Liebe Schwestern und Brüder!"
Ihr Schlangenbrut, ihr Natterngezücht!" Würde ich das
zu euch sagen, hätten gleich wieder einige mit Meier
zu telephonieren. Ich wundere mich auch kaum darüber,
daß der König Herodes Johannes hat
hinrichten lassen, weil Johannes da einige kritische
Bemerkungen gemacht hat über die königlichen
Sexualbeziehungen. Ich wundere mich auch nicht, daß
Jesus, der Schüler des Johannes, hingerichtet wurde, nachdem
er in Jerusalem schärfer als je zuvor die
Schriftgelehrten angegriffen hatte: Weh euch, ihr
Schriftgelehrten und Pharisäer, die ihr
weißgestrichenen Gräbern gleich seid, von
außen schön, drinnen aber voll Knochen und
Verwestem. So erscheint auch ihr auswendig den Menschen als
gerecht, inwendig aber seid ihr voll von Heuchelei und
Gesetzesverachtung.(Mt 23,27f) Worüber ich mich wundere,
daß wir diese Texte, Erzählungen über
solche Männer und ihre gesammelten Dreistigkeiten,
seit Jahrhunderten mit uns herumtragen und zum Teil schon gar
nicht mehr wahrhaben wollen, wie frech die Männer der Bibel
wirklich waren. Es ist kein sehr verwunderliches Ding,
daß solche Propheten tödlich enden. Jesus
hat das auch gewußt: Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten
tötet und die steinigt, die zu ihm gesandt sind, wie
oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre
Kücken unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt es
nicht gewollt. Siehe, euer Haus wird öde
gelassen.(Mt 23,37f) Es ist mehr als Zufall, daß Jesus in
Jerusalem in den letzten Tagen vor seiner Verhaftung ganz
genau die gleichen Bilder und Worte gebraucht, wie der
Bußprediger Johannes. Der kam aus der
Wüste, nach Markus mit Kamelhaarmantel und
Heuschreckennahrung genau wie der Prophet Elia. Und Elia, von dem es im
1. Buch der Könige einen ganzen Sagenkranz gibt, hat
vehement der Baalsreligion der Kanaanäer
entgegengewirkt, gegen Kinderopfer gekämpft und die
Könige hart angegriffen, weil sie aus
Nützlichkeitsüberlegungen ihren Glauben an Gott, den
Befreier aus Ägyptenland, aufgegeben haben. Dieser
wackere Prophet Elia ist dem Johannes das Vorbild. Wie er
lebt Johannes in der Wüste, dem Ort, wo Gott in der Stille am
Nähsten ist, dem Ort, wo man vom Trubel des Alltags
nicht betriebsblind herumläuft, sondern die
Horizonte sieht, zwischen denen wir leben. Johannes lebt wie
Elia da, wo man zu sich kommt - entfernt vom Streß.
Er hat Zeit, nachzudenken, ob die Menschen so richtig leben, wie
sie leben. Er trifft in der Stille und Einsamkeit der
Wüste Gott. Und Gottes Wort ergeht in sein
Nachdenken hinein, so wie Gott auch den Propheten Elia angesprochen hat
und ihm Aufträge gegeben hat, öffentlich zu
sagen, was recht ist und was gegen Gottes Willen. So predigt
auch Johannes das, was er in der Einsamkeit der Wüste von
Gott gesagt bekommen hat. Und scheinbar ist Gottes Wort im
Mund der Propheten selten Süßholz, so wie
es von der Kanzel gern gehört wird. Es ist harte Rede.
Ihr Natterngezücht, sagt Johannes. Ihr
Natterngezücht, sagt Jesus, sein Schüler.
Beide lebten nicht mehr lange danach. Johannes
erklärt, daß Gottes Gericht nahe bevorsteht. Ein
hartes Gericht. Schon mittelmäßig gute
Obstbäume werden ausgerissen und ins Feuer geworden, es sollen
nur die wirklich guten Obstbäume zur Zucht
übrig bleiben. Klar, denn bei dem wenigen nutzbaren
Land in Israel ist das Stückchen Land, was ein schlechter Baum
besetzt hält, vergeudete Anbaufläche. Man
kann sich bei so wenig gutem Land keine schlechten
Bäume darauf leisten. Wir können uns rein theoretisch
in der Kirche auch keine schlechten Bäume leisten.
Durch die Schwammigkeit und mangelnde Klarheit in vielen
Fragen der Menschlichkeit haben wir, die Kirche, viele Menschen
enttäuscht. Nur keinem auf die
Füße treten, das war die Devise. Mittlererweile hat
sich da gerade in den oberen Etagen der Kirche viel getan:
die Stellungnahmen der obersten Synoden zu Fragen wie
Umweltzerstörung, Tschernobyl und Ausstieg aus
Atomenergie, Ausbeutung der armen Welt und Atomraketen - sie
sind klar und unmißverständlich geworden
und auch sehr unbequem und ärgerlich für gewisse,
meist sehr reiche Teile der Bevölkerung. Ich glaube,
daß diese neue Entschiedenheit und scharfe Klarheit
unserer kirchlichen Erklärungen nicht nur dem Reden Johannes
des Täufers angemessener sind als das bisherige
Wischiwaschi der Denkschriften, sondern daß auch
unsere Leute von der Kirche ein klares Wort hören wollen.
Selbst wenn es manchmal unbequem ist, weil es von mir
verlangt, meinen Lebensstil zu ändern. Auch
für unsere Kirche gilt heute wieder Qualität statt
Quantität: Nicht möglichst viele
Bäume auf dem Acker, sondern möglichst gute. Die
schlechten verbrauchen nur unnötig
Nährstoffe des Bodens, also weg damit, verzichten. Gericht
Gottes kann heißen: In der Kirche von dem Gedanken
wegzukommen: Wie schön, wenns voll ist, auch wenn
weniger fruchtbare Bäumchen dabei sind - hin zum Gedanken: Die
Nährkraft Gottes soll für die wenigen zur
Stärkung dienen, die ihr Leben ganz unter die Herrschaft
Jesu stellen wollen und das auch tun, was er getan und gesagt
hat. Vielleicht wird es uns irgendwann einmal, vielleicht
sogar unter dem Druck von rückläufigen Finanzen,
klar, daß unsere Kirche aus ihrer Service-Pose "Wir
sind für alle da!" in die Position der Jesus
Christus nachfolgenden und seinen Leidensweg mitgehenden kleinen Schaar
Christi werden muß. Noch sind wir in der Kirche
nicht damit angefangen, geschweige denn fertig geworden, zu
überlegen, was es angesichts eines Kirchenbaus für
3,6 Millionen DM heißt: Wer zwei Röcke
hat, gebe einen dem, der keinen hat. Und wer Speise hat, tue
ebenso! Wir haben als Kirche einen schlechten Ruf. Eben deshalb, weil
viele Leute das Mißverhältnis zwischen dem
Reichtum der Kirchen und der Armut Jesu nicht verstehen. Die
Zolleintreiber der Römer hatten damals auch einen schlechten
Ruf, wegen gewisser Nebeneinkünfte. Das verbindet.
Johannes der Täufer predigt diesen Herren: Nehmt den
Leuten nicht mehr ab, als es eure Pflicht ist. Keine
Nebeneinkünfte, keine überhöhten
Forderungen, keine Bestechungsaffairen. Ich will das für uns
heutige Gemeinde übersetzen: Geht sparsam und
verantwortungsbewußt mit dem Geld um, was euch vom
Kirchensteuerzahler anvertraut ist. Überlegt, was wirklich
nötig ist. Bemüht euch um kleine
Lösungen, nicht immer nur um die großen. Findet
einen bescheideneren Lebensstil. Das ist nicht viel,
vielleicht viel zu wenig. Aber darin, daß Gottes
Bußforderung im Munde der Täuferjohannes an die
Zöllner nicht gleich die totale Revolution
heraufbeschwört, sondern schon kleine Schritte als den Anfang
des neuen Lebens akzeptiert, daran sehen wir mitten in der
unerbittlichen Härte des
bäumeausreißenden Gerichts Gottes Spuren der Gnade,
die schon mit ganz wenig gutem Willen zufrieden ist, die
schon den kleinen Anfang als die ganze Buße nimmt.
Nur das ist entscheidend: ob wir diesen kleinen Anfang machen
oder nicht. Ich habe kaum noch Illusionen über den
Erfolg meiner Moralpredigten. Das ist nicht in, wenn man
neben Gottes Liebe zu uns auch noch Gottes Willen anbringt. Wir wollen
uns nicht ändern, weil das so unbequem ist. Und
darum wehren wir uns gegen den, der daherkommt mit
Moralpredigt. Ich gestehe, mir geht es so ähnlich. Wenn mir
jemand sagt, ich muß meinen Vorgarten besser
pflegen, dann denke ich auch: Warum macht er das nicht, wenn
es ihn so sehr stört und mich gar nicht. So ist das mit
Moralpredigt. Sie geht hier rein, da raus. Weil wir es von
klein auf gewohnt sind und gelernt haben, abzuschalten, wenn
die alte Leier wieder los geht. Aber trotzdem steht in der
Bibel: Ändert euer Leben. Wer zwei Röcke
hat, wer Speise hat, der soll teilen. Und mitten in dieser Moralpredigt
kommt für die reichen Zöllner dann die
große Milde des kleinen Anfangs: Verzichtet auf
euere Nebeneinkünfte. Nehmt die Leute nicht ganz so
doll aus wie bisher. Macht einen ganz kleinen Anfang in der
Bereitschaft zum Teilen. Seid nur ein ganz kleines
bißchen sozial. Dann dürft ihr Bodenrecht
behalten im Acker Gottes. Dann besteht ihr im Gericht. So wenig will
Gott. Nur einen kleinen Schritt. Ich möchte,
daß jeder sich überlegt, was für ihn solch
ein kleiner, also wirklich kein großer Schritt
wäre, ein klitzekleiner Schritt auf dem Wege zum
Miteinanderteilen, zum Abgeben von Reichtum an die Armen. Und dann
wünsche ich uns allen viel Freude dabei, diesen
winzigen Schritt zu tun. Denn das ist der kleine Schritt, mit
dem Gottes Herrlichkeit heranmarschiert kommt auf der neuen
Trasse durch Berge und Täler der Wüste.
Viele winzige Schritte sind es, die im ganzen etwas
Großes Neues ergeben: "und alles Fleisch soll das Heil Gottes
sehen". Amen.