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Predigt über Jeremia 1,11-19

Bodelschwinghhaus am 11.5.1986

Lieder: 346,1-3;    133,1-5;    305,1-4;    514,1-4;    Psalm 104

Tschernobyls siedender Kessel

 11Und es geschah des HERRN Wort zu mir und sprach: Jeremia, was siehst du? Ich sprach: Ich sehe einen erwachenden Zweig. 12Und der HERR sprach zu mir: Du hast recht gesehen; denn ich will wachen über mein Wort, daß ich's tue. 13Und es geschah des HERRN Wort zum andern Mal zu mir und sprach: Was siehst du? Ich sprach: Ich sehe einen heißsiedenden Topf von Mitternacht her. 14Und der HERR sprach zu mir: Von Mitternacht wird das Unglück ausbrechen über alle, die im Lande wohnen. 15Denn siehe, ich will rufen alle Fürsten in den Königreichen gegen Mitternacht, spricht der HERR, daß sie kommen sollen und ihre Stühle setzen vor die Tore zu Jerusalem und rings um die Mauern her und vor alle Städte Juda's. 16Und ich will das Recht lassen über sie gehen um all ihrer Bosheit willen, daß sie mich verlassen und räuchern andern Göttern und beten an ihrer Hände Werk. 17So begürte nun deine Lenden und mache dich auf und predige ihnen alles, was ich dich heiße. Erschrick nicht vor ihnen, auf daß ich dich nicht erschrecke vor ihnen; 18denn ich will dich heute zur festen Stadt, zur eisernen Säule, zur ehernen Mauer machen im ganzen Lande, wider die Könige Juda's, wider ihre Fürsten, wider ihre Priester, wider das Volk im Lande, 19daß, wenn sie gleich wider dich streiten, sie dennoch nicht sollen wider dich siegen; denn ich bin bei dir, spricht der HERR, daß ich dich errette.

Liebe Gemeinde!

In Österreich werden schwangere Frauen und Kinder gebeten, in den Häusern zu bleiben und Fenster und Türen zu schließen, weil es radioaktiv regnete. In Polen darf nur noch Milch von Kühen angeboten werden, die altes Heu futtern. Kinder stehen dort nach Jod Schlange. Babys sollen bei geschlossenem Fenster schlafen und mit Trockenmilch ernährt werden. Bei Muttermilch sei nur mit einer nicht „erheblichen" Verseuchung zu rechnen, also ist sie verseucht, nur nicht erheblich.

In Süddeutschland soll ebenso Milch von weidenden Kühen nicht verkauft werden. Kinder, die draußen gespielt haben, sollen sofort abgewaschen, Kinderspielplätze gemieden werden. In Dänemark wurden Fischfänge von Fischkuttern sofort endgelagert.

Unsere Bundesregierung aber sagt: Gefahren für die Gesundheit seien ausgeschlossen. Wozu dann solche Maßnahmen? Entweder ist die Lage ernst und die Maßnahmen haben einen Sinn. Oder die Lage ist ungefährlich, dann bietet man den Menschen offenbar in allen europäischen Ländern ein zeitgemäßes Unterhaltungsprogramm an.

Zwei große Verdummungen

Die DDR erklärte, jetzt müsse Schluß sein mit der Verteufelung der friedlichen Nutzung der Kernenergie in der Sowjetunion, als gäbe es außer Verteufelungen nichts zu berichten. In Moskau wurden die Kinder in der Schule belehrt, Obst und Gemüse sorgfältig zu schälen und abzuwaschen. Sie sollten dies bitte auch zu Hause ihren Eltern erzählen, denn man hätte in größerem Umfang Rattengift entdeckt.

Wir erleben zur Zeit zwei große Volksverdummungen. Eine im Osten, die andere im Westen. Das hat gute Gründe. Die Staaten haben sich in eine Konkurrenzschlacht um Wachstumsraten, um Produktivitätssteigerungen begeben, in der die 374 Atomkraftwerke in 26 Staaten ihren festen Platz haben und in der jede naturwissenschaftliche Erkenntnis in der Produktion angewendet wird, egal, welche katastrophalen Folgen ihre Anwendung für das Leben auf diesem Planeten hat.

Ich komme zur Verdummungskampagne unserer Staatsideologien, die "Minister für Forschung und Technologie" oder andere Titel tragen, aber in Punkto wissenschaftlicher Genauigkeit mit der Bild-Zeitung konkurrieren können. Unsere Zimmermanns und Riesenhubers wiederum behaupten, hier wäre ein Unfall gänzlich ausgeschlossen, weil die Gefahr immer aus dem Osten kommt. Auch unsere sozialdemokratischen Freunde im hessischen Wirtschaftsministerium meldeten sich zu Wort. Es lohne sich nicht, über Sicherheitsvorkehrungen nachzudenken, weil Störfälle in westlichen Atomkraftwerken extrem unwahrscheinlich seien. Dies gelte auch für die mit Graphit arbeitenden Hochtemperatur-Reaktoren. Wörtlich: „Sie sind so ausgelegt, daß sie eine physikalische, naturgegebene Sicherheit bieten."

Ronald Reagan ergänzte den Reigen auf der Insel Bali mit der Bemerkung, ein solcher Unfall könnte in den USA einfach nicht passieren. Bei Reagan würde ich nicht ausschließen, daß er tatsächlich nicht mehr im Gedächtnis hat, daß in Harrisbourg 300.000 Menschen auf der Flucht waren vor der völlig sicheren Technik des Westens.

Gefahren

Bei dem Versuch, den Hochtemperaturreaktor zu retten, wird die Graphitmoderation kurz und bündig als „naturgegeben" sicher versprochen und ganz vergessen, daß in Tschernobyl gerade ein graphitmoderierter Reaktor in die Luft ging.

Die ständige Behauptung, ein solcher Unfallhergang wie dort sei hier undenkbar, ist richtig. Bei unseren Reaktoren könnten aber die Druckkessel explodieren, was wiederum bei dem Typ Tschernobyl nicht vorkommen könnte. Wir können es drehen und wenden, ob ein Unfallhergang so ablaufen könnte oder anders ablaufen könnte, die Folgen wären die gleichen. 'Wir hätten ähnlich viele Tote, Krebserkrankungen und Erbschäden.

Die vielen Entwarnungen, weil die Wolke woanders hinzieht, können nur eines heißen: Jeder Landstrich in Europa bekommt seine Dosis ab. Irgendwann war die Wolke überall und abgeregnete Partikel warten im Boden oder im Wasser auf ihre Anreicherung. Europa wird nach dieser einen Katastrophe nicht mehr so sein wie bisher. Einige Krebsarten werden überhaupt erst in 15 bis 30 Jahren erkennbar sein und Erbschäden noch viel später. Das ist die nackte Wahrheit, gegen die keine Ideologie der Welt ankommt.

Vom Staat belogen

Wir erleben zur Zeit, daß alle Meßwerte ungefährlich sein sollen. In der Süddeutschen Zeitung wurde berichtet, daß in Bayern an ein und demselben Tag folgendes gemessen wurde: Das pharmakologische Institut maß die 30fache Belastung in Bodennähe, das Institut für Entwicklungsbiologie die 50fache, die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung nach einem Regenguß in München bis zu der 100fachen Belastung, die bayerische Staatsregierung hatte am selben Tag die 5 bis 6fache Belastung messen lassen.

Das läßt nur eine Schlußfolgerung zu: wir wissen nicht genau, wie hoch die Strahlenbelastung wirklich ist, wir wissen aber genau, daß wir vom Staat belogen werden.

Die vom Staat und von den Atombetreibern bezahlten Wissenschaftler erzählten uns, ein Unfall sei statistisch nur alle 10.000 bis 50.000 Jahre möglich. Innerhalb von nur 10 Jahren erlebten wir aber: Zunächst Harrisbourg, dann massive Austritte in Windscale und die Abriegelung eines Sandstrandes, verseuchtes Kühlwasser in Gundremmingen, Risse im Kühlkreislauf in Frankreich, den Untergang eines mit radioaktiven Stoffen vollgeladenen Schiffes. Und jetzt die Katastrophe in der Sowjetunion.

Zehn Jahre sind nichts in der Geschichte. D.h. für alle nachvollziehbar hat allein die Anti-Atom-Bewegung einigermaßen seriös informiert. Die staatsoffiziellen Wissenschaftler und die Geschäftemacher haben die Menschen belogen, haben sich als Scharlatane im Spiel mit Menschenleben erwiesen.

Atomkraftwerke sind Kriegserklärungen an uns

Es gibt nachweislich keine friedliche Nutzung des Atoms. Alle 374 Atomkraftwerke auf dieser Erde sind Kriegserklärungen an uns. Wir müssen Wirtschaft und Staatsführungen bekämpfen, die diese Gefährdung der Menschheit fortsetzen wollen. Ich sage bewußt „bekämpfen", weil harte strahlende Stoffe unsere Körper ruinieren und dagegen nicht mit Meditation anzukommen ist.

Selbstverständlich verlangen wir jederzeitige und vollständige Aufklärung über alle Vorgänge und Meßwerte von Staatsführungen in Ost und West. Gleichzeitig wissen wir aber, daß wir im Ernstfall keine Aufklärung zu erwarten haben und müssen daraus folgern, selber aufzuklären.

Wir müssen allen Menschen sagen, daß es keinen Zweck hat, die Regale mit Jod-Tabletten in den Apotheken leerzufegen, sich Trockenmilch zu kaufen und zu Hause zu warten, was passiert. Jod-Tabletten haben ungefähr die Wirkung, die eine Aktentasche über'm Schädel im Atomkrieg hat. Entweder es erfaßt uns oder es erfaßt uns nicht. Wir müssen raus und den Widerstand bilden.