Michael
Lütge
Predigttext:
Galater 4, 4-7
4 Als aber
die Zeit
erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau
und unter das
Gesetz getan, 5 auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte,
damit
wir die Kindschaft empfingen. 6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den
Geist
seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
7 So
bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch
Erbe
durch Gott.
Liebe
Lesergemeinde,
Die meisten von
euch sind sowieso Theologen oder nicht
unbeleckt in unserer Branche, deshalb gleich mal hinein in den
Originaltext des
Paulus voller Neugier, was er wörtlich schrieb an die
Gotteskinder in der von keltischen Kriegern besiedelten Landschaft von
Galatien mit seinen beiden Hauptstädten Gordion und Ankyra (heute
Ankara):
Gal 4,4: ὅτε δὲ ἦλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου (Als die Fülle der Zeit
gekommen war)
Als aber die Zeit erfüllt war, ist Luthers süffige und viel zu simple Lesart. Pleroma kennen wir aus
gnostischen Texten, besonders aus der Paraphrase von Valentins Theologie bei
Irenäus. Dort gibt es das Urpaar Bythos und Sige, die Kinder zeugen und die
wiederum, bis ein Götterhimmel von 30 Göttergestalten herangewachsen ist und
aus diesen entsteht Jesus. Es ist einer der damaligen Urmenschmythen mit einem
vollen Götterhimmel, aus dem eine weibliche Gestalt, oft und gerne Sophia, die
materielle Welt erschafft und der erste aus dieser Himmelswelt als himmlisches
Wesen ins Materielle hineingeborene ist Jesus. Man kann also in diesem
Vorstadium gnostischen Denkens bei Paulus erkennen, daß er schon mit einer
himmlischen Mehrheit gerechnet hat, die soweit ausgewachsen war, daß sie einen
Gottmenschen zeugen konnte. Diese himmlische Abstammung Jesu wird dann in Lk 2
ausfabuliert, wo die Engel die irdische Abordnung der Götterfamilie im Himmel
sind. Das tolle an diesem Paulus-Text ist aber: Wir sehen in der Zeitmaschine
hinter Lk 2 zurück auf die ersten Spuren der uns so vertrauten Krippenspiel-Geschichte
mit dem Freudenengel auf der Kanzel mit seiner gemeinde-eigenen Nebelmaschine,
die nur für dieses Event angeschafft wurde und nicht etwa für die Disko im
Gemeindehauskeller.
Die Fülle der Zeit, genauer: die Fülle des Zeitgottes
Chronos, griechische Variante des mittelpersischen Zurvan akarana mit seinen
Kindern, diese Fülle des Himmels und seiner festen Zeitstruktur der 4
Weltzeiten von je 3.000 Jahren, öffnet sich in Periode 4 zur Ankunft des
Erlösers für diese nun anbrechende Friedenszeit und der Saoschjant, der
Erlöser, ist traditionell Zarathustra im Persischen, aus dessen Samen die 3
Könige für die kommenden 3 Tausendjahr-Epochen geboren werden.
ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸν υἱὸν αὐτοῦ͵ γενόμενον ἐκ γυναικός (sandte der Gott seinen Sohn heraus, geboren
aus einer Frau)
Und zwar auch immer von einer jungen Frau, wie denn auch
sonst. Ob sie im Aralsee gebadet hat und dort von Zarathustras im Wasser aufbewahrtem
Sperma geschwängert wurde oder als Maria von einem Engel, ist egal, sie gebiert
den Erlöser, den Heiland, den Friedenskönig. Das AT ist voll von solchen
Verheißungen, die allesamt ohne diese persischen Wurzeln nicht zu denken sind.
Darum auch die Betonung auf dem Fehlen eines menschlichen Vaters, obwohl das
männliche Sperma für den Akt der Befruchtung des Mädchens unabdingbar ist, das
gehört zur wahren Menschlichkeit des Heilands dazu wie das Amen in der Kirche.
γενόμενον ὑπὸ νόμον͵ 5 ἵνα τοὺς ὑπὸ νόμον ἐξαγοράσῃ͵ ἵνα τὴν υἱοθεσίαν ἀπο λάβωμεν. (geboren unter Gesetz, damit er die unterm
Gesetz herausführe, damit wir die Kindsetzung von ihm nehmen.)
Der Heiland Jesus soll die unter der Knute von Gesetzen
lebenden Menschen aus diesem Gefängnis herausführen, deshalb mußte er natürlich
selbst hinab in dieses Weltengefängnis, einer von den Gefangenen werden, die
auf ihre Befreiung harren. Seine Erdenmission ist die Verführung zur
Gotteskindschaft. Luthers „Loskaufen“ ist falsch übersetzt. Es mag das feudalistische Sklavenhalten
beschreiben und dem antiken Usus entsprechen, ist gespeist auch von
Sühnopfertheorien, die Paulus hier aber gar nicht im Schilde führt. Es ist ein
Annehmen dieser Kindschaft, darin schwingt das Doppelte einer Adoption: Die
Eltern wollen das Kind und das Kind nimmt die Eltern an und akzeptiert sie als
seine neuen Behüter. Ob die Kindheit so ganz ohne Untertansein abgeht, bleibt
meine Frage. Es fehlt hoffentlich die Peitsche und das Erbe steht in Aussicht,
aber unser Begriff von Emanzipation sieht doch wohl anders aus. Und Sohnschaft
im Reiche Christi gibt es institutionell auch nur mit Kirchengesetzen, die
nahezu alles regeln bis zur Fliesenhöhe im Pfarrerbadezimmer und der Konfession
möglicher Pfarrfrauen.
Ὅτι δέ ἐστε υἱοί (Daß/Weil ihr Söhne seid) Damit sind wir Kinder Gottes. Die Sklaverei ist vorbei, jedenfalls auf dem Bibelpapier, und damit sind die Kinder empfänglich geworden für den Geist des Sohnes, den der Gott in unsere Herzen sendet, die wir ja ebenfalls nun seine Söhne sind, lassen wir heute mal das notierische Gendern sein und akzeptieren den kruden Patriarchalismus des Juden Paulus, der immer noch Saulus geblieben ist in den Formen der Anschauung.
ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸ πνεῦμα τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ εἰς τὰς καρδίας ἡμῶν͵ κρᾶζον͵ Αββα ὁ πατήρ. (Der Gott schickt heraus den Geist seines
Sohnes in unsere Herzen, der ruft: Papa du Vater.) Die Anrufung Gottes spiegelt genau dessen Ambivalenz als
liebevoller Papa und Herr Vater und das Abba kann nicht über die Demut
hinwegtäuschen, die sich duckt vor der göttlichen Zuchtrute.
7 ὥστε οὐκέτι εἶ δοῦλος ἀλλὰ υἱός· εἰ δὲ υἱός͵ καὶ κληρονόμος διὰ θεοῦ. (Sodaß ich nicht mehr Knecht sei, sondern Sohn. Wenn aber Sohn, dann
auch gesetzlicher Erbe durch Gott.) Paulus bleibt in der juristischen
Metaphorik stecken: Als Sohn ist der ehemalige Sklave nun erbberechtigt.
Aber was gibt es von Gott zu erben? Da erbt man nur
Schulden, die Sünd der Welt, die Jesus ans Kreuz gebracht hat. Herrlichkeit,
die haben wir jetzt bei der Feier der Geburt des göttlichen Kindes, des Mannes,
der die Welt retten wollte und dabei am Kreuz gelandet ist.
Die Herrlichkeit der Kinder Gottes ist weder Tannenbaum noch
Weihnachtslieder. Sie wäre, und davon sind wir in der Kirche Lichtjahre
entfernt, das Eintreten für die
Verlorenen, die Opfer unserer Ausbeutung der Welt. Folgen unserer Ausbeutung sind neben der Armut und dem Hunger der südlichen Welt: der
Anstieg des Meeresspiegels, die Versteppung fruchtbarer Böden Afrikas, der
Kriege um Rohstoffe und Wasser und jetzt werden die, die der Hunger übers Mittelmeer
getrieben hat, in unserem recht reichen Europa wiederum vertrieben und kurzgehalten.
Der von Gott in unsere Herzen gesandte Geist Jesu gäbe sich
nicht damit zufrieden, das Abschlachten der Palästinenser in Gaza und ihre seit
1947 schon eine Ewigkeit andauernde Vertreibung in ganz Palästina als „Selbstverteidigung“
des Gottesvolkes Israel zu begrüßen wie Frau Kurschus vorm Brandenburger Tor.
Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen, dieses Wort
Bonhoeffers darf man auch einmal auf die bisher 20.000 in Gaza ermordeten Menschen
anwenden. Wir werden heute nicht schreien, weil wir niemals in der Kirche
schreien, außer im Presbyterium vielleicht. Aber wie früher in den USA gesungen
wurde: Black and White together, als Credo der schwarzen Bürgerbewegung, so
möchte ich, daß wir in unseren Herzen singen: Muslime und Juden und Christen
zusammen und friedlich nebeneinander wohnend in zwei gleichberechtigten Staaten
im Heiligen Land, im Lande des Gottes der Liebe und des Friedens. Das ist
machbar und das ist ein gewaltiges Stück Arbeit an der Herrlichkeit des alle
Menschen aller Konfessionen liebenden und doch so ohnmächtigen Gottes. Amen und
Kyrieleis.