Dr. Dr. Michael Lütge

Pfarrer em. & Gestalttherapeut (FPI)

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Predigt über das moderne Predigen

 

Liebe Gemeinde und Gemeind*Innen

Neulich kam wieder mal Jesus zu uns in die WG, wir saßen alle um den Küchentisch herum und lasen und schrieben Whatsapps und genderten ein wenig im Netz. Jesus setzte sich dann aufs Sofa und guckte Fernsehen, trank sein gewohntes Bier, was Marion ihm auf den Sofatisch brachte. Dann kam die Tagesschau und Jesus weinte dazu, weil er es nicht so gut fand, daß seine Landsleute jetzt schon 17.000 Palästinenser abgemurkst hatten, bis Neujahr schaffen sie die 20.000-Marke, wenn sie die Tunnel fluten mit dem Wasser, was sie den durstigen Zivilisten abgedreht hatten.

Jesus sagte dann nach der Tagesschau, daß es im Himmel bei seinem Vater gar keine Kriege und Hunger gibt, die Leute da ständig tolle Gospel singen und tanzen und sehr viel Spaß miteinander haben und schon etwas ängstlich sind, weil irgendwer spekuliert hat, daß sich das himmlische Jerusalem auf die Erde herabsenken soll. Dann ist es vorbei mit all dem Spaß und Sonnenschein. Aber einer von den Erzengeln meinte, keine Bange, das dauert noch, laßt euch die gute Laune nicht verderben.

Liebe Gemeinde, ich finde es etwas schade, daß Jesus sich immer nur in Wohngemeinschaften von Studenten herumtreibt, meist dann auch nur theologische Studenten, die hier ihren Partner fürs Leben und die Gemeindearbeit finden, bestrebt nach Stellenteilung zu 50%, damit jeder gleich viel Zeit für die Kinder hat, mit denen man das Pfarrhaus füllen wird. Jesus in einer Malocherhütte, wo der Vatter noch nach alter Sitte seine Frau und die Kinder verdrischt, das kommt schon deshalb nicht so gut, weil er sich auch sehr schnell die eine oder andere Kopfnuß einfangen würde, wenn er dazwischen gehen sollte. Und das würde Jesus glatt machen. Advent Advent, ein Lichtlein brennt. Und Jesus kommt wie in Grimms Märchen auf die Erde als Bettler mit Hüftschaden und bekommt einen neuen Schlafsack von der Inneren Mission und steht in der Suppenküche mittags an in der immer größer werdenden Schlange. Da ist er Zuhause, bei denen, für die die Abfälle gerettet werden, die selbst Abfall der Gesellschaft sind und für die die FDP auf keinen Fall mehr Grundeinkommen ausgeben will, weil sie dann noch weniger bereit sind, eine Billiglohnstelle anzunehmen, die ihnen das Job-Center aufdrückt.

So, liebe Gemeinde, jetzt kommt erstmal ein Move, das ist die Predigttechnik, wo ich schnell mal zu einem Predigttext aus der Bibel springe und den als kleine Einblendung wie im modernen Krimi mit seinem ständigen Switchen zwischen Vergangenheit und Gegenwart einbaue.

Folgendes also: Hörmal Jesus, also wenn du immer nur in Theologen-WGs oder gar im Predigerseminar dich auf dem Sofa herumlümmelst und deinen Frust über die geschönten Videoclips der Tagesschau mit Abendmahlswein herunterspülst, meinst du nicht, du könntest mal im Kochteam der Suppenküche Gemüse schneiden oder in der Frauenhilfe und dem Seniorenclub der zuständigen Kirchengemeinde fragen, wer mit seinem Rollator mitkommt zum nächsten Klimastreik? Oder zum Containern bei Aldi und Lidl?

Aufgemerkt, liebe Gemeinde und Jungtheologen: Werdet niemals so konkret wie ich hier, denn das kostet euch die Karriere zur Superintendentin. Wir sollten unbedingt auf Konkretes verzichten um des Evangeliums willen, was in seiner Adventshoffnung auf Gottes heile Welt alles Unheilige dieser Welt außen vor lassen sollte. Das ist die Draußen-vor-der-Tür-Welt, die uns nichts angeht, weil unser Gott kommt und fegt die vorletzten Dinge mit einer Handbewegung weg. Dann ist sein Friede angebrochen und davon laden wir unsere christliche Batterie für das nächste Jahr. Tochter Zion, freue dich, laßt uns froh und munter sein. Das Krippenspiel ist ein Vorspiel der kommenden Herrlichkeit der Kinder Gottes, mit den himmlischen Chören des Bachschen Weihnachtsoratoriums, Bereite dich Zion mit zärtlichen Trieben, den schönsten, dem liebsten bald bei dir zu sehn. Musik, die uns in den Himmel entführen kann, die unsere Finsternis für Stunden vergoldet, verzaubert, uns aufleben läßt. Jetzt ein schroffer Bruch, eine gebrechliche Predigt eines alten Mannes:

Der Jesus vom Wohngemeinschaftssofa mit seinem Bierchen ist ein schnuckeliger Versuch, den Schrecken Gottes zu nehmen, der kein Problem damit hat, die realen Menschen in dieser realen Welt machen zu lassen, wenn sie unermeßliche Reichtümer anhäufen und die Armen immer mehr und immer ärmer werden und dann wunderbar taugen als Kanonenfutter für die erste Reihe auf dem Feld in der Ukraine oder im Kongo. Der Schrecken des sich heraushaltenden Gottes, der seine Schöpfung sich selbst überläßt wegen der angeblichen Freiheit des Menschen, auch gegen Gottes Friedenswillen zu handeln, eines Gottes, der uns zu Kriegern geschaffen hat. Er hat Jesus gesandt aufs Sofa vor dem TV, um zu weinen über Jerusalem – ja, darf man in einer Predigt so konkrete Städte nennen? Ja. Darf man, solange es das Jerusalem vom Jahr 30 unserer Zeitrechnung ist, bitte nicht 2023 nach dem 7. Oktober mit dem jüdischen Ausrottungsziel gegen die Hamas, die gemäß von oben angeordneter Tagesschau-Diktion immer nur mit dem Prädikat „Terrororganisation“ genannt werden darf. Ob es eine ähnliche EKD-Verordnung von Annette Kurschus ebenfalls gab, bevor sie zurücktrat als Ratsvorsitzende wegen ihres Mißbrauchsbekannten?

Ich schweife ab, sehr schlecht bei einer Predigt im Advent. Macht mir das bitte nicht nach! Aber auch ein "Move", also zeitgemäß und megabitchy. Jesus auf dem WG-Sofa der Vikarin. Er sagt, alles nicht so schlimm, bald kommt Gott zur Welt und trocknet alle Tränen. Auch die der Millionen von Kriegstoten, ihrer Liebsten, der in deutschen KZs Ermordeten? Kein Thema. Weiß keiner so genau.

Liebster Jesu, wann wird das sein? Du hast auch keine Ahnung? Jetzt kommt die Vikarin ins Wohnzimmer. Auf ihrem Handy hat sie in der Küche gerade erfahren: am 24. Dezember, an Heilig Abend kommt Jesus, also du, in Bethlehem zur Welt, zu uns, naja, wenn man´s genau nimmt, zu den Palästinensern. Will uns das was sagen? Nö. Amen.