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Predigt über Matthäus 5,4

Marktplatz Werne anläßlich der Heeresschau 20.6. 1986

Lieder: nach dieser Erde; die Welt soll ohne Waffen sein; We shall overcome

Liebe Freunde!

Freund und Feind. So unterscheidet die Bundeswehr die Menschen, auf die zuschießen moralisch erlaubt ist und die, auf die man nicht schießen darf. Obwohl beide Uniformen tragen oder als Zivilisten: T-Shirts. Mir würde z.b. nicht einleuchten, was an einem russischen Soldaten so viel Vernichtenswerteres ist als an einem französischen oder, bleiben wir in Werne: deutschen. Feind - der, dem ich den Tod wünsche. Ein vernichtenswerter Mensch! Dieses Wort ist uns nicht geläufig. Wert und Vernichtung - das paßt irgendwie nicht. Aber ist nicht die Bundeswehr eine ungeheure Wert-Vernichtung? Nehmen wir an, die Rüstungsmilliarden kämen der Krebsforschung oder der Erforschung ökologischer Energiequellen zugute, würden in die Produktion von billigen Windkraftwerken, Sonnenkollektoren, Erdwärme-Heizanlagen gesteckt; in Programme zur Jugendbetreuung, in Sozialhilfe Maßnahmen: welche sozialen Möglichkeiten frißt dieser Moloch Bundeswehr auf? Er vernichtet Werte. Soziale und ökologische Werte. Und er vernichtet moralische Werte. Die bloße Existenz der Bundeswehr ist schon völlig unbiblisch, völlig gegen die Gewaltlosigkeit Jesu, völlig gegen den Willen Gottes. Feindesliebe äußert sich nicht im Drohen mit Gewalt, was die tatsächliche Aufgabe unserer vorgeblichen Verteidigungsarmee ist. Sie ist effektiv eine Art Selbstmordgarde. Helmut Schmitz sagte völlig richtig: "Die BRD ist nur um den Preis ihres eigenen Untergangs militärisch zu verteidigen." Feindesliebe äußert sich im Ertragen von Demütigungen, nicht im Verteidigen. Schon die Verteidigung ist gegen die Feindesliebe. Du sollst dem Bösen nicht widerstehen (Matthäus 5, 39). Betet für die, so euch verfolgen (Matthäus 5,45).

Feindesliebe setzt voraus, daß man Feinde hat. Wer ist mein Feind? Feind ist der, dem ich den Tod wünsche, von dem ich denke, er ist nicht nur völlig überflüssig auf dieser Welt - so wie du und ich - sondern er ist eher schädlich für das Leben hier. Ein Schädling meines Lebens. Schädlingsbekämpfung unter Menschen. Küchenschaben und Kellerasseln werden den Atomtod des Erdenschädlings Mensch überleben. Hoffentlich.

Hoffentlich nicht. Hoffentlich kein Atomkrieg. Feind ist der, für dessen Tod ich Geld springen lasse. Nicht die Niedrigpreise der Mafia für einen Mord auf Zahlkarte. Sondern Unsummen Geld der Steuerzahler für einen selbstmörderischen Krieg. Denn welchen Wert hätte unser Leben, wenn die Russen erst hier wären. Endlich: der Feind. Unser Feind. Das entscheidende Etwas, wofür wir alle das viele Geld in die Panzer, Tornados und Hubschrauber investieren. Rausgeschmissenes Geld, wenn es keinen Krieg gibt. blutiges Killergeld, wenn man es zum Krieg kommen läßt. Der Feind ist der Freund der Bundeswehr. Wenn er nicht wäre, wohin mit all den arbeitslosen Soldaten? Wohin mit dem Kommando-gewohnten Offizieren? Hauptmann als Vorarbeiter, als Steiger? Nein danke. Ohne die Russen wären die Offiziere arbeitslos. Kaum auszudenken, diese Katastrophe. Und so ist dann der Feind im Osten doch noch zum besten Freund der Bundeswehr geworden, zum einzigen Existenzgrund und Legitimationsgrund. Die Bundeswehr ist regelrecht abhängig von unserem freundlichen Feind im Osten. Freundlich deshalb, weil Freund derjenige ist, dessen Leben für mich so wertvoll ist, daß ich es mir wünschte, er soll leben.

Ist das nicht eine merkwürdige Dialektik, wie der Feind zum Freund wird? Wie unbemerkt in der Verhärtung der staatlichen Strukturen sich die Marionetten der Armeen immer ähnlicher werden und alle darin einig sind: mehr Geld für Rüstung, weniger für Soziales. Die Militärs aller Länder, die Rüstungskonzerne und Verteidigungsministerium, kurz: die ganze Vernichtungsbranche unserer Gesellschaft und freien Marktwirtschaft - sie sind zu Kollegen, zu Kumpeln an der Waffe geworden. Computerfachleute, die Raketen programmieren: die Bundeswehr ist ein Industriezweig wie jeder andere. Nein! Wie kein anderer! Die anderen Branchen vertreiben Geräte, mit denen man etwas Praktisches anfangen kann. Sobald man mit den Geräten der Bundeswehr etwas Praktisches anfängt, sterben Menschen. Pro Herbstmanöver ca 12 Tote. Die alljährlichen Menschenopfer der Verteidigungsbereitschaft fürs Vaterland. Schon im Frieden frißt die Bundeswehr Leben von Menschen, zwar nicht viel, aber trotzdem ist jeder tote Soldat einer zuviel.

Liebe Freunde, wir haben die eigenartige Situation, daß die Militärs, die doch im Ernstfall einander töten sollen, stellvertretend für die hilflosen Zivilisten, fürs Vaterland welches sie verteidigen, daß diese Militärs als Berufskollegen Freunde geworden sind: Freunde, die einander brauchen, um leben zu können. Wenn der deutsche Soldat arbeitslos würde, würde nicht auch der in der DDR um seinen Arbeitsplatz fürchten? Also: die zu Feinden gesellschaftlich abgestellten, abgerichteten und zugerichteten Soldaten der Länder sind Freunde geworden. Zwischen ihnen herrscht die Symbiose der gegenseitigen Legitimation ihrer eigenen Expansionsinteressen. Nur die SS 20 hat uns die Chance der Cruise Mißiles gebracht. Rheinmetall, Krauss-Maffei, Heckler & Koch, die ganzen Rüstungsarbeiter! Der Feind hilft, Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie zu sichern. Schade nur, daß man mit den Steuergeldern für einen Arbeitsplatz in der Bundeswehr drei Arbeitsplätze im Sozialsektor oder zwei in der friedlichen Industrieproduktion sichern könnte!

Wenn also schon die Militärs verschwistert und verschwägert sind durch die vielen Ehen zwischen Doppelagenten von hüben und drüben, wo ist er denn dann, der Feind?

Liebe Freunde, wir sind der Feind! Wir, die wir den Atombomben den Rost auf den Schrotthalden wünschen, neu eingeschmolzen zu Flugzeugen für Ferienflüge. Wir sind die wahren Feinde der militärischen Branchen, hüben und drüben. Wir, die sagen: stecke dein Schwert in die Scheide, denn wer das Schwert nimmt, wird auch durchs Schwert umkommen. Wir, die sagen: Christus ist unser Friede, nicht die Drohmacht der Bundeswehr. Wir sind die Feinde der Bundeswehr, weil wir ihr den Tod wünschen. Wir wünschen ihr die Vernichtung, auf den Schrottplatz, nicht auf dem Schlachtfeld wohlgemerkt. Uns ist diese Vernichtung der Bundeswehr auch einiges wert. Dafür sind wir hier und beten und engagieren uns. Die Bundeswehr erscheint uns vernichtenswert. So wie jedes andere Militär und jedes Todeskommando.

Bevor man seine Feinde lieben kann, muß man erstmal welche haben. Ohne Feind keine Feindesliebe. Die Militärs haben es da schwerer als wir. Sie sind ja freundlich geworden durch die Arbeit im Vernichtungssektor. Sie sind sozusagen Geschäftsfreunde. Wir haben es leicht. Unser Feind ist das Militär. Nicht die Soldaten, die Offiziere, die Menschen. Nein die sind unsere Brüder, wenn schon nicht Schwestern. Zwar irrige Brüder, wie man an ihrer Mißachtung der Bergpredigt sieht. Aber Brüder. Unser Feind sind nicht die Menschen in der Bundeswehr, sondern die Struktur, ihre ewig gleiche Legitimation durch das Beschwören der Angriffslust des Feindes aus dem Osten, diese Ideologie der Verteidigung. Das ist der wahre Feind. Dieser böse Geist des Mißtrauens gegen die Russen, nicht gegen die Amerikaner. Und dieser Geist ist nicht nur in den Köpfen der Offiziere, sondern bei so vielen im Land. Nicht einfach Antikommunismus, nein, es ist so etwas wie eine Urangst, bedroht zu werden. Sich zu versichern, vorbeugend schützen zu müssen. Für den nächsten Tag zu sorgen, nicht wie die Lilien auf dem Felde. Und diese neurotische Urangst sucht sich die verschiedensten Objekte, an denen sie sich austoben kann mit politischen Wahnvorstellungen. Ob es Juden waren oder Türken, die uns Arbeitsplätze rauben, ob es Frankreich war oder Russland, immer dieselbe Idee, verfolgt zu werden, sich wehren zu müssen. Noch einmal sage ich: der wahre Feind ist die Urangst vor Bedrohung von außen. Die Angst ist die Wurzel der Abschreckungsposen, Wurzel der Eskalation. Sie wird durch manche Medien noch geschürt. Deshalb sagt der erste Johannesbrief: „Gott ist Liebe. In der Liebe gibt es keine Furcht.“ In der christlichen Hoffnung auf Frieden ist die Liebe zum Feind darin erreicht, daß ich begreife: auch er will nur leben und leben lassen. Der christliche Glaube vertraut dem Freund. Er traut ihm zu, mich nicht vernichten zu wollen.

Weil der wahre Feind unsere eigene Angst, unser eigenes Mißtrauen ist, deshalb kann ein Christ, kann jeder, der diesen Mechanismus durchschaut, den Feind im Osten oder Westen auch wirklich lieben. Gemessen am Teufel in uns selbst ist der Teufel in den Russen gar nicht mehr relevant. Unser Problem ist, mit unserer teuflischen Urangst vor der Vernichtung fertig werden zu sollen. Die Antwort des christlichen Glaubens auf diese Angst lautet: „Gott läßt seine Sonne scheinen auf böse wie auf gute Menschen.“ Wir alle dürfen Leben. Gott hat uns und den Russen ein Recht auf Leben gegeben. Der Russe ist genauso vor und für Gott lebenswert, wie er für die Bundeswehr als Feind vernichtenswert ist. Gott will leben, nicht Mord und Totschlag. Und das heißt: für Gott gibt es keine Feinde mehr. Kein Mensch ist Gottes Feind. Auch kein Tier übrigens. Auch die bösen Menschen sind von Gottes Sonne erwärmt. Sie mögen böse sein und vielleicht auch bleiben - Gott will, daß auch sie leben.

Und darum ist schon die Drohung, das Leben des Bösen aufs Spiel zu setzen, angeblich für den Frieden, - Friedenssicherung nennen sie es - schon die Drohung, schon die Militärübung ist gegen den Lebenswillen Gottes gerichtet.

Unser Feind, der Feind der Christen und der Feind Christi ist das Militär. Insgesamt, besonders aber vor unserer Nase. Wir können diesen Feind deshalb lieben, weil wir annehmen und hoffen, daß kein Soldat wirklich Krieg will. Aber wir haben erkannt, daß er es mit den falschen Mitteln verhindert. Unseren Feind, die Bundeswehr, lieben, das könnte für uns heißen: wissen, daß Gott jeden Soldat liebt. Bitte, jeden! Verstehen, daß auch Soldaten Frieden wollen, wirklich Frieden. Nur der Weg ist falsch. Begreifen, wie sehr die Verteidigungsapostel von Urangst geplagt sind und ihnen das Gottvertrauen erklären, mit dem wir dem Feind im Osten auch Gutes zutrauen: leben und leben lassen. Gottes Sonne über allen. Und dann, mit den Soldaten aller Länder, im Wissen um ihre Arbeitsplatzsorgen und Unerfahrenheit mit den Methoden gewaltfreie Aktionen, mit den Verteidigungsaposteln und Militaristen gemeinsam schrittweise die Zweckmäßigkeit der Abschaffung aller Kriegsgeräte erproben.

Abrüstung gibt es nur mit der mithilfe der Generäle. Die Vernichtung der Bundeswehr wird es nur mit den Soldaten gemeinsam geben. Nicht gegen sie. Das ist der innere Grund, weshalb wir auf die Liebe zu diesem Feind angewiesen sind, um die von ihm ausgehende reale Bedrohung loszuwerden.

Liebe Freunde, stellt euch vor, wir hätten genug mit den Soldaten über Gottes Liebe gesprochen. Und es käme ein Krieg. Und die Bundeswehr würde in Generalstreik treten. Und die Russen wüßten vor Erstaunen nicht mehr, was sie tun sollten. Und würden kopfschüttelnd über soviel Disziplinlosigkeit sagen: So ein aufmüpfiges Volk wollen wir lieber nicht auch noch neben Afghanistan am Hintern haben. Was dann? Amen.