Liebe Schwestern und Brüder!
Ich war die letzte Woche im Pastoralkolleg. Wir haben gebetet,
gefeiert, nachgedacht und Gemeinden besucht unter dem Thema:
Wie sehe ich in der Gemeinde Energien christlicher Liebe. Wie
kann eine Gemeinde zu einem starken Energiefeld wachsen. Wir
haben darüber gelebt. Wir haben unsere eigenen Energien
gespürt. Wir haben uns miteinander
wohlgefühlt, weil jeder den anderen akzeptiert hatte, so wie
er war, mit aller Kuriosität und aller liebenswerten
Menschlichkeit. Wir haben eine Gemeinde besucht und ich war
zum Kaffeetrinken bei der Altenkreisleiterin, einer sehr
patenten Frau. Sie erzählte über Konflikte
in der Altenrunde. Wenn eine neue Seniorin kommt, sich
unbedacht auf den Stammplatz einer Alteingesessenen setzt, kommt es
manchmal zu recht fiesen Szenen. Und die Leiterin des
Seniorenkreises sagte mit viel Liebe: Es menschelt eben auch
manchmal bei uns. Finde ich toll!!! Es menschelt eben auch
mal bei uns. Wie es sein könnte, wenn wir die
Menschlichkeit Jesu Christi in unsere Herzen aufnehmen und
damit Christus unter uns Gestalt und Lebenskraft werden lassen,
das beschreibt ja der Predigttext, den Paulus in seinem
allerersten Brief überhaupt, an die griechische
Gemeinde von Tessalonike als letzte, abschließende Weisung
gibt. Lebt in Frieden miteinander. Ermutigt die
Ängstlichen. Helft den Schwachen, habt mit allen
Geduld. Zahlt nicht Unrecht mit Unrecht zurück. Seid immer
fröhlich. Laßt im Beten nicht nach. Dankt
Gott in jeder Lebenslage. Unterdrückt nicht das Wirken des
heiligen Geistes. Die ideale Gemeinde. Als ich hierher kam,
habe ich einmal gedacht, die Friedenskirche soll ein Ort der
Liebe werden. Ich denke das nach wie vor. Ich glaube, wir
sind auf dem Weg dahin, ich glaube es nach wie vor. Ich möchte
euch erzählen von den Antreibern, die uns alle beherrschen.
Der erste Antreiber sagt mir: Du bist nur dann ein guter
Mensch, wenn du in allen Dingen perfekt bist. Du
mußt gut organisieren, alles behalten, was dir jemand sagt,
alles richtig machen. Der zweite Antreiber sagt: Du bist nur dann okay,
wenn du stark bist. Gib dir nie eine
Blöße. Sei nicht verletzt, beleidigt, traurig.
Laß dir nichts anmerken, weder von deinem Schmerz,
noch von deiner Überschwenglichkeit, deiner Verspieltheit,
deinem jugendlichen Leichtsinn. Laß dich nicht
gehen. Sei beherrscht. Sei stark. Der dritte Antreiber sagt: Du kannst
dich nur dann wirklich gut fühlen, wenn du dich
anstrengst. Sei fleißig, ordentlich. Laßt dich
nicht durchhängen. Streng dich an. Die Welt
läßt sich nicht vom Faulbett aus ändern. Du
mußt dich engagiert gegen Unrecht wenden. Du tust
zuwenig. Was hast du wieder alles nicht geschafft! Du willst ja etwas
erreichen. Los, tu was! Der vierte Antreiber
flüstert dir ins Ohr: Du bist nur okay,wenn du in Eile bist.
Es ist fünf vor Zwölf. Wir müssen
die Welt retten, ehe es zu spät ist. Atomraketen,
Hunger. Jedes Ausruhen ist Sünde. Mehr als 6 Stunden
Schlaf ist Zeitverschwendung. Wenn nicht ein Termin den
anderen jagt, bist du faul. Wenn du dich beeilst, schaffst du
es schneller, bist eher fertig. Du hast dann mehr Zeit. Also
darfst du jetzt keine Zeit vergeuden. Eile! Der
fünfte Antreiber sagt: Du bist nur dann okay, wenn du allen
Leuten gefällst. Tu nichts, was dich in schlechtes
Licht bringen könnte. Laß den Widerspruch, er bringt
dir nur Scherereien. Lächele mal ein
bißchen so wie Ronni Reagan, dann gewinnst du
gleich ein paar Herzen mehr. Zieh dich gut an, achte auf dein
Äußeres. Einen Gammler mag doch keiner.
Einen traurigen meiden auch alle. Also sei immer hübsch
fröhlich, lächle, zeige, daß es
dir gut geht. Mach gute Mine zum bösen Spiel, auch wenn es
manchmal schwer fällt. Dann werden die Leute gern
deine Gesellschaft suchen. Wenn du mal eine andere Meinung
hast, sage sie nicht. Du könntest dich unbeliebt machen. Tritt
nicht in Fettnäpfchen. Sei vorsichtig mit dem, was
du predigst. Laß dich überall mal kurz
sehen. Dann bist du beliebt, dann bist du okay. Liebe
Gemeinde! Wer nur stark, perfekt, angestrengt, eilig und
gefällig herumläuft - der ideale Nachbar,
Pfarrer, die ideale Ehefrau, Mutter, Presbyterin - ja glaubt ihr
wirklich, daß diese Mustermannexemplare Mensch
wirklich geliebt werden? Mit ihrer Stärke
drängen sie andere in den Schatten. Mit ihrer
Perfektion gehen sie anderen auf den Wecker. Mit ihrer
Angestrengtheit verbreiten sie Anspannung auch bei den anderen. Mit
ihrer Eile machen sie alle nervös. Mit ihrer
gefälligen Art wirken sie unecht und kriecherisch.
Diese Antreiber machen auf die anderen gar keinen so sympathischen
Eindruck. Und doch sind wir alle pausenlos dabei, uns von den
Idealen Stärke, Perfektion, Fleiß treiben
zu lassen in unserem Leben zuhause, im Beruf und in der Kirche. Die
anderen sind also nicht wirklich glücklich durch meinen
Fleiß, meine Stärke, meine Eile, meine
Perfektheit. Sie denken vielleicht: Ach der Lütge, ein toller
Hecht. Aber glücklich sind sie von diesem Gedanken
nicht. Glücklicherweise bin gerade ich kein so ein
toller Hecht, sondern von alle den Idealen das ziemliche Gegenteil.
Aber weiter im Gedankengang.Bin denn wenigstens ich
glücklich, als Starker, Fleißiger,
Eiliger, Angestrengter, Pünktlicher, Artiger? Was meint ihr? -
Ich glaube, es macht einen hochgradig unglücklich,
so im Streß zu stehen, seine wahre Meinung immer hinter
der Idealfassade zu verbergen. Unsere Antreiber fordern von
uns ewiges Versteckspielen. Darum lassen sie uns nicht uns
selbst sein. Sie fälschen uns. Wir werden falsch.
Das macht uns auf Dauer kaputt. Was also tun?
Laß euch nicht antreiben! Tut nur, wozu ihr ein gutes
Gefühl habt. Fühlt euch nicht verpflichtet,
etwas zu tun. Überlegt euch, ob ihr es nicht vielleicht
auch ganz gerne wollt. Vielleicht macht es euch ja auch
Spaß, beim Gemeindefest irgendeine Aufgabe zu
übernehmen, Kuchen zu backen, eine kranke Nachbarin einmal
zu bemuttern, einem traurigen Freund lange
zuzuhören. Vielleicht seid ihr viel mehr
erleichtert, wenn ihr mal einem, den ihr nicht leiden könnt,
sagt, was euch an ihm stört. Vielleicht kann er dir
dann erklären, wieso er so komische Sachen tut, die dich
nerven. Gönne dir mal einen Tag Faulheit. Was meinst
du, was dir alles für gute Einfälle kommen
werden für deine Arbeit. Viele Sachen, die du in all deiner
Eile übersehen hast, werden dir dann klar. Du wirst
ruhiger in dir selbst. Du bist entspannter. Du reagierst
weniger gereizt. Du forderst von anderen nicht auch immer wieder,
daß sie sich kaputtmachen für die Arbeit.
Du läßt ihnen Raum zum Atmen. Sie können
aufatmen und auch so ruhig werden wie du. Ich möchte
das einmal mit euch probieren, jetzt hier. Setzt euch bequem
hin. Macht die Augen zu. Atmet tief aus. Atmet wieder ein.
Wartet ein wenig. Atmet wieder aus, ganz lange und tief.
Entspannt euch. Laßt eure Arme ganz schwer werden.
Laßt euren Gedanken einmal freien Lauf und träumt
eine Weile einfach vor euch hin. Merkt ihr, wie gut das tut?
Stellt euch vor, unsere Friedenskirche ist ein Haus, wo ihr
öfter zum gemeinsamen Träumen hingeht. Ohne weitere
Projekte und Pläne, außer miteinander
erzählen, Kaffee trinken, sich wohl fühlen,
zuhören und selbst von sich etwas preisgeben. Das
braucht ihr doch. Das brauche ich auch. Dann kommt der Ralf
und hat vor, eine Massagegruppe für junge Leute
aufzumachen und Gottesdienste mit Abendmahl und Gespräch statt
Predigt und viel ruhiger Musik und
Räucherstäbchen und Kerzen und am Boden sitzen und
indisch essen und einer stillen, schweigenden Form des Gebets
zu machen. So wie wir es von der liturgischen Nacht mit Peter
Janssens her kennen, so wie es die Jugend auf den
Kirchentagen mit den Älteren zusammen feiert. Und jetzt kommen
einige daher und sagen: Ist das denn rechter Gottesdienst.
Das ist doch Schweinskram, mit Massage. Und dieselben Leute
sehe ich dann vielleicht dann bei Herrn Starzetz in der Schulstr.
wieder. Von wegen Massage ist Schweinskram. Wenn sie selbst
massiert werden mit der schmerzenden Schulter, dann ist es
plötzlich Heilbehandlung. Aber im Gottesdienst durch
Massage Verkrampfung lösen, das ist und bleibt Schweinskram.
Ich habe diese Situation erfunden. Aber sie ist denkbar. Und jetzt sage
ich euch, was auch der Apostel Paulus zu diesem Problem
gesagt hat: Unterdrückt nicht das Wirken des
heiligen Geistes. Prüft alles, das Gute behaltet. Warum kann
sich der Geist der Liebe Gottes denn nicht auch in Massage
äußern, im stillen Gebet. Warum kann denn
Gottesdienst nicht auch auf dem Boden knieen oder sitzend gefeiert
werden wie in Taize? Wer sagt denn, daß unsere Art
des Gottesdienst feierns die einzig richtige ist?
Früher, bei Paulus, gab es die Zungenrede, wo einer in Extase
geriet in der Gemeindeversammlung und sinnlose Wortfetzen vor
sich hinbabbelte schlimmer als ein Wahnsinniger. Und ein
anderer übersetzte dann solche Wortergüsse in
Sprache. In Evangelium. In frohe Botschaft. Für uns
wäre das heute undenkbar, wenn plötzlich
einer hier herumflippen würde und sich wie im Tollhaus
aufführen würde. Aber das war
früher Höhepunkt des Gottesdienstes. So verschieden
kann Kirche in ihren Lebensäußerungen
sein. Und darum sagt Paulus: Unterdrückt nicht das Wirken
des Geistes. Laßt die Zungenredner babbeln und
ausflippen. Bremst sie nicht. Bremst sie nicht.
Laßt die Jugendlichen neue Formen des Gottesdienstes
erproben. Laßt sie suchen nach Formen, wie Gottes
Liebe unter uns lebendig wird. Dann wird unsere Gemeinde
blühen. Habt keine Angst vor Entartung. Entartete Kunst war
vor 50 Jahren die nackte Wahrheit. Nicht dressieren ist das
angemessene Verhalten gegen den Heiligen Geist, der
vielleicht ja heute in einer Massage zu uns kommen will statt
in einem guten Wort. Zulassen, nicht ersticken, nicht
auslöschen - das sind die einfachen
Verhaltensweisen, mit denen ihr dem Heiligen Geist freie Bahn
laßt. Oder seid ihr euch so sicher, zu wissen,
daß der Heilige Geist gegen Massage ist? Dann geht
bloß nicht zum Masseur! Dann bleibt mit euren
schmerzenden Schultern und Rücken zuhause und betet,
daß die Spannungen von allein weggehen. Glaubt
nicht, ihr hebt allein die Wahrheit und den Weg gefunden. Gottes Geist
weiß vielleicht noch mehr Wege. Laß ihn
wirken, diesen Geist der Liebe und Freundlichkeit, des
Friedens und der Gerechtigkeit. Laßt ihn seine Formen selbst
finden. Stellt euch nicht ihm entgegen. Laßt euch
vielmehr von ihm begeistern. Dann wird uns das Leben zuteil.
Amen.