Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und
Paten, liebe Freunde!
Lebendige Steine - ist das nicht ein Unsinn? Sind nicht Steine etwas
totes? Lebende Steine, so der Name der
Wüstenpflanze, die noch im heißesten Sonnenbrand
überleben kann, weil sie viel Wasser in sich
gespeichert hat, wie ein Kaktus, wie ein Kamel. Enorm
vernünftig, für so eine Pflanze, im
Wüstenklima durch eine kugelige Form ihre
Oberfläche zu verkleinern und dadurch die Verdunstung zu
vermindern. Viel Vernunft in einer Pflanze. Aber wer sich
mehr für Steine interessiert, jetzt mal nicht den
grauen Beton unserer immer trostloser werdenen
Städte, sondern so richtige Mineralien, vom Ametist
über den Diamanten bis zu den Wunderwerken, die innen drinn
eine Höhle bilden, in der tausende bunter Kristalle
wachsen, ja wachsen! Enorm viel Lebendigkeit in so einem
Stein, enorm viel Geometrische Struktur, enorm viel Vernunft. Es
gibt sowas wie lebendige Steine eben auch in Natur, zur
großen Freude der Mineralologen und feineren Damen,
die sich solche Steine gerne ans Dekollete hängen.
Solche lebenden Steine sind Wunder Gottes, die zeigen,
daß auch das scheinbar Tote noch Leben in sich
birgt und im Wachsen und Werden ist, eben nichts Festes, ewiges,
sondern etwas Prozessuales, Entstehendes und Vergehendes wie
alles Leben. Es gibt keine ewigen Ordnungen, sogar die Steine
wachsen, auch Naturgesetze haben einen Anfang und ein Ende in
ihrer Gültigkeit. Alles Leben hat einen Anfang und ein Ende.
Auch Gottes Leben hat einen Anfang und vielleicht auch einmal
ein Ende. Und die Geschichte Gottes in dieser Welt hat einen
Anfang und ein Ende und ich sage, wir sind mitten drin,
zwischen der Steinzeitbrutalität, kurz hinter den
Menschenschlachthäusern von Treblinka, vielleicht
kurz vorm Atomkrieg - aber auch sehr nahe an einer objektiven
Möglichkeit, diese Welt zu einem ungeheuer angenehmen und
gemütlichen Planeten zu mausern, einem Planeten ohne
Hunger, Elend, ohne Waffen. Noch nie waren unsere technischen
Fertigkeiten und Möglichkeiten derart entwickelt, noch nie
wurde so viel auf der Erde angebaut, noch nie gab es soviel
zu essen. Es sind minimale Veränderungen, die
nötig wären, um die Technik zum Segen der Welt
einzusetzen. Es sind ein paar gezielte Neuentscheidungen, die
alles katastrophal sich entwickelnde zum Besten wenden
könnten. Und die Möglichkeit, daß wir zu
solchen gezielten Neuentscheidungen kommen könnten,
ist nicht unwahrscheinlich, bei aller Bedrohung. Den Fall,
daß dies gelingt, nenne ich Gott. Oder Gerechtigkeit und
Frieden. Oder Sättigung. Oder Vernunft. Oder
Glück. Es wird alles nur miteinander zusammen geben,
oder garnicht. Es sind Zustände, die die Bibel als Reich
Gottes beschreibt und die sich gegenseitig bedingen und
verlangen, um existieren zu können. Nur wenn alle satt
sind, wird sich keiner mehr benachteiligt fühlen und
meckern oder kämpfen für seine Rechte.
Solange keine Gerechtigkeit erreicht ist, wird es keinen Frieden geben.
Und solange die Menschen nicht lernen, ihre Konflikte
friedlich zu regeln, wird aus den Kämpfen um Recht
und Gerechtigkeit sehr schnell und leicht eine neue Diktatur. Es gibt
keins von beiden, was vor dem anderen dasein könnte,
um das andere zu bedingen. Beides wächst miteinander
oder gar nicht. Und es wächst manchmal sehr langsam nur, so
wie manche besonders edelen Kristalle. Und dieser
Wachstumsprozeß ist das Reich Gottes und wir sind
bei einer Gratwanderung am Atomkrieg vorbei auf dem schwierigen Weg zu
einer freien glücklichen Welt. Die
Sensibilität für Gerechtigkeit und Frieden,
für Glück und falsches Glück, auch
sie ist ausbaufähig, wächst in uns wie Kristalle. Wir
können unsere Antennen schärfen
für Unrecht und die oft phantasievolleren
Möglichkeiten, es wieder gut zu machen als den
formellen Rechtsweg. Wir können wachsende Kristalle sein,
Kristalle, die immer klarer ihre geometrische Struktur
aufbauen. Und unsere Struktur als Menschen in voller
Entwicklung heißt: Glücklich sein, frei,
selbstbestimmt, mündig, im Gespräch mit
anderen, statt nach Befehl und Gehorsam, in Verantwortung für
andere in Familie und Beruf und Politik, in
vernünftigem Dialog mit anderen Völkern und
überhaupt miteinander. Keiner von uns ist an dieser
Stelle schon angekommen. Aber ich vermute, daß wir
uns darauf hin entwickeln werden und auch müssen, sonst wird
es nicht mehr lange einen bewohnten Planeten Erde geben. Ihr
Konfirmanden habt in den letzten beiden Jahren auch so manche
Entwicklung in euch mitgemacht, die vergleichbar ist mit dem
Wachsen von Kristallen zu immer mehr klarer Form. Ihr seid
auch wachsende Steine, in euch bildete sich etwas heraus, es
kristallisiert sich etwas heraus, was in seiner gelungenen Form
vielleicht jetzt noch gar nicht erkennbar ist. Vielleicht war
unsere gemeinsame Zeit im Unterricht für euch zum
Teil eine Möglichkeit, an eurem
Kristallisationsprozeß zu arbeiten. Ich hatte am
Anfang in eurer Gruppe immer ein bißchen das
Gefühl, ich bin im Kindergarten, wißt ihr
das noch, vor zwei Jahren? Und wenn ich auf die letzten
Wochen zurückblicke, so ist mir eins sehr
unverständlich: Ich fand euch sehr solidarisch, ihr habt
gelernt, zusammenzuhalten als Gruppe, ihr habt zusammen
getanzt auf dem Friedensfest bei Ape-Beck und Brinkmann,
daß alle anderen Leute dachten: Was ist das denn für
eine Truppe, die sich alle an die Hand nehmen und in einer
langen Schlange durch die Kirche tanzen. Ihr habt euch bei
der Konfirmandenprüfung gegenseitig vorgesagt, ihr habt
euch im Vorstellungsgottesdienst gegenseitig geholfen. Die
Starken haben die Schwachen mitgetragen. Wißt ihr
was? Das, ganz genau das ist Kirche. Ganz genau das ist
gemeint damit, als lebendige Steine zu einem lebendigen, vom
Geist Gottes geprägten Haus zusammenzustehen, in dem
jeder Stein wichtig ist, damit das Ganze nicht
zusammenbricht, auch die kleinen Steinchen. In eurer Gruppe, die mir
zum Schluß eben gar nicht mehr so albern vorkam,
hat sich Kirche entwickelt, sind Steine lebendig geworden,
sind gewachsen, haben sich herauskristallisiert zu einem Verbund. Ihr
habt jetzt die Kirche kennengelernt. Nicht im Gottesdienst,
nicht in diesem Haus hier, nicht, indem ihr andere beobachtet
habt, wie und was die hier so treiben, nein, das alles ist
kein Kirche kennenlernen. Ihr habt die Kirche in euch selbst
und in unserer Gruppe kennengelernt. Alles das, was die
Kirche ausmacht, hat es in unserer Gruppe gegeben. Streit und
Versöhnung, Lachen und Langeweile, Weinen und Wiederaufatmen,
Musik und Abendmahl. Die Kirche ist immer so gut wie wir
selbst gerade sind. Die Kirche ist eine lernende, wachsende
Gemeinschaft. Die Kirche ist nicht auf dieses
Gemäuer angewiesen, denn ihr selbst seid die Steine,
mit denen die Kirche zusammenhält, auch im Wald war
es schön. Auch in eurer Straße kann Kirche sein,
können Starke die Schwachen beschützen,
können Kinder zusammenhalten, gemeinsam lachen und
weinen. Die Zeit der Kirche hört mit der Konfirmation nicht
auf. Sie beginnt auch nicht. Sie geht weiter, mehr oder
weniger schnell. Gut, ihr kommt jetzt nicht mehr zum
Unterricht, seid froh, es hinter euch zu haben und sagt vielleicht:
Scheißkirche, endlich hab ichs hinter mir. Aber das
ist eine glatte Täuschung. Auch wenn ihr nie
wiederkommen werdet: Ihr habt die Kirche vor euch, falsch: in euch, ihr
seid lebendige Steine. Nicht: ihr sollt welche sein. Nein,
ihr seid welche. Ihr habt gelernt, zusammenzuhalten, wenns
mal nötig war, auch gegen mich, gut so. Und deshalb
werdet ihr auch in Zukunft zusammenhalten, andere
beschützen, die schwächer sind als ihr. Und
darum können wir euch gut und gerne gehen lassen. Ihr werdet
lebendige Steine im Haus Gottes sein und darin weiterwachsen
und euch herauskristallisieren als Christen, als
Menschenfreunde, als Verantwortungsbereite Mitarbeiter an der neuen
Welt Gottes in einem besseren Bergkamen. Ich traue euch das
zu. Ich mute euch das zu. Ich vertraue auf euch,
daß ihr den Eckstein nicht vergeßt, den die
Bauleute verworfen haben. Jesus, von dem einige sagen, er sei
ein Spinner, weil er sich viel zu sehr um andere Menschen
gekümmert hat. Jesus, von dem viele sagen, so könne
man heute nicht mehr leben. Jesus, den man auch damals nicht
hat leben lassen, und der trotz seines Todes
unzählige Menschen lebendig gemacht hat, zu Steinen,
die zusammenhalten zu einem Haus des Friedens. Wir werden
erleben, wie es in uns weiterwächst. Amen.