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Predigt über Exodus 33,18-23     

Friedenskirche 18. Jan. 87

Wie kann man Gott sehen?

Psalm 105,1-8 & 1 Kor 13

Liebe Schwestern und Brüder!
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und sei dir  gnädig. So heißt es im aaronitischen Segen, den wir zum Schluß des Gottesdienstes  zugesprochen bekommen. Selig die reinen Herzens, denn sie werden Gott schauen. Also  kann man Gott doch sehen? Aber Mose darf nicht das Angesicht Gottes sehen, sonst  muß er sterben. Ist es ein Horroranblick, der tödlich erschrecken ließe? Kann man Gott  sehen? Kann man ihn erfahren? Oder ist Gott unsichtbar? Bei Adams Paradiesgarten  lustwandelt Gott in der Abendkühle. Beim Propheten Elia rauscht Gott als sanftes  Säuseln vorbei. In der Wüste am Vulkanberg Sinai ist Gott in Donner und Blitz zugange.  Mal kommt er in Gestalt von drei Männern.  Wir haben uns damit abgefunden, daß Gott und seine Herrlichkeit nicht sichtbar ist.  Wir haben uns damit abgefunden, daß Gott unter dem Gegenteil verborgen ist. Wir  haben auch kein gesteigertes Interesse daran, Gott zu sehen. Wir haben von Johannes  gelernt, daß es auf das Glauben ankommt, nicht auf das Schauen. Wir wollen Gott schon  gar nicht mehr sehen. Vielleicht meinen wir auch, erst nach dem Tod sieht man Gott. Da waren die Menschen früher unkomplizierter. Sie wollten Gott sehen, sie waren  noch so frei und so neugierig. Es ist schon eine merkwürdige Angst, Gott zu sehen. Wir  sind so anständig und brav geworden, daß wir Gott sein Geheimnis lassen. Wir haben  uns aufs Glauben verlegt. Wir verzichten auf die Sinnlichkeit Gottes. Er ist nur noch ein  Glaube. Zwar ein Glaube, der Berge versetzen kann, aber eben nur noch ein Glaube. Es ist etwas Geistige und die Kraft des Geistes Jesu. Es ist nichts Sinnliches mehr, so  wie Jesus Fleisch war. Gottesdienste sind auch wenig sinnlich. Im Mittelpunkt steht das Wort, steht die  Sprache. Gott ist Liebe - auch das ist und bleibt oft nur Wort, manchmal recht leer sogar.  Worte, Glaube, Geist - Liebe geht durch den Magen: Gut, wir essen auch etwas im  Gottesdienst. Aber nur symbolisch. Die Sinnlichkeit Gottes ist auf Symbole  zusammengeschrumpft. Satt macht Brot und Wein in der Kirche nicht. Daß Gott immer  weniger Menschen interessiert, liegt vielleicht auch daran, daß reine Worte vielen  zuwenig sind, daß die Menschen mehr brauchen, sichtbare Zeichen der Liebe Gottes. Moses hat solche Zeichen gefordert. Er wollte Gott sehen. Er gab sich nicht mit  Worten allein zufrieden. Und so gibt es ein Fest mit dem Namen Epiphanias -  Erscheinung, Sichtbarkeit Gottes - wo auf Visionserlebnisse angespielt wird, in denen  Gott Menschen erschienen ist. Visionen hatten Propheten, Visionen hatten Nonnen im  Mittelalter. Es gibt soetwas wie das Recht, Gott zu erfahren, Gottes Herrlichkeit zu  schauen. Es gibt das Recht der Menschen, nicht nur von Liebe zu hören, sondern Liebe  zu erfahren. Nicht nur vom Glück zu träumen, sondern wirklich glücklich zu werden und  zu bleiben. Glaube, der nicht auch Schauen will, verliert den Ansporn. Worauf die  Christen bauen, ist nicht der Pocker mit der Unsichtbarkeit und Unbeweisbarkeit  mysteriöser Worte, sondern es geht um sehr sinnliche Erfahrungen im Glauben.  Immerhin darf Mose Gottes Hinterteil sehen. Wenn schon nicht das Gesicht.  Merkwürdig diese Verborgenheit Gottes im AT. Zugleich aber auch die  Unbefangenheit, mit der die Menschen direkt mit Gott reden und umgehen. Sehr  selbstverständlich, sehr unmittelbar, keine Skrupel. Es ist quasi alltäglicher Kontakt. Du  sollst dir kein Bildnis machen. Trotzdem, Wolken- und Feuersäule ziehen mit, die  Bundeslade mit den 10 Geboten, das heilige Zelt. Zeichen der Anwesenheit Gottes.  Und dann Jesus. Johannes sagt: das ist das lebendige Wort Gottes. Die Logik Gottes.  Logik ist in allen Dingen, vom Naturgesetz bis zur Mutterliebe. Geist ist schon etwas  sehr wichtiges und ohne Logische Verhältnisse wäre weder Leben auf Erden noch  irgend etwas sinnlich Wahrnehmbares. Es gibt unterhalb der Sprachebene genausoviel,  nein, noch viel mehr Logik und logische Funktionen, nach denen Leben abläuft und die  sinnliche Wahrnehmung überhaupt erst möglich machen. Gottes Logik in Jesus - das  bedeutet: die Nächstenliebe, die Feindesliebe, die Sanftmut und Wärme sind  Entwicklungskräfte, die Gott in der Welt entwickelt hat und die wie in der Entstehung  eines neuen Planeten mit unaufhaltsamer Macht Veränderungen herbeiführen. Gottes  Logik in der Welt zielt auf allen Menschen sehr sinnlich spürbare Liebe, Gerechtigkeit,  Frieden. Gott wird dann sichtbar, wenn die Welt gekennzeichnet ist durch Gerechtigkeit  und Frieden und Liebe. Solange ist Gott verborgen. Dann aber kann man Gott sehen. Es ist falsch, zu sagen: Gott ist unsichtbar, also Augen runter. Es ist richtig zu sagen:  Jetzt sehen wir noch nicht viel von seiner Welt, von Gerechtigkeit und Frieden. Jetzt  sehen wir noch Kriege, Morde, Hunger, Elend. Jetzt sehen wir die Welt, die Jesus  gekreuzigt hat. Aber das wird nicht immer so bleiben. Eines Tages wird man auf der  ganzen Welt Gottes Heil sehen. Wenn alle Menschen satt sind, warm haben, Arbeit  haben, Freunde haben, gute Eltern und einen guten Staat, der für sie sorgt und nicht nur  für die reicheren Bürger, die vollmündigen. Damit man Gott sehen kann, gibt es noch viel zu tun im Umbau der Welt zur Heimat.  Wir haben die Möglichkeit und Aufgabe, für andere Menschen Gott sichtbar und  spürbar zu machen. Hungrige sättigen, Brot für die Welt und nicht Waffen für Südafrika.  Unrecht beim Namen nennen und bekämpfen und nicht noch mitfinanzieren.  Geborenes Leben erhalten und zum Besten fördern, anstatt gegen Abtreibung zu  schimpfen, aber zur sozialen Not geborener Kinder zu schweigen, für die es besser wäre,  nicht geboren worden zu sein in den gegenwärtigen Aufschwung der neuen Armut  hinein. Gottes Gesicht ist nicht eine Welt, in der die Schwierigkeiten auf dem Rücken  der Armen und Unterprivilegierten ausgetragen werden. Seine Herrlichkeit verlangt  nach Menschen, die eintreten für die Armen und nicht nur für die Industriellen. Die  eintreten für den Schutz der Umwelt und nicht für die Atomindustrie. Die weinen mit  den Traurigen und lachen können mitten in dieser Welt der Traurigkeiten, weil sie  manchmal für Sekunden und Minuten eine Überdosis Glück erleben, wie es Moses  empfunden haben muß auf dem Felsen im Rücken Gottes. Wir können Gottes Gesicht  sehen! Im Lächeln eines lieben Menschen, in der Wärme einer Umarmung, in der  Gastfreundschaft fremder Menschen, in jeder Blüte, jedem Stein. Wir müssen nur die  Augen aufmachen, müssen nur hinschauen in die Natur, die noch übrigblieb nach allem  Waldsterben und Rheinvergiften: so überwältigend schön ist unsere Welt, so übervoll  von Lebendigkeit, so voller Wunder und in jedem sehen wir ein ganz kleines Stück von  Gott. Aus vielen kleinen Stücken Wunder, Schönheit und Liebe wächst dieses Gesicht  zusammen zur Welt, in der Gott alles in allem ist, einer Welt ohne Hunger und Tränen,  einer Welt, an der wir bauen. Gott helfe uns zum richtigen Bauplan. Amen.