Bonhoeffer
spricht mir aus dem
Herzen: „Oft frage ich mich,
warum mich ein »christlicher Instinkt«
häufig mehr zu den Religionslosen als zu
den Religiösen zieht, und zwar durchaus nicht in der Absicht
der Missionierung,
sondern ich möchte fast sagen
»brüderlich«. Während ich mich
den Religiösen
gegenüber oft scheue, den Namen Gottes zu nennen - weil er mir
hier irgendwie
falsch zu klingen scheint und ich mir selbst etwas unehrlich vorkomme
(besonders schlimm ist es, wenn die anderen in religiöser
Terminologie zu reden
anfangen, dann verstumme ich fast völlig und es wird mir
irgendwie schwül und
unbehaglich) -, kann ich den Religionslosen gegenüber
gelegentlich ganz ruhig
und wie selbstverständlich Gott nennen.“[1]
Seit Mitte April 1944 verändert sich Bonhoeffers Ergebung in
die ungerechte
Fortdauer der Haft, wächst seine innere Distanz zur
Kirchlichkeit. Mit
prophetischer Klarheit antezipiert er den Autoritätsverlust
der Kirchen und die
Abstimmung mit den Füßen durch Kirchenaustritte.
Inzwischen sind mehr als die
Hälfte der Deutschen nicht mehr Mitglieder einer Kirche. Sein
Interesse wird
mehr und mehr: denen, die nicht im kirchlichen Saft der Eucharistie
schwimmen,
den Puls Gottes hörbar zu machen. „Der
Auferstehungsglaube ist nicht die
»Lösung« des Todesproblems. Das
»Jenseits« Gottes ist nicht das Jenseits
unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische
Transzendenz hat mit
der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserem Leben
jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche
Vermögen versagt, an
den Grenzen, sondern mitten im Dorf.“[2]
Die
vollständige Immanenz
Gottes in der Welt wird zu einem
Quantensprung in der späten Theologie Bonhoeffers.
„Und wir können nicht
redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben
müssen - »etsi deus
non daretur«. Und eben dies erkennen wir - vor Gott! Gott
selbst zwingt uns zu
dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu
einer wahrhaftigen
Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen,
daß wir leben
müssen, als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden.
Der Gott, der
mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus
15,34)! Der Gott, der uns in
der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott,
ist der Gott, vor dem wir
dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott
läßt sich aus der
Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und
schwach in der Welt und
gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matth. 8,17 ganz
deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht,
sondern kraft seiner
Schwachheit, seines Leidens!“[3]
Das ist der Abschied vom anfänglichen Supranaturalismus und
Theismus und die
konsequente Anwendung des lutherischen solus christus.
Die Wahrnehmung
Jesu bei Bonhoeffer
wird mehr und mehr aus
der Solidarität der Leidenden ein Abschied von allem
Bombastischen, mit dem die
Evangelien ihn hochgepusht hatten. „Später erfuhr
ich und ich erfahre es bis
zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des
Lebens glauben lernt.
Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas
zu machen - sei es
einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen
Kirchenmann (eine
sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder Ungerechten,
einen
Kranken oder einen Gesunden - und dies nenne ich Diesseitigkeit,
nämlich in der
Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge,
Erfahrungen und
Ratlosigkeiten leben, — dann wirft man sich Gott ganz in die
Arme, dann nimmt
man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der
Welt ernst,
dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist
Glaube, das
ist »Metanoia«; und so wird man ein Mensch, ein
Christ“.[4]
Der Verzicht, etwas aus sich zu machen, sich in eine Schublade
einzuordnen,
sich in eine Schulrichtung zu klassifizieren und zu definieren und sich
ohne
all diese Vorurteile über sich und andere den Tagesproblemen
zu stellen, markiert
den Abschied von der systematischen Theologie mit ihrem Bestreben, aus
Gott ein
wunderbar komplexes begriffliches Kartenhaus zu basteln, dessen
Stringenz und
Plausibilität an innerer Widerspruchsfreiheit gemessen werden
will, aber auf
eine Kommensurabilität mit der sozialen und politischen
Realität und ihrer Abspiegelung
in Mythen des Alltags verzichtet. Es markiert den Willen, aus der
virtuellen
Welt der kirchlich zelebrierten Mythologeme und Phantasmata
hinauszutreten in
den Kontakt mit all den vielen Menschen, die diesen Glauben nicht
glauben
können oder schlicht vollständig unbeleckt sind von
der Welt der religiösen
Phantasien. Für all diese Menschen haben theologische Aussagen
nicht mehr als
den Rang von Verschwörungstheorien und unbeweisbaren
Behauptungen, die allesamt
die Annahme von Vorgängen außerhalb unserer
wissenschaftlich erforschbaren Welt
voraussetzen.
Bonhoeffers
Perspektivenänderung im Blick auf Jesus macht
Nachfolge zum Eintauchen in die Welt und führt zwingend zur
politischen und
sozialen Einflußnahme in der Welt. Jesus ist ganz auf das
Leben im Diesseits,
im Kontakt zum physischen Nächsten ausgerichtet.
„Gewiß nahm sich Jesus der
Existenzen am Rande der menschlichen Gesellschaft, Dirnen,
Zöllner, an, aber
doch durchaus nicht nur ihrer, sondern weil er sich der Menschen
überhaupt
annehmen wollte. Niemals hat Jesus die Gesundheit, die Kraft, das
Glück eines
Menschen an sich in Frage gestellt und wie eine faule Frucht angesehen;
warum
hätte er sonst Kranke gesund gemacht, Schwachen die Kraft
wiedergegeben? Jesus
nimmt das ganze menschliche Leben in allen seinen Erscheinungen
für sich und das
Reich Gottes in Anspruch.“[5]
Es mutet fast
wie eine Abkehr von der
klösterlich-spartanischen
Askese der Jahre in Finkenwalde an, wenn er gerade in seiner
6-Quadratmeter-Zelle von Glück, Kraft, Gesundheit schreibt und
damit der
Predigt des Kyrie, der Enthaltsamkeit, der notorischen Selbstkasteiung
für die
eigene Sündhaftigkeit eine deutliche Abfuhr erteilt zugunsten
des Rechts auf
Glück, auf Wohlergehen, auf Genießen der eigenen
Kraft und
Entfaltungsmöglichkeiten.
Die
Diesseitigkeit Gottes, die Jesus
als Motor seines
Handelns erlebt hat, ist durch die Aufklärung und Darwins
Evolutionstheorie
inzwischen so mutiert, daß man nur noch bei Katastrophen ins
Beten verfällt. „Ich
ging davon aus, daß Gott immer weiter aus dem Bereich einer
mündig gewordenen
Welt, aus unseren Erkenntnis- und Lebensbereichen hinausgeschoben wird
und seit
Kant nur noch jenseits der Welt der Erfahrung Raum behalten
hat.“[6]
Gott ist dann nicht mehr der große Bruder im Himmel, der
helfen soll, wenn es
klemmt. Wenn man nach Kant noch von der Transzendenz Gottes reden will,
dann
als die den alltäglichen Egoismus überschreitende
Erfahrung des
Hingerissenseins von der Liebe in all ihren Formen. Transzendenz ist
Überschreiten des eigenen Wohlsituiertseins in
selbstgenügsamer Focussierung
auf das eigene Wohl. „Das
»Für-andere-da-sein« Jesu ist die
Transzendenzerfahrung! Aus der Freiheit von sich selbst, aus dem
»Für-andere-da-sein« bis zum Tod
entspringt erst die Allmacht, Allwissenheit,
Allgegenwart. Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu.
(Menschwerdung,
Kreuz, Auferstehung.) Unser Verhältnis zu Gott ist kein
»religiöses« zu einem
denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies
ist keine echte Transzendenz,
sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im
»Dasein-für-andere«, in
der Teilnahme am Sein Jesu. Nicht die unendlichen, unerreichbaren
Aufgaben,
sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das
Transzendente. Gott in
Menschengestalt!“[7]
Damit greift Bonhoeffer Mt 25 auf: Jesus im geringsten seiner
Brüder finden und
für ihn da sein. Die Kirche für andere würde
ihren Besitz für Bedürftige geben
und Pfarrer würden nicht nach A13 Gehalt beziehen, sondern wie
in Freikirchen
von Spenden leben und einen zusätzlichen Beruf zum
Geldverdienen ausüben.
Bonhoeffer erkennt, wie wenig die Kirchen dem Handeln Jesu entsprechen
und
damit Verrat an Jesus begehen.
Der Grund,
weshalb die Menschen
kontinuierlich die Kirchen
verlassen und inzwischen die Hälfte bereits ausgetreten ist,
liegt zum einen
darin, daß Technik und Wissenschaften plausiblere
Erklärungen liefern als eine
verschlafene theologische Apologetik angesichts der Theodizeefragen.
Der zweite
Grund ist, daß eine offene Diskrepanz zwischen dem
gelegentlich noch
gepredigten Jesus und der organisierten Pfarrerschaft besteht. Es ist
der
Gegensatz von Arm und Reich.
Ritschl war
Lehrer von Adolf von
Harnack, bei dem Bonhoeffer
mit nur 21 Jahren promovierte. Durch diese Schullinie mag auch der
Gedanke der
Diesseitigkeit auf Bonhoeffer gekommen sein. Für Ritschl ist
die irdische
Verwirklichung des Reiches Gottes durch das im Sinne Kants moralische
und im
Geiste und Stile Jesu sittliche Leben ein zentrales Thema.[8]
Allein durch die konsequente Nachfolge Jesu kann das Reich Gottes
verwirklicht
werden im gegenwärtigen Leben und Arbeiten in dieser Welt, im
„sittlichen
Handeln in dem bürgerlichen Beruf“. Die universale
Aufgabe des Reiches Gottes
wird ins Werk gesetzt, wenn „jeder Einzelne sittlich handelt,
indem er das
allgemeine Gesetz in seinem besonderen Beruf erfüllt oder in
derjenigen
Combination von Berufen, welche man in seiner Lebensführung
zusammenzufassen im
Stande ist. Damit ist jede sittliche Nothwendigkeit zum Guthandeln auf
solche
Zwecke hin ausgeschlossen, welche zu dem Berufe des Einzelnen nicht
passen. Das
nothwendige Guthandeln aber, welches hiedurch nicht direct bestimmt
wird, wird
unter der Bedingung als pflichtmäßig erkannt,
daß es durch das Pflichturtheil
in Analogie zum Berufe gestellt wird, nämlich daß
man nach Erwägung aller
Umstände berufen sei, die außerordentliche
Liebespflicht zu üben.“[9]
Eines der
wertvollsten Verdienste
Ritschls ist die
Widerlegung eines stellvertretenden Strafleidens Jesu für die
Erbsünde, die den
Gott der Liebe zur Tötung des sündigen
Menschengeschlechts hätte zwingen müssen
in väterlichem gerechten Zornswallen. Strafen waren in der
Auffassung der
gesamten Theologie vor Ritschl Beweise dafür, wie sehr Gott
seine Menschheit
liebt und züchtigt. Diese durch Jes 53 losgetretene Deutung
des Todes Jesu, die
von Paulus zur Sühnopfertheorie ausgebaut wurde, steht im
Zentrum der lutherischen
Lehre und wird im Abendmahl mit leicht semikannibalistischen
Anflügen
zelebriert. Ritschl handelt alle gängigen Darstellungen
über Christi
Strafleiden ab und kommt dann zu folgender verblüffender
Berechnung: „Soll
nämlich das individuelle Schuldgefühl durch den
Gedanken der Strafsatisfaction
Christi compensirt werden, so bleibt nichts übrig als diese
Hypothese, daß
Christus in seinen Leiden die Strafquanta aller einzelnen Menschen als
unterschiedene empfunden hat. Da jedoch die Unmöglichkeit
dieser Annahme
einleuchtet, indem eine solche Allwissenheit ebenso wenig in der
Geschichte
Christi nachgewiesen ist, als sie in dem Umfang seines menschlichen
Bewußtseins
Platz findet, so ist dadurch ein abschließender Grund gegen
die Deutung des
Leidens Christi als einer ihm bewußten Erfahrung der Strafe
an der Stelle aller
Menschen gewonnen.“[10]
Was bedeutet: Jesus hat sich nie als Sühnopfer verstanden und
das Volk Israel
auch nie als so sündig, daß Gott es töten
müsse, um seinen eifersüchtigen Zorn
abzureagieren. Sondern im Gegenteil will Gott, daß Jesus die
Versöhnung durch
das Ausbreiten des Reiches Gottes sehr irdisch und diesseitig beginnt
und wir
nach unseren Kräften das weitermachen.
Wenn Bonhoeffer
auch über
Wiedergeburt neu nachdenken will,
erinnert auch dies an Ritschl.[11]
Für den ist Wiedergeburt die versöhnte Annahme der
Gotteskindschaft und das
praktische Leben im von diesem Geist erfüllten Alltag, indem
„der gute Wille
die Bewegung der Triebe zum Bösen
unterdrückt.“[12]
In seiner Christologievorlesung Sommer 1933 in Berlin kritisiert
Bonhoeffer
Ritschl massiv: Ritschls Gemeinde sehe Jesus als Inkorporation ihrer
eigenen
Werte von Gnade und Treue.[13]
Sie sehe ihn als Ideenträger, nicht als einen Menschen, der
auferstanden ist
und so in steter Gegenwart mit den Gläubigen lebt. Bonhoeffer
will diese
doketische Vorstellung der Reduktion Jesu auf eine wandelnde Idee der
Gottesliebe korrigieren: Jesus ist ein wirklicher Mensch und kein
Phantom der
Mitmenschlichkeit gewesen, Fleisch wie wir alle. Jesus ist diesseitig,
zum
Anfassen, und das macht gesund. Das Seltsame an dieser Kritik an
Ritschl ist,
daß dieser doch genau den Impuls der Diesseitigkeit des
christlichen Glaubens
im konkreten Alltagsleben als das zentrale Movens der
göttlichen Mission
gesehen hat, sicherlich im Kantischen Moralismus auf dessen Idealismus
abgezielt, durch Hegels Gemeindeverständnis noch einmal
verstärkt. Aber mit
dieser Idee der Gemeinde als Verwirklichung des göttlichen
absoluten Geistes
auf Erden ist gerade die Diesseitigkeit des Glaubens zum Programm
erhoben.
Bonhoeffers
Rede von Diesseitigkeit
ist seine Wende von der
früheren Theologie im Fahrwasser Barths, wo die Kirche als
Gemeinschaft der
Heiligen unterwegs ist zum Himmel, im irdischen Gaststatus lediglich
auszuharren hat im Blick auf das postmortale Jenseits. »Das
ist das Ende - für
mich der Beginn des Lebens« waren die letzten Worte, die uns
Payne Best von
Bonhoeffer überlieferte, bevor dieser am 8. April 1945 aus
Schönberg östlich
von Deggendorf zur Hinrichtung in Flossenbürg abgeholt wurde.
Auch das Gebet
vor seiner Hinrichtung zeigt, wie sehr dieses jenseitige wahre Leben
für
Bonhoeffer der Inbegriff der letzten Dinge ist. Diesseitigkeit
impliziert
Jenseitigkeit und damit die Vorläufigkeit des christlichen
Lebens in der Welt
etsi deus non daretur. Das Als-Ob ist nur eine Krücke, um das
intensive
Sich-Einlassen des Glaubenden auf diese Welt und seine völlige
Hingabe an diese
Welt zu motivieren. Es ist nur die vorläufige Szene der
Weltverantwortung, die
schuldig werden läßt am Leid von Mitmenschen, ob man
nun streng Gesetze befolgt
oder sie bewußt angesichts bestehender Not übertritt
wie Jesus mit Ährenraufen
und Krankenheilungen am Sabbat. So falsch deshalb ist, Jesus als
sündlos
herauszuputzen[14]
mit seinen provokativen Mißachtungen der Tora, so treffend
ist Bonhoeffers
Anzeige der Unmöglichkeit, sich dem Schuldigwerden zu
entziehen, gerade auch
angesichts des erforderlichen und leider Gottes gescheiterten Plans,
Hitler zu
ermorden. „Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen
will, löst sich
aus der letzten Wirklichkeit des menschlichen Daseins, löst
sich aber auch aus
dem erlösenden Geheimnis des sündlosen Schuldtragens
Jesu Christi und hat
keinen Anteil an der göttlichen Rechtfertigung, die
über diesem Ereignis liegt.
Er stellt seine persönliche Unschuld über die
Verantwortung für die Menschen,
und er ist blind auch dafür, daß sich die wirkliche
Unschuld gerade darin
erweist, daß sie um der anderen Menschen willen in die
Gemeinschaft seiner
Schuld eingeht.“[15]
Die Nachfolge Jesu besteht eben auch in der gezielten Regelverletzung,
dort, wo
Regeln und Gesetze Menschen unterdrücken und ihrer
Lebensmöglichkeiten
berauben. Jesu Bruch mit der Tora sieht Bonhoeffer geradezu als ihre
Heiligung,
spricht vom „sündlosen Schuldtragen“. Das
mosaische Mordverbot muß beim
Tyrannenmord übertreten werden. Bonhoeffer liebt die
dialektische Pointe, daß
gerade das Schuldigwerden an der Tora, an Gottes Gesetz, die Schuld bei
seiner
Einhaltung aufhebt. Es wäre die größere
Untat, bei großer Not untätig zu
bleiben, weil Gesetze dazu zwingen. Diese Dialektik prägt auch
die Gedanken
über Diesseitigkeit etsi deus non daretur, daß
nämlich Gott uns ohne ihn leben
läßt und gerade in dieser Entzogenheit bei uns ist.
Darin nimmt er Luthers
Absconditas dei auf und verwandelt die Verborgenheit in
Gottverlassenheit. Und
gerade in dieser Verlassenheit sei Gott bei uns, wie am Kreuz Jesu. In
all
diesem Tumult unseres Lebens werden wir immerzu schuldig, man kann
nicht nicht
schuldig sein oder bleiben. Dieses Christenleben ist darum ein
vorletztes Ding,
während das letzte die Rechtfertigung und Versöhnung
durch Jesus Kreuzleiden
ist.
Die Rede von
den letzten Dingen
bleibt nebulös geprägt von
der Vorstellung eines Weltgerichts am Ende der Zeit, wo Jesus kraft
seiner
Verdienste am Kreuz den Gläubigen rettet. „Das
Labyrinth seines bisherigen
Lebens stürzt zusammen. Der Mensch ist frei für Gott
und seine Brüder. Er wird
inne, daß ein Gott ist, der ihn liebt und annimmt,
daß ein Bruder neben ihm
steht, den Gott liebt wie ihn selbst… Er glaubt, er liebt,
er hofft. Vergangenheit
und Zukunft des ganzen Lebens fließen in der Gegenwart Gottes
in eines
zusammen.“[16]
Die letzten Dinge sind ein Ausdruck für das Hier und Jetzt der
Rechtfertigung
im Glauben an den durch Jesus in seinem Handeln und Leiden gezeigten
Versöhnungswillen Gottes. Gott liebt Sünder, so wie
Jesus sie geliebt hat und
dabei selbst zum Sünder wurde.
„Um
Gottes und der
Menschen willen wurde Jesus zum Durchbrecher des Gesetzes: Er brach das
Sabbatgesetz, um es in der Liebe zu Gott und Menschen zu heiligen; er
verließ
seine Eltern, um im Hause seines Vaters zu sein und so den Gehorsam
gegen die
Eltern zu reinigen; er aß mit Sündern und
Verworfenen, er geriet aus Liebe zu
den Menschen in die Gottverlassenheit seiner letzten Stunde.“[17]
Bonhoeffers
gesamte Ethik steht im
Zeichen des Widerstands
gegen den Faschismus und ist von der Intention geleitet, allein
Christus zur
Maxime des Handelns zu machen. In allen Varianten kaut er durch,
daß es keine
politische Autorität gibt, die für Christen letzte
Gültigkeit hat, sondern nur
die „echte, von oben her begründete
Ordnung… aus dem Glauben an den Auftrag von
‚Oben‘, an den ‚Herrn‘ der
‚Herren‘.“[18]
Das ist Barmen 1934. Das „Oben“ Gottes ist
äußerst irritierend. Es erinnert an
den Wettbewerb Elias mit den Baalspriestern 1 Kön 18: Wessen
Gott erfolgreicher
ist, der darf die anderen schlachten. Daß Jesus ein
„Oben“ ist, mag stimmen für
die Höhe des Kreuzes, an dem er erstickte. Ansonsten ist die
Kraft Gottes in,
mit und unter den Schwachen mächtig und hat nichts mit
Herrschaft zu schaffen.
Daß man meinte, Hitler den noch größeren
Himmelsburschen Gott mit Jesus als
Sprachrohr entgegensetzen zu können, wurde letztlich zu einer
Steilvorlage für
Hitler, der auch über die Kirche der unumschränkte
Herr wurde und allzu
bekennende Kirchenmänner kurzerhand ins KZ schickte. Der Herr
der Herren von
ganz Oben hatte für seine Bekenner durch seine Obrigkeit, in
Sonderheit Hitler,
als Dank für ihr frommes Bekenntnis die Arbeit im KZ
auserkoren.
Die Kantsche
Maxime, der Wahrheit
zuliebe sogar einen ins eigene
Haus geflüchteten Freund zu verraten und auszuliefern an die
staatliche
Hinrichtung, weist er strikt ab.[19]
Nur zu aktuell ist diese Bereitschaft, um der Menschlichkeit und
Solidarität
willen Maximen des Gewissens oder der Gesetze zu brechen. Es hat
Freunde vor
Hitlers Galgen bewahrt. Seine Ethik befreit letztlich von jeder
Gesetzlichkeit,
wo immer diese Menschlichkeit und Geschwisterliebe verhindert.
„Ohne
Rückendeckung durch Menschen, Umstände oder
Prinzipien, aber unter
Berücksichtigung aller gegebenen menschlichen, allgemeinen,
prinzipiellen
Verhältnisse handelt der Verantwortliche in der Freiheit des
eigenen Selbst. …
Er selbst muß beobachten, urteilen, abwägen, sich
entschließen, handeln. Er
selbst muß die Motive, die Aussichten, den Wert und den Sinn
seines Handelns
prüfen.“[20]
Oft ist die Sachlage so diffizil, daß eine klare
Unterscheidung von Gut und
Böse unmöglich ist und man nur die Wahl hat zwischen
einem oder dem anderen
Unrecht. Vielleicht kann der Fortgang der Geschichte später
erweisen, ob eine
Tat hilfreich war. Solche grundlegende Verantwortung und
Entscheidungsfreiheit
haben nur die politischen und wirtschaftlichen Führungseliten,
nicht der
Fließbandarbeiter. Aber auch er kann entscheiden, ob er sich
im zivilen
Ungehorsam weigert zu morden im Kriegsdienst für den
Lebensraum im Osten.
Bonhoeffers
Wendung von einer der
Welt enthobenen pastoralen
Existenz in einem Jenseits der Welt, einem als fromme Blase
aufgeblasenen
kirchlichen Reich Christi, was Hitler nicht weiter kratzt, zu denen
hin, die
der Kirche längst schon den Rücken zugekehrt haben,
entspricht zutiefst dem
Missionsbefehl Jesu, in alle Welt zu gehen und nicht im eigenen Saft zu
schmoren und schwurbeln mit Sprachgeräuschen, denen jegliche
Evidenz fernliegt.
Man kann
umgekehrt fast sagen, das
etsi deus non daretur ist
eine Arbeitshypothese, um als zuhöchst dem Himmel zugewandter
Halbheiliger
etwas mehr Kontakt zu bekommen zu den Menschen, die der Kirche mit
ihrem
Kanzelgeschwurbel munter weglaufen. Und diese Kirchenverdrossenheit hat
er mit
seiner Religionslosigkeit-These gut erfaßt, nicht ahnend,
welches breite
Arsenal an alternativen spirituellen Clubs in die entstehende
Marktlücke der
religiösen Grundversorgung einwandert. Und nicht ahnend, wie
mit den Gastarbeitern
und Flüchtlingen heute der Islam eine schier mittelalterliche
Religionsform
importiert, die äußerst diesseitig heilige Kriege im
Gepäck hat. Es war ein
Ideal des aufklärerischen Bürgertums, Religionen
kritisch zu reflektieren und
mündig zu werden durch eine vernünftige Bildung.
Dieser Trend ist inzwischen
fast rückläufig: deutsche Schulen können die
Menge der Migrantenkinder nicht
mehr bewältigen, die mit islamischer Erziehung und
Sprachproblemen die
religiöse Weltsicht neu aufleben lassen. Innerhalb des Kirchen
ist die Phase
des Mündigwerdens ebenfalls gescheitert und religionsloses
Christentum wäre nur
bei Verlassen des institutionellen Rahmens der Kirchen
möglich. Innerhalb der
Kirchen obsiegt inzwischen eine Rückkehr zu einem
beeindruckenden Konservativismus.
„Hat
es einen Sinn, mich
für alles, was in der Welt
geschieht, verantwortlich zu halten oder kann ich dem großen
Geschehen in der
Welt als unbeteiligter Zuschauer gegenüberstehen, wenn nur
mein eigener
winziger Bereich in Ordnung ist. Soll ich mich in ohnmächtigem
Eifer gegen
alles Unrecht, alles Elend, das es in der Welt gibt, aufreiben lassen,
oder
darf ich in selbstzufriedener Sicherheit die böse Welt ihrem
Lauf überlassen“?[21]
Die Nächstenliebe gilt in einer globalisierten Welt auch
denen, auf deren
Kosten wir reich geworden sind und die wir mit direkter kolonialer und
imperialistischer Gewalt und dann mit struktureller Gewalt des
ungleichen
Tausches ausgebeutet haben. Die Greueltaten des Kolonialismus von
deutschem
Boden aus waren zur Nazizeit noch kaum bekannt.
Bonhoeffer
sieht aber die Feigheit
innerhalb der Bekennenden
Kirche: „Im deutschen Kirchenkampf hat oft genug ein Pfarrer
sich geweigert, zu
der Not der Brüder und der Verfolgten aller Art in
öffentlicher Verantwortung
Stellung zu nehmen, eben weil seine eigene Gemeinde noch nicht selbst
davon
betroffen war, und das nicht aus Feigheit und mangelnder
Einsatzbereitschaft,
sondern allein darum, weil er hierin eine unerlaubte
Überschreitung des ihm
gegebenen Berufes sah, für seine Gemeinde in ihren konkreten
Nöten und
Anfechtungen einzustehen.“[22]
Von dieser Haltung, nicht über den Rand der eigenen Parochie
zu linsen, ist
unsere Kirche immer noch durchwaltet. Bonhoeffer wurde nach 1945 lange
Jahre
als zu Recht Ausgemerzter in Kirchenkreisen gehandelt; das zeigt, wie
„deutsch“
die Christen der angeblich Bekennenden Kirche in Wahrheit damals waren.
Es ist
sicherlich ein vorgeschobenes Argument der bekennenden Pfarrerschaft
gewesen,
mit Rücksicht auf ihre Gemeinde zu schweigen zu Naziterror.
Daß man als
„Christ“ einfach nur feige ist, Gehaltminderung
oder Diffamierungen nicht
riskieren will, wollte ungern jemand zugeben. Dabei hätte man
von Gethsemane
doch auch das Recht auf Feigheit lernen können. Jesus wollte,
daß der Kelch des
Heils in Gestalt des Kreuzestodes an ihm vorübergehe. Der
islamische
Selbstmordattentäter ist da ganz anders begeisterter
Gotteskrieger.
Dagegen ist
Bonhoeffers Ethik
bisweilen fast revolutionär,
bei aller Einbettung ins Luthertum. Es bleibt ein provokativer Satz bis
heute,
wenn er die Durchbrechung des Gesetzes als wahre Heiligung des Gesetzes
pointiert, in aller damit aufgenommenen Schuld, die ja ebenso bei der
Einhaltung des Gesetzes bestünde, nur in anderer Form.[23]
Grund all
dieser antifaschistischen
Überlegungen Bonhoeffers
bleibt die lockere Art Jesu, um der Nächstenliebe willen
zentrale jüdische
Gebote zu durchbrechen. Ein Sabbat, an dem ein Mensch von seinem Leid
geheilt
werden kann, ist ein Sabbat, an dem Gottes Heilswillen zum Zuge kommt
und darin
und damit bedeutet er die Heiligung gemäß dem 3.
Gebot. Heiligung heißt also:
den ursprünglichen Willen Gottes als eigentliche Intention des
Gesetzes zu
erkennen und ins Werk zu setzen. Der Wille des Gesetzgebers war immer,
das
Zusammenleben zu erleichtern und Konflikte zu lösen. So hat
Jesus die Tora als
Weisungen für die Liebe untereinander begriffen und gelebt und
sich bewußt
dafür entschieden, im Verständnis des traditionellen
Judentums, besonders in
seiner pharisäischen Interpretation, schuldig zu werden. Er
war deshalb niemals
sündlos, sondern hat aus Verantwortung und Liebe zu den am
meisten Leidenden
Schuld auf sich genommen.
Bonhoeffers
letzte Texte seiner Ethik
sind durchsäuert von
Vokabeln der Macht und Herrschaft. Gott ist der Befehlshaber von oben,
dessen
Anordnungen durch die Christusoffenbarung unbedingt zu befolgen seien.
Oben ist
Gott, unten der NS-Staat mit seinem Führer.[24]
Jesu Wort Mk 10,43 von der Umkehrung der Herrschaft als Dienen, bei
Barth in
herrschaftsfreier Bruderschaft (Frauen kommen nicht vor…) in
Barmen IV[25]
gepriesen, wird in der „Ethik“ als Offenbarung
Gottes in Jesus Christus aus dem
Himmel gesendet dargestellt. Immer wieder obsiegt der Katabasis-Hymnus
von Phil
2,6ff, den der Johannesprolog modifiziert mit der Logos-Dekadenz.
Den
protestantischen Verlust des
Beichtstuhles als
flächendeckende Kontrolle des Priesters über seine
Gläubigen beklagt
Bonhoeffer.[26]
Der Beichtstuhl ist doch kaum mehr als Herzenserforschung in
Gestapo-ähnlicher
Kirchenzucht. Das alte Denken vom Pfarrer, der moralisch seine
Schäfchen im
Griff hat und moralischer Herr der Gemeinde ist, darin Abschattung des
päpstlichen Pontifex-Gehabes, war die beste ideologische
Absicherung für
klerikale Triebtäter. Keiner wagte, diesem Herrn die Leviten
zu lesen, auch
wenn Gerüchte über seine
„Kinderliebe“ kursierten. Die Stipulierung des
Priesters zur kirchlichen Obrigkeit schützte ihn vor jeder
Kritik. Bonhoeffer
konnte sich solche Exzesse von Amtsbrüdern nicht vorstellen.
Die eigene
Erziehung zur Untadeligkeit und Arkandisziplin ließen
für die Wahrnehmung der
Ferkelei in der kirchlichen Chefetage keinen Raum.
Bonhoeffer
schwimmt im Fahrwasser von
Barmen, dem Produkt
eines Machtkampfes, in dem sich Barth gegen diverse
Widerstände durchgesetzt
hatte. Gerade im Mandatskapitel der Ethik fließt die 5. These
von Barmen ein: „Die
Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher
Anordnung die Aufgabe hat, in
der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht,
nach dem Maß
menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter
Androhung und Ausübung
von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt
in Dank und
Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an.“
Die Wohltat des
Nazisregimes ist bekannt. Angesichts der 50 Millionen Opfer des nach
göttlicher
Anordnung für Recht und Frieden sorgenden Staates sind Barths
Überbietungsversuche
des Führerkultes durch einen noch größeren
ganz anderen Gott pubertäres
Blankziehen, zahnloses Säbelrasseln. Es wird mit
faschistischer Terminologie,
Wörtern wie Gehorsam, Gebot, Obrigkeit, Ermächtigung,
göttliches Mandat, klares
Oben und Unten unterfüttert. Wenn der fußwaschende
Jesus gehört hätte, wie sein
bewußter Verzicht auf Macht von Barth zu einer
Überbietung Hitlers durch
himmlische Einsatzbefehle pervertiert wurde, er hätte nach
seinem Weinen über
Jerusalem auch über diesen von totaler Angst vor den Nazis
geprägten
„Kirchenkampf“ im Stile Barths geweint. Die Antwort
der Ethik auf die
Weltverantwortung der Kirche als Leib Christi, als
„Stätte der Gegenwart Jesu
Christi“[27]
ist letztlich eben nicht das Hineinwirken in die Welt, sondern der Ruf
in die
Gemeinde hinein: „Es ist die Eigenart der Kirche als eines
eigenen
Gemeinwesens, daß sie in der Umgrenztheit ihres eigenen
geistigen und
materiellen Bereiches die Unbegrenztheit der Christusbotschaft zum
Ausdruck
bringt und daß gerade die Unbegrenztheit der
Christusbotschaft wieder in die
Begrenztheit der Gemeinde hineinruft.“[28]
Da ist kein Gedanke an mehr Protest gegen Hitlers Kriege, sondern
stattdessen
der Aufruf zu einer echten Kirchenzucht mit Zuchtübungen wie
geistliche
Exerzitien, Askese, Meditation und Kontemplation.[29]
Bonhoeffer sieht immerhin „die erschreckende Ratlosigkeit
oder Überheblichkeit
unzähliger evangelischer Christen angesichts von christlichen
Eidesverweigerern, Kriegsdienstverweigerern usw.“[30]
Solche mutigen Oppositionellen verloren nicht nur ihren Kopf durch die
Hinrichtung, sondern auch noch die Anerkennung ihrer Jesustreue in der
Nachfolge seiner Gewaltlosigkeit. Es bleibt ein Rätsel, wie
Bonhoeffer Mitte
1941 nach Hitlers Angriffskriegen im Osten noch von einem
göttlichen Charakter
der Obrigkeit sprechen kann.[31]
Zur politischen Verantwortung der Kirche schreibt er: „Dabei
ist die Absicht
des Predigers nicht, die Welt zu verbessern, sondern zum Glauben an
Jesus
Christus zu rufen, die Versöhnung durch ihn und seine
Herrschaft zu bezeugen.
Nicht die Schlechtigkeit der Welt, sondern die Gnade Jesu Christi ist
das Thema
der Verkündigung.“[32]
Hört der NS-Staat schon nicht auf kirchliche
Friedensempfehlungen, soll die
Kirche wenigstens intern „die Ordnung der
äußeren Gerechtigkeit, die in der
Polis nicht mehr vorhanden ist, wenigstens unter ihren eigenen Gliedern
herstell“en und bewahren und so „der Obrigkeit in
ihrer Weise dien“en.[33]
Es läuft alles auf Nichteinmischung der Kirche in Hitlers
Machenschaften hinaus
mit einem etwas nebulösen Aufruf, hinter verschlossenen
Kirchentüren Jesus als
Herrn zu verehren und ansonsten die Klappe zu halten. Das ist
Überlebensstrategie in den Anfechtungen des
„Unten“, bei der es darum geht, „in
jeder gegebenen Form dem faktisch von Gott her gesetzten
Verhältnis konkret
Raum zu geben und die Entwicklung dem Herrn über Obrigkeit und
Kirche zu
überlassen.“[34]
Wie gut Gott die Entwicklung des Holocaust bemeistert hat, wissen wir.
In
diesen Ergüssen nach Barmer Strickmuster verabschiedet sich
Bonhoeffer von der
christlichen Weltverantwortung, indem er das Geschick des Staates der
Allmacht
Gottes überläßt und damit den
Einflüssen des Jenseits Gottes, der wohl als „ganz
anderer“ den Naziterror erledigen kann. Zu solchen
Sätzen will einfach nicht
passen, daß Bonhoeffer sich am Mordversuch gegen Hitler
mittelbar beteiligt
hat, indem er mit England Pläne für das Eingreifen in
Deutschland nach einem
erfolgreichen Ausmerzen des Diktators schmieden wollte, was Churchill
gar nicht
ernst nehmen konnte. Das primäre Motiv, als Geheimagent
Hitlers zu arbeiten,
war, daß Bonhoeffer damit nicht mehr als Frontsoldat der dort
drohenden
Vernichtung ausgesetzt war. Erst später ergab sich die
Perspektive der
Doppelagentenschaft in der Verschwörung gegen den
Führer.
Die
Abstraktheit der
systematischen Theologie, die behauptet, Jesus sei das eine Wort
Gottes, ist
diesem einen Wort Gottes, nämlich Jesus, der nie abstrakt
sprach, sondern immer
situativ und äußerst konkret, in keiner Weise
angemessen. Selbstbefriedigt
schiebt sich in der systematischen Theologie eine im Lauf der
Jahrhunderte konstruierte
begriffliche Ordnung vor ihren „Gegenstand“,
nämlich die Lebensart Jesu und das,
was er in bestimmten Situationen gesagt hat. Jesus war immer konkret.
Er hat
als Rabbi selten abstrakt doziert, sondern auf seine(n)
Nächsten zu gesprochen.
Die Dogmata als reines Meinen und Dafürhalten, dokei=n
heißt ja „scheinen, den Anschein haben“,
sind im Lauf der Jahrhunderte vom
Vermutungswesen zu religiösen Tatsachenbehauptungen avanciert.
Im Werk Barths
kann man diese Verfestigung von Vermutungen zu Behauptungen
über das Sein
Gottes in nuce verfolgen. Barth hebt an im Johannesprolog mit dem
Himmelsgott
und seinem Logos, den er in die Finsternis dieser Welt schickt als
Erleuchtung.
Barth transportiert mit dieser gnostischen Kritik der verdorbenen Welt
den
fundamentalen Gegensatz von Gott mit seinem einen Wort Jesus und der
nachweislich sehr unfriedlichen und ungerechten Welt. Jesus als
Gesellschaftskritiker und Kämpfer für Gerechtigkeit
und Gnade ist mit den
Propheten des AT die entscheidende Stimme Gottes. Dabei wird Jesus auf
ein Wort
reduziert, im Grunde eine Frechheit einem Menschen gegenüber.
„Barth
hat als erster
Theologe - und das bleibt sein ganz
großes Verdienst - die Kritik der Religion begonnen, aber er
hat dann an ihre
Stelle eine positivistische Offenbarungslehre gesetzt, wo es dann
heißt: »friß,
Vogel, oder stirb«; ob es nun Jungfrauengeburt,
Trinität oder was immer ist,
jedes ist ein gleichbedeutsames und -notwendiges Stück des
Ganzen, das eben als Ganzes geschluckt werden
muß oder gar
nicht. Das ist nicht biblisch. Es gibt Stufen der Erkenntnis
und Stufen der
Bedeutsamkeit; d. h. es muß eine Arkandisziplin
wiederhergestellt werden, durch
die die Geheimnisse des christlichen Glaubens vor Profanierung
geschützt
werden. Der Offenbarungspositivismus macht es sich zu leicht, indem er
letztlich ein Gesetz des Glaubens
aufrichtet und indem er das, was eine Gabe für uns
ist - durch die
Fleischwerdung Christi! -, zerreißt.“[35]
Bonhoeffer
kritisiert seinen
Mitstreiter Barth für dessen
„Offenbarungspositivismus“.
„Nicht um
das Jenseits, sondern um diese
Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in Gesetze gefaßt,
versöhnt und erneuert
wird, geht es doch. Was über diese Welt hinaus ist, will im
Evangelium für
diese Welt da sein; ich meine das nicht in dem anthropozentrischen
Sinne der
liberalen, mystischen, pietistischen, ethischen Theologie, sondern in
dem
biblischen Sinne der Schöpfung und der Inkarnation, Kreuzigung
und Auferstehung
Jesu Christi.“[36]
Nicht jedes Dogma hat die gleiche Relevanz und keinem darf man den
Glauben
absprechen, wenn er/sie diesen Rahmen spätantiker
Wundergläubigkeit nicht mitzuglauben
bereit ist, weil er nach all unserer wissenschaftlichen Erfahrung
falsch und
unhaltbar ist.
Damit
eröffnet Bonhoeffer
das Programm der bestimmten Negation der
Dogmatik, also
bestimmte Sätze des Credo nicht mehr mitzusprechen.
Am ehesten so, daß er
Gott und Gnade, Versöhnung usw. nicht mehr als etwas faktisch
Gegebenes wie
eine Kirchenbank verstehen will, über die man munter
schwadronieren kann,
sondern etwas, was man in seiner eigenen unmittelbaren Lebenserfahrung
erleben
und erschließen können muß, weil nur dort
der Ort des Erkennens ist, also sehr
phänomenologisch: quasi verifiziert im Hier und Jetzt. Barths
Religionskritik
als ein universales menschliches Begreifenwollen komplexer
Phänomene durch
mythische Simplifikationen ist auch eine Absage an die wachsende
Entdeckung von
Religionen weltweit durch Religionswissenschaften, Anthropologie und
Völkerkunde im Gefolge des Kolonialismus. Angesichts der
Fülle religiöser Weltbewältigung
bei Naturvölkern wird der Charakter der europäischen
Kirchenlandschaften als
kommensurable Größe, also als auch nicht viel mehr
und besser als diese
indigenen Religionen, immer deutlicher und die mythischen und magischen
Praktiken der Kirchen klarer durchschaubar wie die Kirchenfenster und
christlichen Bilder, die der reformierten Kirche von Anbeginn suspekt
waren.
Barth will vom Bimbrorium zum Eigentlichen des Christentums und sieht
solus
christus, sola scriptura als etwas ganz anderes, als Umkehrung der
religiösen
Göttermacherei im Stil des goldenen Stiers: Anders als alle
anderen Religionen
hat im Christentum Gott gehandelt und sich sein Volk erwählt
und seinen Sohn
als letztgültige Bekundung seines Liebeswillens gesandt. Dem
nachzufolgen
entstand durch Gottes Geist die Kirche und sie ist das komplette
Gegenteil
aller anderen Religionen, nämlich von Gott eingesetzt. „An der Stelle der
Religion steht nun die
Kirche - das ist an sich biblisch -, aber die Welt ist
gewissermaßen auf sich
selbst gestellt und sich selbst überlassen, das ist der
Fehler. Ich denke
augenblicklich darüber nach, wie die Begriffe Buße,
Glaube, Rechtfertigung,
Wiedergeburt, Heiligung »weltlich« - im
alttestamentlichen Sinne und im Sinne
von Joh. 1, 14 — umzuinterpretieren sind.“[37]
Bonhoeffer gibt sich nicht mit der Besch(n)eidung der Kirche auf eine
vom Staat
geduldete fromme Gemeinde innerhalb der Bürgergemeinde des
Staates zufrieden.
Fleischwerdung Christi war niemals gemeint als Deckungsgleichheit von
Kirche
und Leib Christi, sondern hatte immer den Anspruch der Weltwirksamkeit,
des
Durchsäuerns der Welt mit dem Geist der Versöhnung,
die die Welt zur Buße
treibt, zur Abkehr von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung.
Das war die Arbeit
der alttestamentlichen Propheten, den Vorläufern einer
kritischen Theorie der
Gesellschaft. Kirche darf sich nicht raushalten aus der Politik,
sondern ist
immer schon politisch in ihrem Schweigen zum Unrecht in der Welt.
Fürbitten
sind da nicht genug, wenn sie nicht zum Skandalon führen, zum
Anecken der
Kirche.
Was Bonhoeffer
mit Geheimnis meint,
ist vielleicht dies: Mit
Joh 1,14: sa/rc
e)ge/neto, will das „eine
Wort Gottes“ eben gerade nicht als Wort lediglich nur
vernommen werden wie die
Nachrichten aus dem Radio, sondern es geht über den
Informationscharakter des
Wortes zum Fleisch des Menschen Jesus, dessen erzähltes Leben
in einer tiefen
Übertragung von Praxisfiguren[38]
etwas in den Hörern auslöst, ihre Herzen und Sinne
bewegt, sie in einen Bann
der Bewunderung dieser einfachen und oft nahezu wortkargen
Handlungsweisen Jesu
zieht. Seine Barmherzigkeit,
Aufrichtigkeit und Klarheit sickern in die Hörer ein und
lösen Lust zur Mimesis
aus, damals bei seinen Schülern wie heute bei
solchen Menschen wie
Bonhoeffer. Dieser Effekt ist wissenschaftlich nachvollziehbar als
Prozeß des
szenischen Verstehens Jesu bei der individuellen psychischen
Strukturbildung.
Und so vieles aus diesen Briefen ist genau dieser Versuch, die eigene
Situation
im Knast als Erkenntnisgrundlage für das Sein oder Nichtsein
Gottes zu
begreifen und die Bibel nur als Fingerzeige für diese
Wahrnehmung der eigenen
Unmittelbarkeit zu nutzen, als Deutungsfolie der Gegenwart des
gemeinsamen
Leidens in den vielen Gefängniszellen.
Was meint
Bonhoeffer mit seinem Satz:
„es muß eine
Arkandisziplin wiederhergestellt werden, durch die die Geheimnisse des
christlichen Glaubens vor Profanierung geschützt
werden.“? Mit Profanierung meint
er doch wohl in Kritik an Barth dessen stereotypes und redundantes
Gesabbel vom
einen Wort Gottes namens Jesus Christus mit sämtlichen
Features des Credo, die
er ständig und pausenlos nachbetet. Demgegenüber hat
Bonhoeffer seinen Weg der
Nachfolge über die Mithilfe am geplanten Hitlerattentat als
ein Handeln mit dem
Risiko des Erwischtwerdens und dann auch Hingerichtetwerdens gestaltet
als eine
praktische Teilhabe am Leiden Jesu, des Tempelreinigers. Es war bereit,
für das
Ende des Naziterrors zu sterben. Das ist nochmal eine andere Nummer als
schön
dicke Bücher zu schreiben wie Barth.
Die
Arkandisziplin ist der springende
Punkt, der wie ein
Ostinato des Lebens die Haltung Bonhoeffers prägt. In der
gesamten
Bonhoeffer-Familie wurde nie über eigene Befindlichkeiten und
Gefühle
gesprochen. Je tiefer das Gefühl, desto strikter das
Schweigen. Über die
tiefste innigste Faszination des Glaubenden an Jesus zu reden ist wie
ein
Verrat, ein Ausplaudern. In dieser Intimität des Glaubens, die
wir in den
Briefen miterleben dürfen, ist es leichter, über
Todesangst zu reden, als über
dieses "Ich will dich mit Fleiß bewahren" der Nachfolge.
„Unruhig,
sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig, ringend
nach Lebensatem, als würgte
mir einer die Kehle, hungernd nach Farben, nach Blumen, nach
Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über
Willkür und kleinlichste Kränkung, umgetrieben vom
Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne, müde
und leer zum Beten, zum
Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu
nehmen?“[39]
Für Bonhoeffer war die Leidensnachfolge der teils
gewählte, teils widerfahrene
Weg seines Lebens geworden. Genau das meint er mit dem Satz,
daß man erst in
der vollen Diesseitigkeit glauben lernt. Es ist eine Sache, beschwingt
über den
redenden Gott und den angesprochenen Menschen und ihre qualitative
Differenz zu
schwadronieren[40],
eine andere, den Weg Jesu ans Kreuz mit seinem eigenen Leben
mitzugehen, von
beiden nicht gewollt und beiden war ihre Mission wichtiger als die
ängstliche
Vermeidung jedweden Risikos, die die hohe Lebenserwartung von
Geistlichen aller
Couleur recht passabel aussehen läßt. Diese sehr
pragmatische Entscheidung zur
Kollaboration gegen Hitler mit möglicher Todesfolge war eine
Heiligung des
Gesetzes durch seine Übertretung, in dialektischer Manier
seiner Ethik
gesprochen. Und es war der Eintritt in eine gegenüber der
emotionalen Verschlossenheit
der Bonhoeffer-Familie noch einmal umso striktere Arkanität,
in der ein
unbedachtes Wort den Tod eines Mitstreiters zur Folge haben konnte. Aus
dieser
Position heraus mit einer fast übermenschlichen Verantwortung
für das Geschick
Deutschlands und Europas, die aus dem Wunsch der Nachfolge Jesu geboren
war,
bedeutete das Kreuz Jesu etwas ganz anderes als eine Barthsche
Heilstatsache.
Während jene nur leeres Gerede ist, war für
Bonhoeffer der Kreuzesweg Jesu zum
eigenen Lebensweg geworden, er lebte diesen Weg, statt vollmundig
– wie ich
gerade – darüber zu fabulieren.
Er kritisiert
den kirchlichen
Heilsegoismus und die von
Luther beförderte Focussierung auf einen für mich
gnädigen Gott. „Gibt es im
Alten Testament die Frage nach dem Seelenheil überhaupt? Ist
nicht die
Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von
allem?“[41]
Damit sind die kirchlichen Passageriten Taufe, Konfirmation, Abendmahl,
Trauung
und Beerdigung, die allesamt ausgerichtet sind auf das Heil und die
Segnung des
Einzelnen in seinem Intimverhältnis zu seinem metaphysischen
Gott in dessen
himmlischen Gefilden brüchig geworden. Das Reich Gottes, die
alttestamentliche
Theokratie war immer auf das Ziel einer alle Menschen umfassenden
sozialen
Gerechtigkeit ausgerichtet und Schalom ist ein die Leiblichkeit aller
umfassender Friedensbegriff, das Bild universalen Wohlergehens des
Leibes und
so dann auch der Seele. Diesseitigkeit zielt auf den Leib der Menschen.
Im Leib
wird Gottes Heil erfahren. Es ist bezeichnend, daß Bonhoeffer
diese Einsicht in
einer Situation entwickelt, in der sein Leib in
äußerster Einschränkung
gefangengehalten wird und im Deutschen Reich Gerechtigkeit mit
Füßen getreten
wird.
Genau hier
kommt ihm die Einsicht des
weltlichen Auftrags
der Kirche in der Nachfolge Jesu: Kirche für andere werden
impliziert, die
eigenen finanziellen Mittel für die Ärmsten der
Gesellschaft einzusetzen und
nicht für die Erhaltung des schönen Scheins der
Gebäude und ihrer Bediensteten.
„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da
ist. Um einen Anfang zu
machen, muß sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die
Pfarrer müssen
ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden
leben, evtl. einen
weltlichen Beruf ausüben. Sie muß an den weltlichen
Aufgaben des menschlichen
Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und
dienend.
Sie muß den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit
Christus ist, was es
heißt, »für andere dazusein«.
Speziell wird unsere Kirche den Lastern der
Hybris, der Anbetung der Kraft und des Neides und des Illusionismus als
den
Wurzeln alles Übels entgegentreten müssen. Sie wird
von Maß, Echtheit,
Vertrauen, Treue, Stetigkeit, Geduld, Zucht, Demut,
Genügsamkeit,
Bescheidenheit sprechen müssen.“[42]
Ein Blick in den Vatikan illustriert, wie weit dieses monastische
Programm zu
der kirchlichen Obrigkeit vorgedrungen ist.
Diesseitigkeit
des Glaubens als Leben
in der Fülle der
Aufgaben, Erfolge und Mißerfolge, Teilnahme am Leid der
Menschen ist doch
eigentlich die seelsorgerliche pastorale Arbeit. In meiner
Vikar-Ausbildung
wurde noch Gemeindeaufbau gelehrt und die Fülle der
Veranstaltungen als Markenzeichen
guter Arbeit eines Pfarrers angemahnt. Damit wird Kirche zum
Selbstzweck und
ihre organisatorische Konsolidierung und Finanzierung das entscheidende
Ziel
von Gemeindearbeit. Mit Nachfolge hat das nichts mehr zu tun. Es ist
eine
Flucht vor den Nöten der Menschen in eine heile Gegenwelt der
Kirche, die dann
durch gottesdienstliche Inszenierungen mit Texten und Musik Trost
spendet.
Dieser Trost besteht im Organisieren von Oasen der Geborgenheit in
einer Gruppe
Gleichgesinnter mit Bezug auf Jesus. Das ist mit Agape-Mahlzeiten statt
Eucharistie als lediglich symbolische Mahlgemeinschaft durchaus
wichtig. Es
gibt innerhalb der Kirche zahlreiche Initiativen, die
regelmäßig von unten
kommen, nie aus den Kirchenämtern, wo die Idee einer Kirche
für andere gestaltet
wird. Je höher die Hierarchie in der Kirche, desto
üblere Exzesse und
Schmähungen Jesu prägen das Bild, von Tebarz van Elst
bis zu Kurienkardinälen
mit Vatikanwohnungen zwischen 400 und 650 qm Fläche und
immensen Heizkosten,
die das Kirchenvolk durch seine Steuern bezahlen muß.
Daß ca. 7% der Priester
Kinder mißbrauchen und ca. 30% der Homoerotik
frönen, gerade auch im Vatikan
selbst, der öffentlich all dies verurteilt, ist die andere
Seite der Dialektik,
die zur Beschleunigung der Kirchenaustritte als Spätfolge des
Zölibats dient.
Zu Bonhoeffers Lebenszeit kam noch die Begrüßung des
Führers in den höchsten
Tönen hinzu und in allen Diktaturen hat die katholische Kirche
stets die
innigsten Kontakte zu den faschistischen Machthabern gepflegt und Leute
wie
Putin suchen 2022 zielsicher Kyrill, den Patriarchen der
russisch-orthodoxen
Kirche, als Segnungstrottel für den verbrecherischen Krieg.
Hoffnung auf
Heiligung der Kirche
kommt immer nur von unten
im Aufstand gegen die bürokratische Institution, die bei
genügend Intelligenz
dann und wann nach langem Gerangel aufspringt auf die unabweisbare
Plausibilität einer Jesus-Nähe der kirchlichen
Initiativgruppen.
Die
Suppenküchen, die aus
kirchlichen Initiativen überall
entstanden sind, sind Nachfolge Jesu im Stile seiner Massenspeisungen.
So nimmt
Nachfolge Jesu Gestalt an: im Hinausgehen in die sozialen Brennpunkte
und
Kontakt aufnehmen mit den Opfern unserer Gesellschaften angesichts der
wachsenden Schere zwischen Reich und Arm.
Vorwiegend
werden im Gottesdienst die
Werte und Worte der
bürgerlichen Mittelschichten bedient, alles andere ist schon
lange
hinausgeekelt. Es bleibt ein gewisser Kulturprotestantismus, der
bestenfalls
Lobpreis und Information über biblische Narrationen ist, aber
das Tun des
Gerechten der privaten Initiative einzelner Gemeindeglieder
überläßt. Immerhin
gibt es Misereor und Brot für die Welt als Teilnahme am Hunger
weltweit, als
„Kirche für andere“. Die
Kirchensteuerschwünde zwingen die Institution zum
Sparen, die Zahl der Gottesdienste nimmt ab, Kirchen werden nicht mehr
beheizt
im Winter, die Gesundschrumpfung ist gut angelaufen. Die Menschen
zeigen den
Kirchen die rote Karte und die Besitzstandswahrung führt
katholischerseits zur
Einmottung ins Überkommene und höchst selten auch zum
Hinausgehen in die Welt,
die von Jesus nichts mehr hören will, weil er nicht als Hilfe
erfahrbar gemacht
wurde und wird oder die staatliche Hilfe inzwischen effektiver diesen
Bereich
abdeckt. Die kirchliche Sozialarbeit ist sporadisch wirklich
für die Armen hilfreich.
Die Kirchen haben fulminant ihre Glaubwürdigkeit verspielt,
sie sind ein Teil
der permanenten Passion Jesu geworden, auf Dauer gestellte
zusätzliche
Hinrichtungsstätten ihres angeblichen Herrn.
Jesus hat keine
Gottesdienste
gefeiert und nicht gepredigt.
Er hat aphoristische knappe Bemerkungen und Kommentare zu dem aktuell
Erlebten
und Getanen gemacht, sein Handlung begründet und
verständlich gemacht und dazu
auch Gleichnisse erzählt, um den ethischen Kodex des
himmlischen Vaters zu
illustrieren, nach dem er sein Handeln ausrichtete. Das ist Jesu
Diesseitigkeit, sein heilend-helfender Kontakt zu den Beladenen und in
prekären
Verhältnissen Lebenden. Er hat sich die Hände
schmutzig gemacht. Wenn heute ein
Papst Flüchtlingen die Füße
wäscht, sind sie sicherlich vorher bereits von
einer Meute Bediensteter gewaschen und desinfiziert worden. Bonhoeffer
hat sich
für die Ausmerzung Hitlers engagiert, was bei Barth auf
Ablehnung stieß. Jesus
schwang die Peitsche im Tempel gegen die Händler, die
Vorläufer der Schlachthaus-Industrie.
Die Diesseitigkeit ist kein Eiapopeia im Stile eines Tebarz van Elst
mit seinen
egomanischen Protzbauten. Sie hat mit schmutzigen Händen zu
tun, ora et labora,
die Drecksarbeit ist bereits das volle Gebet. Das Lob Gottes wird
sachgemäß
geheiligt durch Drecksarbeit im Stil der Tagelöhner aus Jesu
Gleichnissen. Das,
was in kirchlichen Kreisen unter Gotteslob verstanden wird, das
Absingen
vollbusiger Gesänge, ist nur Kulturindustrie und Erquickung
religiöser
Konsumenten, ist reiner Spaß an der Vollmundigkeit und Musik.
Das Lob Gottes
geht anders, es findet seinen Ort nicht in Kirchen, sondern in den
Gassen der
Slums und überall dort, wo Menschen auferstehen gegen Unrecht.
Der lutherische
usus elenchticus
legis, an den von Jesus her
gebotenen Maßnahmen-Erfordernissen für eine
lebenswerte und dem Reich Gottes
offene Biosphäre dieses Planeten zu erkennen, wie weit wir von
diesen Zielen
des Pariser Klima-Abkommens noch entfernt sind und somit
äußerste Anstrengungen
zu unternehmen haben zur Bewahrung der Schöpfung, bedeutet im
Bonhoefferschen
Konzept der Kirche für andere, daß die Kirche ihre
sündhaften Versäumnisse bei
der Mahnung und Warnung der Politik und Wirtschaft sträflich
vernachlässigt hat
und sich wenigstens erstmal dessen bewußt wird. Im zweiten
Schritt heißt es
dann: Handeln, also usus politicus. Eine Kirche, die schweigt zur
Klimakatastrophe, versündigt sich gegen den angeblichen Herrn
der Welt, den sie
in ihren Gottesdiensten unentwegt anruft. Wie aber kann Kirche nicht
nur für
die Juden schreien, um gregorianisch singen zu dürfen, sondern
auch für die
Energiewende und gegen Kriege und soziales Unrecht?
Der
bürgerliche Ungehorsam
bleibt auch heute ein virulentes
Thema angesichts der Erderwärmung mit tödlichen
Folgen für Millionen Menschen
und Tiere in den armen Ländern. Und wieder hat nicht die
Kirche bei der
Bewahrung der Schöpfung die Nase vorn, sondern Greenpeace,
BUND, Friday for
Future und viele kleinere Gruppen. Fast findet man inzwischen in der
Industrie
mehr Ökoaktivisten als auf den Kanzeln.
Nachdem die
Grünen ab
März 2022 zu den heftigsten
Kriegstreibern im Ukrainekrieg geworden sind und damit der CDU und FDP
als den
klassischen Hardlinern den Rang ablaufen, hört man aus
kirchlichen
Verlautbarungen selten einmal eine Stimme gegen Waffenlieferungen. Die
katholischen Bischöfe halten die Lieferung von Angriffswaffen
für
gerechtfertigt, passend zum Votum gegen Abtreibung. Ist letzteres Mord,
so
ersteres der gerechte Krieg gegen die russisch-kommunistischen
Antichristen.
Auch die Ratsvorsitzende der EKD unterstützt die
Bundesregierung bei der
Lieferung des Leopard 2 und weiterer Angriffswaffen, bald werden
sicherlich
auch Flugzeuge geliefert und ich möchte nach 5 Jahren gerne
resümieren, was all
diese Maßnahmen geholfen haben. 70% der Deutschen sind
inzwischen nach
anfänglichem Zaudern durch die Indoktrination der deutschen
Medienpropaganda
weichgeworden und nur 61% finden Klimaschutz wichtig, der Mechanismus
ist
ähnlich wie damals bei Goebbels.
Man
hört in Kirchen nichts
zur Verlängerung der AKW-Laufzeit
und zum Braunkohle-Abbau. Man hört nichts zu der
kriegstreibenden „freien“
deutschen Presse, die die Regierung nachgerade vor sich hertreibt in
die
Mitbeteiligung am Morden im Osten. Der mitteldeutsche Landesbischof
Friedrich
Kramer, Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland
(EKD) ist auf weiter Strecke der einzige, der sich gegen
Rüstungsexporte stellt
und wird dafür auf das übelste attackiert. Dieser
Abnutzungskrieg kurbelt die
Rüstungsproduktion an und wird für diese
Industriezweige zu einem
Bombengeschäft. Die Stimmung zum Kriegsführung gegen
Putin, der seine Bürger
verheizt an der Ostfront der Ukraine, ist vergleichbar mit der
Aufbruchstimmung
im 3. Reich. Die Drohung vom Kreml, vor Atomwaffen nicht mehr
zurückzuschrecken,
wird hierzulande als harmloses Säbelrasseln
eingeschätzt. Wie lange dies noch
gilt, wird sich zeigen. Wie unbekümmert hier mit dem Tod
gespielt wird, ist
beispiellos. Die Idee, die Ukraine müsse erst Donbas und Krim
zurückerobern,
Regionen, die sie vor 2013 verarmen ließ, um dann an den
Verhandlungstisch mit
Rußland zurückzukehren, geht über
unzählige Leichen auf beiden Seiten und ist
militärstrategisch umstritten bis obsolet, was die Zukunft
zeigen wird. Hinter
dieser Idee steht vor allem das geopolitische Interesse der USA, ihren
Nato-Vormarsch in diesem exportierten Krieg zu einem Zangengriff gegen
Rußland
auszuweiten. Dabei hat die USA selbst keine eigenen Verluste und
investiert
nicht allzuviel an Waffen.
Die
Involvierung in diesen verdeckten
Nato-Eroberungskrieg,
der schon weit vor 2014 begonnen hatte, hat in Deutschland die
Fokussierung auf
den Klimawandel komplett in den Hintergrund getrieben. Zugleich ergeben
sich
daraus Streueffekte, die Energiesparen finanziell attraktiver machen.
Hier
könnte die Not tugendhaft machen. Die diabolische Dialektik
ist aber, daß die
größten Energieverschwender so reich sind,
daß für sie energetische Sanierung
von Wohnungen immer noch nicht interessant ist, obwohl sie das Geld
hätten. Die
Armen haben zwar die bauphysikalisch kalten Wohnungen, aber kein Geld,
um sie
zu dämmen. Zudem ist ihnen der Zusammenhang von
Dämmung mit Erderwärmung und
Umweltkatastrophen, Hitzewellen, Dürren,
Überschwemmungen nicht evident
aufgrund mangelnder Bildung.
Hier
könnte und
müßte die Kirche, wo sie überhaupt noch
Menschen erreicht, mitwirken und erklären, wie das Evangelium
der Fürsorge für
diesen Planeten von uns fordert, alle nötigen Arbeiten zur
Vermeidung von CO2-Emissionen
ins Werk zu setzen. Es sind noch ca. 10 Jahre, die uns bleiben, um
drastische
Veränderungen zu bewältigen vor dem Kipp-Punkt des
Klimas. Das muß die Kirche
verpflichten, alles Erdenkliche an ökologischen
Aktivitäten von Bildung über
Baumaßnahmen bis zu Projekten in Partnergemeinden der 3. Welt
zu initiieren, um
diesen Niedergang des Globus zu verhindern. Es passiert fast nichts.
Aber es gibt
vereinzelte kirchliche
Aktivitäten für mehr
Umweltschutz. Es sind einzelne Pfarrer und Gemeindeglieder, die sich
dafür
stark machen. Die Mehrzahl der Gemeinden aber ist
„zurückhaltend“ wie immer,
wenn es nicht nur um Verkündigung geht.
Wo sie
unauffällig sind,
stehen schon einige Solarmodule auf
Kirchendächern. Das wäre ein gutes Zeichen
für den ökologischen Aufbruch, der
Christum treibet. Nämlich die Fürsorge für
die Opfer unserer verschlafenen
Energiewende.
Die Kirche
redet von der
Eschatologie, der Zukunft Gottes.
Das könnte als Zukunftswerkstatt im Fahrwasser Jesu ihre
letzte Chance werden
vor dem völligen Abdriften in die gesellschaftliche
Bedeutungslosigkeit.
Vergleicht man aber diese vereinzelten Initiativen mit den riesigen
Solarfeldern Holsteinischer Bauernhöfe, so ist dies ein
gutgemeinter Anfang,
der kaum mehr als Symbolfunktion hat und gerade mal die
Gemeinderäume erhellt.
Ein
ökonomischer Faktor
indes spielt der mangelhaften
ökologischen Bewußtheit der Kirchen in die
Hände: die Heizkosten gerade für das
Aufheizen einer Kirche zum Sonntagsgottesdienst sind jährlich
fast so hoch wie
ein Pfarrergehalt. Die Verknappung der Finanzen durch die boomenden
Kirchenaustritte im Gefolge der Kindesmißbrauchs durch
Priester affiziert auch
die evangelische Kirche fast in gleichem Maße und sorgt
für die Motivation, das
Geld nicht durch Kirchenheizung zu verschleudern, in die immer weniger
Menschen
gehen, Tendenz Richtung Hauskreis-Größe. Da reicht
bald eine Ladenkirche
vollkommen aus. Nur in reichen Gemeinden mit hohem Anteil gut
bürgerlich
Gebildeter ist der Gottesdienstbesuch noch höher. Das spiegelt
den faktischen
Kulturprotestantismus und die Allianz von Kirche und den Reichen der
Gesellschaft wieder. Gerade diese Kreise sind zwar ökologisch
informiert und in
Umfragen verbal für Klimaschutz, aber bleiben in ihrem
Lebensformen auf einem
signifikant hohen ökologischen Fußabdruck, sie
fliegen um die Welt oder
wenigstens nach Teneriffa, Gomera und Südamerika. Sie haben
gemeinsam mit dem
Klerus, öffentlich Wasser zu predigen, aber heimlich Wein zu
trinken und das in
Dimensionen einer Alkoholikerin.
Von den
depravierten Unterschichten
wiederum ist auch keine
umwälzende Kraft zu erwarten, außer daß
sie finanziell kaum Möglichkeit haben,
Energie zu verschwenden und so einen aus Not geborenen kleinen
ökologischen
Fußabdruck haben. Daß Jesus sich zu diesen Menschen
hingezogen fühlte, ist nur
allzu verständlich. Ich darf als Gemeindepfarrer einer solchen
Gemeinde in
Bergkamen hinzufügen, daß dort 1987 mehr Engagement
für unser Afrikaprojekt zu
finden war als in der reichen Remberti-Gemeinde Bremens 2015
für Flüchtlinge.
Reichtum entsolidarisiert und macht egoistisch. Daß die Kraft
Gottes in den
Schwachen mächtig ist, ist unmittelbarer Ausdruck dessen, was
ich in
Unterschichts-Gemeinden erleben durfte. Das Konzept einer Kirche
für andere,
was schlicht an Jesus orientiert war und ist, geschrieben im Knast
fernab der
Altäre, ist und bleibt der Stachel im Fleisch des Leibes
Christi.
[1]
Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und
Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Eberhard
Bethge,
Hamburg; Siebenstern, 71971,134
[2] aaO 135
[3] aaO 178
[4] aaO 185
[5] aaO 170
[6] aaO 169
[7]
aaO 191f
[8]
Albrecht Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und
Versöhnung.
Bd. I Die Geschichte der Lehre. Bd. 2: Der biblische Stoff der Lehre.
Bd. 3:
Die positive Entwickelung der Lehre. Adolf Marcus, Bonn
1870–1874
[9]
Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und
Versöhnung, Bd. III
Bonn4 1895,630
[10]
Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und
Versöhnung, Bd. III
Bonn4 1895,453
[11]
Widerstand und Ergebung 137 cf Ritschl aaO Bd. 3 Kap. 61 Das
Verhältniß
zwischen der Wiedergeburt des Einzelnen und der Rechtfertigung
[12]
Ritschl aaO Bd. III, 568
[13]
Bonhoeffer, Wer ist und wer war Jesus Christus? Seine Geschichte und
sein
Geheimnis, Hamburg; Furche Stundenbuch 4, 1962, 29, 76ff
[14]
Bonhoeffer, Ethik. Zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard
Bethge,
München; Kaiser, 1949, 187: „Es ist –
wohlgemerkt – allein seine Liebe, die ihn
schuldig werden läßt. Aus seiner selbstlosen Liebe,
aus seiner Sündlosigkeit
heraus tritt Jesus in die Schuld der Menschen ein, nimmt sie auf
sich.“
[15]
Ethik 187
[16]
Ethik 75
[17]
Ethik 191
[18]
Ethik 225
[19]
Ethik 190
[20]
Ethik 193
[21]
Ethik 197
[22]
Ethik 202
[23]
Ethik 203
[24]
Ethik 224 geschrieben zwischen Januar und dem 5. April 1943, also vor
Bonhoeffers Verhaftung
[25]
BTE IV: „die verschiedenen Ämter in der Kirche
begründen keine Herrschaft der
einen über die anderen, sondern die Ausübung des der
ganzen Gemeinde
anvertrauten und befohlenen Dienstes"
[26]
Ethik 227
[27]
Ethik 233
[28]
Ethik 233
[29]
Ethik 234
[30]
aaO
[31]
Ethik 264ff
[32]
Ethik 273
[33]
Ethik 273
[34]
Ethik 274
[35]
Widerstand und Ergebung, 137 Der gesamte Brief vom 5.5.1944 ist eine
der
wichtigsten Überlegungen zur Weltlichkeit.
[36]
Widerstand und Ergebung, 137. Beispiel für Barths
Jenseitstheorien mag KD II 2,
56f mit der Prädestinationslehre sein: „auf Erden
seinen Willen vollstreckend,
wie er im Himmel, in seinem alles Zeitliche vorwegnehmenden ewigen
Ratschluß
schon vollstreckt ist.“ Allein schon die Konnotation von
„vollstrecken“, was im
Naziterror die Todesurteile meinte, hat einen sehr trefflichen
Beigeschmack:
Wenn die 50 Millionen Kriegsopfer Hitlers Vollstreckung des ewigen
Ratschlusses
Gottes waren, darunter 6 Millionen des Volkes Gottes, wirft dies ein
schillerndes Licht auf Gott. Weder eilte Israel auf Jesus zu, wie Barth
aaO schwülstig
fabuliert, noch ist Israel das „besondere Volk, das diesen
Namen trägt, zum
‚Licht der Heiden‘, zur Hoffnung, zur
Verheißung, zur Einladung, zum Ruf an
alles Volk, … zum Gericht über die ganze Menschheit
und jeden einzelnen
Menschen eingesetzt und ausgerüstet“. Angesichts der
Vertreibung der
Palästinenser ab 1948 aus ihrer Heimat hätte man
damit einen Vorgeschmack von
diesem Licht der Heiden. KD III 3,200 macht Barth den König
Israels zum
„Subjekt der Weltregierung“, nicht nur gedanklich,
sondern „als Wirklichkeit“.
Er listet als Wirkstätten Jahwes Kanaan, Ägypten,
Samaria, Syrien, Kleinasien,
Griechenland und Rom auf. Auschwitz kommt nicht vor in dieser Liste.
Bonhoeffers
Abscheu vor einer allzu vollmundigen Christologie ist genau das, was
ich bei
Lektüre der KD empfinde.
[37]
Widerstand und Ergebung 137
[38]
Alfred Lorenzer,
Sprachzerstörung
und Rekonstruktion. Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse,
Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1973,203; Ders., Die Wahrheit der
psychoanalytischen
Erkenntnis. Ein historisch-materialistischer Entwurf, Frankfurt/Main
(Suhrkamp) 1974,254:
»Vermittlung der
'Normen', der Inhalte und Formen des Bewußtseins, der
Sprachfiguren und
Sprachregeln kann nicht auf
kommunikationstheoretisch-oberflächlicher Ebene
begründet werden, sondern muß in einer 'tiefen'
Übertragung von Praxisfiguren
fundiert sein. Mit anderen Worten: Praxis wird durch Praxis
hergestellt.«
[39]
Widerstand und Ergebung 179 Wer bin ich?
[40]
Verschlimmernd kommt Barths Arroganz hinzu, entscheiden zu wollen
über „Glaube
wie … Unglaube an Gottes Weltregierung“ als
„Frage des richtigen oder
unrichtigen Verhältnisses zur Wirklichkeit“ des
historischen Geschehens der
biblischen Erzählungen, in denen Gott als König
Israels zugleich die ganze Welt
regiert, so in KD III 3, 201. Das richtige Verhältnis zur
Bibel ist in der
Theologie geklärt: Quellenstudien, Quellenscheidung,
Kontextualität,
Umweltforschung, kurz: historisch kritische Bibelarbeit, von der in
Barths
Römerbrief nichts zu erkennen ist. Richtig für ihn
ist dasjenige Verhältnis zur
Bibel, in dem als Ergebnis herauskommt, daß Gott Israel und
die Welt regiert.
Diese wertvolle Erkenntnis darf Barth dann gerne den Juden
verkünden, die ihre
Eltern und Geschwister im Gas verloren haben, deren Rauch aus den
Krematorien
der KZs zum Schöpfer aufgestiegen ist. Ist Auschwitz eine
liebend-züchtigende
Regierungsweise Gottes?
[41]
Widerstand und Ergebung 136
[42]
Widerstand und Ergebung 193