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 Predigt über Phil 3, 7-11

Friedenskirche: 27. Juli 86 und Wichernhaus 3.7.86

Lieder: 249, 1 -3;     99,1-3;     223,1-4;     99,4        

Entscheidung zu Christus oder lebenslanges Lernen

           

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Apostel Paulus weiß selbst nicht so genau, wie es eigentlich ist, wenn ein Mensch Christ wird. Ist es nun ein Knall, nachdem alles anders ist - oder ist es ein Lernprozeß mit allmählichen Erkenntnisfortschritten? Wie wird man Christ? Anscheinend hat das ja bei Paulus mit der plötzlichen Umwertung aller Werte ganz gut geklappt. Statt dem natürlichen Selbstbewußtsein, dem Stolz auf Abstammung, Ausbildung und moralische Integrität als Christenverfolger hat der ehemalige Saulus, alias Paulus nun ein neues Selbstbewußtsein: Er meint, Christus erkannt zu haben und ist darauf stolz. Statt seiner eigenen Gerechtigkeit, seiner moralischen Unbescholtenheit lobt er nun die Gerechtigkeit Gottes, aufgrund des Glaubens. Er lobt den Glauben. Er lobt seinen Glauben. Natürlich hat er den richtigen Glauben. Jetzt, neuerdings. Und der alte Glaube, die jüdisch-pharisäische Gesetzestreue, ist plötzlich Scheiße. Wirtlich. Das einzige Mal, daß dieses Wort in der Bibel vorkommt. Paulus wird regelrecht vulgär. So wie Luther oder Lütge. Er läßt sich hinreißen zum Gassenwort Scheiße.

Die große Wende: Als Jude hat er die Christen verfolgt, weil die Ketzer und Gesetzesbrecher waren in seinen Augen, als Christ zieht er die jüdische Frömmigkeit in den Dreck. Was gleichgeblieben ist trotz christlicher Wende: Irgendetwas muß Saulus-Paulus in den Dreck ziehen, entweder Christen oder Juden. So geht es mit der Wende. Es wird an der Fassade gepinselt, ein Name ändert sich, aber darunter bleibt alles beim alten oder noch schlimmer. Als Christ zetert Paulus gegen Petrus und die anderen Apostel und ehemalige Freunde Jesu von Nazareth. Es ist klar, daß diese Leute, die das jüdische Erbe Jesu noch im Blick haben, für Paulus Hunde sind. Freundlicherweise sagt er nicht Schweine. Aber sein Umgangston und das gesamte Verhalten auf dem Apostelkonzil ist dermaßen geprägt von Verdammungsurteil, daß ich mich wirklich frage, was eigentlich sich nun geändert hat im Leben des Saulus. Meiner Meinung nach gar nichts. Dieser Mann ist der Verfolger geblieben, der er war. Nur die Feinde haben sich geändert. Waren es erst Christen, so sind es jetzt-auch Christen, Christen, die jüdisches Erbe mit Freude tragen. So ist das mit der Wende.

Liebe Gemeinde!

Paulus hat in einem Satz recht, mit dem er sein Gerede von der großen Wende aller Werte korrigiert: Nicht, daß ich es schon ergriffen hätte.-In der Tat, das hat er wohl wirklich nicht. Versteht mich richtig: Ich sage nicht, daß ich, Michael Lütge Christus ergriffen habe, daß ich da besser oder weiter wäre als Paulus. Sicher nicht. Aber es macht mich skeptisch, wenn einer sagt, er hätte von gestern auf heute sein Leben total geändert. Das geht gar nicht. Unsere Seele ist leider oder vielleicht Gott sei Dank kein Computer, den man nur kurz umprogrammieren braucht und schon macht er etwas ganz anderes. Nein, Veränderung geht langsam, sehr sehr langsam. Das hat Paulus nicht begriffen. Es dauert oft Jahre, bis ein depressiver Mensch Lachen kann. Es dauert oft Jahrzehnte, ehe ein Hitzkopf Ruhe bewahren gelernt hat. Es dauert oft Jahrhunderte, ehe eine Gesellschaft die Diskriminierung von Frauen überwunden hat, ehe sich die Rollen von Mann und Frau zu einer ebenbürtigen Partnerschaft entwickelt haben. Es dauert Jahrtausende, ehe die Menschheit ohne Kriege miteinander zu leben gelernt hat. So ist das mit der Wende.

Paulus redet schließlich, fast wie aus besserer Erkenntnis, von Nachjagen, um zu ergreifen, weil er ergriffen ist von Christus. Er geht unter die Jäger. Er gebraucht das Bild vom Wettkampf um eine Trophäe, einen Preis. Der Preis ist das Sein bei Gott im Himmel. Da will er hin. Und dazu müht er sich ab als Christ. Schade, liebe Freunde!

Paulus ist nicht weit vorangekommen mit seiner moralischen Integrität- Warum er Christ geworden? Weil er glaubt, damit besonders günstig zu Gott zu kommen. Er ist scharf auf die Seligkeit. Er will etwas haben. Nur dafür ist er Christ.

Ich finde das irgendwie widerlich. Stellt euch vor, euch geht es nicht gut. Da plötzlich beginnt ein Nachbar oder ein Bekannter, sich rührend um dich zu kümmern. Du fühlst dich aufgehoben, geliebt, bist fast glücklich. Und irgendwann fragst du ihn, warum er soviel für dich getan hat. Und er sagt, er hat es nicht für dich getan, sondern für seine Seligkeit, um in den Himmel zu kommen. Und du dachtest schon, er hätte dich wenigstens ein klein wenig gern. War wohl nichts. Er hat dich nur benutzt für sein Seelenheil. Es hätte auch jemand ganz anderes sein können. Du warst nur ein Gegenstand für seine Mildtätigkeit, ein Objekt, an dem seine Hilfsbereitschaft sich eine Weile ausgetobt hat. Er hat dich nicht gemeint, sondern nur sich, seine Güte wollte er unter Beweis stellen, seinen Edelmut. Du bist nur Medium für ihn. Er liebt dich nicht. Und jetzt, wo du das weißt, möchtest du immer noch, daß er sich um dich kümmert?

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich glaube nicht, daß Christus uns nur deshalb freundlich war, weil er ein paar Idioten brauchte, an denen er seine Freundlichkeit demonstrieren konnte. Christus hat die Menschen nicht um Gottes willen geliebt, sondern um ihrer selbst willen. Weil sie Liebe brauchten, hat er sie geliebt. Weil sie leben wollten, hat er sie geheilt. Weil sie Hunger hatten, hat er sie satt gemacht. Weil sie traurig waren, hat er sie getröstet. Und nicht etwa, weil er in den Himmel wollte. Christus war kein Egoist des Seelenheils. Die Liebe Christi war nicht autistisch gefangen in der Sorge um das eigene Ansehen vor Gott. Christus war kein Angeber, der bestimmte Dinge nur tut, damit gewisse andere Leute bewundernd aufschauen-Christus hat nicht geliebt, um bewundert zu werden, sondern, weil irgend Jemand diese seine Liebe verdammt dringend gebraucht hat.

Der Apostel Paulus hat recht, wenn er sagt, daß er das Geheimnis der Liebe Gottes, den Glauben Jesu Christi noch nicht ergriffen hat. Er hat recht, wenn er sagt, daß er sich bemüht, dem nachzujagen. Damit bringt er das passendere Bild hinein ins Nachdenken über den Glauben.

Der Glaube ist nichts, was man, was ich haben kann. Ich habe weder Gott, noch Christus noch den Heiligen Geist. Es ist scheußlich, wenn Christen so tun, als hätten sie Gott in der Tasche. Paulus sagt etwas, was dann wirklich akzeptabel ist und das Wesen des christlichen Glaubens auch wirklich gut trifft: Nicht ich habe Christus ergriffen, sondern Christus hat mich ergriffen. Dieser Mann, der sein Leben gab für die Armen und Elenden, der keine Angst vor dem Tod hatte, dessen Sanftmut keine Wischiwaschi-Haltung war, sondern gepaart war mit der Fähigkeit, klar seine Meinung zu sagen, ich aber sage euch - dieser Mann hat Christen ergriffen und fasziniert sie so sehr, daß sie beim Wetteifern in seinen Fußstapfen immer wieder merken, wie schwer es ist, zu lieben, wie schwer es ist, nicht der Angst recht zu geben, sondern dem Vertrauen, nicht der Vorsicht die Oberhand zu geben, sondern der Hoffnung. Christen sind am lernen, lebenslang. Christen lernen jeden Tag tiefer und genauer, wie man liebt. Christen lernen jeden Tag tiefer und genauer, wie Gott uns liebt. Sie lernen es nicht durch schöne Worte. Sie lernen es durch ganz kleine Gesten und Zeichen. In diesen kleinsten Zeichen der Güte Gottes wächst das Größte dieser Welt heran. Amen.