Dr. Dr. Michael Lütge 2. 2. 2024

Theologie als  bestimmte Negation

 

Besonders aufhellend sind Erkenntnisse, wenn sie nicht aus der Aufführung eines Systems einer Philosophie entwickelt und aufbereitet wurden, sondern im Umgang mit den Details der Niederungen des Lebens aufblitzen. Genau so haben sich Jesu Sprüche entfaltet: nie um Dogmatik und Widerspruchslosigkeit bemüht, nie abstrakt als „Gotteslehre“, sondern immer konkret an den Menschen, die zu ihm kamen. Selbst wo er Bilder malt in seinen Gleichnissen oder in den Sand, bleibt er in der Welt seiner Hörer. Dieses Aufblitzen von tiefen Welt-Einsichten, der Aha-Effekt, die Evidenz des (nein, besser: eines) Allgemeinen am Allerkonkretesten, genau das ist der Impuls des Heiligen Geistes, die Plausibilität göttlicher Wahrheit, die es nur in der Fleischwerdung Christi zu begreifen gibt und gilt. Jesus ist nicht das eine Wort Gottes, sondern eines von vielen, die anecken an der hierarchisch-ausbeuterischen Gesellschaft.

Und die massivste Spitze des Alten Testaments sind die Prophetenbücher mit ihrer oft sehr harten Kritik an Königen und den Entwicklungen der israelitischen Gesellschaft. Sie waren immer eine Kritische Theorie der Gesellschaft, deckten Mißstände und Unrecht auf und malten gelegentlich Bilder eines Besseren. Genau das ist der göttliche Auftrag und die Berufung zum Propheten: den Finger in die Wunde zu legen, um zu heilen.

Ein solches Aufblitzen zentraler Erkenntnis fand ich in Adornos Erinnerungen an Thomas Mann, mit dem er in der Exilszeit in Amerika dessen „Doktor Faustus“ musiktheoretisch begleitet hatte. Darüber schreibt er später:

„Gegenüber der Gesamtanlage von Doktor Fausti Weheklag nicht nur sondern des ganzen Romans fand ich die höchst belasteten Seiten zu positiv, zu ungebrochen theologisch. Ihnen schien abzugehen, was in der entscheidenden Passage gefordert war, die Gewalt bestimmter Negation als der einzig erlaubten Chiffre des Anderen. Thomas Mann war nicht verstimmt, aber doch etwas traurig, und ich hatte Reue.“ (Theodor Wiesengrund Adorno,  Zu einem Porträt Thomas Manns. In: Noten zur Literatur, Gesammelte Schriften 11, S. 341f)

Hier hat sich seine „Negative Dialektik“ quasi in einem einzigen Halbsatz zusammengezogen: Bestimmte Negation als einziger Eingriff des Göttlichen, also an höchst konkreten Stellen sagen: „So darf es nicht weitergehen! Wir müssen das ändern.“ Und aus den Überlegungen, wie ein Mangel oder Unrecht aufzuheben ist, wobei der gesamte Reigen aller wissenschaftlichen Forschung ins Spiel zu bringen wäre, wo er Lösungen eines Problems vorschlagen oder entwickeln kann, aus diesen Überlegungen entsteht die Gestaltung eines Besseren, wächst die Schöpfung dem entgegen, was als Paradies eben nicht am Anfang war, sondern nur als Hoffnung auf das ausgemalt war, was die Sehnsucht der Menschen als Ziel erträumt. Und auch diese Gegenbilder gegen die schlechte Faktizität des Gegenwärtigen sind kritische Eingriffe und als Forderungen nach der Aufhebung des Unrechts „die Gewalt bestimmter Negation als der einzig erlaubten Chiffre des Anderen“. Es ist zauberhaft, wie Adorno hier das Bilderverbot des Alten Testaments als Tabu seiner jüdischen Erziehung im Einklang mit der calvinistisch-reformierten Tradition auf den Punkt bringt. Das Motiv des jüdischen Bilderverbots durchzieht das gesamte Oevre Adornos, beeindruckt von Gershom Scholems Mystik mit Berliner Schnauze: nur bilderlos wäre das volle Objekt zu denken. Solche Bilderlosigkeit konvergiert mit dem theologischen Bilderverbot. Der Materialismus säkularisierte es, indem er nicht gestattete, die Utopie positiv auszumalen; das ist der Gehalt seiner Negativität. Mit der Theologie kommt er dort überein, wo er am materialistischesten ist. Seine Sehnsucht wäre die Auferstehung des Fleisches; dem Idealismus, dem Reich des absoluten Geistes, ist sie ganz fremd. Fluchtpunkt des historischen Materialismus wäre seine eigene Aufhebung, die Befreiung des Geistes vom Primat der materiellen Bedürfnisse im Stand ihrer Erfüllung. Erst dem gestillten leibhaften Drang versöhnte sich der Geist und würde, was er so lange nur verheißt, wie er im Bann der materiellen Bedingungen die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse verweigert.“ Theoder W. Adorno, Negative Dialektik. Begriff und Kategorien.: Gesammelte Schriften 6, 207

Angesichts der postreligiösen Explosion virtueller Welten in Literatur, Musik, Kunst und Gaming am Rechner mahnt Adorno hier eine Nüchternheit an, die bar alles Schwülstigen so mancher Predigt in die Niederungen des Alltags geht und dort Problemlösungen ausheckt. Er hat das zB bei der Lehrerausbildung als Erziehung zur Mündigkeit exemplifiziert mit sehr konkreten Vorschlägen.

So könnte eine narrative Theologie mit Jesu Anregungen Gegenbilder gegen das entwickeln, was momentan in unserer Gesellschaft schief läuft und diese konkretisieren bis hinein in Baupläne für eine Lösung. Und wir Kirchentheoretiker müssen den Mut haben, von den klassischen Vokabeln der antiken Gotteslehre eine Metanoia zu vollziehen zu bis ins kleinste hinein von der Kompetenzgemeinschaft der Wissenschaften ausgearbeiteten Vorschlägen für die Buße, für die Abkehr von den Irrwegen der gesellschaftlichen und ökonomischen Praktiken, die zur Klimakatastrophe, massivstem wirtschaftlichen Ungleichgewicht und Kriegen führen. Gotteslehre wäre nicht mehr zu formulieren als lustige Spekulation über dessen zu erhoffendes oder mit Gewaltandrohung zu behauptendes Sein im Werden, sondern in totalem Bilderverbot über das Sein Gottes ausschließlich in Explikation des durch die Propheten und Jesus geäußerten Willens Gottes. Das heißt sehr klar und einfach: Wie leben wir als Kinder Gottes in Gerechtigkeit und Frieden miteinander und unseren Mitgeschöpfen in der uns nährenden Natur? Ob es Gott gibt oder nicht, ist eine völlig überflüssige Frage angesichts der Flut von dringenden Überlegungen, wie wir diesen Friedenswillen und dessen Vorbedingung der gerechten Sozialordnungen umsetzen können. Gotteslehre wird damit zu einer Sozialethik für eine gerechte globale Welt in einem der reichsten Länder dieser Erde. Die Herrlichkeit Gottes, von der Paulus seine Sehnsucht zum Ausdruck bringt, zeigt sich nicht in beduselt-dusseliger Anbetung in protzigen Kirchen, sondern in Gerechtigkeit und Frieden auf der ganzen Welt, orbi et urbi. Gotteslehre heißt dann: Was können wir jetzt tun für seine Zukunft in einer besseren Welt, in der – mit der Vision der Johannesapokalyse gesprochen – sich der Himmel auf die Erde niedersenkt und die Erde durchdringt mit Freude und himmlischer Liebe. Bilderverbot gilt für das Sein Gottes, aber die Zukunftswerkstatt für eine bessere Welt lebt aus den Forschungen und Erfindungen der praktischen Vernunft in den Wissenschaften.

 Beispiele für Gott als Praxisfigur

Ein Beispiel wäre angesichts der Unumkehrbarkeit des Klimawandels die energetische Umrüstung der Kirchen und Gemeindehäuser, die dann weitere Impulse für die Gemeinden geben wie etwa Balkonkraftwerke, Solar auf jedem Dach des Viertels, Innendämmung dort, wo man Fassaden erhalten möchte. Für Gläubige mit genügend Eigenkapital müßte jede Kirchengemeinde Hinweise auf Mikrokredite in ihren Zettelständen bereitstellen und selbst ihr Kapital bei Oikocredit anlegen und damit den armen Menschen in armen Ländern zu einer ökonomischen Unabhängigkeit aufhelfen.

Oder Suppenküchen, Mahlzeiten für und mit mittellosen Menschen, Gebrauchtwarenbörsen in Kirchen und Gemeindehäusern, Reparaturcafes für defekte Geräte, Tauschbörsen, Anlaufstellen für Geflüchtete und deutliche kritische Worte gegen die derzeitige Kriegstreiberei unserer Regierung. 

Jesu Botschaft dazu ist so eindeutig, daß es erschreckend ist, mit welchem Wohlwollen EKD-Funktionäre die Kriege in der Ukraine und in Gaza befeuern, wobei in Gaza deutlich mehr Menschen ermordet werden als in Städten der Ukraine. Es ist ein wunderbarer Vorstoß Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, die deutschen Waffenlieferungen an das faschistische Regime Netanjahus in Jerusalem als Beteiligung am Völkermord zu brandmarken. Die Lippenbekenntnisse der Regierung für eine humanitäre Verbesserung in Gaza werden Lügen gestraft durch die Lieferung der Waffen, mit denen die Palästinenser ermordet werden. Die Stornierung der Hilfslieferungen an das Palästinenserhilfswerk UNRWA in einer Situation des für Tausende drohenden Hungertodes durch die deutsche Außenministerin aufgrund von zwielichtigen Beschuldigungen der israelischen Regierung hat sich nach Ergebnissen der Untersuchungskommission als haltlos erwiesen. Es ist schockierend, wie die „deutsche Staatsraison“ eines völlig unkritischen Beistandes der Ampelregierung zu den faschistischen Kräften in Israel die Gräueltaten an der palästinensischen Bevölkerung unmittelbar unterstützt, etwa durch die RGW 90, die Matador-Panzerfäuste aus Burbach im Siegerland, mit denen die Häuser in Gaza in Schutt und Asche gebrannt werden. Die computergenerierte Zielerfassung des israelischen Militärs ist so eingestellt, dass Dutzende Opfer unter Unbeteiligten in Kauf genommen werden, um einen einzigen Hamas-Kämpfer auszuschalten. Der irische Außenminister Micheál Martin hat Israel wahllose Bombardements im Gazastreifen vorgeworfen. Von deutschen Grünen hört man nichts dergleichen.

Ein Lichtblick ist das Urteil des ISGH in Den Haag zur Anklage Südafrikas gegen Israel wegen Völkermord in Gaza, wo aufgrund von detaillierten Beweisen zur Aushungerung der Palästinenser dieses Vorgehen zusammen mit den bislang über 35000 Toten, darunter der Großteil Kinder und Frauen, sehr klar als Genozid erkannt wird.

Die Sprecherin des UN-Hochkommissars berichtet von Massengräbern in Gaza: "Einigen von ihnen waren die Hände gebunden, was natürlich auf schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht hinweist und weiteren Untersuchungen unterzogen werden muss." Denen zufolge wurden in Nasser 283 und in Al-Schifa 30 Leichen gefunden, darunter auch Frauen und Kinder. Sie seien unter Müllbergen begraben gewesen. Daß dies nur Einzelfälle von Genozid sind, ist kaum anzunehmen. Deutschland steht weiterhin fest an der Seite Netanjahus und läßt dies in den Medien auch permanent so einseitig darstellen, daß immer wieder israelische Befürworter der Massaker in Gaza zu Gehör kommen, aber kaum einmal Palästinenser, die man nur unter Lebensgefahr interviewen kann. Die USA und ihr faktischer Vasallenstaat Deutschland sind Israel in einer unheiligen Allianz tief verbunden, während über 120 Nationen das brutale Vorgehen Israels seit 1948 immer und immer wieder scharf verurteilt haben – ohne jeden Erfolg.

Die angeblich nur ca. 31.000 Gefallenen des Ukraine-Militärs stehen ca. 300.000 gefallenen Russen gegenüber, erst waren es nur Panzerhaubitzen, die Deutschland lieferte, dann der Leopard, dazu Unmengen Munition und Flugabwehr, jetzt wird der besonnene Kanzler Scholz von der FDP und den Grünen erpreßt, Taurus Marschflugkörper zu liefern, die Moskau erreichen können. Wer vor dem Bremer Dom gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete protestiert, bekommt dort kirchliches Hausverbot. Soweit ist die Kirche inzwischen mit der „Staatsräson“ deckungsgleich geworden und es fehlt nur noch das Weihwasser auf den Waffenlieferungen, die mit Kürzungen im Sozialhaushalt bei den Armen abgezwackt werden.

Es gab 1973 im Pfarrernotbund und der Bewegung „Kein anderes Evangelium“ massiven Druck auf alle Kirchenleitungen, DKP-Pfarrer von den Kanzeln zu jagen. Angesichts der AfD gibt es in der EKD eine bezeichnende Toleranz. „Eine Mitgliedschaft in der AfD ist nicht mit kirchlichen Ämtern vereinbar, das hat die katholische Kirche beschlossen. Die evangelische Landeskirche lehnt einen solchen Beschluss bisher ab, trotzdem ist die AfD nicht zur Landessynode eingeladen.“ (Bayrischer Rundfunk, Bayern 2 am Sonntagvormittag am 26.11.2023 um 09:05 Uhr) Immerhin gibt es für einen Pfarrer aus Quedlinburg, der für die AfD kandidiert, ein Disziplinarverfahren. Das Aporetische an dieser Situation ist, daß ausgerechnet die AfD nichts von Waffenlieferungen in die Ukraine hält und damit dem Friedenswillen Gottes näher ist als die protestantische Staatsräson. Von daher also doch unvereinbar! Aber die Unterstellungen der waffenliefernden Regierung an diesem Punkt ist, daß dieses Nein zur Kriegstreiberei von Putin unterstützt sei. Selbst wenn dies stimmen sollte, wird damit jeglichem Pazifismus bei uns unterstellt, lediglich vom Feind gesteuert zu sein und nicht etwa von der Haltung Jesu. Jesus hat in der Kirche fast nichts mehr an Einfluß. Die neue Gleichung der Kirchlichen Funktionäre ist somit: Pazifismus = AfD = rechts und rußlandgesteuert. Direkt sagt vermutlich keiner: Waffenlieferungen sind Gottes Wille.

Die Gemengelage erinnert entfernt an die Position Bonhoeffers gegen Barth, daß Tyrannenmord im Sonderfall Hitler etwas Rettendes gehabt hätte. Nun ist aber Putin nicht Hitler und Rußland steht recht geschlossen hinter Putin. Und über die „Arbeit“ des ukrainischen Militärs erfahren wir nur geschönte Meldungen; das Asow-Regiment und seine Sympathiesanten in der ukrainischen Bevölkerung erfüllen Kriterien nationalistischer Doktrin. Es sind keine Engel, die mit deutschen Waffen „arbeiten“ und töten. Weder im Donez noch in Gaza. Und zugkräftige Argumente für ihr Morden haben alle Kriegsparteien, darin gleichen sich alle.

Die andere Backe hinhalten, die Strategie Jesu, ist offenbar zur naiven Dummheit geworden und der Satz, von deutschem Boden solle nie wieder ein Krieg ausgehen, gehört zum Moralin der Nachkriegszeit, während heute ideologisch durch Pistorius bereits der nächste Krieg vorbereitet wird und von deutschem Boden rollen die Panzer, Haubitzen und bald Marschflugkörper gegen Rußland als Kriegsexporte an die korrupte Ukraine.

Anfang Februar 2024 sind 39% der Deutschen für Waffenlieferungen, 43% lehnen sie ab. Die stärksten Befürworter sind die Grünen mit 72%, gefolgt von SPD mit 55%, CDU mit 53% und FDP mit 52%. Die deutsche deutliche Mehrheit ist trotz der massiven Medienreklame für die Waffen inzwischen immer weniger von den Erfolgsaussichten dieses Krieges überzeugt. (https://de.statista.com/statistik/info/unser-research-versprechen) Im März 2022 waren es noch 67% der Deutschen, die Waffenlieferungen und auch schwere Waffen befürworteten. Die Erfahrung nach 2 Kriegsjahren lehrt immer mehr Menschen, daß dieser Krieg nicht gewinnbar ist, zumal Rußland mehr und mehr auf Drohnen umstellt, gegen die Kampfpanzer nichts ausrichten können.

Zur deutschen Ideologie gehört vor allem, daß man nur verhandeln könne aus einer Position der Stärke, und gerade diese Stärke verliert die Ukraine trotz der massivsten militärischen Unterstützung durch die Natostaaten, voran Deutschland. Rußland ist deutlich auf dem Vormarsch und die Ukraine kann ihre mühsam errungenen Stellungen leider nicht halten. Es fehlt völlig an der Bereitschaft zu Friedensgesprächen und durch das Argument der Taurus Marschflugkörper wird Rußland kaum einlenken. Man verbaut sich systematisch die Wege zu einem Frieden in absehbarer Zeit. Kriegstreiber wie Strack-Zimmermann werden von der Presse begeistert protegiert und hochgepusht. Deutschland wird wieder Kriegsnation wie unter Hitler. Beschämenderweise ganz vorn die Grünen so wie schon im Jugoslawienkrieg, der unermeßliches Leid über die unter Tito stabile Nation gebracht hat und den Terror, den er verhindern wollte, vertausendfacht hat. Sag mir, wo die Blumen sind.

Jesus

Jesus starb nicht am Kreuz, damit wir Kreuze exportieren und anderen die Hölle auf Erden befeuern. Er wollte, daß die Kämpfer ihr Schwert in die Scheide stecken. Die deutsche Kirchenräson hört diese Worte Jesu nicht mehr. Sie predigt das Kreuz als Erlösungshandeln Gottes, lädt damit ein zur Gewalt als Methode göttlicher Erlösung. Der Anblick des Gekreuzigten erzieht zur Vertrautheit mit dem Töten, mit dem Morden, und die Gamerszene mit Telespielen, die das Abschießen der Feinde einüben, ist zugleich die perfekte Erziehung zum Drohnenführer, der an seinem Bildschirm mit dem Joystick in der Faust die Feinde liquidiert.

Jesus ist gegenwärtig in den geringsten Brüdern. Er lebt unter den Kindern von Gaza, die mit den Bomben des Volkes Gottes aufwachsen und sterben, getötet mit deutschen Waffen. Vor wenigen Jahren predigte ich über Krieg 3.0 mit automatisierten Waffen, die ohne den Soldaten am Joystick ihre Feinde orten, erkennen und liquidieren können. Vieles hat sich schon jetzt in diese Richtung entwickelt: töten ohne jedes Risiko, selbst getötet werden zu können. So macht Töten Freude pur. Das ist die Position Netanjahus: Töten lassen ohne selbst in Gefahr zu schweben. Wenn Paul Celan schrieb, der Tod sei ein Meister aus Deutschland, kann man für den Völkermord in Gaza eine ähnliche Formulierung entwickeln. Das ist Theologie des Kreuzes, was die Frommen aller Konfessionen hochhalten und über die Menschen aussäen. Der Lobpreis des Kreuzes schlägt nicht um, sondern verwirklicht sich linear in einem tiefen Einverständnis mit dem Töten, für das es jeweils hervorragende Gründe gibt, darin sind die Verehrer des Kreuzigens unendlich erfinderisch. 

Nonverbale Verkündigung des Tötens

Im kirchlichen Kruzifix als Zentrum des Blickes der Gläubigen wird bereits das Einverständnis und die Gewöhnung an Quälen und Töten einstudiert, die Symbolik erzieht zu der Gewalt, mit der an der Front im Namen Gottes der Feind getötet wird. Dieses hidden curriculum des Kirchraums vollzieht sich gewöhnlich subtil und wirkt auf unbewußten Ebenen, während auf der liturgischen Ebene die Schuld und Vergebung zelebriert wird und Gottes Liebe und Gnade im Segen zugesprochen wird. Diese traditionelle Funktion von Theologie als Erziehung zum Bösen im Namen des Guten durch die Ambiguität von Gewaltdarstellungen und Aufruf zur Gottesfurcht versus Behauptungen über die Liebe Gottes, die man in den Gemeinden meist nur in homöopathischen Dosen erleben kann, bildet den größten Anteil an kirchlicher Verkündigung.

Es ist eine strukturelle double bind: verbal wird die Liebe beschworen, die Symbolik des Kirchraums und der Liturgie zelebrieren Hinrichtung und Unterwerfung und einen Kannibalismus der gemeinschaftlichen Verköstigung mit den Fleischerei-Produkten des geschlachteten Jesus. Da mag der iranische Urstier-Mythos Pate gestanden haben, vermittelt über den Mithraskult und es wird als Erinnerungsmahl an Jesus zelebriert und seiner ursprünglichen Bestialität entwunden. Daß ein Mensch aus Liebe sich aufopfert und in kleine Häppchen zerteilt von seinen Verehrern verzehren läßt, ist sonst nur aus Kriminalfällen von hochgradig perversen Menschen bekannt. Genau diese entsetzliche Perversion bildet die Grundlage der Eucharistiefeier oder des Agapemahles, wo es immer nur um den Tod Jesu geht und überhaupt nicht um sein fabelhaftes und vorbildliches Lebens, was zur Nachahmung reizt.

Wie Jesus unter uns auferstehen kann als Ausgießung des Geistes der Liebe

Wofür starb Jesus? Dafür, daß wir von der Lust am Quälen frei werden, Nachfolger in seiner Liebe, in der keiner verdammt und vernichtet wird. Aber bereits diese Frage ist falsch, weil sie unterstellt, daß das angstfreie Leben Jesu die Möglichkeit, in so heftigen Konflikt mit den Hohepriestern zu kommen, daß diese ihn hinrichten lassen würden, bewußt reflektiert hat. Ich unterstelle dagegen, daß es Jesus gar nicht in den Sinn kam, daß ein Mensch, der Kranke heilt und damit den Heilswillen Gottes praktisch verwirklicht, ins Fadenkreuz der Machthaber geraten könnte. Jesus war kein Politiker, der über solche Folgen seines Handelns gegrübelt hätte. Er war eher das, was in der Theologie abwertend als Schwärmertum belächelt wird von Professoren, die sehr genau wissen, was sie sagen dürfen und wo sie anecken könnten in der kirchlichen Kommunität. Jesus war politisch völlig naiv und hat keinesfalls seinen Tod billigend in Kauf genommen oder gar vorsätzlich inszeniert. Er war darin ein sehr einfach denkender Mensch und überhaupt kein Übermensch. Und genau auf dieser Einfachheit ruht der Segen Gottes.

Funktion von Theologie als bestimmter Negation ist die prophetische Kritik an allen entsetzlichen Zuständen dieser Weltordnung. Aus dem Nein zum Krieg als dem massivsten Verstoß gegen den Willen Gottes kristallisiert sich die Vision eines göttlichen Reiches der Gewaltlosigkeit heraus. Auch diese Impulse gibt es in der Kirchenlandschaft, man möchte sagen: Gott sei Dank. Das wäre gelebte Nachfolge Jesu, da stände Jesus, der Lebendige, im Fokus des Interesses und die Umkehr der Frage vom Sinn seines Todes wäre: Wofür lebte Jesus? Damit kommen wir zum Fest der Verlorenen, zur Gemeinschaft mit Aussätzigen, Kranken, Geächteten. Damit kommen wir zu den vielen sozialarbeiterischen Aufgaben in der Kirche, die genau diese Fürsorge betreiben. Das diakonische Handeln der Kirche und ihr Einspruch gegen politische Ungerechtigkeit ist das, was sie vereint mit ihrem Herrn. Und da ist auch der Übergang von der Kirche zur Welt: alle NGOs und Gruppen, die gegen Unrecht tätig werden, die Unterdrückten helfen und sich um Kranke kümmern, handeln bewußt oder auch völlig unwissentlich in der von Jesus gelebten Intention der Liebe, einer Liebe, die sich global verstreuen will in der Welt, das ist der missionarische Impuls der Liebe überhaupt, sie strahlt aus und dann ist es Jesus völlig egal, ob das dann noch mit seinem Namen assoziiert wird. Jesus will nicht verehrt werden. Er will, daß auf der ganzen Welt die Menschen in Frieden miteinander leben können in gerechten Verhältnissen, kurz: das Reich Gottes mitten unter uns. Und auch das muß man nicht eigens als solches benennen, sondern einfach nur tun.