenn wir nie  trainieren, uns klein zu machen, haben wir auch keine Chance mehr, über uns  hinauszuwachsen. Wenn wir nie erkennen, wie fehlerhaft unser Verhalten ist, werden  wir unsere Fehler immer nur in unseren Gegnern wiederentdecken und verdammen.  Der Weg zur Vergebung beginnt mit dem Satz:Gott sei mir Sünder gnädig. Dann kommt  der Satz: Lieber Bruder, hast du bedacht, daß...? Und im Western heißt das gemeinsame  Sündenbekenntnis rauh, aber aufrichtig: Ich bin ein Arschloch, du bist ein Arschloch.  Komm, wir gehen einen trinken. Sie denken vielleicht jetzt, warum muß das in einer  Predigt kommen. Ich sage Ihnen jetzt: Wenn ich und Sie wenigstens so weit wären, wie  diese unsere beiden Trunkenbolde nach ihrer saftigen Schlägerei, wir wären auf dem  Weg zur Versöhnung, wir wären enorm weitergekommen. Dazu helfe uns allen der  gnädige Gott! Amen.