Michael
Lütge
15.7.2024
1 Ein
jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter
dem Himmel hat seine Stunde:
2
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat
seine Zeit;
3
töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen
hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 4 weinen hat seine Zeit, lachen
hat seine
Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen
hat
seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit,
aufhören zu
herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine
Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; 7
zerreißen hat seine Zeit,
zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat
seine Zeit; 8
lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit,
Friede hat
seine Zeit. 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man
keinen Gewinn davon.
10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, daß
sie sich damit
plagen. 11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat
er die Ewigkeit
in ihr Herz gelegt; nur daß der Mensch nicht
ergründen kann das Werk, das Gott
tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, daß es nichts
Besseres dabei gibt
als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem
Leben. Denn ein Mensch, der da
ißt und trinkt und hat guten Mut bei all seinem
Mühen, das ist eine Gabe
Gottes.
Liebe Leser,
es ist die
Perspektive des gebildeten Monarchen, die hier
spricht. Die Resignation eines, der mit den besten Vorsätzen
zu regieren anfing
und immer mehr erkennen mußte, daß selbst die
Königsmacht ihn nicht befähigt,
soviel Gerechtigkeit zu schaffen, daß alles gut wird, so wie
Gott im
Schöpfungsmythos sagen kann: Es ist sehr gut geworden. Nein,
es war nie gut,
von Anfang an war die Schöpfung nicht gut, sondern
Beißen und Gebissenwerden.
Betrachten wir
die Paare des Tuns, so beginnt es mit Gutem
versus Schlechtem, also Geburt – Tod, Pflanzen –
Ausreißen. Dann werden die
Polaritäten vertauscht: Töten – Heilen,
Abbrechen – Bauen, Weinen – Lachen,
Klagen – Tanzen. Dieser Tausch zu Schmerzlichem versus
Lebenschaffendem
passiert noch öfter im Text.
Worüber
ich mein Leben lang hinweggelesen habe, wenn ich
diesen Text am Sarg eines Gemeindeglieds gelesen habe, ist die Stelle
mit dem
Steinewerfen und Steinesammeln. „Das Leben des
Brian“ zeigt den Sitz im Leben
des Steinewerfens: Es ist eine gemeinschaftliche Form der Hinrichtung
eines
Mitbürgers, wo jeder – Weibsvolk ausgenommen
– Henker spielen darf. Damit wird
die Verantwortung für das Töten eines Menschen
geteilt auf viele, keiner muß
sich als Mörder fühlen. Jeder ist nur
Mitläufer gewesen, der hinterher zu seiner
Zeit, wenn der Deliquent liquidiert ist, die tödlichen Steine
wieder aufsammeln
darf. Vorher schon in diesem Text lasen wir das Paar
„Töten – Heilen“, es ist
also keineswegs weit hergeholt, beim Steinewerfen nicht an den
fröhlichen
Landmann zu denken, der Steine vom Acker an dessen Rand wirft, denn das
wäre ja
zugleich Steinesammeln. Es geht um das Töten durch Steinwurf.
Die Steinigung
gehört also wie selbstverständlich zu den normalen
Tätigkeiten des jüdischen
Lebens dazu wie all die anderen schönen und anstrengenden
Dinge des gemeinsamen
Lebens. Daß es ein 5. Gebot gibt „Du sollst nicht
töten“, an das sich niemals
jemand gehalten hat, bleibt frommer Wunsch, weil es massenhafte
Ausnahmen gibt
und im Erfinden von Argumenten für diese Ausnahmen die
Menschen eine
faszinierend perfide Phantasie aufbringen.
Werfen wir
einen kleinen Blick auf das jüdische Leben des
heutigen Israel. Es sind nicht mehr Steine, die geworfen werden,
sondern Bomben
auf Gaza, sauber und effektiv, kaum ein Haus der Millionenstadt steht
noch,
alles ist verwandelt zur Steinwüste und deutsche Waffen aus
dem Siegerland
werden als Panzerfäuste eingesetzt, um restliche
Häuser zu zerbröseln. Über die
40.000 ermordeten Zivilisten, meist Kinder und Frauen, will ich nicht
sprechen.
Hier geht es nur um Steine.
Perfide auch,
daß die Hamas bereit ist, auch 100.000 Frauen
und Kinder über die Klinge springen zu lassen, damit sich die
Weltgemeinschaft
noch stärker gegen Israel stellt. Und Israel hat auch dies auf
seiner Agenda.
„Nur ein toter Araber ist ein guter Araber.“ Und
das juckt die Orthodoxen dort
kein bißchen, sie glauben daran, daß Frieden
einkehrt, wenn alle ca. 70.000 Hamaskrieger
ermordet sind, egal, wieviel Beifang, wieviel Zivilisten ermordet
werden. Mit
Stumpf und Stil ausrotten, das haben sie von uns Deutschen gelernt. Sie
müssen
ihren Krieg nicht einmal heilig nennen, sie morden einfach beherzt
drauflos. Es
ist eben Zeit zum Steinewerfen. Zum Völkermord.
Die Opfer
werden die neuen Täter, das zeigen
sozialpsychologische Untersuchungen über schwarze
Pädagogik. Wir dürfen also
annehmen, daß Israel gerade ein riesiges Arsenal von neuen
Terroristen
heranzieht, möglicherweise größer als die
Hamas je gewesen ist. Das
Steinewerfen wird für die Zukunft fortgeschrieben und alles
Nötige getan, damit
dies noch schlimmer weitergehen kann. Die Weltgemeinschaft
muß tatenlos
zusehen, so wie sie es seit 1946, seit der Naqba, der brutalen
Vertreibung von fast
800.000 Palästinensern von ihren kleinen Bauernhöfen
in Palästina, immer schon
machen mußte und ihre fast 800 Resolutionen im Sicherheitsrat
der UNO oder
ihrer Generalversammlung keine einzige Linderung der
Unterdrückung der
Palästinenser gezeitigt haben.
„Lasset
uns danksagen dem Herren unserm Gotte, das ist
würdig und recht. Wahrhaft würdig und recht, billig
und heilsam ist´s, daß wir
dir allenthalben Dank sagen“. So die lutherische
Abendmahlsliturgie. „Nun ist
groß Fried ohn´ Unterlaß, all Fehd hat
nun ein Ende.“ Muß einem nicht bei
diesen Gesänge der Ton in der Kehle gefrieren? Wie kann man in
unseren Kirchen
noch so einfältig und kontrafaktisch jubilieren,
während das Volk Gottes, die
Juden, ihre Menschenschlachtaktionen intensivieren mit deutschen
Waffen? Augen
zu und durch? Steinewerfen hat seine Zeit. Kriege haben ihre Zeit,
manchmal
dreißig Jahre. In der Tora steht als Racheanweisung:
„Auge um Auge, Zahn um
Zahn.“ Die bisherige Rachepraxis Israels gegen
Palästinenser war regelmäßig im
Schnitt 15 Augen für ein Auge, die Vergeltung war immer
maßlos. Von daher läßt
sich auch verstehen, aber keinesfalls gutheißen,
daß die Hamas 2500 Partygäste
ermordet hat. Es waren die Dimensionen, in denen Israel mehrfach in den
letzten
Jahrzehnten Gaza bombardiert hatte. Das wurde in Deutschland stets sehr
schnell
vergessen gemacht wie die aggressive israelische
„Siedlungspolitik“ im
Westjordanland überhaupt, die eine massive Vertreibungspolitik
genannt werden
darf.
Daß
der Ukrainekrieg jetzt über 2 Jahre geht und kein Ende
in Sicht ist, auch nicht mit den besten deutschen Waffen, Wunderwaffen,
daß
Rußland gelernt hat, diese Waffen zu
übertölpeln mit iranischen Drohnen, - es
wird keinen Punkt geben, an dem die Ukraine so stark geworden ist,
daß sie in
Verhandlungen Bedingungen stellen könnte. Sie hat diesen Krieg
schon lange
verloren und findet nicht die Stärke, zuzugeben, daß
sie ihre Territorien
niemals wieder wird zurückgewinnen können. Und so
setzt sich das Schlachten
fort, besinnungslos und aussichtslos. Unser Mythos in den Medien sagt,
Putin
ist nicht verhandlungsbereit, und daher dürfen wir es auch
nicht sein. Eben
Zeit zum Bombenwerfen wie seit 2014 beidseitig üblich trotz
der Minsker
Verträge. 30% Ukrainer sympathisieren mit dem damals vom
rechtsnationalen Andrij
Bilezkyj gegründeten Asov-Regiment, sind so nationalistisch
wie die AFD, die
Waffenlieferungen ablehnt. Die Korruption und die Drahtzieherrolle der
ukrainischen Oligarchen ähnelt der in Rußland. Das
Land ist weit entfernt von
demokratischen Verhältnissen, die eine Mitgliedschaft in EU
und NATO
rechtfertigen würden. Der Krieg ist ein Versuch der USA, einen
Brückenkopf zur
Umzingelung Rußlands zu instaurieren. Zeit zum Steinewerfen.
Die
Rüstungsindustrie reibt sich die Hände. In jedem
Land. Der Krieg dauert
inzwischen fast 2,5 Jahre und ein Ende ist überhaupt nicht in
Sicht.
Jetzt aber wird
Biden dement und Trump nach dem
überstandenen Attentat vom 14.7.24 so verehrt, daß
er der klare Wahlsieger sein
wird und dann den Geldhahn für die Ukraine zudreht und diese
zwingt, Gebiete an
Rußland abzutreten, die sowieso überwiegend russisch
besiedelt und daher von
der ukrainischen Administration wirtschaftlich völlig
vernachlässigt und
ausgeblutet waren. Ausgerechnet der schreckliche Trump wird dann zum
Friedensbringer…
Es gab mal eine
Zeit, wo die Staatsräson lautete, von
deutschem Boden sollte nie wieder ein Krieg ausgehen. Jetzt gilt das
nicht
mehr, unser Land gehört zu den wichtigsten Waffenlieferanten
der derzeitigen
Kriege. Und gerade die Partei, die einst für Ökologie
und Frieden eintrat, ist
jetzt die mit den meisten Befürwortern der intensiven
Waffenlieferungen. Ihr
Boykott von russischem Gas hat Russland neue Absatzmärkte im
Osten erschließen
lassen, die weitaus zuverlässiger für die Zukunft
sind. Es war keine Sanktion
gegen Putin, sondern geradezu eine Erleichterung für die
russische Sicherheit
des Absatzmarktes. Dafür konsumieren wir nun Frekkinggas aus
den USA, was
früher eine Horrorvorstellung war. Die Grünen haben
alle ihre einstigen Ideale
verraten. Dafür haben sie auch fast die Hälfte ihrer
Wähler verloren.
Daß
alles seine Zeit hat, seine richtige Zeit, heißt auch,
man kann historische Chancen verpassen. So ist inzwischen der
Kipp-Punkt der
Klimaveränderung fast überschritten und wir haben die
Möglichkeiten einer
lebenswerten Zukunft für die Kinder der Welt
gründlich vertan und hinterlassen
ihnen eine Welt voller Katastrophen, die wir im eigenen Land
allmählich auch
schon erleben, ohne daß dies Konsequenzen für
politisches Handeln hätte. Wir
steuern sehenden Auges in die ökologische Katastrophe des
Erdballs und unsere
Jugend ist durch Tictoc bereits so verblödet, daß
sie mehrheitlich rechte
Parteien wählt, wenn man sie läßt.
Ich
wünsche mir sehr, daß die Zukunft mich mit meinen
düsteren Prognosen korrigiert. Daß einmal alles
Fleisch Gott schauen kann und
wird. Es ist eine zarte Hoffnung. Der Verstand sagt: Vergiß
es. Amen.