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Predigt über Joh 6,30-35   

Friedenskirche 25.Juli 87

Erst kommt das Essen, dann die Moral

 Über Hunger und Liebe

Schwestern und Brüder!
Man ist immer besonders nett zu dem, der einen füttert. Meine Katze Mia kommt  regelmäßig ganz verschmust an und kuschelt sich an mich, streicht mir um die Beine. Am  Anfang dachte ich: Ach, wie schön. Sie mag mich. Ich habe sehr schnell begriffen, was  sie wirklich mag an mir: das Kittekat. Sie mag mich, weil ich sie füttere. So ist Liebe.  Man mag jemanden, weil man einen Mangel hat.  Liebe Freunde! Liebe geht durch den Magen. Es wäre lieblos, Hungrige mit gute Worten abzuspeisen.  Die Liebe drängt auf die Stillung von Hunger. Sei es der Hunger nach Brot, sei es der  Hunger nach völligem Einssein mit dem Liebespartner. Die Liebe will satt werden. Und  die Liebe will sattmachen. Beides gehört dazu zur Liebe. Geben und Nehmen. Nicht nur das Nehmen macht stark, also etwa das Nuckeln der Babies und das Essen.  Auch das Geben macht stark: Es ist ein grandioses Gefühl, einem Menschen etwas  Gutes zu tun. Das wissen alle Pfadfinder und genießen es, jeden Tag eine gute Tat zu  tun. Der Geber ist in einer starken Position. Dieses Gefühl der Stärke gegenüber dem  Bedürftigen macht ihn stolz. Er weiß: Ich bin wichtig. 

Es ist ja irgendwie enttäuschend, daß es die reine Liebe, die völlig zweckfrei ist, nicht  gibt. Die reine Herzensliebe ohne Kochen, ohne geteiltes Bett, ohne offenen Geldbeutel  - das gibt es wohl nicht. Die Menschen haben eben alle einen Bauch. Und der will voll  sein. Und darum wird in den Kirchen eben nicht völlig zweckfrei an Gott gedacht, Gott  gelobt und gefeiert. Sondern alle Lobe und Klagen der Psalmen haben auch ganz massiv  mit dem Bauch, dem Leib der Menschen zu tun. In allen Religionen wollen die  Menschen was von Gott. Gute Ernte, Gesundheit, Kindersegen, Sicherung des  Wohlstandes. Sie wollen den Segen Gottes leibhaftig erfahren, die Liebe Gottes im  Bauch spüren.
Aber: Ist Gottes Liebe nicht etwas, was nur unsere Seele angeht, nicht den  Leib?  Wir haben den Glauben zu einem geistigen Erleben gemausert, weg von den  Futtertrögen, den Schlachtopfern. Wir haben uns auf das Wort konzentriert. Der  Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gottes Wort, darum haben wir das Brot  aus der Kirche entfernt. Es sind einmal im Monat ein paar hauchdünne Hostien  übriggeblieben von der einstigen Schmauserei im jerusalemer Tempel. Dafür aber hat  sich der Bauchbereich verselbstständigt: Die riesige Lebensmittelproduktion dient  schon lange nicht mehr der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, sondern  gehorcht kapitalistischen Wirtschaftsgesetzen, nach denen es besser ist, Gemüse,  Getreide, Fleisch und Butter zu vernichten, als denen zu geben, die an Hunger sterben  werden. Weil die Religion den weltlichen Teil des Lebens hochnäsig übersehen hat in  frommer Hinwendung zur Seele, hat sich da quasi unter der Gürtellinie, die der Glaube  geschaffen hat, eine derartig verantwortungslose Völlerei und Hungerei entwickelt, daß  die gläubige Seele ganz erschrocken ist, wenn sie hört, was sich in der Welt getan hat in  der Zeit ihrer Innerlichkeit. 
Unsere Wirtschaft zielt auf Anhäufung. Wachstum heißt real, die Großen werden  größer, die Mittleren bauen ab, die Kleinen gehen stempeln. So berichten es unsere  Zeitungen täglich. Es wird jede nur denkbare Marktlücke aufgespürt, mit Werbung ein  falscher Hunger erzeugt. Der Hunger, von dem unsere Wirtschaft lebt, ist ein künstlich  geschürter, eine Unersättlichkeit, die medizinisch eindeutig krankhaft, krebsartig ist.  Bedarfsdeckung ist das Prinzip, mit dem eine christliche Wirtschaft sich entwickeln  kann.
So ist Liebe: Sie stillt Hunger. Aber sie überfüttert nicht. Es ist ungesund, zuviel zu  essen. Es ist ungesund, zuviel zu haben. Reichtum macht krank. Christus wird im Johannesevangelium deshalb geliebt, weil er so schöne  Speisungswunder vollbringt. Fünftausend sattmachen, das ist wahrhaft göttlich. Darum  kommen die Leute zu ihm und verehren ihn. So wie meine Katze Mia um mich  herumscharwenzelt, wenn sie Hunger hat.

Und Christus ist sauer. Er will nicht als  Brötchengeber verehrt werden, sondern als Gesandter des Vaters im Himmel, der allen  seinen Kindern sagen will, wie lieb er sie hat und wie wichtig ihm ist, daß sie sich  untereinander liebhaben im Wissen um diesen liebenden Vater im Himmel. Christus ist sauer, weil alle sich auf das Brot stürzen und keiner an den Geber denkt,  den Vater im Himmel. Ich verstehe das: Es würde mich ärgern, zu wissen, daß meine  Katze nur das Kittekat liebt, nicht mich. Es tut weh, wenn nach der Befriedigung der  leiblichen Bedürfnisse keine tiefere Bindung entsteht. Aber der Weg zur Vertiefung der Bindung ist nicht, die Leiblichkeit der Menschen zu  verbannen, zu exkommunizieren, sondern eben gerade hineinzunehmen in die Bindung!  Der Christus im Johannesevangelium ist Idealist, wenn er sich ärgert darüber, daß die  Leute ihn verehren, weil er Brot gibt. Die Leute hatten Hunger und waren dankbar,  Essen zu bekommen. Wie sollen sie denn verstehen, daß Gott Liebe ist, wenn nicht  durch den Magen? Gottes Liebe geht nicht am Magen vorbei! Sie geht hindurch. Darum  Abendmahl. Aber sie ist mehr als Fütterung der Raubtiere. Darum Zeichen.
In der  Stillung der leiblichen Bedürfnisse wird etwas deutlich von einer noch tieferen,  umfassenderen Stillung der menschlichen Sehnsüchte, für die Gott seine Liebe  bereithält. Am Essen können wir es lernen: Gott stillt Hunger und Durst. Wenn es nicht  allein dabei bleibt, wenn wir lernen, unsere Herzensbedürfnisse, unsere Träume, unsere  verborgensten Wünsche Gott bittend anzuvertrauen - und wozu anders ist das Gebet da  - dann werden wir glauben und erfahren: Gott nimmt uns an in unseren geheimsten  Wünschen und sagt ja zu unseren Wünschen und hilft uns, Ideen zu entwickeln zu ihrer  Erfüllung. Der tiefste Wunsch, den ein Mensch hat, ist, geliebt zu werden mit all seinen  Schwächen. Unser Herz ist unruhig, sagt Kirchenvater Augustin, bis es Ruhe findet in Dir.
Vater  im Himmel nimm mich in deine Arme. Mach mich satt. Sieh alle meine unglückliche  Sehnsucht. Sieh mein Suchen. Sei mein Ziel. Zeig mir meinen Weg. Laß mich unruhig  werden über all dem Unrecht von Hunger und Überfluß. Laß mich Wege finden,  dagegen zu kämpfen. Mach mich zu Brot für andere. Laß mich in all meinen Kämpfen,  in all meiner Arbeit, in allen meinen Sorgen Ruhe finden in dir, dem Quell allen Lebens.  Amen.