Träume
vom Tag Gottes als Vorschau von Gottes neuer Welt.
Lesung Mk 7,31-37 Heilung eines
Taubstummen
Liebe Schwestern und Brüder!
Nur noch ein kleines Weilchen bis zum Tag der Erlösung -
schön wärs. Träume eines
Propheten, der auch nichts am Rad der Geschichte gedreht hat. Immer
noch Kriege, immer noch Hunger, immer noch Lippenbekenntnisse
und finstere Machenschaften der mächtigen
Hintermänner. Man kann nichts machen. Auch der Prophet Jesaja
nicht. Seine Träume sind nicht erfüllt
worden. Die Tauben hören immer noch nichts, die
Blinden sehen immer noch nichts. Das prophetische Wort vom Gericht, von
der Wende und Verwandlung der unrechten Welt in Gottes
Gerechtigkeit blieb leere Hoffnung, viel zu wenig hat sich
zum Rechten gewandelt. So wird der Traum des Jesaja vom Tag
Gottes zu einem Bild der Gerechtigkeit, an dem die bestehende
Falschheit unserer Welt messbar wird. Der unerfüllte
Traum von einer besseren Welt wird zum kritischen Moment.
Hoffnung lullt nicht in schönen Wunschbildern ein, sondern
wird zur Kritik der damaligen Gesellschaftsordnung. Die
Hoffnung des Propheten auf Gottes Tag ist zugleich Vorfreude
auf Gerechtigkeit und Androhung des Gerichts: Denn aus ist es
mit den Tyrannen und dahin ist der Spötter und
ausgerottet sind alle, die auf Frevel lauern. Kritik tut weh und
muß doch sein bei der Suche nach der Wahrheit und dem
richtigen Leben. Oft habe ich Zweifel, ob es
überhaupt was nützt, zu predigen. Ich weiß
aus Umfrageergebnissen, daß Predigten nur das
bestärken, was die Hörer ohnehin glauben
und daß die Aussagen, die dem Hörer nicht passen,
einfach überhört werden oder man sagt: das
war aber nicht das Wort Gottes! Was löst eine Predigt schon
aus? Im besten Fall ein gutes Gefühl? Im anderen
Fall etwas Unbehagen? Oder wäre es nicht auch
Zeichen für das Wort Gottes, daß es uns
Ärger bereitet? Wir wollen uns nicht ärgern lassen
vom Wort Gottes. Predigt als Schwert, das bis ins Mark
dringt, soetwas lehnen wir ab. Wir leugnen dann,
daß es das Wort Gottes war. Liebe Schwestern und
Brüder! Mit diesen Sätzen können
noch fast alle einverstanden sein. Jeder weiß, daß
er Kritik von der Kanzel nicht sehr gern hört. Aber
würde ich es jetzt konkretisieren auf die
entscheidenden Fragen des Glaubens, etwa Feindesliebe:Pershing 1a ist
Sünde und soll hier nicht sein! - dann
würden alle sagen: Er predigt wieder Politik, aber nicht das
Wort Gottes. So haben wir unsere Abwehrmechanismen gegen
Gottes Wort. Die Geschichten Jesu sind voll von solchen
Abwehrmechanismen gegen die Ausstrahlung Jesu auf der Seite
der Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie streiten
dauernd mit Jesus, weil sie sich ärgern
über das, was Jesus sagt und tut. So sagt Paulus mit
vollem Recht:Das Wort vom Kreuz ist den Juden ein
Ärgernis und den Heiden eine Torheit. Ich glaube,
zur Lebendigkeit und Wirsamkeit des Wortes Gottes ist, daß es
uns manchmal wurmt und ärgert. Wieso sind solche
Träume von einer durch Gott verwandelten Welt
eigentlich so ungeheuer ärgerlich? Wieso stört die
Hoffnung die Heuchler? Wenn Gott die Seele des Menschen kennt
bis in die geheimsten Wünsche, und das sind die uns
selbst unbe ußten, dann kennt Gott uns besser als wir uns
selbst. Und wer nur ein bißchen nachdenkt
über sich selbst, der weiß, wie wenig man sich
wirklich kennt. Wir alle leben damit, daß wir uns
was vormachen. Wir alle spielen unser Theater so recht und
schlecht. Alles Rollen, die wir von anderen übernommen haben
und die uns nicht auf den Leib geschrieben sind, sondern eher
auf den Leib geprügelt. Die besserwisserischen
Männertypen, hart und eisern, Kruppstahlopas, die
gesitteten Damen, die selbst die Liebenswürdigkeit
in Person sind, aber beim Tratsch über die Nachbarin
so richtig die Sau rauslassen - unser alltägliches
Theaterspielen entspricht nicht dem, was wir im tiefen
Inneren wirklich wollen und denken. Der Harte Mann ist
gewöhnlich das Riesenbaby, ohne den Mut, zu werden wie die
Kinder. Die Edelmütigen haben oft auch sehr finstere
Gefühle. Luther wußte nur zu gut, wie auch die
Heiligen vom Teufel geritten werden. Die Abgründe
der Bosheit unserer Seele genau auszuloten, das tut weh, weil
man sich gern besser hätte. Aber es ist als Aufgabe des
Psychiaters auch zugleich die Hilfe, die Menschen an der
Grenze der Selbstzerstörung fähig macht,
mit ihren finsteren und traurigen Zügen zu leben.
Und dadurch zu überleben. Glücklich kann
ein Mensch nur im Einklag mit sich werden. Wenn es keine Kluft zwischen
den verborgenen Wünschen und den bewußten
Motiven gibt. Die geheimsten Wünsche in uns, die wir
uns nie eingestehen mögen, es sind im Grunde nicht die
Abgründe der Bosheit. Es sind sehr
zärtliche Strebungen. Es sind Wünsche der Liebe,
der Geborgenheit, der Unbekümmertheit.
Sehnsüchte nach einem Leben ohne Tränen.
Der Wunsch, grenzenlos Schönes zu erleben,
grenzenlos geliebt zu werden und grenze los jemanden zu
lieben ohne Zurückweisung zu erleben. Die verborgenen
Wünsche sind fast wie das Heiligtum eines Tempels.
Und drum herum sieht es böse aus. Wir erleben
überall, daß diese Wünsche von
außen, von anderen verstellt werden. Das tut uns
weh. Darum kapseln wir uns ab. Wir zeigen anderen nicht mehr
unseren Kindertraum, weil er ja doch nicht erfüllt
wird. Wir werden hart, verschlosssen, unnahbar. Wir nehmen
die Rollen an, die man uns vormacht. Und das zarte
Fädchen der Hoffnungen des Kindes in uns
reißt ab. Die Hoffnungen werden in uns begraben. Wir
schweigen sie tot. Wir resignieren. Man kann ja doch nichts
machen. Unsere Kinderträume werden uns selbst zum
Geheimnis. Und Gott kennt dieses Geheimnis. Gott weiß um
unsere kindlichen verborgenen Sehnsüchte. Und er
sagt sie uns noch einmal. Diesmal nicht von innen heraus,
sondern durch Boten auf der Kanzel. Die dort Liebe predigen und Frieden
und Gerechtigkeit, die sprechen das aus, was die Kinder in
uns sich wünschen. Darum wurmt uns das Wort Gottes:
Weil es unseren unterdrückten eigenen Wünschen
zutiefst entspricht. Gott will, was alle Kinder dieser Erde
wollen, auch die Kinder in uns Erwachsenen, die wir
totschweigen: Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen,
Bürgern fallen die Scheuklappen ab. Kein Mensch soll
gequält werden, jeder soll Vater und Mutter haben,
ein schönes Haus zum wohnen, einen Garten zum Spiel, Essen
für alle und Frieden auf der ganzen Welt. Das ist
unsere Hoffnung, die ärgerliche Hoffnung Gottes: Der
einzige Schmerz, den es dann noch geben wird, ist der Liebeskummer.
Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind. Vor den Augen Gottes sind wir
wie spielende Kinder. Unser Lieblingsspiel ist heute Versteck
n. Wenn Gottes Reich anbricht, werden die Kinder Gottes
andere Spiele spielen. Ihr Spiel wird die Aufrichtigkeit, die
Zärtlichkeit, das Schmusen, das vertrauende Erzählen,
das gemeinsame Träumen sein. Ich habe mir
vorgenommen, schon jetzt so allmählich damit anzufangen. Amen.