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Predigt über  Mt 5,13-16   

Friedenskirche:.18. Mai 86.

Nicht dumm werden!          

Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Verwandten, liebe Freunde!
Ihr seid das Salz der Erde, sagt Jesus. Zu den Jüngern. Zu seinen Jüngern. Nicht zu  den Jüngern der Kirche. Nicht zu Lütges Jüngern. Lütge will gar keine Jünger haben. Es  würde ihn zu sehr stressen. Ihr seid das Salz der Erde, das sage ich euch heute auch, liebe  Konfirmanden. Seid ihr das wirklich? Oder seid ihr der Honig, den man gerne lutscht,  vernascht? Eßt mal einen Löffel Salz. Schmeckt nicht gut, nicht wahr? Man kann Essen  auch versalzen. Daß die Erde von diversen Kunstdüngern regelrecht versalzen ist, macht  sie auch kaputt, laugt die Böden aus. Salz der Erde - eine etwas zwiespältige Sache. Man  muß vorsichtig umgehen mit Salz. Geheimnis einer guten Küche ist die richtige  Dosierung der Zutaten. Die richtige Priese herausfinden. Aber das ist nicht die Aufgabe  vom Salz selbst. Das soll die Hausfrau oder der Hausmann machen. Das Salz fragt nicht  nach der Dosis. Es ist Salz und würzt und schmeckt scharf und hat desinfizierende  Wirkung und bringt Pepp ins fade Essen. Komisch, daß man sagt, Salz, welches seine  Würzkraft verloren hat, sei dumm geworden. Es stimmt jedenfalls erst recht, wenn es  auf das berühmte Jesuswort an die Jünger angewendet wird. Wenn Christen aufhören,  Salz der Erde zu sein, werden sie dumm. Und Jesus hat berechtigte Sorge: Womit soll  man die Erde denn dann salzen? Und womit soll man die Christen wieder salzig und  scharf machen?  Hätte Jesus gesagt: Ihr seid der Honig der Welt, dann könnte ich euch heute sagen:  Liebe Konfirmanden, seid bitte recht freundlich und süß, nur Mut. Immer Lächeln und  Grinsen, immer gute Mine zum bösen Spiel, wenn es ein böses Spiel ist. Jesus hat aber nicht gesagt: Ihr seid Honig. Er hat gesagt: Ihtr seid Salz. Ob er damit  recht hat? Ob die Kirche wirklich Salz ist? Salz der Erde sein - das bedeutet: Sich in die Angelegenheiten der Welt einmischen,  sie durchziehen, Einfluß gewinnen. Die Kraft des Salzes ist seine Schärfe. Das heißt: Mit  scharfen Worten oder auch mit scharfen Taten Einfluß nehmen auf die Belange dieser  Welt. Wenn da noch einer sagt: Christen dürfen nicht politisch sein als Christen, dann  soll er mir mal erklären, was Jesus wohl gemeint hat mit Erde und Welt. Ihr seid das  Licht der Welt, sagt er. Und Stadt auf dem Berg, die überallhin sichtbar ist - im  Griechischen Urtext steht hier Polis=Stadt. Von diesem Wort ist das Wort Politik  abgeleitet. Christen sind nach der Wortwahl Jesu also politisch, ob sie es wollen oder  nicht. Sie können höchstens keine Christen sein wollen oder dumm sein oder finster.  Aber wenn sie Christen sind, dann sind sie automatisch politisch. Sie können dann nicht  mehr sagen: Gott ist Liebe - und lassen Menschen in Einsamkeit verkommen. Sie  können nicht mehr sagen: Christus ist das Brot, das wir im Abendmahl zu uns nehmen -  und lassen Menschen verhungern. Sie können dann nicht mehr sagen: Christus ist unser  Friede - und schweigen zur Atomrüstung. Sie können nicht sagen: Gott will, daß allen  Menschen geholfen werde - und sagen: Arbeitslose wollen ja gar nicht ran. Und  schließlich können sie nicht mehr sagen: Gott hat uns die Verantwortung zur Bewahrung  seiner Schöpfung übertragen, also baut mal schön weiter Atomkraftwerke. Christen sind wie Christus: Politisch einseitige Leute. Sie haben ein Herz für die  jeweils benachteiligten Menschen, auch Tiere. Sie haben kein Herz für Tierquäler und  Menschenfresser. Sie hassen Diktatoren, Killerkommandos und allzu würdige Herren,  die die Killer bezahlen von ihren Gewinnen. So geschehen nicht im Krimi, sondern  tagtäglich in vielen Ländern der verarmten Südhalbkugel. Ich will gern gestehen: Die Kirche als Verein ist da nicht gerade das Paradebeispiel.  Zu oft hat die Kirche an der falschen Stelle geplappert oder geschwiegen.  Hexenverbrennung, Ketzerfolter, Heidenkriege im Mittelalter, Neutralität oder gar  Ablehnung gegenüber den berechtigten Forderungen der Arbeiter vor 100 Jahren. Aber  ich bitte euch: Seid nachsichtig mit dieser alten Mutter Kirche. Sie ist etwas klapprig und  langsam geworden. Sie ist nicht identisch mit dem, was ich Christen genannt habe. Sie ist  eine alte Organisation, die älteste, die ich kenne. Und seid gewiß: Jesus hat sich nicht  vorstellen können, daß eine Mammutorganisation, über die ganze Erde verteilt, unter  Berufung auf ihn als den Herrn, einmal dermaßen langweilig, fade und dumm sein  könnte, wie das, was ihr mit Recht an der Kirche ablehnt. Und auch die Jünger waren ja keine Engel oder Helden. Genausowenig wie ihr oder  ich. Trotzdem: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Euer Licht soll  leuchten vor den Leuten, damit sie sehen, wie Gott ist.  Christen sind insofern  Ebenbilder Gottes, als durch ihre Liebe die Liebe Gottes sichtbar wird. Gott dienen  fängt nach dem Gottesdienst erst an. Die Kraft der Christen zeigt sich nicht in den heilen  Mauern der Kirche - die ist nur zur Erholung und zur geistlichen Vergnügung der  Christen da - Gottes Kraft zeigt sich draußen, in der Welt, in der Politik, meinetwegen  auch in der Familie. Da sind wir gefragt, von Jesus wohlgemerkt, nicht von Politikern,  denn die lieben schweigende Bürger. Christen - wir - sollen scharf sein, auf der Hut,  wachsam, ihr Licht leuchten lassen. Christen sind Ferment in der Gesellschaft. Ihr sagt: Haha, die Kirche hinkt doch meilenweit hinter allem hinterher. Ich sage:  Soso, aber ihr seid natürlich voll engagiert, auf dem neusten Stand, einfach "in". Ihr seid  natürlich nicht dumm, ihr seid schlau. Ihr geht natürlich nicht in die Kirche, ihr guckt  euer Eis am Stil als Video zu hause. Ihr seid nicht so verstaubt wie dieser alte Verein  Kirche. Nicht wahr? Und ihr setzt euch natürlich auch ein für die Menschenrechte und  Äthiopien und Behinderte und Penner und Jute statt Plastik und 35Stunden-Woche.  Und deshalb habt ihr es auch nicht mehr nötig, in diese alte langweilige Kirche zu gehen. Und heute, am Fest der Konfirmation, der Befestigung im Glauben und in der  Kirche, dem Fest, das für sein Gegenteil gehalten wird: Nicht Anfang, sondern  krönender Abschluß der Kirchenbesuche - heute nehmen wir also Abschied. Ihr von der  langweiligen Kirche und ich von der natürlich überhaupt nicht langweiligen  Konfirmandentruppe. Ich sage euch jetzt noch: Kommt doch wieder, wir haben zwölf  Jugendgruppen, in einer werdet ihr bestimmt Spaß haben, ich sage: die Friedenskirche  ist eher ein großes Vergnügungszentrum für Christen und gar nicht langweilig - aber ihr  sagt gelangweilt: Ja, ja, ist ja schon gut, wir kommen trotzdem nicht mehr, zwei Jahre  müssen reichen. Na gut, dann bleibt ruhig weg. Aber ich sage euch eins: Ihr seid das Salz der Erde und  das Licht der Welt. Wenn ihr von jetzt an nie wieder kommt, vergeßt das nicht. Vergeßt  nicht, wie mutig Jesus war. Wie er gestritten hat mit den Anstandsaposteln seiner Zeit.  Vergeßt nicht, daß die Menschen von Gottes Liebe nicht sehen, es sei denn durch eure  Hände. Wer soll denn gegen Arbeitslosigkeit arbeiten, wenn nicht ihr? Wer soll denn für  eine gerechte Verteilung der Güter kämpfen, wenn nicht ihr? Wer soll denn gegen die  unfriedlichen Atomkraftwerke und - Bomben angehen, wenn nicht ihr? Die Kirche ist  dazu doch zu langweilig. Die Politiker haben uns die Suppe ja erst eingebrockt,  auslöffeln mußt ihr sie eh - also, dann seid doch das Salz und macht euch die Erde  bewohnbar, macht Bergkamen zu einer gemütlichen kleinen Stadt, baut den Erdball so  um, daß einmal alle Menschen glücklich sein können, ohne Hunger, ohne Kriege, Ohne  Verbrechen. Und wenn ihr das macht, dann braucht ihr von mir aus nie wieder zur  Kirche zu gehen, zu unserem Vergügungshaus hier, denn dann  habt ihr wirklich  begriffen, was Christsein heißt, dann habt ihr Gott begriffen, dann braucht ihr die  Kirche nicht mehr. Amen.