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Predigt   über Mt. 2,13-23    

Friedenskirche  28.12.86

Die Welt, in der Kinder gemordet werden. 

Liebe Freunde!
Es ist nichts neues, daß in dieser Welt Kinder gemordet werden. Berichte des  Kinderschutzbundes über Kindesmißhandlungen mit einer hohen Dunkelziffer, Bilder  von verstümmelten Kindern, denen die Eltern vorsätzlich etwas abgehackt haben, damit  sie bessere Chancen beim Betteln haben, besser das Mitleid der Touristen erregen  können, Bilder von Müttern, die sich in Argentinien angekettet haben auf einem großen  Platz und Schilder mit den Fotos und Namen ihrer von den Militärs zu Tode gefolterten  und in Einzelteile zerschnittenen Kinder hochhalten mit der Frage: Wo sind sie  geblieben, unsere angeblich verschwundenen Kinder? - Bilder von Hunderten  iranischer Kinder, die sich vor die irakischen Panzer legen und totfahren lassen, mit dem  Glauben, danach sei ihnen der Himmel offen 40.000 Kinder sterben pro Tag, 15 Millionen Kinder pro Jahr. Alle 2 Sekunden stirbt  ein Kinder an Hunger auf dieser Welt, die genug Brot hat, um alle satt zu machen. Herodes läßt alle Kinder töten, die im Alter Jesu sind, in der Hoffnung, Jesus ist mit  dabei. Die Geschichte ist erfunden, kein einziger Hinweis auf diesen Kindermord bei  dem sonst recht ausführlichen jüdischen Geschichtsschreiber Josephus. Gott sei Dank,  ganz so grausam war Herodes also scheinbar nicht. Scheinbar! Wäre er nicht so grausam  gewesen, hätte dem Matthäus damals ja kein Mensch die Geschichte geglaubt. Auch  wenn sie so nicht stimmt, die Story vom Kindermord, sie erzählt etwas, was Herodes  durchaus zuzutrauen war, nach allem, was wir über ihn wissen. Er war bekannt für sein  Mißtrauen und sein unberechenbares Wüten, für seine Grausamkeit. Erfundene  Geschichte vom Kindermord erzählt blutige Wahrheit eines Tyrannen. So ist das mit der  geschichtlichen Unwahrheit, die die Bibel enthält. Meist ist eben mehr dran, als man  sich träumen läßt. Auch fingiert ist vermutlich die Flucht nach Ägypten, das Warten und die Rückkehr.  Matthäus will damit etwas sagen, was ihm speziell wichtig ist. Er sieht in Jesus den neuen  Moses, in seinem Gesetz die erneuerten 10 Gebote. Also wird das Leben Jesu in einen  Erzählrahmen eingepaßt, daß es fast parallel verläuft zu dem Leben des Mose. Wie  Mose die Gottesschaar aus Ägypten nach Israel führt, so kommt eben auch Jesus aus  Ägypten nach Israel. Wie Mose Glück hatte, von der Tötung der Erstgeborenen durch  die Truppen des Pharao verschont zu bleiben, so entkommt auch Jesus mit Gottes Hilfe  durch eine Traumoffenbarung an Papa Joseph. Wie Mose das Gesetz auf einem Berg  von Gott empfängt, so redet eben Jesus auf einem Berg die Ordnung des neuen Lebens  im Reich Gottes. Die Bergpredigt ist die Neuauflage der Sinaioffenbarung, die neuen 10  Gebote. Wie Moses die Freiheit erkämpft, so erkämpft Jesus eben auch Freiheit, die  Freiheit der Kinder Gottes. Kinder haben ja zu Gott ein besonders gutes Verhältnis.  Jesus mag Kinder. Er sagt, daß sie Gott am nächsten sind und daß wir alle Kinder Gottes  sein können, wenn wir die Kinderqualität in uns wiederentdecken und bejahen. Und diese Kinder, die Gott so lieb hat, werden abgeschlachtet, müssen herhalten, um  Jesus zu tarnen, um ihn zu decken. Normalerweise sagen wir: Christus starb für uns.  Jetzt lesen wir aber: Kinder starben für Jesus. Verlangt also der Heiland als Kind schon  Menschenopfer? Es ist eine schlimme und böse Geschichte. Matthäus zitiert drei Stellen vom Alten Testament, um zu demonstrieren, wie durch  dieses Geschick Jesu sich alte Prophezeiungen erfüllt haben. Auch das ist eine  interessante Sache, die Idee, Jesus sei die Erfüllung der Verheißungen des Alten  Testaments. In der Tat kommt dieses Motiv in fast allen neutestamentlichen Schriften  vor. Damals suchte man nach einer Antwort auf die Unerklärlichkeit und Trostlosigkeit  dieses erbärmlichen Todes Jesu. Und man las mit diesem Warum, warum auf den  Lippen die damalige Bibel. Und so begann man, viele Stellen aus dem ursprünglichen  Zusammenhang herauszureißen und als Vorankündigung des Schicksals Jesu zu lesen,  wenn man irgendetwas fand, was dem Geschick Jesu ähnlich war. Und so kam es immer  mehr dazu, daß bestimmte Worte vom Leiden des Gottesknechtes als Aussagen über  Jesus gelesen wurden und nicht etwa, wie im alten Testament beabsichtigt, als Aussagen  über das Leiden des Propheten Jesaja oder Jeremia. Man bezog so ungefähr alles auf  Jesus, was im AT stand. So kommt eben auch Matthäus zu diesem Schema: Das und das  mußte passieren, damit die Schriften erfüllt werden, die da sagen: So und So und So. Ich  möchte nicht auf die Einzelheiten unseres Textes genauer eingehen. Die Zitate von  Hosea 1,1: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. - von Jeremia 31,15 über die  ihre Kinder betrauernde Mutter - sie sind recht wahllos aus der Bibel herausgeholt wie  alte Archivbilder zu Zeitungsartikeln, wenn der Pressefotograf keine Zeit für ein neues  Bild hat. Es paßt mehr schlecht als recht. Unwichtig. Wichtig bleibt bei alle den  stilisierten Dingen, die Matthäus da über die Kindheit Jesu erzählt, daß durch viel Leid  hindurch Gott das Leben seines Sohnes bewahrt hat. Es wird von der leidvollen Welt  erzählt, in die hinein Jesus geboren wird. Und genau das ist die nackte Wahrheit, selbst  wenn die Geschichte vom Kindermord nie passiert ist, jedenfalls nicht so. In dieser Welt werden Kinder geopfert und gemordet. Kinder, die doch Gott am  nächsten sind, Kinder, die doch noch gar keine Sünden getan haben, Kinder, die so  unschuldig sind wie Jesus Christus selbst. Und auch darin ist die Matthäuslegende vom  Kindermord Wahrheit: Es geht in der Welt nicht nach Schuld. Getroffen werden  Unschuldige. Die Schuldigen sind gerissen genug, um ihre Schäfchen rechtzeitig ins  Trockene zu bringen, um immer wieder ihrer gerechten Strafe zu entkommen. Oder die  Strafe ist besonders mild, siehe Rheinmetallmanager und Bestechungsaffairen  hierzulande. Hätten Kinder vergleichbar schlimmes getan, ihre Strafen lägen sehr viel  höher! Matthäus will zeigen, wie sich Gottes Plan in menschlich-weltlichen  Zusammenhängen mit all ihrer Schuld und Ungerechtigkeit durchsetzt. So wird in der  Bewahrung des Jesuskindes ein Stück Hoffnung lebendig, die sich durch alle Finsternis  durchhält. Das Licht kam in die Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht verschlungen.  Noch nicht. Noch nicht sofort. Erst gute dreißig Jahre später, am Kreuz.  Jesus war als Kind Flüchtling, Asylant in Ägypten. Augenscheinlich ist ihm dort Asyl  gewährt worden. Das unterscheidet sich wohltuend von dem Verhalten unserer  Regierung. Vergessen wir das nicht: unser Herr Jesus Christus hat am Nil, in einem  Land, was heute Entwicklungsland ist, Asyl bekommen. Wie Gastfreundschaft doch  damals noch kultiviert war! Was in allem Elend dieser Geschichte tröstet, ist die Tatsache, daß Jesus überlebt hat.  Jesus überlebt den Kindermord, die Flucht, die Rückkehr und alle Entbehrungen. Viele  viele Kinder heute an diesem Tage werden solche Entbehrungen nicht überleben. Sie  werden sterben. Diese Kinder leben auf der südlichen Erdhalbkugel. Andere Kinder  werden heute Gruselfilme gucken und sich langweilen und Schokolade essen. Diese  Kinder leben auf der nördlichen Erdhalbkugel. Diese Kinder leben bei uns in  Bergkamen. Diese Kinder überleben ihre Langeweile. So ist das mit dem Überleben und  den Kindern. Durch alle Grauen der Welt hindurch überlebt der Sohn Gottes. Dem Kindermord  von Bethlehem konnte er entkommen. Dem Kreuz hätte er noch leichter entkommen  können. Er wollte es nicht. Er ist diesen Weg gegangen. Er ging ans Kreuz als  Konsequenz seiner Liebe und seiner Wahrheitsliebe. Er starb für eine aufrichtige,  ehrliche, liebevolle Welt, für eine Welt von Kindern Gottes, für eine Welt, in der kein  unschuldig Kind mehr gemordet wird. Indem er starb, mit Schreien und Röcheln, hat  seine Intention überlebt, hat sein Vorbild in aller Welt Schule gemacht, ist sein Geist als  Geist der Wahrheit und Liebe lebendig geblieben. So hat Jesus auch seinen Tod noch  überlebt. Er lebt jetzt bei uns. Wenn sein Tod nicht umsonst sein soll, haben wir einiges  zu tun. Alle zwei Sekunden verhungert ein Kind. Der Kindermord in Bethlehem war  dagegen das reinste Kinderspiel. Alle zwei Sekunden verhungert ein Kind. Wir haben  genug Brot für alle Kinder und Erwachsenen. Es muß nur richtig verteilt werden. Wir  müssen nur auf weniges verzichten lernen und politischen Einfluß nehmen auf die  heutigen Herodesse, die modernen Kindermörder, die Ajatollas, Militärdiktatoren und  Pieter William Botha aus Südafrika. Jesus hat überlebt. Er lebt unter uns. Er will, daß wir kämpfen, gegen Kindermord  und Erwachsenenmord. Wenn wir etwas aus der Geschichte lernen können, dann: es soll  nicht weitergehen mit Hunger und Krieg. Christus ist Friede. Wir aber sind Christi  Hände. Amen.