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Predigt über 1.Tess. 5,12-22    

Friedenskirche 26. 10. 86

Erlauben als Strategie

Liebe Schwestern und Brüder!
Ich war die letzte Woche im Pastoralkolleg. Wir haben gebetet, gefeiert, nachgedacht  und Gemeinden besucht unter dem Thema: Wie sehe ich in der Gemeinde Energien  christlicher Liebe. Wie kann eine Gemeinde zu einem starken Energiefeld wachsen. Wir  haben darüber gelebt. Wir haben unsere eigenen Energien gespürt. Wir haben uns  miteinander wohlgefühlt, weil jeder den anderen akzeptiert hatte, so wie er war, mit  aller Kuriosität und aller liebenswerten Menschlichkeit. Wir haben eine Gemeinde  besucht und ich war zum Kaffeetrinken bei der Altenkreisleiterin, einer sehr patenten  Frau. Sie erzählte über Konflikte in der Altenrunde. Wenn eine neue Seniorin kommt,  sich unbedacht auf den Stammplatz einer Alteingesessenen setzt, kommt es manchmal  zu recht fiesen Szenen. Und die Leiterin des Seniorenkreises sagte mit viel Liebe: Es  menschelt eben auch manchmal bei uns. Finde ich toll!!! Es menschelt eben auch mal  bei uns. Wie es sein könnte, wenn wir die Menschlichkeit Jesu Christi in unsere Herzen  aufnehmen und damit Christus unter uns Gestalt und Lebenskraft werden lassen, das  beschreibt ja der Predigttext, den Paulus in seinem allerersten Brief überhaupt, an die  griechische Gemeinde von Tessalonike als letzte, abschließende Weisung gibt. Lebt in  Frieden miteinander. Ermutigt die Ängstlichen. Helft den Schwachen, habt mit allen  Geduld. Zahlt nicht Unrecht mit Unrecht zurück. Seid immer fröhlich. Laßt im Beten  nicht nach. Dankt Gott in jeder Lebenslage. Unterdrückt nicht das Wirken des heiligen  Geistes. Die ideale Gemeinde. Als ich hierher kam, habe ich einmal gedacht, die  Friedenskirche soll ein Ort der Liebe werden. Ich denke das nach wie vor. Ich glaube,  wir sind auf dem Weg dahin, ich glaube es nach wie vor. Ich möchte euch erzählen von den Antreibern, die uns alle beherrschen. Der erste  Antreiber sagt mir: Du bist nur dann ein guter Mensch, wenn du in allen Dingen perfekt  bist. Du mußt gut organisieren, alles behalten, was dir jemand sagt, alles richtig machen. Der zweite Antreiber sagt: Du bist nur dann okay, wenn du stark bist. Gib dir nie eine  Blöße. Sei nicht verletzt, beleidigt, traurig. Laß dir nichts anmerken, weder von deinem  Schmerz, noch von deiner Überschwenglichkeit, deiner Verspieltheit, deinem  jugendlichen Leichtsinn. Laß dich nicht gehen. Sei beherrscht. Sei stark. Der dritte Antreiber sagt: Du kannst dich nur dann wirklich gut fühlen, wenn du dich  anstrengst. Sei fleißig, ordentlich. Laßt dich nicht durchhängen. Streng dich an. Die Welt  läßt sich nicht vom Faulbett aus ändern. Du mußt dich engagiert gegen Unrecht wenden.  Du tust zuwenig. Was hast du wieder alles nicht geschafft! Du willst ja etwas erreichen.  Los, tu was! Der vierte Antreiber flüstert dir ins Ohr: Du bist nur okay,wenn du in Eile bist. Es ist  fünf vor Zwölf. Wir müssen die Welt retten, ehe es zu spät ist. Atomraketen, Hunger.  Jedes Ausruhen ist Sünde. Mehr als 6 Stunden Schlaf ist Zeitverschwendung. Wenn  nicht ein Termin den anderen jagt, bist du faul. Wenn du dich beeilst, schaffst du es  schneller, bist eher fertig. Du hast dann mehr Zeit. Also darfst du jetzt keine Zeit  vergeuden. Eile! Der fünfte Antreiber sagt: Du bist nur dann okay, wenn du allen Leuten gefällst. Tu  nichts, was dich in schlechtes Licht bringen könnte. Laß den Widerspruch, er bringt dir  nur Scherereien. Lächele mal ein bißchen so wie Ronni Reagan, dann gewinnst du gleich  ein paar Herzen mehr. Zieh dich gut an, achte auf dein Äußeres. Einen Gammler mag  doch keiner. Einen traurigen meiden auch alle. Also sei immer hübsch fröhlich, lächle,  zeige, daß es dir gut geht. Mach gute Mine zum bösen Spiel, auch wenn es manchmal  schwer fällt. Dann werden die Leute gern deine Gesellschaft suchen. Wenn du mal eine  andere Meinung hast, sage sie nicht. Du könntest dich unbeliebt machen. Tritt nicht in  Fettnäpfchen. Sei vorsichtig mit dem, was du predigst. Laß dich überall mal kurz sehen.  Dann bist du beliebt, dann bist du okay. Liebe Gemeinde! Wer nur stark, perfekt, angestrengt, eilig und gefällig herumläuft - der ideale  Nachbar, Pfarrer, die ideale Ehefrau, Mutter, Presbyterin - ja glaubt ihr wirklich, daß  diese Mustermannexemplare Mensch wirklich geliebt werden? Mit ihrer Stärke drängen  sie andere in den Schatten. Mit ihrer Perfektion gehen sie anderen auf den Wecker. Mit  ihrer Angestrengtheit verbreiten sie Anspannung auch bei den anderen. Mit ihrer Eile  machen sie alle nervös. Mit ihrer gefälligen Art wirken sie unecht und kriecherisch.  Diese Antreiber machen auf die anderen gar keinen so sympathischen Eindruck. Und  doch sind wir alle pausenlos dabei, uns von den Idealen Stärke, Perfektion, Fleiß treiben  zu lassen in unserem Leben zuhause, im Beruf und in der Kirche. Die anderen sind also nicht wirklich glücklich durch meinen Fleiß, meine Stärke,  meine Eile, meine Perfektheit. Sie denken vielleicht: Ach der Lütge, ein toller Hecht.  Aber glücklich sind sie von diesem Gedanken nicht. Glücklicherweise bin gerade ich  kein so ein toller Hecht, sondern von alle den Idealen das ziemliche Gegenteil. Aber  weiter im Gedankengang.Bin denn wenigstens ich glücklich, als Starker, Fleißiger,  Eiliger, Angestrengter, Pünktlicher, Artiger? Was meint ihr? - Ich glaube, es macht einen  hochgradig unglücklich, so im Streß zu stehen, seine wahre Meinung immer hinter der  Idealfassade zu verbergen. Unsere Antreiber fordern von uns ewiges Versteckspielen.  Darum lassen sie uns nicht uns selbst sein. Sie fälschen uns. Wir werden falsch. Das  macht uns auf Dauer kaputt.  Was also tun? Laß euch nicht antreiben! Tut nur, wozu ihr ein gutes Gefühl habt.  Fühlt euch nicht verpflichtet, etwas zu tun. Überlegt euch, ob ihr es nicht vielleicht auch  ganz gerne wollt. Vielleicht macht es euch ja auch Spaß, beim Gemeindefest irgendeine  Aufgabe zu übernehmen, Kuchen zu backen, eine kranke Nachbarin einmal zu  bemuttern, einem traurigen Freund lange zuzuhören. Vielleicht seid ihr viel mehr  erleichtert, wenn ihr mal einem, den ihr nicht leiden könnt, sagt, was euch an ihm stört.  Vielleicht kann er dir dann erklären, wieso er so komische Sachen tut, die dich nerven.  Gönne dir mal einen Tag Faulheit. Was meinst du, was dir alles für gute Einfälle  kommen werden für deine Arbeit. Viele Sachen, die du in all deiner Eile übersehen hast,  werden dir dann klar. Du wirst ruhiger in dir selbst. Du bist entspannter. Du reagierst  weniger gereizt. Du forderst von anderen nicht auch immer wieder, daß sie sich  kaputtmachen für die Arbeit. Du läßt ihnen Raum zum Atmen. Sie können aufatmen  und auch so ruhig werden wie du. Ich möchte das einmal mit euch probieren, jetzt hier.  Setzt euch bequem hin. Macht die Augen zu. Atmet tief aus. Atmet wieder ein. Wartet  ein wenig. Atmet wieder aus, ganz lange und tief. Entspannt euch. Laßt eure Arme ganz  schwer werden. Laßt euren Gedanken einmal freien Lauf und träumt eine Weile einfach  vor euch hin. Merkt ihr, wie gut das tut? Stellt euch vor, unsere Friedenskirche ist ein Haus, wo ihr  öfter zum gemeinsamen Träumen hingeht. Ohne weitere Projekte und Pläne, außer  miteinander erzählen, Kaffee trinken, sich wohl fühlen, zuhören und selbst von sich  etwas preisgeben. Das braucht ihr doch. Das brauche ich auch.  Dann kommt der Ralf und hat vor, eine Massagegruppe für junge Leute  aufzumachen und Gottesdienste mit Abendmahl und Gespräch statt Predigt und viel  ruhiger Musik und Räucherstäbchen und Kerzen und am Boden sitzen und indisch essen  und einer stillen, schweigenden Form des Gebets zu machen. So wie wir es von der  liturgischen Nacht mit Peter Janssens her kennen, so wie es die Jugend auf den  Kirchentagen mit den Älteren zusammen feiert. Und jetzt kommen einige daher und  sagen: Ist das denn rechter Gottesdienst. Das ist doch Schweinskram, mit Massage. Und  dieselben Leute sehe ich dann vielleicht dann bei Herrn Starzetz in der Schulstr. wieder.  Von wegen Massage ist Schweinskram. Wenn sie selbst massiert werden mit der  schmerzenden Schulter, dann ist es plötzlich Heilbehandlung. Aber im Gottesdienst  durch Massage Verkrampfung lösen, das ist und bleibt Schweinskram. Ich habe diese Situation erfunden. Aber sie ist denkbar. Und jetzt sage ich euch, was  auch der Apostel Paulus zu diesem Problem gesagt hat: Unterdrückt nicht das Wirken  des heiligen Geistes. Prüft alles, das Gute behaltet. Warum kann sich der Geist der  Liebe Gottes denn nicht auch in Massage äußern, im stillen Gebet. Warum kann denn  Gottesdienst nicht auch auf dem Boden knieen oder sitzend gefeiert werden wie in  Taize? Wer sagt denn, daß unsere Art des Gottesdienst feierns die einzig richtige ist?  Früher, bei Paulus, gab es die Zungenrede, wo einer in Extase geriet in der  Gemeindeversammlung und sinnlose Wortfetzen vor sich hinbabbelte schlimmer als ein  Wahnsinniger. Und ein anderer übersetzte dann solche Wortergüsse in Sprache. In  Evangelium. In frohe Botschaft. Für uns wäre das heute undenkbar, wenn plötzlich  einer hier herumflippen würde und sich wie im Tollhaus aufführen würde. Aber das war  früher Höhepunkt des Gottesdienstes. So verschieden kann Kirche in ihren  Lebensäußerungen sein. Und darum sagt Paulus: Unterdrückt nicht das Wirken des  Geistes. Laßt die Zungenredner babbeln und ausflippen. Bremst sie nicht.  Bremst sie nicht. Laßt die Jugendlichen neue Formen des Gottesdienstes erproben.  Laßt sie suchen nach Formen, wie Gottes Liebe unter uns lebendig wird. Dann wird  unsere Gemeinde blühen. Habt keine Angst vor Entartung. Entartete Kunst war vor 50  Jahren die nackte Wahrheit. Nicht dressieren ist das angemessene Verhalten gegen den  Heiligen Geist, der vielleicht ja heute in einer Massage zu uns kommen will statt in  einem guten Wort. Zulassen, nicht ersticken, nicht auslöschen - das sind die einfachen  Verhaltensweisen, mit denen ihr dem Heiligen Geist freie Bahn laßt. Oder seid ihr euch  so sicher, zu wissen, daß der Heilige Geist gegen Massage ist? Dann geht bloß nicht zum  Masseur! Dann bleibt mit euren schmerzenden Schultern und Rücken zuhause und  betet, daß die Spannungen von allein weggehen.  Glaubt nicht, ihr hebt allein die Wahrheit und den Weg gefunden. Gottes Geist weiß  vielleicht noch mehr Wege. Laß ihn wirken, diesen Geist der Liebe und Freundlichkeit,  des Friedens und der Gerechtigkeit. Laßt ihn seine Formen selbst finden. Stellt euch  nicht ihm entgegen. Laßt euch vielmehr von ihm begeistern. Dann wird uns das Leben  zuteil. Amen.