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Michael Lütge

Heiligabend 24.12.2023

Predigttext: Galater 4, 4-7

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, 5 auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. 6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

 

Liebe Lesergemeinde,

Die meisten von euch sind sowieso Theologen oder nicht unbeleckt in unserer Branche, deshalb gleich mal hinein in den Originaltext des Paulus voller Neugier, was er wörtlich schrieb an die Gotteskinder in der von keltischen Kriegern besiedelten Landschaft von Galatien mit seinen beiden Hauptstädten Gordion und Ankyra (heute Ankara):

Gal 4,4: τε δ λθεν τ πλρωμα το χρνου (Als die Fülle der Zeit gekommen war)

Als aber die Zeit erfüllt war, ist Luthers süffige und viel zu simple Lesart. Pleroma kennen wir aus gnostischen Texten, besonders aus der Paraphrase von Valentins Theologie bei Irenäus. Dort gibt es das Urpaar Bythos und Sige, die Kinder zeugen und die wiederum, bis ein Götterhimmel von 30 Göttergestalten herangewachsen ist und aus diesen entsteht Jesus. Es ist einer der damaligen Urmenschmythen mit einem vollen Götterhimmel, aus dem eine weibliche Gestalt, oft und gerne Sophia, die materielle Welt erschafft und der erste aus dieser Himmelswelt als himmlisches Wesen ins Materielle hineingeborene ist Jesus. Man kann also in diesem Vorstadium gnostischen Denkens bei Paulus erkennen, daß er schon mit einer himmlischen Mehrheit gerechnet hat, die soweit ausgewachsen war, daß sie einen Gottmenschen zeugen konnte. Diese himmlische Abstammung Jesu wird dann in Lk 2 ausfabuliert, wo die Engel die irdische Abordnung der Götterfamilie im Himmel sind. Das tolle an diesem Paulus-Text ist aber: Wir sehen in der Zeitmaschine hinter Lk 2 zurück auf die ersten Spuren der uns so vertrauten Krippenspiel-Geschichte mit dem Freudenengel auf der Kanzel mit seiner gemeinde-eigenen Nebelmaschine, die nur für dieses Event angeschafft wurde und nicht etwa für die Disko im Gemeindehauskeller.

Die Fülle der Zeit, genauer: die Fülle des Zeitgottes Chronos, griechische Variante des mittelpersischen Zurvan akarana mit seinen Kindern, diese Fülle des Himmels und seiner festen Zeitstruktur der 4 Weltzeiten von je 3.000 Jahren, öffnet sich in Periode 4 zur Ankunft des Erlösers für diese nun anbrechende Friedenszeit und der Saoschjant, der Erlöser, ist traditionell Zarathustra im Persischen, aus dessen Samen die 3 Könige für die kommenden 3 Tausendjahr-Epochen geboren werden.

ξαπστειλεν θες τν υἱὸν ατο͵ γενμενον κ γυναικς (sandte der Gott seinen Sohn heraus, geboren aus einer Frau)

Und zwar auch immer von einer jungen Frau, wie denn auch sonst. Ob sie im Aralsee gebadet hat und dort von Zarathustras im Wasser aufbewahrtem Sperma geschwängert wurde oder als Maria von einem Engel, ist egal, sie gebiert den Erlöser, den Heiland, den Friedenskönig. Das AT ist voll von solchen Verheißungen, die allesamt ohne diese persischen Wurzeln nicht zu denken sind. Darum auch die Betonung auf dem Fehlen eines menschlichen Vaters, obwohl das männliche Sperma für den Akt der Befruchtung des Mädchens unabdingbar ist, das gehört zur wahren Menschlichkeit des Heilands dazu wie das Amen in der Kirche.

γενμενον π νμον͵ 5 να τος π νμον ξαγορσ͵ να τν υοθεσαν πο λβωμεν. (geboren unter Gesetz, damit er die unterm Gesetz herausführe, damit wir die Kindsetzung von ihm nehmen.)

Der Heiland Jesus soll die unter der Knute von Gesetzen lebenden Menschen aus diesem Gefängnis herausführen, deshalb mußte er natürlich selbst hinab in dieses Weltengefängnis, einer von den Gefangenen werden, die auf ihre Befreiung harren. Seine Erdenmission ist die Verführung zur Gotteskindschaft. Luthers „Loskaufen“ ist falsch übersetzt. Es mag das feudalistische Sklavenhalten beschreiben und dem antiken Usus entsprechen, ist gespeist auch von Sühnopfertheorien, die Paulus hier aber gar nicht im Schilde führt. Es ist ein Annehmen dieser Kindschaft, darin schwingt das Doppelte einer Adoption: Die Eltern wollen das Kind und das Kind nimmt die Eltern an und akzeptiert sie als seine neuen Behüter. Ob die Kindheit so ganz ohne Untertansein abgeht, bleibt meine Frage. Es fehlt hoffentlich die Peitsche und das Erbe steht in Aussicht, aber unser Begriff von Emanzipation sieht doch wohl anders aus. Und Sohnschaft im Reiche Christi gibt es institutionell auch nur mit Kirchengesetzen, die nahezu alles regeln bis zur Fliesenhöhe im Pfarrerbadezimmer und der Konfession möglicher Pfarrfrauen.

τι δ στε υο (Daß/Weil ihr Söhne seid) Damit sind wir Kinder Gottes. Die Sklaverei ist vorbei, jedenfalls auf dem Bibelpapier, und damit sind die Kinder empfänglich geworden für den Geist des Sohnes, den der Gott in unsere Herzen sendet, die wir ja ebenfalls nun seine Söhne sind, lassen wir heute mal das notierische Gendern sein und akzeptieren den kruden Patriarchalismus des Juden Paulus, der immer noch Saulus geblieben ist in den Formen der Anschauung. 

ξαπστειλεν θες τ πνεμα το υο ατο ες τς καρδας μν͵ κρζον͵ Αββα πατρ. (Der Gott schickt heraus den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der ruft: Papa du Vater.) Die Anrufung Gottes spiegelt genau dessen Ambivalenz als liebevoller Papa und Herr Vater und das Abba kann nicht über die Demut hinwegtäuschen, die sich duckt vor der göttlichen Zuchtrute.

7 στε οκτι ε δολος λλ υἱός· ε δ υἱός͵ κα κληρονμος δι θεο. (Sodaß ich nicht mehr Knecht sei, sondern Sohn. Wenn aber Sohn, dann auch gesetzlicher Erbe durch Gott.) Paulus bleibt in der juristischen Metaphorik stecken: Als Sohn ist der ehemalige Sklave nun erbberechtigt.

Aber was gibt es von Gott zu erben? Da erbt man nur Schulden, die Sünd der Welt, die Jesus ans Kreuz gebracht hat. Herrlichkeit, die haben wir jetzt bei der Feier der Geburt des göttlichen Kindes, des Mannes, der die Welt retten wollte und dabei am Kreuz gelandet ist.

Die Herrlichkeit der Kinder Gottes ist weder Tannenbaum noch Weihnachtslieder. Sie wäre, und davon sind wir in der Kirche Lichtjahre entfernt, das Eintreten für die Verlorenen, die Opfer unserer Ausbeutung der Welt. Folgen unserer Ausbeutung sind neben der Armut und dem Hunger der südlichen Welt: der Anstieg des Meeresspiegels, die Versteppung fruchtbarer Böden Afrikas, der Kriege um Rohstoffe und Wasser und jetzt werden die, die der Hunger übers Mittelmeer getrieben hat, in unserem recht reichen Europa wiederum vertrieben und kurzgehalten.

Der von Gott in unsere Herzen gesandte Geist Jesu gäbe sich nicht damit zufrieden, das Abschlachten der Palästinenser in Gaza und ihre seit 1947 schon eine Ewigkeit andauernde Vertreibung in ganz Palästina als „Selbstverteidigung“ des Gottesvolkes Israel zu begrüßen wie Frau Kurschus vorm Brandenburger Tor. Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen, dieses Wort Bonhoeffers darf man auch einmal auf die bisher 20.000 in Gaza ermordeten Menschen anwenden. Wir werden heute nicht schreien, weil wir niemals in der Kirche schreien, außer im Presbyterium vielleicht. Aber wie früher in den USA gesungen wurde: Black and White together, als Credo der schwarzen Bürgerbewegung, so möchte ich, daß wir in unseren Herzen singen: Muslime und Juden und Christen zusammen und friedlich nebeneinander wohnend in zwei gleichberechtigten Staaten im Heiligen Land, im Lande des Gottes der Liebe und des Friedens. Das ist machbar und das ist ein gewaltiges Stück Arbeit an der Herrlichkeit des alle Menschen aller Konfessionen liebenden und doch so ohnmächtigen Gottes. Amen und Kyrieleis.