Dr. Dr. Michael Lütge, Pfarrer em. und Gestalttherapeut

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Gott als Sprache

 

ν ρχ ν λγος͵ κα λγος ν πρς τν θεν͵ κα θες ν λγος. 2 οτος ν ν ρχ πρς τν θεν. 3 πντα δι΄ ατο γνετο͵ κα χωρς ατο γνετο οδ ν. γγονεν 4 ν ατ ζω ν͵ κα ζω ν τ φς τν νθρπων· 5 κα τ φς ν τ σκοτίᾳ φανει͵ κα σκοτα ατ ο κατλαβεν. (Joh 1,1-5)

 

Am Anfang war das Wort, so beginnt das Johannesevangelium und nimmt die iranische Menôk-Gêtik-Vorstellung einer der materiellen Welt vorausgehenden geistig-himmlischen idealen Welt auf. Alles ist aus dem Logos entstanden. Was in ihm entstanden ist, war Leben und Leben ist das Licht der Menschen. Es kann von der Finsternis nicht ausgelöscht werden. In dieser Sukzession haben wir eine knappe gnostische Kosmologie: Logos -> Leben -> Licht. Auch Platon geht von dieser Welt der Ideen aus, die sich abschattet auf unserer irdischen Welt und nur schattenhaft erkennbar ist.

Vor dieser Schwelle des Übergangs makromolekularer Strukturbildungen zum Lebens-Stoffwechsel könnte man die Entstehung des Universums bereits als von astrophysikalischen Gesetzen und Kontingenzen bestimmtes Geschehen bezeichnen, was nach einer klaren Logik abläuft, aber ebenso durch viele Besonderheiten geprägt ist, sodaß kaum ein Stern dem anderen gleicht.

Neben dem Logos-Wort, das am Anfang bei Gott ist und Gott selbst ist, gibt es das zweite gnostische Gleichnis vom Licht, was in die Finsternis der Materie scheint und sie erhellt. Das paßt sogar kosmologisch: Die Strahlen der Sonnen erleuchten und wärmen ihre Planeten. Wir sind nur eines von Millionen Sonnensystemen. Die Entstehung der Galaxien sind bereits von einer polyvalenten Synergie logischer Prozesse geprägt, in denen spektakuläre Dinge passieren, die wir inzwischen mit unseren Teleskopen erkennen können. Man könnte hier von der Logik der Kosmogenese sprechen, wobei dieser Logos weit entfernt von allem ist, was auf dieser Erde an schöpferischen Prozessen der Ontogenese von Leben bekannt ist.

Für die gnostische Kosmologie ist die Urknallgeschichte noch gar nicht evident. Hier geht es um den Planeten Erde und dessen Entstehung von Leben überhaupt. Wir müssen also den Begriff Wort etwas differenzieren. Gott als Summe physikalischer Prozesse zu verstehen, um ihn dann als creator mundi zu verehren inclusive Nilpferde als Beispiel seiner großen Macht (Hiob), das war die alte Version der Schöpfungsmythen weltweit. Wir dürfen getrost den großen kosmologischen Rahmen außen vor lassen und uns focussieren auf das Geschehen auf der Erdkugel.

Das Wort kommt erst durch die Sonneneinstrahlung auf die Erde, wo sie aus makromolekularen Strukturen im Meerwasser Lebewesen entstehen läßt, Pflanzen, Amöben, Plankton und die Evolution des Tierreiches mit dem Tier namens Mensch, dessen Fähigkeit zur Lautbildung sich immer mehr diversifiziert zu den verschiedensten Sprachsystemen und Dialekten, die zugleich der jeweiligen Umgebung angepaßt sind. Johannes identifiziert den Logos mit Gott. Das ist eine bisher noch selten begriffene Geschichte.

Wir sind sofort abgelenkt durch die Gleichsetzung des personifizierten Logos mit Jesus und lesen daher, daß Jesus anfangs bei Gott war und sogar überbietend mit Gott identisch ist: κα θες ν λγος „Und Gott war das Wort.“ Gott war Jesus.

Ich lese es erstmal vorjesuanisch, weil diese Kosmologie die alte gnostische Lehre ist, in die Johannes dann Jesus implementiert. Er stellt Jesus in den Rahmen des gnostischen Erlösers, der aus der himmlischen Welt in die Finsternis der Erdwelt kommt, um die Menschen zu ihrer wahren Bestimmung eines Lebens im Lichte Gottes zu rufen. Natürlich durch Worte, die Sprüche und Reden, die die Evangelisten aufgeschrieben haben. Alle heiligen Texte in jeder Religion sind Worte und damit geistige Phänomene, nichts handfestes. Das Spannende ist aber nun, wie Worte das Leben von Anfang an getriggert haben, wie von Beginn des Lebens an bereits die Prototypen von logischen Prozessen den Stoffwechsel gestaltet haben, der das Leben überhaupt konstituiert. Die Evolution des Lebens wird a priori gestaltet und getriggert von der Vernunft des Lebens. Alle biologischen Prozesse sind vernunftgesteuerte Assimilationen an die jeweilige Umwelt und zielen auf den Schutz und das Fortbestehen der jeweiligen Gattung. Hier entwickelt sich eine Synergie biochemischer Abläufe und sensomotorischem Austausch von Zellen. Schon bevor irgendein Wesen Laute von sich gegeben hat, war alles von logischen und vernünftigen Bewegungen der Zellsubstanz lebendiger Körper durchdrungen. Insofern stimmt die Kosmologie der Gnosis und des Johannesevangeliums auch naturwissenschaftlich.

Gehen wir ontologisch von der Entstehung des einzelnen Lebewesens aus, so entdecken wir innerhalb jedes Organismus diese interne Kommunikation und Architektur und fortschreitende Diversifikation zu arbeitsteiligen Prozessen und zu hochkomplexen Verschaltungen von Organen, die alle nach klaren und ausgeklügelten Prinzipien funktionieren. Diese Binnenlogik ist eine organismische Weisheit, die einfach phaszinierend ausgereift ist und den Naturforscher immer wieder ins Staunen versetzt über die dort etablierte Intelligenz. Leben ist ein Wunder. Eines dieser Wunder ist die Zellteilung, die Vermehrung erlaubt. Ein Wesen schafft durch Teilung sich selbst neu. Und damit wird die Kommunikation mit einem anderen Wesen eine weitere Dimension der Vernunft in den Dingen. Es bildet sich Sprache als System der Verständigung der Einzelsubjekte untereinander heraus, um gemeinsam besser das Überleben der Gattung zu organisieren. Es werden Gesetze des Handelns vereinbart, Machtverteilung durch die Gewaltausübung der stärkeren Exemplare festgeschrieben und durch Schriftzeichen fixiert. Es finden Verteilungskämpfe um das verfügbare Essen und alle relevanten Rohstoffe statt, die ebenfalls nach festgelegten Regelwerken ablaufen.

Gott war am Anfang Logos, Sprache. Sprache ist das überlebenswichtige Kommunikationselement der Tiere und Menschen. Die Digitalisierung hat uns verstehen gelernt, wie die gesamte Natur, auch Pflanzen, von Kommunikation durchdrungen ist. Die Verständigung der Tiere und Pflanzen ist dabei gattungsübergreifend. Es gibt einen noch gar nicht voll erfaßten Schatz an Verständigungmöglichkeiten und Formen der Anschauung und des sensomotorischen Austausches, unter dem gesprochene Worte nur ein fast kleiner Bestandteil sind. Und all diese Formen des audiovisuellen Austausches der Lebewesen gehören zu den Sprachen der Erde. Wenn später noch der Geist in den göttlichen Reigen des Johannes hinzukommt, so ist er als Ruach, Atemhauch zugleich die biologische Basis der meisten Lauterzeugungen von Lebewesen. Insbesondere Menschen sprechen durch Ausstoßen von Luft. Die Lautsprache ist der Beginn der Diversifikation des Geistes, aber schon vorher verständigen sich die Lebewesen auf verblüffende Weise, oft mit chemischen Prozessen, etwa bei Pflanzen. Sobald Lebewesen kommunizieren, kann man vom Geist als dem Medium und Vehikel dieser Kommunikation sprechen. Wenn also Gott Geist ist, dann entsteht er aus dieser Kommunikation der Lebewesen miteinander.

Durch die Entwicklung von Sprachen stabilisieren sich gesellschaftliche Verhältnisse, Rechtsformen, Verhaltensregeln und werden Utopien und Pläne mitteilbar und dann gemeinschaftlich realisierbar. So bildet sich Kultur und Religion und Überlebensstrategien der Gattung, Jagd, Sammeln von Lebensmitteln, Anbau von Lebensmitteln, Ackerbau und Viehzucht. Wissen wird durch Sprache weitergegeben und akkumuliert. Wissenschaft entwickelt sich im Medium von Sprache. Und ebenso kann Sprache Bilder entwickeln, die gar keinen Anhalt an realem Geschehen haben. Sprache kann verzaubern, Illusionen schaffen, Ziele für gesellschaftliches Leben vorschlagen und Wege zu diesen Zielen formulieren.

Die Informatik seit Konrad Zuse arbeitet mit Null und Eins als den einzigen Elementen einer Hexadezimalsprache, entsprechend Aus und Ein im Stromimpuls. Mit diesen beiden Elementen und ihrer komplexen Konfiguration entstehen Texte, auch dieser, Bilder und Musik in der Umwandlung von analogen Daten in diese digitalen Daten. Damit kann die NASA die Bilder vom Universum speichern und der Weltöffentlichkeit zeigen. Damit werden minimalinvasive Eingriffe in den Körper in bildgebenden Verfahren kontrollierbar und Lebewesen wieder gesund gemacht.

Damit werden aber auch Drohnen gesteuert, die Feinde punktzielgenau pulverisieren. Der Logos ist manchmal auch sehr finster und gehorcht der Wut, dem Sadismus, dem Vernichtungswunsch. Die Strahlen des Lichtes können erleuchten oder verbrennen und werden in vielen Millionen Jahren das Leben auslöschen, besser: verglühen. Vermutlich aber schon sehr viel früher, dank der Profitgier der Industrienationen dieser Weltgemeinschaft, dank Deutschland.

Analoge Vorläufer dieser finsteren Sprachereignisse sind die Reden des Teufels bei Jesus in der Wüste und am Volksempfänger mit Goebbels und Hitler, dem Ver-Führer. Deren Machtergreifung wird momentan in den USA kopiert. Und Dunkelheit kann auch ein Schutz sein, weshalb das Schmusen oft im Dunkeln genossen wird. Der gnostische Dualismus von Licht und Finsternis alias Gut und Böse ist stilisiert, nicht immer ist Finsternis böse, nicht immer Licht ein Segen. Dunkle Materie und schwarze Löcher haben im Kosmos eine unverzichtbare Funktion.

Mein Ausgangspunkt der Logos-Lehre war die Vernetzung der Wesen durchs Wort als multidimensionales Interaktionsgeschehen durch Austausch und Stoffwechsel. Wenn Gott dem Adam Leben einhaucht, Geist also, Ruach, dann ist das der Prototyp des Lebens, die Vergeistigung der Materie durch Austausch. Und die religiösen Texte handeln von dem Kontakt der Menschen, von Interaktionen aller Art. Gott als Sprache begriffen wäre dann das Phänomen dieser Kommunikation, er wäre das Medium, durch das sie sich Verstehen können.

Das gelingt oft aber nicht, Mißverständnisse führen zu Konflikten und Kriegen. Nicht jede Interaktion ist vom göttlichen Lichtfunken getragen, den alle in sich haben. Das Böse wäre in diesem Fokus das Scheitern von Verstehen und Verständigung. Mit zurvanistischer Folie gesprochen: Ahriman will eigentlich so gut sein wie sein Zwillingsbruder Ahura Mazda, dem alles wohlgelingt als Weltregent, aber er schafft es nicht, ist der Versager. Damit stürzt die Welt ins Chaos, was wir seit Jahrtausenden als die Geschichte von Klassenkämpfen im Überlebenskampf wahrnehmen können. Das Böse ist der Mangel an Empathie, Einfühlung in die Situation der Anderen, die zur rücksichtslosen Durchsetzung der eigenen Interessen führt. Die durch demokratische Wahlen an die Macht Gelangten ebenso wie Putschisten oder Revolutionskämpfer unterliegen dieser Korruption durch die erlangte Macht. Dem Volke dienen wird schnell zur leeren Phrase. Aber auch Besonnenheit eines Kanzlers und sein Verzicht auf Führer-Gehabe löst in unserem post- und präfaschistischen Land böse Kritik aus.

Die himmlische Wette Gottes mit dem Teufel in Hiob 1 markiert das Wissen um diese Janusgesichtigkeit Gottes, die Ambiguität des Seins Gottes. Sprache ist so eben auch beides, gut und schlecht. Der Logos ist nicht nur gut und seine Lichtstrahlen in die Finsternis können allzuleicht verheerende Feuersbrünste auslösen. Die Idee eines göttlichen Lichtfunkens in den Seelen aller Menschen, der durch religiöse Erziehung kultiviert werden kann und sollte, weist auf die prinzielle Bereitschaft der Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit, zum Reich Gottes hin. Diese Tendenz-Latenz für ein solches Miteinander der Lebewesen wird seit der alttestamentlichen Prophetie immer wieder als Vision ausgemalt und hat die Kirchen auch immer wieder inspiriert, oft nur mit spärlichem Erfolg, weil diese Impulse sich nicht leicht zu rechtlich-institutionellen Verhältnissen konkretisieren lassen. Der Geist der Freiheit wird gerne argwöhnisch gedrosselt.

Gerne wird Jesus von der homiletisch angehauchten Theologie als Sprachereignis gefeiert. Das erlaubt, seine handfesten Arbeiten zu ignorieren und die gesamte Sphäre des Göttlichen auf geistig-geistliche Phänomene zu focussieren und so zu reduzieren. Die Leiblichkeit in der Theologie ist nur erwünscht beim eucharistischen Oblatenverteilen oder Übergießen mit handwarmem Wasser, also sakramentaler Intervention. Der Schwerpunkt kirchlichen Handelns aber liegt in Liturgie und Predigt, dem Erzählen von Gott und der Inszenierung einer virtuellen Begegnung der Gemeinde mit ihm als Gottesdienst. Alles andere dient nur dazu, dieses Hauptereignis des kirchlichen Lebens propädeutisch zu bewerben. Noch ein einziges Mal wird dann aber die Leiblichkeit Jesu wichtig: Bei der Behauptung der Auferstehungsgeschichten, er sei leibhaftig auferstanden. Dies aber im Grunde nur zu dem Zwecke, die mit seinem Tode fragwürdig gewordene Gerechtigkeit Gottes zu rehabilitieren.

 

Die Gestaltung des Lebens und der Welt ist ohne Sprache nicht möglich. Wir sind gezwungen zu sprechen, um leben zu können. Man kann nicht nur schweigen, auch wenn es das Absolute ist. Das Wort Gottes ist Eingriff in das schlechte Kontinuum verlogener Politik und struktureller Gewalt. Das prophetische Amt der Kirche verlangt danach, daß auf den Kanzeln Unrecht benannt wird. Wenn Wort Vorarbeit zur Tat ist, ergibt sich daraus ein kirchliches Handeln, was per se gesellschaftliche Mißverhältnisse kritisiert und korrigiert. Das genau ist das Reich Gottes.