Predigt über die Hoffnung


Liebe Lesergemeinde!
Positiv denken ist gesund. Das Granteln und Meckern färbt auf die eigene Seele ab und fokussiert sie in eine Welt voller schrecklicher Verhältnisse. Man wird als Glaubender in eine feindliche Welt hineingeworfen, das Geworfensein des Seins hat Heidegger, der Freiburger Philosoph, der Hitler mit wehenden Fahnen als Rektor der Uni grüßte, so hübsch häßlich in seinem Büchlein über Sein und Zeit begreifen wollen. Der eine wird in eine Villa geworfen, der andere in die Wüste, andere in ein Haus in Gaza mit aufliegender Bombe vom Volk Gottes.
Der Glaubende und die feindliche Welt. Und wie schaffen die Menschen in den von uns Reichen so schrecklich gemachten Daseinsverhältnissen, in ihrem Elend durchzuhalten und nicht allesamt depressiv oder suizidal zu werden? Was macht sie resilient gegen die Katastrophen, in denen sie zurecht kommen müssen? Die neuere Forschung zur Resilienz kommt zu dem Ergebnis: Hoffnung. Die Hoffnung auf ein besseres Leben, auf ein Ende der Qualen, auf Erlösung, auf eine Welt, die irgendwann einmal Heimat werden wird, friedlich und gerecht, diese Hoffnung läßt die Gequälten nicht zuschanden werden.
Da können wir Bibelleser sagen: Aha, so blöde war das ja gar nicht, was die Psalmen und Propheten über die kommende Welt Gottes geschrieben haben. Das eine wäre die Verhinderung von Hunger und Krieg durch eine gute Politik, das andere aber die rettenden Bilder der Hoffnung, die wir von den Kanzeln predigen, hier mal eine kleine Internet-Kanzel.
Ernst Bloch, unser Tübinger Lehrer von Generationen Theologiestudenten, hat ein - wie er sagte - kleines Büchlein geschrieben, in dem auf Seite 1628 zu lesen ist: "Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."
Das ist Philosophie auf den Punkt gebracht, knapper kann man es kaum sagen. Eine grandiose Summa theologiae. Ein Vorschein auf den in uns Menschen handelnden und unser Dasein durchwaltenden heiligen Geist Gottes.
Unsere Märchen von einer besseren Welt Gottes, die wir immer wieder aus der Bibel erzählen und die eigentlich kein vernünftiger Mensch noch glauben kann oder will - diese Märchen von der Güte Gottes, von der Vergebung, die in unserem Leben nirgends passiert, wo immer mit harten Bandagen operiert wird, Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes und die apokalyptischen Bilder eines auf die Erde herabschwebenden himmlischen Jerusalems mit einem Gott, der alle von Menschen und Tieren geweinten Tränen dermaleinst abwischen wird - all diese Träume einer versöhnten Welt werden gegen die kalte Faktizität geträumt als ein protestierende Gegenwelt des Guten, als eine Zukunftswerkstatt einer verzauberten Welt, die uns so tief innen trifft und weinen macht über die Wunden dieser brutalen noch gegenwärtigen Welt, die uns aber auch irgendwie in ihren Bann zieht und uns einen Traum ins Fleisch bohrt, einen zauberhaften Traum, der wie ein Motor ist, uns bewegt, der uns mit seinen Bildern Hoffnung macht, daß es nicht immer so bleiben muß.
Die Wirkung der Theologie der Hoffnung von Jürgen Moltmann war eine ganz massive Erneuerung in der Kirche durch eben diese Pfarrergeneration, die daran glaubte, daß in dieser unserer Kirche sich etwas bewegen läßt, daß wir Sauerteig in der Welt sein können, der aufgeht und die Menschen im Lande freier macht durch die Wahrheit Gottes, durch Aufrichtigkeit, Diskurse der Vernunft und einer praktischen Vernunft des Glaubens, einer Orthopraxie, die unsere Weltverantwortung wahrnimmt und merkt, wie sehr die säkularisierten Lehren der Kirche die Leitbilder der Gesellschaft geprägt haben und wie wir diese Prägung deshalb auch langfristig reformieren und revidieren können.
Maßstab unserer Verkündigung darf deshalb niemals das sein, was von unseren Hörern erwartet wird, die seit Jahrzehnten dabei sind und gerne die alten Lieder singen wollen, sondern die Predigt soll an alles Fleisch gerichtet sein, was das Heil Gottes schauen können soll. Wir müssen nach draußen predigen, zu denen, die gar nicht mehr kommen wollen. Mission war immer so ein Impuls dazu, allen Menschen Hoffnung zu machen und alle Menschen zu verführen zu Gottes Frieden und Sehnsucht nach Gerechtigkeit auf der ganzen Welt.
Man kann sich gleichmachen mit Populisten und Verschwörungsgläubigen, die ihre paranoiden Ängste vor allem Fremden zu faschistoiden Erzählungen ausbauen und mit hohem technischen Sachverstand verbreiten im Netz. Die Bereitschaft der Menschen, jeden Unsinn zu glauben, ist beeindruckend und erschreckend. Das gilt auch für die seltsamsten Kanzelreden in unseren Gotteshäusern.
Aber meine Idee von einem mündigen Christentum wäre, die Bilder einer besseren Welt, die aus der Bibel überliefert sind, so zu kommunizieren, daß sie evident und plausibel werden als Anleitungen zum Umbau der Welt zu Heimat. Und daß wir gelegentlich auch feiern, was wir in diesem Weltexperiment alles schon an Verbesserungen geschafft haben. Das ist ein Beweis, daß man doch etwas machen kann und nicht nur die Hände in den Schoß legen und meinen, Gott schraubt da irgendwo schon rum. Wir haben die Hände nicht zum Beten bekommen, sondern zum Schmutzigmachen in der Arbeit.