Liebe Internetgemeinde!
Eine völlig neue Art zu predigen: Vom Schreibtisch aus an
Menschen, die ich nicht sehe und die mich nicht kennen. Anonym wie im
Beichtstuhl. Man kann sofort wegklicken, wenn es einen langweilt.
Ich habe meine Predigten von 1975 bis jetzt ins Internet gestellt und
noch einmal durchgelesen. Damals war ich Feuer und Flamme für
das Evangelium und hoffte auf das Reich Gottes zu meiner Lebenszeit.
Blochs militanter Optimismus beflügelte meine
Haßpredigten gegen den Krieg und die
Rüstungsindustrie, die Lobby der Kriegsexporteure. Es war sehr
naiv und langweilt inzwischen meine Freunde.
Höre Wagner während dieser Predigt und kann auf
seinen Harmonien unheimlich abfahren.
Tannhäuser-Ouvertüre, wie die Hegelschen Vorreden,
die alle Weisheit des Buches zusammenfaßten. Die Geigen in
den höchsten Tönen buchstäblich, der
Höreindruck wird extatisch, die Ohren gehen auf. Und Wagners
epische Dynamik mit naturmalerischen Themen – geradezu
Programmusik, aber er reizt alles an Instrumenten Verfügbare
aus, macht wie Udo Lindenberg eine Riesenshow auf der Bayreuther
Bühne, die die Reichen anzieht. Wagners Soundeffekte sind
ausgefuchst, die Melodien oft martialisch, wenn man das
einschmeichelnde Vorgeplänkel mal wegläßt.
Erschlagen von der Musik, die einen wie eine Riesenwelle
überflutet.
War die Übernahme von Adornos Kritik an Wagner als
Vorläufer des faschistischen Inszenarios vielleicht auch etwas
beißerisch und hätte man ihn nicht mehr von der
Nutzung musikalischer Mittel her als großen Experimentator
mit leider und schrecklicherweise ausgesprochen AfD-artigen
Sehnsüchten nach einem feierlichen Hitleraufmarsch sehen
können?
Da ist schon wieder das Beißerische, die Bissigkeit Adornos,
sein Biß. Ich liebte seinen Biß als
18jähriger in meiner brodelnden Seele. Durch Vaters Verbote
war sie durchwoben von einem Geflecht von Verdrängungen, von
unsagbar Gewordenem. Und Adorno schrieb mir aus der Seele. Die
Treffsicherheit seiner Sätze, die Präzision der
Analyse fand die Worte für das, was ich nur fühlte,
ohne Worte gefunden zu haben. Worte, bei denen das Herz aufgeht vor
Einverständnis mit sich, wo die inneren Pforten und sogar die
Enge in der Brust aufgeht, man frei atmen kann ganz bei sich selbst
ankommt.
Eigentlich wollte ich sagen: Ich mißtraue mir in meiner
Beißerart, sehe fremde Blicke auf mich als dem Querulanten,
dem Publikumsbeschimpfer, dem moralinsauren Eigenbrötler.
Meine Kollegen sagten immer wieder: „Die Gemeinde braucht
etwas positives, aufbauendes, braucht Hoffnung und Stärkung
für ihren Lebensalltag, ihre alltäglichen Probleme
und Sorgen. Du läßt sie damit völlig
hängen.“ Und weshalb haben damals die bescheidensten
und einfachsten Leute meiner Gemeinde sich am stärksten
engagiert für den Aufbau eines Dorfkrankenhauses in Mandu
Tawahun in Sierra Leone? Die hatten damals Hoffnung, daß man
an der Armut etwas verändern kann. Das waren Idealisten und
ich habe sie verführt durch mein Moralin.
Kritische Theorie als Hobby von Quengelköpfen und
Meckerpötten? Und sind die Forscher mit ihren Erkenntnissen
nicht ein zentraler Wegweiser und Bahnbrecher für Prognosen
wie Klimakatastrophe, Kapitalismuszusammenbruch? Da wird unser
Verhalten zu Recht geprüft und getadelt. Die Folgen unseres
Tuns werden uns einholen. Und würde diese Kritik an unserem
politischen und privaten Verhalten dieses korrigieren, hätte
die Vernunft gesiegt über die Fülle egoistischer
Konsumgewohnheiten im weitesten Sinne. Einfacher Leben als Ziel.
Ich habe als junger Pfarrer noch ganz fromm an das Reich Gottes
geglaubt, während mein Vater als Pfarrer sagte, Kriege wird es
immer geben, es gibt keinen Frieden und keine Gerechtigkeit auf Erden
und das Reich Gottes ist im Himmel und das himmlische Jerusalem senkt
sich nicht auf die Erde und dort wird Gott keine einzige Träne
abwischen.
Nun gibt es die Realpolitiker, die wollen wie Joschka Fischer die
Konflikte mit Muslimen in Jugoslawien beenden durch eine Intervention
und erzeugen dann einen unglaublichen grausamen Krieg, statt ihn zu
verhindern. Das Ganze mit der tollen Maxime, einen Faschismus dort zu
verhindern.
Nichts wurde verhindert und die Wunden sind für Jahrzehnte
noch offen. Die afrikanischen Kriege wurden emsig beliefert durch
unsere Rüstungsindustrie und die will immer wieder neue
Märkte erschießen, erschließen, stopp.
Ich gerate auch jetzt sofort wieder in das Klagen über all die
Nöte dieser Welt und kann es nicht lassen, sie am
Friedenswillen Gottes zu messen. Warum kann ich nicht zulassen,
daß es immer Kriege geben soll und Gott keine
Realität in dieser Welt ist, sondern eine Art zweites
Universum, wo wir später hingelangen, wenn wir artig sind und
uns nicht in die Geschäfte dieser Welt einmischen.
Angenommen, es wird noch 100 Jahre dauern, bis Kriege durch bessere
Arten der Konfliktlösung abgelöst sein werden und wir
waren in diesem Jahrhundert einfach noch nicht so weit, wie Obama es
sieht. Dann wäre es nur eine Zeitfrage, wann das Reich Gottes
beginnt und ich kann sowieso nichts machen daran, daß es in
diesem Leben nichts wird mit Gottes Reich. Daß wir hier in
Bremen aber leben können wie die Made im Speck,
Schlaraffenland und herrlich schmausen, keine Angst vor der Zukunft und
gesund im großen Ganzen. Also ich habe das Reich Gottes hier
in meiner Hütte realisiert. Keine Kämpfe mehr mit
irgendwem. Alles friedlich geworden. Und jetzt? Ich habe mich also
geirrt. Ich habe geglaubt an die Zukunft des Reiches Gottes. Und es ist
nicht gekommen und ich habe es keinen Millimeter näher zur
Welt bringen können mit meinem Gequatsche und Tun. Ich wollte
Gott als Realität propagieren, der Welt immanente schwache
Tendenzlatenz. Ich konnte noch nie an eine jenseitige Existenz Gottes
glauben. Das war für mich nie mehr als Aberglauben. Jetzt
muß ich kapitulieren und zugeben, auch mein Versuch ist
gescheitert, Gott als zukünftige Herrlichkeit der
versöhnten Weltgemeinde zu denken. Was bleibt? Vielleicht
alles zu tun, um später sagen zu können: ich war ein
gutes Tier, halbwegs gut. Kein Heiliger, habe viel
Glücksmomente mit vielen Frauen erlebt, genossen und erlitten,
wie sie vergingen. Habe einen halbwegs guten ökologischen
Fußabdruck, etwa die Hälfte des
Bundesdurchschnittes. Noch immer viel zu viel.
Eigentlich bin ich der Parusieerwartung aufgesessen. Diesmal nicht in
der paulinischen Form: noch zu seinen Lebzeiten, sondern mit den 2000
Jahren Verzögerung, aber dann doch durch Entwicklungen wie UNO
und 70 Jahre Frieden in Europa geschützt und
gestützt.
Die Hoffnung auf Frieden noch zu meinen, unseren Lebzeiten ist obsolet,
naiv, verblendet. Aber wer hätte vor 1989 gedacht,
daß der kalte Krieg mal der Vergangenheit angehören
würde? Da hat sich doch so viel Ermutigendes getan. Und die
Proteste gegen Mißstände sind in den letzten Jahren
immer massiver geworden und es tut sich dadurch auch vieles, wenn auch
zu langsam. Greta Thunberg hat in wenigen Monaten eine ungeahnte
Radikalisierung in der BRD erreicht. Wie sehr ist das alles Grund zur
Hoffnung? Oder die Kapitänin Carola Rackete, die im Juni 53
Menschen aus Seenot rettete und gegen das Verbot von dem faschistischen
Italiener Salvini an Land brachte. Es gibt wieder Heldinnen, fast immer
Frauen, kaum einmal Männer. Wo doch die
männerdominierten Regierungen vieler mächtiger
Länder die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und die
Klimakatastrophe kaum noch abzuwenden ist.
Ich bin skeptisch, aber werde das Schlimmste nicht mehr selbst
miterleben. Nach mir die Sintflut – wortwörtlich.
Und dies jetzt soll eine Predigt sein? Für Leser im Internet?
Ein Abgesang auf die minimale Macht Gottes in einer katastrophalen
Welt. Ein Wort der Resignation, der Kapitulation vor den
Mächten in dieser Welt. Es ist zu spät für
Hoffnungen. Vielleicht gibt es ja einen Himmel, aber ich komme da nicht
rein, so wenig wie in Richys Hütte in Bayreuth. Das Motto
dieser Predigt ist: Macht euch keine Hoffnungen mehr, es ist gelaufen,
die Rettung der Welt ist nicht mehr machbar. Und warum auch.
Ihr jüngeren PredigtleserInnen, sucht euch Orte in Norwegen,
bevor die Karawane der Klimaflüchtlinge Europa
überschwemmt und es hier unerträglich heiß
und trocken wird. Gut, daß wir Verursacher all dieses Elends,
wir Seehofer-Unterstützer und Merkel-Wähler, dann
schon in der Urne sind. So kann uns keiner mehr vorwerfen: Warum habt
ihr es nicht verhindert?
Warum diese Predigt keinen ausgewiesenen Bibeltext hat? Lest Jeremia
von vorne bis hinten. Wird ungern gepredigt, weil so negativ. Und es
gibt jetzt keinen Trost, kein einlullendes und erbauliches Wort. Wenn
irgendwas noch hilft, dann nicht fromme Sprüche, sondern auf
die Straße gehen und der Regierung Druck machen, ihre
Klimaziele beherzt umzusetzen. Es kommt die Zeit, wo man sagen wird:
Wie konntet ihr so blöd sein, euch SUVs zu kaufen und nach
Malle zu fliegen? Und es wird keine solche Dreckschleuder mehr auf
unseren Straßen zu finden sein. Jaja, Meistersinger,
träum deinen Traum. Amen.