Daß Jesus
für unsere Sünden gestorben sei, ist ein altes
Bekenntnis der Urgemeinde, was Paulus 1Kor 15,3 zitiert.[1]
Hier wird bereits auf Jes 53
verwiesen. Es gibt nur noch drei weitere Stellen, wo Jesu Tod als
Versöhnung
mit Gott gedeutet ist.[2]
In Heb 9,22 gibt es keine
Vergebung ohne Blutvergießen und Jesus gab dazu seines, um
uns Freikarten für
den Himmel zu beschaffen. Die Textbasis dieser
Sühnopfertheorie ist gemessen am
gesamten Textbestand des Neuen Testaments mehr als dünn.
Gleichwohl ist sie
durch Luther ins Unermeßliche aufgeblasen worden. Jesus
konnte doch noch gar
nicht wissen, ob ich sündige und es sich lohnt, für
diese kleinen Sünden zu
sterben. Jesus ist für seine Mißachtung des
Sabbatgebots und viele andere
Provokationen der jüdischen Frömmigkeit hingerichtet
worden, aber nicht für
meine paar Dummheiten. Jesus war auch nicht besonders erpicht darauf,
hingerichtet zu werden. In Gethsemane betet er, daß ihm die
Hinrichtung erspart
bleibt. Er hat eine höllische Angst vorm Tod.
Im Heiligkeitsgesetz Lev
17 wird gefordert, jedes Tier vor
dem Zelt Jahwes auf einem Altar zu schlachten und dessen Blut dort
auslaufen zu
lassen, weil Blut Lebenssaft ist und ausschließlich Gott Blut
trinken darf.
Blut trinken ist eine Todsünde und wird mit dem Tod bestraft.
Das Blut des Todeskandidaten
gehört Gott und muß in die Erde oder auf einen Altar
rinnen. Stellvertretend
für das Menschenopfer darf aber später auch ein Tier
geopfert werden. Sein Blut
wird anstelle des Sünderblutes vergossen. Jes 53
erzählt von einem Knecht, der
die Sünden des ganzen Volkes auf sich nimmt, ihre Krankheiten
an sich trägt und
nach seiner Opferung als Sühne für die
Volkssünde von Gott rehabilitiert wird.
„Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen
(Knecht), er rettete den,
der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen
und lange leben.“[3]
Dieser prophetische Text wird
nach Jesu Tod als Vorschau des Lebens Jesu verstanden und in Phil
2,11ff
vertieft: Der Höchste läßt sich herab zu
den Niedrigsten, wird ihnen gleich in
seiner Solidarität und nach seinem Tod als Märtyrer
rehabilitiert, sitzt zur
Rechten Gottes.
Nach dieser von Paulus
aufgegriffenen Theorie schickt Gott
seinen Sohn ans Kreuz und erniedrigt damit sich selbst[4],
um nicht sein eigentliches
Vorhaben der Vernichtung der Menschheit wahrmachen zu müssen
wie seinerzeit in
der Sintflut. Aufgrund seiner Verfehlungen hätte normalerweise
jeder Mensch den
Tod verdient. Stellvertretend für ihn aber übernimmt
Jesus den Tod. Somit hat
der Christ durch seine Sünde Jesus ans Kreuz gebracht und
müßte eigentlich auch
mit ihm ans Kreuz genagelt werden. Statt dessen hat er wenigstens seine
Krankheiten, seine Pleiten, Pech und Pannen.
In 2Makk 12,32-45 wird
sogar für Kriegstote, die ein
verbotenes Amulett trugen, ein Sühnopfer finanziert, damit
diese sündlos werden
und dadurch an der Auferstehung teilhaben können, die es also
schon lange vor
Jesus gegeben hat für Kriegstote der Makkabäerkriege.
Gott wird hier als unerbittlich
grausam beschrieben: wer anderen Göttern vertraut, hat den Tod
verdient und
kommt nicht in den Himmel. In der Sühnopferlehre muß
getötet werden. Es gibt
keine Gnade für den Sünder ohne
Blutvergießen. Gott will Blut sehen.
Ein Gott, der
eifersüchtig ist und keine anderen Götter
neben sich duldet, ist böse. Ein Gott, der Menschenopfer
gewohnt war und sie
erst bei Isaak durch Tieropfer ersetzt, ist böse. Ein Gott,
der Tieropfer
verlangt, ist böse. Ein Gott, der Sintfluten macht, ist
böse. Ein Gott, der die
Erde in tektonischen Schichten geschaffen hat, die
regelmäßig und dauerhaft zu
Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis und
Feuersbrünsten führen, ist böse. Ein
Gott, der Wirbelstürme durch die warmen
Meeresströmungen geschaffen hat, ist
böse. Ein Gott, der die Ernährung der Lebenden durch
Töten und Fressen anderer
Lebenden geschaffen hat, ist böse. Ein Gott, der den Menschen
als seinen
Ebenbildern den Brudermord in die Gene gelegt hat, ist ein habgieriges
eifersüchtiges Untier. Ein Gott, der Menschen die
Möglichkeit des Kriegführens
und Niedertrampelns[5]
der Schöpfung gegeben hat, ist ein Sadist. Ein Gott, der
eigentlich alle
Menschen aufgrund ihrer meist lapidaren Verfehlungen töten
will, ist sehr sehr
böse. Ein Gott, der statt dessen seinen eigenen Sohn
tötet, ist brutal. Ein
Gott, der dann nicht wenigstens dafür Sorge trägt,
daß den Menschen, für die
Jesus gestorben ist, nichts Schlimmes und schon gar nicht die
Todesstrafe
widerfährt, ist wortbrüchig und so auch
böse. Der Zorn Gottes offenbart, wie
böse unser Gott ist. Dabei ist es unerheblich, ob Gott den
Menschen ebenfalls
eine beschränkte Freiheit zum Bösesein gegeben hat.
Es ist egal, ob er seine
Allmacht durch die Ermöglichung der
menschlichen Freiheit eingeschränkt hat, ob er verzichtet hat
auf die Ausübung
der Macht, menschliche Dummheiten oder Bosheiten zu verhindern, oder ob
er die
selbstgewählten Schicksalswege der Menschen gar nicht wissen
will in
freiwilliger Selbstbegrenzung seiner Allwissenheit und
Vorhersehungsfähigkeit.
Ein Gott, der eine sündige Menschheit auf Erden sich selbst
überläßt, weil er
ihr Freiheit lassen will, ist verantwortungslos. Ein Gott, der sich
selbst als
Liebe begrenzt, ist lieblos. Alle diese Behauptungen über
Gott, die den
Widerspruch von einem liebenden und allmächtigen Gott
angesichts des so
massenhaften unverschuldeten Leidens auf der Erde auflösen
sollen, verschärfen
nur die Erkenntnis der radikalen Unvollkommenheit Gottes. Daß
er weder
universale Liebe etablieren kann noch die Natur so schaffen,
daß diese ohne
Leiden existieren kann, zeigt ihn als schlechten Schöpfer:
weder Liebe noch
allmächtig.
Die angebliche Selbstbegrenzung
Gottes zugunsten menschlicher Freiheit ist eine zur
Ehrenrettung Gottes
erdachte Ausrede und kaschiert die faktische
Ohnmacht Gottes. Er ist Seniorchef, der aus der Firma
aussteigt, wobei er
unter der Herabwirtschaftung der Erde durch seine Nachfolger leidet,
etwa in
Auschwitz.
Die Naturkatastrophen:
Erdbeben, Dürre, Hunger, Überschwemmungen,
Stürme und Feuer sind nicht bedingt
durch menschliche Schuld. Hier ist allein Gottes
fehlerhafte Schöpfung schuld daran, daß
unzählige Menschen sterben, die
selbst absolut unschuldig an diesen Naturgewalten sind. Da versagt die
theologische Rede von der freiwilligen Selbstbegrenzung Gottes auf
ganzer
Linie.
Den früher in
Israel konstruierten Tat-Folge-Zusammenhang
von Sünde und Krankheit, ja Tod, hat Jesus entschieden
bestritten. Daß Gott
völlig unschuldige Kinder grausam an schrecklichsten
Krankheiten leiden lassen
kann, offenbart seine Bosheit in besonders drastische Weise.
Daß Krankheit ebenfalls
aufgrund einer
Selbstbegrenzung der angeblichen Allmacht Gottes entsteht, ohne
daß der
Allmächtige noch Macht hat, sie zu heilen, wie Jesus es
versucht hat, ist eine
zynische Ausrede. Ein liebender Gott
hätte die Organismen so harmonisch wachsen lassen
können, daß Krankheit
ausgeschlossen bliebe. Wenn wir als Ebenbilder Gottes immer
wieder kränkeln
und sterben, ist das Originalbild Gott wohl selbst ein krankes Subjekt.
Daß die
seelsorgerliche Begleitung Kranker und Sterbender
die einzige Form sein soll, in der die Liebe Gottes des
Allmächtigen uns zuteil
wird, ist ein trauriges Armutszeugnis für diesen Gott.
Daß Wilfried Härle
schreibt: „es ist Teil seiner Erschaffung personaler Wesen,
dass er nicht
wissen will, welche dieser Möglichkeiten von ihnen in der
Zukunft gewählt
werden“[6],
ist makaber ohnegleichen bei
der Betrachtung des Heiligen Leidens und Sterbens der Kinder von
Hiroshima und
Nagasaki. Sie hatten keine Wahl in ihrem Sterben.
Die Mehrzahl der Menschen
in Leid und Not hat keine Wahl und
erst recht keine Freiheit. Die gesamte
Rede von menschlicher Freiheit angesichts des Leidens ist ein
theologischer
Faustschlag ins Gesicht der gequälten Leidenden.
Diese Menschen haben es
nicht verdient, mit solchen Sprüchen von Gottes angeblicher
Liebe überzeugt
werden zu sollen. Aufrichtig wäre allenfalls, den Menschen,
die fragen, wie
Gott das alles zulassen kann, zu sagen: wenn er allmächtig
genug wäre, um
überhaupt irgendwas zulassen oder verbieten zu
können, dann wäre er ein Sadist
und das ist keine akzeptable Art, einen Kranken zur Reife zu erziehen.
Und
umgekehrt brauchen Menschen zur Akzeptanz ihres Leidens keinen Gott,
der unsichtbar
mitleidet, wovon nun wirklich keiner etwas hat. Man kann sein Leiden
auch ohne
einen mitleidigen Gott annehmen lernen, auch als Atheist reifen. Gut
wäre es,
Menschen zu haben, die einen nicht allein lassen und die Leid lindern
helfen.
Der Gott des Alten
Testaments gebietet gefangenen Feinde zu
liquidieren: „Aber in den Städten dieser
Völker, die der Herr, dein Gott, dir
zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem
hat, sondern
du sollst unbedingt an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an
den Hetitern,
Amoritern, Kanaanitern, Pheresitern, Hewitern und Jebusitern
— so wie es der
Herr, dein Gott, dir geboten hat“.[7]
So konnte verhindert werden,
daß die Ureinwohner Palästinas als Sklaven der Juden
ihre lebensbejahende Religion
als attraktive Alternative zum Jahwismus verbreiten konnten. Gott hat
Israel
das Land dieser Völker als Erbe
gegeben und will, daß deren Bevölkerung ausgemerzt
wird, damit dort die Juden
sich breitmachen können. Schöner kann
Völkermord kaum noch legitimiert werden.
Der Aufpreis für das gelobte Land mit Milch und Honig war die
Pflicht zum
Völkermord. Hitlers Programm vom Lebensraum im Osten mit
Vernichtung ganzer
polnischer Dörfer ist eine getreue Kopie dieser Bann-Gebote.
Heute geht es in
der Westbank munter weiter.
Während Psalmen
oft unverhohlen über Leid klagen, hält Härle
die Klage und den Schrei des Leidenden wechselweise für
wehleidig, kindisch
oder einseitig angesichts einiger Frommen, die in ihrer Not zum Glauben
gefunden
haben.[8]
Der Sinn des Leidens wird bei
Härle mit Reifung des Leidenden
und
Annahme des Leidens durch den Glauben bestimmt. Die Reifung besteht
darin, das,
was sowieso unabänderlich ist, zu akzeptieren. Gott ist kein
Gott, der Leidende
erlöst, sondern allenfalls ihnen nahe ist, sofern sie dies
auch glauben.[9]
Leiden sei der „göttliche Weg
zum Heil“ mit Mk 8,33, wo die Kreuzesnachfolge als der Weg
Jesu dem Kampf um
das eigene Wohl kontrastiert wird. Der Leidende ist genauso verzweifelt
wie
Jesus. Das verbindet wie in einer Selbsthilfegruppe das geteilte Leid.
Nun hat aber gerade der
gekreuzigte Christus noch eine
letzte Frage: „Mein Gott, warum hast du mich
verlassen?“ Betet er Ps 22 nur,
weil ihm als frommem Juden dies nahegelegt ist? Oder hat er als Sohn
Gottes
erlebt, wie brutal der Vater ihn fallen gelassen hat? Warum hat er
nicht als
Vorbild für alle Märtyrer und Kreuzesnachfolgenden
gesagt: „Es ist schön zu
leiden, weil ich da eine ganz besondere Nähe zu Gott erlebe.
Zu dem Vater, der
mich schlachtet, damit ihr alle Frieden habt und verschont bleibt vor
seinem
alles vernichtenden Zorn. Ihr Ungläubigen und bösen
Menschen, ich sterbe für
euch! Und habt keine Sorge, es ist nur ein Gefühl
von Gottverlassenheit, in Wirklichkeit ist Gott mir ganz nahe und wird
mich in
drei Tagen wieder lebendig machen, dann hab ich alles
überstanden und kann dann
wieder zurück in meinen Himmel fahren auf meinem Wolkentaxi.
Alles nur halb so
schlimm. Und es ist eben der schnellste Weg nach oben. Ihr
wißt doch: Märtyrer
haben Vorfahrt, fahren sofort nach dem Tod
himmelwärts.“ Der Satz von der
Gottverlassenheit ist somit eher als ein theologischer Ausrutscher Jesu
zu
bewerten, der während seines 7stündigen Erstickens
kurzfristig die Contenance
verlor. Gerade auch während der Folter sind Christen
normalerweise sehr gereift
in ihrem Element. Meist übrigens als Folternde.
Es ist zynisch, Leiden als
Königsweg zum Himmel
anzuempfehlen. Es ist makaber, das Kreuz als Zeichen Gottes in den
Mittelpunkt
des Kirchraums zu stellen. Es ist die Verherrlichung der Folter als
besonderer
Gottesnähe. Um wieviel befreiender wäre zu sagen,
daß all dies gar nicht der
Wille Gottes ist und die Gerechtigkeit Gottes will, daß kein
Mensch gefoltert
und gequält wird und daß dieser Wille auf unsere
Hände und Köpfe angewiesen
ist, um Wirklichkeit zu werden? Wir sollten mit der permanenten
Konnotation von
Gott und Leiden brechen und beginnen mit einem Gottesbild, welches
keine Opfer
mehr will.
Wenn der
Allmächtige auf Eingriffe in die
Menschheitsgeschichte verzichten wollte, um ihnen die völlige
Freiheit zu
lassen, warum hat er dann vorgehabt, die Menschen alle zu vernichten,
weil sie
Sünder sind? Wenn er nämlich Jesus als
Sühnopfer auf die Erde geschickt hat, um
uns die Todesstrafe zu ersparen, muß er ursprünglich
die Totalvernichtung aller
Sünder im Schilde geführt haben wie zu
Sintflut-Zeiten. Hätte er den Sündern
nicht auch ohne die Abschlachtung Jesu vergeben können? Wozu
im Abendmahl die
symbolische Wiederholung dieser Abschlachtung mit dem Leib Jesu und
seinem Blut
zur Vergebung unserer Sünden? Ist Gott so zornig,
daß er uns nicht einfach so und
ohne Blutvergießen vergeben kann?
Nach alter
jüdischer Lehre ist Bluttrinken ein todwürdiges
Verbrechen und Gotteslästerung. Das Abendmahl ist eine
Todsünde, legt man die
komplette Theorie des Sühnopfers zugrunde, nach der alles Blut
und Fett einzig
Gott zusteht.
So bleiben als klassische
Antworten auf den Widerspruch von
Allmacht und Leiden:
A)
Gott ist gerecht: Er schickt das
Böse als Strafe.
B)
Gott ist nicht allmächtig: Er kann
das Böse nicht
verhindern.
C)
Gott hat dem Menschen die Freiheit gegeben,
auch für
das Böse.
D)
Gott ist nicht nur gütig und nicht
gerecht; er will
(auch) das Böse und schickt Katastrophen nach für
Menschen nicht erkennbaren
Absichten.
E)
Gott hat mit dem Gang der Welt nach dem Ende
des
Schöpfungsaktes nichts mehr zu tun (Uhrmacher-Modell).
F)
Es gibt gar keinen Gott: Katastrophen als
Argument für
den Atheismus.
[1]
1Kor 15,3:
oÀti
Xristo\j a)pe/qanen u(pe\r tw½n a(martiw½n
h(mw½n kata\ ta\j grafa/j,
[2]
Kol 2,22; 1Pt 1,17ff kauft Jesu Blut die Gläubigen von ihrem
niederen Wandel
los als reines Lamm
[3]
Jes 53,10
[4]
Phil 2,11ff
[5]
$abfk in
Gen 1,28
mein hartes erbarmungsloses Niedertrampeln, Fesseln,
Unterdrücken
[6]
Wilfried Härle, Warum Gott?, Leipzig 2013,165
[7]
Dtn 20,17f; Gerhard von Rad, Der heilige Krieg im Alten Israel,
Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1952,25ff;
Cornelius Brekelmans,
Artikel {er"x
Bann, in: THAT I,635-639: Die Kriegsbeute ist Jahwe zu
weihen durch
komplette rituelle Tötung, cf Dtn 2,34; 3,6; 7,2; 13,16f; Jes
34,2; 37,11; Jer
25,9; 50,12.21-26; 51,3; Num 21,2f; Jos 6,17ff; 7,1-15; 8,26; 10,1.28
u.ö.; Ri
1,17; 21,11; Ex 22,19; Lev 27,29; Esr 10,8; 2Chr 20,23; 2Kön
19,11
[8]
aaO 172
[9]
aaO 173