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Predigt über 1. Pt. 2,4-10   

Friedenskirche 24. Mai 87

Wir sind lebendige Steine im Haus Gottes.

Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Freunde!
Lebendige Steine - ist das nicht ein Unsinn? Sind nicht Steine etwas totes? Lebende  Steine, so der Name der Wüstenpflanze, die noch im heißesten Sonnenbrand überleben  kann, weil sie viel Wasser in sich gespeichert hat, wie ein Kaktus, wie ein Kamel. Enorm  vernünftig, für so eine Pflanze, im Wüstenklima durch eine kugelige Form ihre  Oberfläche zu verkleinern und dadurch die Verdunstung zu vermindern. Viel Vernunft  in einer Pflanze. Aber wer sich mehr für Steine interessiert, jetzt mal nicht den grauen  Beton unserer immer trostloser werdenen Städte, sondern so richtige Mineralien, vom  Ametist über den Diamanten bis zu den Wunderwerken, die innen drinn eine Höhle  bilden, in der tausende bunter Kristalle wachsen, ja wachsen! Enorm viel Lebendigkeit  in so einem Stein, enorm viel Geometrische Struktur, enorm viel Vernunft. Es gibt  sowas wie lebendige Steine eben auch in Natur, zur großen Freude der Mineralologen  und feineren Damen, die sich solche Steine gerne ans Dekollete hängen. Solche  lebenden Steine sind Wunder Gottes, die zeigen, daß auch das scheinbar Tote noch  Leben in sich birgt und im Wachsen und Werden ist, eben nichts Festes, ewiges, sondern  etwas Prozessuales, Entstehendes und Vergehendes wie alles Leben. Es gibt keine  ewigen Ordnungen, sogar die Steine wachsen, auch Naturgesetze haben einen Anfang  und ein Ende in ihrer Gültigkeit. Alles Leben hat einen Anfang und ein Ende. Auch  Gottes Leben hat einen Anfang und vielleicht auch einmal ein Ende. Und die  Geschichte Gottes in dieser Welt hat einen Anfang und ein Ende und ich sage, wir sind  mitten drin, zwischen der Steinzeitbrutalität, kurz hinter den Menschenschlachthäusern  von Treblinka, vielleicht kurz vorm Atomkrieg - aber auch sehr nahe an einer objektiven  Möglichkeit, diese Welt zu einem ungeheuer angenehmen und gemütlichen Planeten zu  mausern, einem Planeten ohne Hunger, Elend, ohne Waffen. Noch nie waren unsere  technischen Fertigkeiten und Möglichkeiten derart entwickelt, noch nie wurde so viel  auf der Erde angebaut, noch nie gab es soviel zu essen. Es sind minimale  Veränderungen, die nötig wären, um die Technik zum Segen der Welt einzusetzen. Es  sind ein paar gezielte Neuentscheidungen, die alles katastrophal sich entwickelnde zum  Besten wenden könnten. Und die Möglichkeit, daß wir zu solchen gezielten  Neuentscheidungen kommen könnten, ist nicht unwahrscheinlich, bei aller Bedrohung.  Den Fall, daß dies gelingt, nenne ich Gott. Oder Gerechtigkeit und Frieden. Oder  Sättigung. Oder Vernunft. Oder Glück. Es wird alles nur miteinander zusammen geben,  oder garnicht. Es sind Zustände, die die Bibel als Reich Gottes beschreibt und die sich  gegenseitig bedingen und verlangen, um existieren zu können. Nur wenn alle satt sind,  wird sich keiner mehr benachteiligt fühlen und meckern oder kämpfen für seine Rechte.  Solange keine Gerechtigkeit erreicht ist, wird es keinen Frieden geben. Und solange die  Menschen nicht lernen, ihre Konflikte friedlich zu regeln, wird aus den Kämpfen um  Recht und Gerechtigkeit sehr schnell und leicht eine neue Diktatur. Es gibt keins von  beiden, was vor dem anderen dasein könnte, um das andere zu bedingen. Beides wächst  miteinander oder gar nicht. Und es wächst manchmal sehr langsam nur, so wie manche  besonders edelen Kristalle. Und dieser Wachstumsprozeß ist das Reich Gottes und wir  sind bei einer Gratwanderung am Atomkrieg vorbei auf dem schwierigen Weg zu einer  freien glücklichen Welt. Die Sensibilität für Gerechtigkeit und Frieden, für Glück und falsches Glück, auch  sie ist ausbaufähig, wächst in uns wie Kristalle. Wir können unsere Antennen schärfen  für Unrecht und die oft phantasievolleren Möglichkeiten, es wieder gut zu machen als  den formellen Rechtsweg. Wir können wachsende Kristalle sein, Kristalle, die immer  klarer ihre geometrische Struktur aufbauen. Und unsere Struktur als Menschen in voller  Entwicklung heißt: Glücklich sein, frei, selbstbestimmt, mündig, im Gespräch mit  anderen, statt nach Befehl und Gehorsam, in Verantwortung für andere in Familie und  Beruf und Politik, in vernünftigem Dialog mit anderen Völkern und überhaupt  miteinander. Keiner von uns ist an dieser Stelle schon angekommen. Aber ich vermute,  daß wir uns darauf hin entwickeln werden und auch müssen, sonst wird es nicht mehr  lange einen bewohnten Planeten Erde geben. Ihr Konfirmanden habt in den letzten beiden Jahren auch so manche Entwicklung in  euch mitgemacht, die vergleichbar ist mit dem Wachsen von Kristallen zu immer mehr  klarer Form. Ihr seid auch wachsende Steine, in euch bildete sich etwas heraus, es  kristallisiert sich etwas heraus, was in seiner gelungenen Form vielleicht jetzt noch gar  nicht erkennbar ist. Vielleicht war unsere gemeinsame Zeit im Unterricht für euch zum  Teil eine Möglichkeit, an eurem Kristallisationsprozeß zu arbeiten. Ich hatte am Anfang  in eurer Gruppe immer ein bißchen das Gefühl, ich bin im Kindergarten, wißt ihr das  noch, vor zwei Jahren? Und wenn ich auf die letzten Wochen zurückblicke, so ist mir  eins sehr unverständlich: Ich fand euch sehr solidarisch, ihr habt gelernt,  zusammenzuhalten als Gruppe, ihr habt zusammen getanzt auf dem Friedensfest bei  Ape-Beck und Brinkmann, daß alle anderen Leute dachten: Was ist das denn für eine  Truppe, die sich alle an die Hand nehmen und in einer langen Schlange durch die Kirche  tanzen. Ihr habt euch bei der Konfirmandenprüfung gegenseitig vorgesagt, ihr habt euch  im Vorstellungsgottesdienst gegenseitig geholfen. Die Starken haben die Schwachen  mitgetragen. Wißt ihr was? Das, ganz genau das ist Kirche. Ganz genau das ist gemeint  damit, als lebendige Steine zu einem lebendigen, vom Geist Gottes geprägten Haus  zusammenzustehen, in dem jeder Stein wichtig ist, damit das Ganze nicht  zusammenbricht, auch die kleinen Steinchen. In eurer Gruppe, die mir zum Schluß eben  gar nicht mehr so albern vorkam, hat sich Kirche entwickelt, sind Steine lebendig  geworden, sind gewachsen, haben sich herauskristallisiert zu einem Verbund. Ihr habt  jetzt die Kirche kennengelernt. Nicht im Gottesdienst, nicht in diesem Haus hier, nicht,  indem ihr andere beobachtet habt, wie und was die hier so treiben, nein, das alles ist kein  Kirche kennenlernen. Ihr habt die Kirche in euch selbst und in unserer Gruppe  kennengelernt. Alles das, was die Kirche ausmacht, hat es in unserer Gruppe gegeben.  Streit und Versöhnung, Lachen und Langeweile, Weinen und Wiederaufatmen, Musik  und Abendmahl. Die Kirche ist immer so gut wie wir selbst gerade sind. Die Kirche ist  eine lernende, wachsende Gemeinschaft. Die Kirche ist nicht auf dieses Gemäuer  angewiesen, denn ihr selbst seid die Steine, mit denen die Kirche zusammenhält, auch  im Wald war es schön. Auch in eurer Straße kann Kirche sein, können Starke die  Schwachen beschützen, können Kinder zusammenhalten, gemeinsam lachen und  weinen. Die Zeit der Kirche hört mit der Konfirmation nicht auf. Sie beginnt auch nicht.  Sie geht weiter, mehr oder weniger schnell. Gut, ihr kommt jetzt nicht mehr zum  Unterricht, seid froh, es hinter euch zu haben und sagt vielleicht: Scheißkirche, endlich  hab ichs hinter mir. Aber das ist eine glatte Täuschung. Auch wenn ihr nie  wiederkommen werdet: Ihr habt die Kirche vor euch, falsch: in euch, ihr seid lebendige  Steine. Nicht: ihr sollt welche sein. Nein, ihr seid welche. Ihr habt gelernt,  zusammenzuhalten, wenns mal nötig war, auch gegen mich, gut so. Und deshalb werdet  ihr auch in Zukunft zusammenhalten, andere beschützen, die schwächer sind als ihr.  Und darum können wir euch gut und gerne gehen lassen. Ihr werdet lebendige Steine im  Haus Gottes sein und darin weiterwachsen und euch herauskristallisieren als Christen,  als Menschenfreunde, als Verantwortungsbereite Mitarbeiter an der neuen Welt Gottes  in einem besseren Bergkamen. Ich traue euch das zu. Ich mute euch das zu. Ich vertraue  auf euch, daß ihr den Eckstein nicht vergeßt, den die Bauleute verworfen haben. Jesus,  von dem einige sagen, er sei ein Spinner, weil er sich viel zu sehr um andere Menschen  gekümmert hat. Jesus, von dem viele sagen, so könne man heute nicht mehr leben. Jesus,  den man auch damals nicht hat leben lassen, und der trotz seines Todes unzählige  Menschen lebendig gemacht hat, zu Steinen, die zusammenhalten zu einem Haus des  Friedens. Wir werden erleben, wie es in uns weiterwächst. Amen.