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Predigt über Jes. 29,17-24    

Friedenskirche:.6..9.87

Träume vom Tag Gottes als Vorschau von Gottes neuer Welt.

Lesung Mk 7,31-37 Heilung eines Taubstummen

Liebe Schwestern und Brüder!
Nur noch ein kleines Weilchen bis zum Tag der Erlösung - schön wärs. Träume eines  Propheten, der auch nichts am Rad der Geschichte gedreht hat. Immer noch Kriege,  immer noch Hunger, immer noch Lippenbekenntnisse und finstere Machenschaften der  mächtigen Hintermänner. Man kann nichts machen. Auch der Prophet Jesaja nicht.  Seine Träume sind nicht erfüllt worden. Die Tauben hören immer noch nichts, die  Blinden sehen immer noch nichts. Das prophetische Wort vom Gericht, von der Wende  und Verwandlung der unrechten Welt in Gottes Gerechtigkeit blieb leere Hoffnung, viel  zu wenig hat sich zum Rechten gewandelt. So wird der Traum des Jesaja vom Tag  Gottes zu einem Bild der Gerechtigkeit, an dem die bestehende Falschheit unserer Welt  messbar wird. Der unerfüllte Traum von einer besseren Welt wird zum kritischen  Moment. Hoffnung lullt nicht in schönen Wunschbildern ein, sondern wird zur Kritik der  damaligen Gesellschaftsordnung. Die Hoffnung des Propheten auf Gottes Tag ist  zugleich Vorfreude auf Gerechtigkeit und Androhung des Gerichts: Denn aus ist es mit  den Tyrannen und dahin ist der Spötter und ausgerottet sind alle, die auf Frevel lauern. Kritik tut weh und muß doch sein bei der Suche nach der Wahrheit und dem richtigen  Leben. Oft habe ich Zweifel, ob es überhaupt was nützt, zu predigen. Ich weiß aus  Umfrageergebnissen, daß Predigten nur das bestärken, was die Hörer ohnehin glauben  und daß die Aussagen, die dem Hörer nicht passen, einfach überhört werden oder man  sagt: das war aber nicht das Wort Gottes! Was löst eine Predigt schon aus? Im besten Fall  ein gutes Gefühl? Im anderen Fall etwas Unbehagen? Oder wäre es nicht auch Zeichen  für das Wort Gottes, daß es uns Ärger bereitet? Wir wollen uns nicht ärgern lassen vom  Wort Gottes. Predigt als Schwert, das bis ins Mark dringt, soetwas lehnen wir ab. Wir  leugnen dann, daß es das Wort Gottes war. Liebe Schwestern und Brüder! Mit diesen  Sätzen können noch fast alle einverstanden sein. Jeder weiß, daß er Kritik von der  Kanzel nicht sehr gern hört. Aber würde ich es jetzt konkretisieren auf die  entscheidenden Fragen des Glaubens, etwa Feindesliebe:Pershing 1a ist Sünde und soll  hier nicht sein! - dann würden alle sagen: Er predigt wieder Politik, aber nicht das Wort  Gottes. So haben wir unsere Abwehrmechanismen gegen Gottes Wort.  Die Geschichten Jesu sind voll von solchen Abwehrmechanismen gegen die  Ausstrahlung Jesu auf der Seite der Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie streiten dauernd  mit Jesus, weil sie sich ärgern über das, was Jesus sagt und tut. So sagt Paulus mit vollem  Recht:Das Wort vom Kreuz ist den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit. Ich  glaube, zur Lebendigkeit und Wirsamkeit des Wortes Gottes ist, daß es uns manchmal  wurmt und ärgert. Wieso sind solche Träume von einer durch Gott verwandelten Welt  eigentlich so ungeheuer ärgerlich? Wieso stört die Hoffnung die Heuchler?  Wenn Gott die Seele des Menschen kennt bis in die geheimsten Wünsche, und das  sind die uns selbst unbe ußten, dann kennt Gott uns besser als wir uns selbst. Und wer  nur ein bißchen nachdenkt über sich selbst, der weiß, wie wenig man sich wirklich kennt.  Wir alle leben damit, daß wir uns was vormachen. Wir alle spielen unser Theater so recht  und schlecht. Alles Rollen, die wir von anderen übernommen haben und die uns nicht  auf den Leib geschrieben sind, sondern eher auf den Leib geprügelt. Die  besserwisserischen Männertypen, hart und eisern, Kruppstahlopas, die gesitteten  Damen, die selbst die Liebenswürdigkeit in Person sind, aber beim Tratsch über die  Nachbarin so richtig die Sau rauslassen - unser alltägliches Theaterspielen entspricht  nicht dem, was wir im tiefen Inneren wirklich wollen und denken. Der Harte Mann ist  gewöhnlich das Riesenbaby, ohne den Mut, zu werden wie die Kinder. Die Edelmütigen  haben oft auch sehr finstere Gefühle. Luther wußte nur zu gut, wie auch die Heiligen  vom Teufel geritten werden. Die Abgründe der Bosheit unserer Seele genau auszuloten,  das tut weh, weil man sich gern besser hätte. Aber es ist als Aufgabe des Psychiaters auch  zugleich die Hilfe, die Menschen an der Grenze der Selbstzerstörung fähig macht, mit  ihren finsteren und traurigen Zügen zu leben. Und dadurch zu überleben. Glücklich  kann ein Mensch nur im Einklag mit sich werden. Wenn es keine Kluft zwischen den  verborgenen Wünschen und den bewußten Motiven gibt. Die geheimsten Wünsche in  uns, die wir uns nie eingestehen mögen, es sind im Grunde nicht die Abgründe der  Bosheit. Es sind sehr zärtliche Strebungen. Es sind Wünsche der Liebe, der  Geborgenheit, der Unbekümmertheit. Sehnsüchte nach einem Leben ohne Tränen. Der  Wunsch, grenzenlos Schönes zu erleben, grenzenlos geliebt zu werden und grenze los  jemanden zu lieben ohne Zurückweisung zu erleben. Die verborgenen Wünsche sind  fast wie das Heiligtum eines Tempels. Und drum herum sieht es böse aus. Wir erleben  überall, daß diese Wünsche von außen, von anderen verstellt werden. Das tut uns weh.  Darum kapseln wir uns ab. Wir zeigen anderen nicht mehr unseren Kindertraum, weil er  ja doch nicht erfüllt wird. Wir werden hart, verschlosssen, unnahbar. Wir nehmen die  Rollen an, die man uns vormacht. Und das zarte Fädchen der Hoffnungen des Kindes in  uns reißt ab. Die Hoffnungen werden in uns begraben. Wir schweigen sie tot. Wir  resignieren. Man kann ja doch nichts machen. Unsere Kinderträume werden uns selbst  zum Geheimnis. Und Gott kennt dieses Geheimnis. Gott weiß um unsere kindlichen  verborgenen Sehnsüchte. Und er sagt sie uns noch einmal. Diesmal nicht von innen  heraus, sondern durch Boten auf der Kanzel. Die dort Liebe predigen und Frieden und  Gerechtigkeit, die sprechen das aus, was die Kinder in uns sich wünschen. Darum wurmt  uns das Wort Gottes: Weil es unseren unterdrückten eigenen Wünschen zutiefst  entspricht. Gott will, was alle Kinder dieser Erde wollen, auch die Kinder in uns  Erwachsenen, die wir totschweigen: Blinde sehen, Taube hören, Lahme gehen, Bürgern  fallen die Scheuklappen ab. Kein Mensch soll gequält werden, jeder soll Vater und  Mutter haben, ein schönes Haus zum wohnen, einen Garten zum Spiel, Essen für alle  und Frieden auf der ganzen Welt. Das ist unsere Hoffnung, die ärgerliche Hoffnung  Gottes: Der einzige Schmerz, den es dann noch geben wird, ist der Liebeskummer. Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind. Vor den Augen Gottes sind wir wie spielende  Kinder. Unser Lieblingsspiel ist heute Versteck n. Wenn Gottes Reich anbricht, werden  die Kinder Gottes andere Spiele spielen. Ihr Spiel wird die Aufrichtigkeit, die  Zärtlichkeit, das Schmusen, das vertrauende Erzählen, das gemeinsame Träumen sein.  Ich habe mir vorgenommen, schon jetzt so allmählich damit anzufangen. Amen.