Dr. phil. Dr. theol. Michael Lütge, Pfarrer, Gestalttherapeut, Religionsphilosoph, Religionswissenschaftler
fußnotenloser Auszug aus:
"Wachstum der Gestalttherapie und Jesu Saat im Acker der Welt. Psychotherapie als Selbsthilfe"
Lang-Verlag Frankfurt, 1997 824 Seiten ISBN 3-631-32666-1

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    Seite 218-260


    1.2.2 Einflüsse psychoanalytischer Revisionisten 218

    Zum Impressum

    1.2.2.1 Sandor Ferenczi: Elastische Therapie und Nachnährung 218

    1.2.2.1.1 Biografisches und Beginn der aktiven Technik der Frustration 218

    1.2.2.1.2 Ausbau der aktiven Technik (1919-1926): Aufmischen des Patienten 223

    1.2.2.1.3 Amphimixis der Genitaltheorie und Sphinktermoral 229

    1.2.2.1.4 Neuorientierung, Nacherziehung und Mütterlichkeit 231

    1.2.2.1.5 Revision der Technik: Elastizität und Gewährenlassen 233

    1.2.2.1.6 Aufrichtigkeit als Pädagogikum in der Regressionsarbeit 236

    1.2.2.1.7 Neokatharsis als induzierte Minipsychose. Adoption des Patienten 242

    1.2.2.1.8 Streit zwischen Ferenzci und Freud: Zwei Therapiestile? 247

    1.2.2.1.9 Aktive Technik, Relaxation und Gestalttherapie: Wahlverwandtschaft 250

    1.2.2.2 Die Ungarische Schule als Erbe Ferenzcis: Alternativerfahrungen 251

    1.2.2.2.1 Franz Alexander, Sandor Rado, Michael und Alice Balint 251

    1.2.2.2.2 Melanie Klein, Donald Winnicott und Rene Spitz 253

    1.2.2.2.3 Sascha Nacht, Bela Grunberger, Geza Roheim 256

    1.2.2.2.4 Margarte Mahler, Otto Kernberg, Rudolf Ekstein, John Rosen 257

    1.2.2.2.5 Masud Khan, Jaques Lacan, Gregory Bateson, Hilarion Petzold 259

    1.2.2 Einflüsse psychoanalytischer Revisionisten

    1.2.2.1 Sandor Ferenczi: Elastische Therapie und Nachnährung

    1.2.2.1.1 Biografisches und Beginn der aktiven Technik der Frustration

    Ferenczi, Jahrgang 1873 und 17 Jahre jünger als Freud, eines von 11 Kindern eines ungarischen Freiheitskämpfers gegen Habsburg, der nach der ungarischen Niederlage als Buchhändler auch Lyriker verlegt, wächst als Gymnasiast in Miskolcz, ungarische Provinz, auf und geht mit 17 nach Wien zum Medizinstudium.(1) Er idealisiert seinen mittlerweile gestorbenen Heldenvater und später den Meister Freud. Sein Liebesbedürfnis ist ungarisch: unersättlich.(2) Nach seinem Examen geht er 1896 als praktischer Arzt und Neuropsychiater nach Budapest, wo er bis 1910 praktiziert, obendrein gerichtlicher psychiatrischer Gutachter ist. 1908 ist er so intensiv eingelesen und entbrannt für Psychoanalyse, daß er Freud schreibt, welcher ihn auf den 1. Psychoanalytischen Kongreß in Salzburg zum Referat einlädt. Schon 1909 begleitet er Freud zu Vorträgen nach England.(3) Er hat von allen Kollegen die intimste Beziehung zu Freud gehabt.(4) Ab 1910 gibt er die ärztliche Praxis auf und betreibt nur noch Psychoanalyse.(5) Er ist mit einer 7 Jahre älteren Verheirateten heimlich zusammen.(6) 1914 bricht mit Kriegsbeginn seine Praxis zusammen, er macht als Regimentsarzt in Westungarn nebenbei 1915 seinen Traum wahr: Lehranalyse bei Freud in Wien. 1916 Psychiater im Budapester Militärlazarett, praktiziert er schon wieder psychoanalytisch. Nach der Unabhängigkeit bietet die neue Regierung Ungarns ihm den weltersten Lehrstuhl für Psychoanalyse in Budapest an, der schon 1919 annulliert wird vom Horthy-Regime. Ferenczi heiratet seine Gizella und praktiziert bis 1933 ganztägig als Analytiker. Mitintitiator der IPV 1910 wird er 1918 ein Jahr vor Jones deren Präsident.(7)

    Seine ersten psychoanalytischen Schriften widmen sich dem Thema der Kindererziehung im Familienkonnex als dem früher Strukturbildung.(8) Gleichzeitig entstehen auch seine großen metatheoretischen Aufsätze über Introjektion als einer Erweiterungsstrategie des Ich und Übertragung (Projektion) als Ichverarmung durch Exklusion, Abspaltung von Ich-Anteilen und die Genese des Ich als »Wirklichkeitssinn«.(9) Neben dem Gegenstück zur Pferdephobie des »kleinen Hans«, der Kastrationsphobie vor Hühnern beim kleinen Arpad(10) erscheinen einige Aufsätze über den Zusammenhang von Homosexualität und Paranoia.(11)

    Ferenczi hatte eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit für Symptomhandlungen. Angeregt von Freuds Arbeiten über Fehlhandlungen als offensichtlich sinnvoller Sprache des Unbewußten, heimlichem Drängen des Buchstabens in ihm, findet er zahllose Beispiele für die verborgene Sprache der Syptome, die er während seiner Analysen als vorübergehende »Störungen« beobachten konnte.(12) Seine Arbeit »Über Pathoneurosen« (1916)(13) bildet einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Psychosomatik in der Deutung somatischer Erkrankungen als Körpersprache, gefolgt von »Denken und Muskelinnervation«(1919)(14), wo die unbewußten Bewegungsimpulse als Sprache begriffen werden. Das von Freud als Agieren disqualifizierte Handeln des Patienten sieht Ferenczi schon sehr früh als Mitteilungen aus dem Unbewußten des Patienten an den Analytiker für die Analyse als hilfreiches Verständigungsmittel an. Der Analytiker soll sie nicht verbieten, sondern ihren Ausdruck fördern als »Triebdurchbrüche« in unmittelbarer Form ihrer für die Genese der Krankheit offenbarenden Entstellung.

    So bahnt sich die Trennung von der rein auf Assoziationsmeldungen fokussierenden Abstinenz der Freudschen Technik an, der Übergang zum Experimentieren mit aktiver Technik in der Analyse, welches später zum offenen Bruch mit Freud führte. Diese Beiträge zur Behandlungstechnik sind das spezifische, über Freud hinausgehende Vermächtnis Ferenczis; darum seien auch nur sie hier eingehender aufgenommen. Über Karl Landauer sind beide Perls mit dieser Technik vertraut gemacht worden, ohne daß Perls je wirklich das Ausmaß dieser Beeinflussung erkannt hätte. Der zentrale Punkt ist, daß hier erstmals das Agieren des Patienten therapeutisch zum Angelpunkt der analytischen Arbeit gemacht wird; davon lebt das Durchagieren der Gestalttherapie, auch wenn Perls Ferenczi fast gar nicht zitiert und bewußt rezipiert oder verstanden hat.(15)

    Die Wende im Therapiekonzept Ferenczis zeichnet sich 1919 ab mit seinem Aufsatz »Zur psychoanalytischen Technik«.(16) Zunächst unterstellt er sich noch völlig der psychoanalytischen Grundregel, der Patient müsse alle Einfälle ausnahmslos mitteilen, die ihm in der Stunde kommen. Der Analytiker »muß unnachsichtig alles ans Tageslicht ziehen, was der Patient, mit welcher Motivierung immer, der Mitteilung zu entziehen sucht.«(17) Doch der findige Patient umgeht die Mitteilungspflicht in seinem »Assoziationswiderstand«(18) sehr raffiniert: statt auch Unsinniges mitzuteilen teilt er nur noch Unsinniges bis zur Glossolallie mit, vertauscht Heuhaufen und Nadel mengenmäßig. Ihm fällt nichts ein oder ihm fällt alles mögliche gleichzeitig ein und er kann es vor Fülle gar nicht der Reihe nach zur Sprache bringen. Er oder der Analytiker schläft bei dem stundenlangen gegenseitigen Anschweigen ein.(19) Er zensiert schon vorab jede Mitteilung, was sich verrät an Sätzen wie »Ich denke daran, daß...«. Oder er bricht Sätze ab, sobald die Vorstellungen, die hochkommen, brenzlig werden, und teilt flugs drei Lappalien mit.(20) Er fragt vielleicht, was wäre, wenn Mordgedanken freiwürden, ob es nicht nur noch ein Schritt bis zum jähen Ende des Analytikers wäre.(21) Oder die infantile Hysterika mit scharfer Wäsche springt auf und will geküßt werden - Ferenczi weist sie geduldig wohlwollend auf die Übertragungsnatur dieser und anderer Formen des Agierens hin.(22) All diesen Widerständen begegnet er mit Geduld, mehrfachen Versuchen der Deutung dieser Effekte als Widerstand und behutsamer Insistenz auf der Einhaltung der Grundregel. Das »Nichthelfen des Arztes« in Widerstandssituationen soll den Patienten dazu nötigen, seine Widerstände ganz alleine zu überwinden; nur davon verspricht Ferenczi Heilung in der Kur, »die ja im Wesen gerade darin besteht, daß der Patient durch konsequente und immer fortschreitende Übung über innere Widerstände Herr wird.«(23) Therapie als Training des Gestaltschlusses klingt hier an. Und die Zurückhaltung des Arztes, das Nichthelfen ist geradezu Vorläufer von Perls' skilfull frustration, die der Stärkung der eigenen Fähigkeiten des Patienten dient. Schon bei Ferenczi gibt es ein Don't push the river: »Die Situation des Arztes in der psychoanalytischen Kur erinnert eben vielfach an die des Geburtshelfers, der sich ja auch möglichst passiv zu verhalten, sich mit der Rolle des Zuschauers bei einem Naturprozeß zu bescheiden hat, in kritischen Momenten aber mit der Zange bei der Hand sein muß, um den spontan nicht fortschreitenden Geburtsakt zum Abschluß zu bringen.«(24)

    Das Frustrationsprinzip zwecks Eigenaktivierung des Patienten findet auch da Anwendung, wo der Arzt Fragen des Patienten mit der Gegenfrage nach dem Grund, dem Sinn, der Intention dieser Frage beantwortet und sich damit der Übernahme von Verantwortung für den Patienten, auch in dessen - häufig auch aufschiebbaren - Entscheidungen, entzieht, um »möglichst wenig die Rolle des geistigen Lenkers« zu spielen.(25) Beim Verharren in Infantilität muß der Arzt »insofern auch 'aktive' Therapie betreiben, als er den Patienten dazu drängt, die phobieartige Unfähigkeit zu irgendeiner Entscheidung zu überwinden.«(26) Flüchtet der Patient in vage Allgemeinheiten, so kann ihn der Arzt mit der ebenso allgemein klingenden Frage: »Zum Beispiel...?« auf genau den Punkt verführen, um dessen heißen Brei die Katze schlich: biografische Konkretheit.(27) Solche kleinen Pragmatismen dienen sämtliche der Widerstandsarbeit, dem verzwickten Schachspiel von Tarnung und Enttarnung, das Ferenczi nicht mit autoritativer Suggestion und Schulmeisterei zu meistern bemüht ist, sondern mit List, der eine große Portion Wohlwollen für die Raffinessen der Patienten abzuspüren ist. Das Spiel um die Wahrheit, getrieben vom Leidensdruck der Symptome, lebt aus der wechselseitigen List und Raffinesse, die Freud unter dem wenig humorvollen Begriff des Widerstands faßte. Wie keiner Zeug zum Detektiv hat, der nicht sich in seine Opfer, die Kriminellen, hineinversetzen kann und wenigstens gedanklich ihre Abart teilt, so wäre ein Analytiker aufgeschmissen ohne Sympathie für die vielen kleinen Finessen seiner Klienten und lernt eigentlich das Wesentliche seines Handwerks gerade aus ihren Verstellungskünsten, die Freud als Arbeit der psychischen Mechanismen bezeichnet hatte. Die Umgehung des Widerstands durch den Analytiker bedient sich also im Wesentlichen der gleichen Methoden, die er beim Patienten vorfindet. Allerdings bedient sich der Patient auch sehr bald der gleichen Methoden, die er beim Analytiker vorfindet, um sein Verdrängtes zu verstecken. Diese Situation hat etwas von Ebenbürtigkeit, die Ferenczi entdeckt. Sie ist ein Spiel, ein Pingpong der Gewitzheiten, per se eine erotische Figur.

    So ist es nicht verwunderlich, daß Ferenczi von der Übertragung des Patienten als wirksamem Motor jeder ärztlichen Einwirkung auf Patienten fast unmittelbar zur Gegenübertragung kommt. Er referiert Freuds Theorie der psychischen Reihenbildung, der Wiederholung der erotischen Beziehung zur gütigen Mutter, zum gestrengen Vater in der Analyse, und »daß die Nervenkranken wie Kinder sind und als solche behandelt werden wollen.«(28) Die angetragene Elternrolle stellt eine Versuchung für den Analytiker dar, diesen Teil seiner eigenen Person dabei auszuleben, also der milde Mitleidige zu sein auf einen Jammer hin - oder der harte Grobe auf einen Trotzkopf hin. Trotz dieser Versuchung muß er »es verstehen, seine Anteilnahme zu dosieren, ja, er darf sich seinen Affekten nicht einmal innerlich hingeben, denn das Beherrschtsein von Affekten oder gar von Leidenschaften schafft einen ungünstigen Boden zur Aufnahme und richtigen Verarbeitung von analytischen Daten.«(29) Gegenübertragung als Derealisation des Patienten durch die Wahrnehmungsüberlagerung mit den Imagines der eigenen psychischen Reihen des Analytikers tendiert in diesem Verständnis Ferenczis zur Trübung der Wahrnehmung der »analytischen Daten«. Er übernimmt damit den Freudschen Begriff von Gegenübertragung als einer zu eskamotierenden. Dazu dient - und Ferenczi hat sich um ihr Obligatorisch-Werden verdient gemacht - die Lehranalyse als Vertrautwerden mit den eigenen Affekten, ihrem biografischen Anteil, und der Unterscheidungsfähigkeit zwischen biografisch bedingter persönlicher Involvierung und einer wirklich nur durch die »Daten des Patienten« affizierten. Mit einem Ohr diesen folgend, hat er mit dem anderen Ohr immer in sich selbst hineinzuhorchen, »hat er gleichzeitig seine eigene Einstellung dem Kranken gegenüber unausgesetzt zu kontrollieren, wenn nötig, richtigzustellen, daß heißt die Gegenübertragung (Freud) zu bewältigen.«(30) Eine Folge der Gegenübertragung ist eine gluckenhafte Parteilichkeit für den Patienten, Entrüstung über alle, die ihm übelwollen und Beschützerallüren, die immer auch eine besitzergreifende Seite haben: Meine Kinder, meine Patienten, meine Gemeinde. Angesichts einer solchen, alles andere als abstinenten Haltung ist es auch nur folgerichtig, wenn der Patient sich in seinen Beschützer verliebt, »plötzlich mit leidenschaftlichen Forderungen auftritt«.(31) In diesen anfänglichen »Honigmonaten der Analyse« bewirkt die positive Übertragung die bekannten überraschenden Heilerfolge, die als Ausgeburten der Verliebtheit Gefälligkeitsprodukte sind: bin ich nicht ein gelehriger, guter, liebenswerter Patient?(32) Er heischt um Liebe.

    Ferenczi stellt gegen Freud, der sie alleinig dem Patienten in die Schuhe schiebt - fest, daß die Verliebtheit des Patienten nur die logische Folge des »enthusiastischen« Arztes ist, dessen Heilungs- und Aufklärungsdrang ihn täuscht über seine unbewußten Bindungen an den Patienten, die jener durchaus richtig mitbekommt und mit seinem Gefühl darauf nur angemessen antwortet, wenn er in Liebe zu seinem »Gönner oder Ritter« ausbricht.(33) Vor all dieser Verwicklung meint Freud sich »schroff und ablehnend« schützen zu müssen - Ferenczi wagt 1919 noch nicht, seinen verehrten Herrn Professor Freud direkt zu attackieren, wenn er solche Abstinenz als »Phase des Widerstandes gegen die Gegenübertragung« und Antithese auf die unreflektierte Gluckenpose des Analytikers einer ebensolchen Einseitigkeit zeiht: »Die übergroße Ängstlichkeit des Arztes in dieser Hinsicht ist nicht die richtige Einstellung des Arztes«.(34)

    Die Synthese wäre der Wächter im Analytiker, der auf die Dosierung achtet, während der Arzt »sich gehen läßt« im »Gewährenlassen des eigenen Unbewußten«, welches »die im manifesten Rede- und Gebärdenmaterial versteckten Äußerungen des Unbewußten des Patienten intuitiv zu erfassen« sucht.(35) Überschreitet die Involvierung den Pegel ins Gönnerhafte oder Feindselige, so ist höchste Zeit für eine »psychoanalytische Aussprache«, für Metakommunikation über die sich selbstständig machenden Gefühle und deren Grund in der Prozeßdynamik.(36) Dem Pingpong der Widerstandsarbeit als dem bewußten, rationalen Teil des Versteckspiels der Analyse gesellt sich das Pingpong der beiden Unbewußten von Arzt und Patient hinzu im Modus der Intuition.

    1.2.2.1.2 Ausbau der aktiven Technik (1919-26): Aufmischen des Patienten

    Ferenczi hat schon sehr früh die Vielschichtigkeit des analytischen Geschehens sehr klar erfaßt. Er beschreibt das vielstränige, gleichwohl freischwebende Awareness-Verhalten des Analytikers als Oszillieren der Foci: »Diese fortwährende Oszillation zwischen freiem Spiel der Phantasie und kritischer Prüfung setzt aber beim Arzte eine Freiheit und ungehemmte Beweglichkeit der psychischen Besetzungen voraus, wie sie auf einem anderen Gebiete kaum gefordert wird.«(37) Vielleicht bildet diese Polyvalenz der Sensitivität den spezifischen Reiz für die Arbeit des Analytikers.(38)

    Die Phase der aktiven Technik Ferenczis reicht von 1919 - 1926.(39) Die Grundidee ist folgende: Der Analytiker aktiviert den Patienten bei Stagnation des Assoziationsflusses, die eine »Krise in der Übertragungsbeziehung« mit Abzug libidiöner Besetzung der Analysesituation indiziert(40), zum acting out an präzis der Stelle, wo die Verschiebung, der Abzug der Libido stattfindet. Hier ist Verdrängungswiderstand am Werk, der das Thema »totschweigen« möchte. Der Arzt ermutigt den Patienten etwa, sich dem phobischen Objekt auszusetzen, bestimmte Sexpraktiken einzustellen. So wird die verdrängte Triebrepräsentanz nahe ans Bewußtsein gebracht. Dadurch steigt die Apparat-spannung dermaßen, daß die Assoziationen wieder fließen oder sogar ein »Triebdurchbruch« des Verdrängten ins Bewußtsein erfolgt.(41)

    Vor dem 6. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Den Haag verteidigt Ferenczi 1920 sein Programm: »Weiterer Ausbau der 'aktiven Technik' in der Psychoanalyse«.(42) Zum einen hat Freud selbst, etwa bei Angsthysterien Objektkonfrontation, dem Patienten acting out-Vorschriften gegeben.(43) Schon die Anordnung der analytischen Regel ist eine außerordentliche Aktivitätenvorschrift. Die Deutung erst recht ist eine massive Intervention. »Die Icherziehung dagegen ist ein ausgesprochen aktiver Eingriff, zu dem den Arzt gerade die durch die Übertragung gesteigerte Autorität befähigt.«(44) Auch die konfessionelle Qualität psychoanalytischer Suggestion ist ein psychicher Eingriff: »Die psychoanalytischen 'Suggestionen' benützen die Übertragung dazu, um die eigene Überzeugung von den unbewußten Motiven des Leidens dem Kranken zugänglich zu machen; der Psychoanalytiker muß dabei selbst darauf achten, daß der so angenommene Glaube kein 'blinder Glaube', sondern auf Erinnerung und aktuelles Erleben... gestützte eigene Überzeugung des Kranken sei.«(45) Schließlich bildet die methodische Versagung Freuds eine Aktivität in der Technik.(46)

    Eine ihre voluminöse Weiblichkeit und ihre verdrängte unbändige Bewegungs- und Onanierlust (Fingerspiel) versteckende Pianistin läßt Ferenczi den ihr als Melodie eingefallenen Lieblings-Gassenhauer ihrer Schwester vorsingen: Text und die bei der Schwester gesehene, erst nach langem Üben mit Ferenczi dargebotene sexuelle Gestik offenbaren ihre heimlichen Wünsche, zu gefallen, Männer anzumachen. Das Intermezzo der Singübung läßt zentrale Erinnerungen hochkommen, wo sie als Mädchen allen gern alles zeigte. Ferenczi läßt sie zurückgehaltene analsphinkterale (Flatus) und genitale (Kitzlerkitzel bei leidenschaftlichem Pianospiel) Impulse verstärken bis zu ihrem Bewußtwerden, schränkt sie dann aber sofort wieder ein, um die Triebenergie wieder auf die Erinnerung zu bündeln.(47) Diese Abfolge von Aktivitäts-Gebot bis zur Bewußtwerdung und anschließendem Wieder-Verbot zwecks Dynamisierung der Assoziationsproduktion im generellen Rahmen der Freudschen Versagungsregel prägen also die Struktur der aktiven Technik.(48) Auch zu Gedanken oder Phantasien regt Ferenczi seine Patienten an, bzw. untersagt sie ggf., wenn sie das libidinöse Niveau stagnierender Analysen revitalisieren.(49)

    Als Kontraindikationen solcher aktiven Eingriffe, die mit der Sparsamkeit einer Geburtszange zu gebrauchen seien(50): Am Beginn der Analyse hat der Patient genug, sich erstmal an die Grundregel zu gewöhnen. Die Übertragung muß so tragfähig und zwanghaft geworden sein, daß der von den Effekten des Experiments der aktiven Technik geschockte Patient nicht gleich die Segel streicht.(51) Dafür sind aktive Interventionen im »Endspiel« der Kur, zB als Terminfrist des Endes, umso indizierter, erleichtern die Ablösung.(52) Ebenso indiziert sind suggestive Aktiv-Interventionen bei Phobien und Zwangssymptomen zur Konfrontation mit dem Gefürchteten, Gemiedenen.(53)

    Nebenbei: Die Konfrontation mit dem Vermiedenen als aktive, gezielte Förderung des Ich als der Kontaktfunktion des Organismus entspricht ziemlich genau den Tips und Ratschlägen von Perls, der es allerdings von Freud hat. Auch wenn hier kein direkter Weg der Beeinflussung von Perls durch Ferenczi via Landauer nachzuweisen ist, sind die bisher aufgezeigten Affinitäten doch gerade in Abhebung von Freud signifikant: Ermutigung zum Agieren des Patienten zwecks Triebdurchbruch ins Bewußtsein und Einbeziehen der Körperwahrnehmung als Sprache des Unbewußten.(54)

    Als weitere Indikationen für aktive Technik, für Ge- oder Verbote des Analytikers, nennt Ferenczi das zeitliche Begrenzen der Behandlung von Kriegsneurotikern wegen deren überaus großer, auf Hilfe wartender Anzahl - mit dem Risiko unvollständiger Heilung.(55) Dann verbietet er larvierte Onanie, etwa das Wichsen der Schuhe des Gatten durch die treue Hausfrau als Ersatz für das eigene Genital, bis sich wirkliche Onaniebetätigung einstellt, die im Stande ihrer vollen Entfaltung auch wieder gedrosselt wird per Verbot.(56) Bei Impotenz wirkt ein Verkehrsverbot oft Wunder, sammelt die Libido und macht ihr Bewußtwerden bei sexueller Anästhesie möglich.(57) Als letztes Mittel bei verkrusteten abnormen Charaktereigenschaften, die nicht durch die »Siedehitze der Übertragungsliebe« zum Schmelzen gebracht werden können, empfielt Ferenczi die Provokation des Patienten mit dem Ziel der Aktivierung jener Charakterzüge in solchem Ausmaß, daß ihre inhärente Absurdität dem Patienten einfach ins Auge springen muß. Daß das ins Auge gehen kann und zum Therapieabbruch des blamierten Patienten führen kann, versteht sich.(58) »Indem wir den Kranken zur Aktivität drängen, geben wir ihm eigentlich die Anleitung zur Selbsterziehung, die das Ertragen des noch Verdrängten erleichtern soll.«(59)

    Insgesamt läßt sich die Psychoanalyse als eine Art von Nacherziehung der infantil gebliebenen Neurotiker betrachten.(60) Weil Kinder jedes Wort der Eltern unbedingt als verbindlich betrachten, darf auch der Analytiker nicht mehr versprechen, als er halten kann, darf, will und wird. Aufrichtigkeit, bei Freud nicht eben entwickelt(61), wird für Ferenczi zum unbedingten Grundstein aller Interventionen, bis hin zum Eingeständnis eigener Unfähigkeit, Hilflosigkeit oder der technischen Tricks des Therapeuten.(62) Mag die Übertragung auch vom Machtgefälle der therapeutischen Suggestibilität zehren, welche die infantile Position gegenüber den Eltern wiederholt; durchgearbeitet hat sie nach dem Erscheinen aller zentralen inzestuös-ambivalenten Komplexe einem »Gefühl der Gleichberechtigung« von Partnern zu weichen, welches das Ende der Analyse markiert.(63)

    Ferenczi grenzt die aktive Technik sowohl von Suggestion ab wie von Katharsis. Im Gegensatz zur Suggestion enthalten die Weisungen aktiver Technik kein Erfolgsversprechen(64), sondern nur das einer Aufmischung.(65) »Indem wir Gehemmtes fördern, Ungehemmtes hemmen lassen, hoffen wir nur auf eine Neuverteilung der psychischen, in erster Linie der libidinösen Energien des Kranken, die der Zutageförderung verdrängten Materials förderlich ist.«(66) Das Hauptargument Ferenczis ist also ein energetisches: Umbesetzungen und Umverteilungen von Libido sollen die Erinnerungen fördern, die, und das sagt er nicht!, selbst eben schon ein Zeichen von Heilung sind und nicht nur eine materiale Vorbedingung derselben. Während Katharsis Erinnerung als Vorbedingung des Abreagierens eingeklemmter Affekte benutzt(67), geht die aktive Technik Ferenczis umgekehrt vor, indiziert die Affektabfuhr, um an das mnestische Material heranzukommen.(68)

    Ferenczi vergleicht die Eingriffe der aktiven Therapie mit Reizkuren gegen torpide oder chronische Krankheitsprozesse.(69) Sie sollen krankhafte Habitualisierungen aufsprengen, charakterlich Gesetzes in Bewegung, in Turbulenz bringen, um es schließlich, gut aufgemischt, in einem zweiten Schritt neu auszurichten. Diese Neuorientierung im Durcharbeiten des hochgespielt-hochgespülten Assoziationsmaterials, also die interpretative Integration des Verdrängten, ist das eigentliche Ziel und die einzige Legitimation für die aktiven Interventionen des Arztes. Hierin besteht die Nacherziehung: die neurotisch-infantilen Karten per aktiver Intervention aufzumischen und sie zu einem neuen Spiel der Erwachsenen zusammenzulegen. Das Motiv der Nacherziehung zieht sich leitend durch bis in die Relaxationsphase.(70)

    Erst die Öffentlichkeit des Agierens vor dem Arzt revidiert die Verdrängung, die Exkommunikation des damals verbotenen Begehrens. »Eine weitere Steigerung dieser Wirkung erzielen wir aber, wenn wir einen Patienten dazu verhalten, tief versteckte Regungen sich nicht nur zu bekennen, sondern sie auch vor dem Arzte zu agieren.«(71) Was früher per Verdrängung »gelöst« wurde, wird im analytischen Revisionsverfahren der Neuinszenierung des Agierens zur Integration der Regung in die Herrschaft des Bewußtseins überführt.(72) Das in der aktiven Technik gebotene Agieren des Patienten ist zugleich auch Experimentieren mit neuem Verhalten, welches Trieb und Vorstellung am motorischen Ende des psychischen Apparats vereint.(73) Selbst Atmosphären aus der Zeit vor Spracheinführung und erinnerungsfähiger Symbolbildung sind mit der agierenden Wiederholung (als der neben dem zielhemmenden Denken primären Form der Motilität) dem Bewußtsein zugänglich zu machen.(74) So läßt sich selbst das Erinnerungslose nach der Wiederholung durcharbeiten.(75)

    Ferenczi läßt zwar folgsam Freuds dogmatische und die motile Wesensverwandtschaft von Sprache und Aktion verkennende Prävalenz der Erinnerung vor der Wiederholung gelten, reklamiert aber zu Recht ein schnelleres Tempo der aktiven Methode gegenüber dem Abstinenztabu reiner Assoziation: »Die aktive Technik will nichts mehr und nichts anderes, als gewisse noch latente Wiederholungstendenzen durch Aktion zutage fördern und dadurch der Therapie vielleicht etwas rascher als bisher zu jenen Triumphen verhelfen.«(76) Es ist sicherlich ein Ausdruck von Liebe zum Meister, wenn Ferenczi die von ihm entwickelte, ungarisch temperamentvolle Methode der inhärenten Eigenständigkeit beraubt und der Orthodoxie der analytischen Regel unterzuordnen versucht als Zulieferbetrieb des Königswegs. Ganz sicherlich spielt die aktive Technik mehr als »nur die Rolle des agent provocateur«.(77) Ferenczi als enfant terrible der IPV, als eines der schwarzen Schafe in der Urhorde des gestrengen Hirten Freud, macht sich ein bißchen kleiner als er ist. Auch das zählt zu seinen Raffinessen als guter Therapeut.

    Die aktive, gezielte Hervorrufung von Affekten beim Patienten an Punkten offensichtlicher Störungen untersucht Ferenczi 1924 auf einem der Assoziationstechnik näheren Sektor als es passagere Symptom-Evokationen des Agierens waren: Auch Gedanken und Phantasien können ein starkes Medium der Affektabfuhr, der Expression des Begehrens sein, Übungswiese eines wie der Traum ungefährlichen Hochschwemmens und Neusortierens von Wünschen.(78) Die Rekonstruktion des Originalvorfalls ist oft eh von so vielen Deckerinnerungen verzerrt, daß Psychoanalyse kaum aus einer Geschichtsfälschung herauskommt, die Wahrheitsfrage der Einfälle auch weniger entscheidend ist als die Bedeutungsgehalte, die sie versteckt mit sich führen, subjektive Bedeutungen und nicht historische Daten, pro me und kein a se. Ferenczi macht seine Patienten zunächst ganz frei vom Rekonstruktionsziel und nimmt die analytische Regel beim Wort, alles zu sagen, was einfällt, egal wie wahr.(79) So ermutigt er Patienten zur Erdichtung von Phantasien, dazu, daß die Phantasie mit ihnen durchgeht und erlebt im halluzinatorischen Modus Dramen und Ausbrüche von Wut, Angst, erotischer Erregung.(80) Dabei spielt Ferenczi das aus dem Psychodrama später als Doppel-Ich bekannte Einspringen in die Situation des Patienten: »In einzelnen Fällen, wenn der Patient trotz starken Drängens nichts produzieren wollte, hielt ich mich auch davor nicht zurück, ihm direkt nahezulegen, was er ungefähr in der gegebenen Situation hätte fühlen, denken oder phantasieren sollen; und wenn er schließlich auf meinen Vorschlag einging, war es natürlich weniger die von mir gelieferte Haupthandlung als die vom Analysierten hinzugefügten Einzelheiten, auf die ich Wert legen konnte.«(81) Ferenczi kommt zu diesem genialen Verfahren imaginativer Techniken, wie sie sowohl im Psychodrama als auch in gestalttherapeutischen Phantasiereisen, ob frei oder gelenkt, praktiziert werden, nicht wie Moreno oder Perls über das Theater, sondern aus der Binnenlogik der analytischen Grundregel: der freie Einfall hat keinen Zwang mehr zur Wahrheitsfindung, sondern nur noch zur Wunschfindung. Im Phantasieren als einem dem Vorbewußten entspringenden Vorstellungsreservoir verschmelzen die durch Verdrängung dissoziierten Affektbeträge und reziproken Vorstellungsgehalte als Trieb-Signifikanten leichter.

    Die Unfähigkeit zu Phantasien, welches Ferenczi als einen poetischen Akt des »Erdichtens« begreift, ist meist eine im frigiden Kreise »zu gut erzogener« höherer Töchter und Stammhalter anzutreffende Blockade, die zugleich alle Wahrnehmung und Expression des Sexuellen umfaßt. Die nahezu perfekte Tabuisierung des Sexuellen im Bürgertum tötet zugleich die Phantasie, die quasi ihr recht eigentliches Reservoir in gerade jenen feuchtwarmen Tabugefilden hat.(82)

    Die Einteilung Ferenczis in Übertragungsphantasien, infantile und schließlich masturbatorische Phantasien erweist sich in den dargebotenen Fallbeispielen als fiktiv: eigentlich hat jede der forcierten Phantasien eine Beziehungsaspekt zum Arzt, hat infantile Anteile und mündet nahezu regelmäßig in sexuellen Träumen, die nur deshalb masturbatorisch sind, weil die reale Verwirklichung ödipal versagt bleibt.(83)

    Was Freud als Gefälligkeitstraum entdeckte, gilt generell: Jede Deutung focussiert die Auswahl analytischer Daten, die der Patient sendet, affiziert sein gesamtes Verhalten. Er weiß: nicht alles ist erlaubt im analytischen Ritual, eigentlich fast gar nichts außer Einfälle aussprechen. Wie Kinder ihren Eltern nach dem Munde reden, produziert der Liebe heischende Patient das, was aufgrund des in der Deutung erkennbaren Auswahlverfahrens von analytischen Daten durch den Arzt diesen am meisten zu interessieren scheint, was also gut ankommt, sich gut verkaufen läßt, wo nachgefragt wird. Das Programm der Abstinenz des Analytikers, nur Spiegel zu sein, ist im Zentrum des auf Neutralität angelegten Verfahrens, in der Deutung, so subjektiv selegierend, daß es nicht minder suggestive Folgen hat wie die Hypnose, sei die Interpretation auch noch so immanent, logisch und evident. Daher sind die Phantasier-Gebote, die Ferenczi explizit gibt, auch nur die ausgesprochene Form dessen, was die Deutung implizit immer schon vornimmt: »Welche Phantasien man dem Patienten nahelegen muß, läßt sich im allgemeinen nicht sagen, das muß sich aus dem ganzen Analysenmaterial von selbst ergeben.«(84) Dieses »von selbst« ist die Ausrichtung der Deutung in ihrer Interferenz mit den »analytischen Daten«.

    1.2.2.1.3 Amphimixis der Genitaltheorie und Sphinktermoral

    In seinem Aufsatz »Zur Psychoanalyse von Sexualgewohnheiten«(1925) wendet Ferenczi seine aktive Technik auf die analytische Begegnung mit den sexuellen Frühformen analer und urethaler Erotik an.(85) »Darum bedeutet für die Blase die Entleerung Lust, für den Darm Unlust.«(86) Analer Trotz will geizig einbehalten, urethrale Aggressivität will das Feuer ausspritzen: so gesellen sich Hemmung und Drang aus beiden Exkretionsvorgängen amphimiktisch zum genitalen Ejakulationsvorgang. Von dieser ontogenetischen Parallele ausgehend hat Überpotenz (als nicht Abspritzen wollen) und ejaculatio praecox mit dem Geiz der Obstipation das Moment des Widerstandes gemein. Ferenczi interveniert hier mit paradoxen Verschreibungen: Der Widerstand wird verordnet; der Obstipante zum Rekord im Kotverhalten verpflichtet, der Impotente zur Einstellung sexueller Handlungen überhaupt.(87) Die mütterliche Kotforderung ist Vorläufer der väterlichen Kastrationsdrohung; wie jener den Penis moralisch okkupiert, so sie das Kotprodukt. So wird die Sphinktermoral braver, pünktlicher Exkretionsbeichte auf dem Töpfchen »eine Art physiologische Vorstufe des Ichideals oder Über-Ichs«.(88) Der Darm als Kinderstube des Gewissens mit seinen unendlichen Variationen von Spannung und Entspannung, Weitung und Engung und seiner täglichen frischen Geburtskraft wird von Ferenczi als besonderer Seelensitz gewürdigt. Angst verschließt die Körperöffnungen Mund/Kehle, Anus/Darmmuskeln, Harnröhre/Prostata, Hodensphinkter und Vagina/Muttermund mit schmerzhafter Verspannung. Falls die bewußte Kontrolle aufhört, mithin die Macht der Moral, im Schreck, im Tod, in der Lustschmelze, tun sich die schönen Pforten wieder auf.(89)

    Ferenczi profitiert dabei von seinem genialen, spekulativen, bio-analytischen »Versuch einer Genitaltheorie«.(90) Die aktive Verschreibung von Abstinenz an einer erotischen Körperöffnung soll die Spannung erhöhen und u.U. auf die Lust an einem anderen Loch umleiten, wo sie naturgemäß besser residiert. »Die verschiedenen Abstinenzmaßnahmen haben... nicht nur die Wirkung, daß die unterdrückte Innervation auf andere Körpergebiete verschoben wird, es gehen mit ihnen auch seelische Reaktionen einher, durch die manches bisher versteckt gebliebene unbewußte Material aufgescheucht wird.«(91) Neben amphimiktischer Verschiebung von Spannungen auf andere Löcher oder auf das psychische Loch der Angstreaktion, Wut- oder Racheimpulse in der Therapie(92), auch der Assoziationen, profitiert die aktive Technik auch von der Umleitung der am betreffenden Loch gestauten Libidospannung auf den Analytiker(93) und unterstützt so sein Programm sexueller Anagogie aus dem Zwang ehelicher Pflicht oder Gewohnheit zum Begattungsakt als »Fest, bei dem sich bisher zurückgehaltene Energien in archaischer Form austoben können.«(94)

    1.2.2.1.4 Neuorientierung, Nacherziehung und Mütterlichkeit

    Diese sexuelle Nacherziehung macht sich zwar vorläufig den Versagungsmechanismus der heimischen Urverdrängung zu eigen und nutze, speist mit zielgehemmter Libido die Macht des Massenführers der analytischen Zweiermasse(95), zielt aber gerade auf die Aufhebung des Bannes dieser Gefolgschaftshaltung. »Der Analytiker wirkt auf den Patienten wie jener Befehlshaber, der niemanden liebt und den alle lieben und der durch das Verbot gewohnter Befriedigungsarten die Gefühlsbindung der Analysierten sichert, um den so gewonnenen Einfluß zur Aufhebung der Verdrängungen, schließlich auch zur Aufhebung der Bindung selbst zu verwerten.«(96) Die Selbsterübrigung des Analytikers durch Heilung ist sein demütiges Ziel und nicht seine Verewigung im Patienten, darin doch anders als die künstlichen Massen Heer oder Sekte, gar Kirche, die den eschatologischen Vorbehalt ihrer ersten Legitimation üppig zu einer Verrentung auf Lebenszeit genutzt hat.(97)

    Zwei Fußnoten markieren den Ausbruch aus dem Diktatormodell der Freudschen Versagungsideologie: »Daß dem Arzt gelegentlich die Mutterrolle zukommt, versteht sich von selbst.«(98) Hier taucht das Motiv nachnährender Mütterlichkeit erstmalig auf, Auftakt der Relaxation. Und zur Vaterstrenge der aktiven Technik: »Die Ausdrücke 'Gebot' und 'Verbot' sind einigermaßen irreführend... Ich hätte sie lieber positive und negative Ratschläge nennen sollen und damit andeuten, daß es sich hier nicht um autoritative Befehle handelt, wie solche in der Kindererziehung üblich sind, sondern um Verhaltungsweisen, die der Patient im Einverständnis mit dem Arzte oder wenigstens im Vertrauen auf ihre schließliche Zweckmäßigkeit gleichsam experimentell sich gefallen läßt. Nichts liegt dem Psychoanalytiker ferner, als sich in der Rolle des allmächtigen Befehlshabers zu gefallen oder sich gar zu sadistischer Strenge hinreißen zu lassen.«(99)

    In einem metapsychologischen Vergleich mit dem Symptom begreift Ferenczi die Gewohnheit, ähnlich dem bedingten Reflex, als ein Übergehen von Ichfunktionen in die Herrschaft des Es, als Zwischenstufe zwischen instinktivem Trieb und der Geistesgegenwärtigkeit gesellschaftlich vermittelten Bewußtseins, als dressierte zweite Natur.(100) Seine Beiträge über passagere Symptome in der Analyse und jene zur Tic-Diskussion von 1921 fließen ein in die Deutung der Unarten wie Nasebohren, Nägelkauen, Sichkratzen, Bartzupfen als Onanieäquivalente.(101) Auch hier fördert eine Untersagung der Unart die libidinöse Spannung und das mnestische Durchbrechen ihres infantilen Kontextes ins Bewußtsein.(102) Viele Symptome Erwachsener waren »einstmals in der Kindheit gewollt und spielerisch produziert«.(103) Sie waren ein bewußt erlernter motorischer Akt, oft eine Anpassungsleistung, deren Wiederholung ohne »Suchen neuer Wege der Erledigung« psychische Energie spart.(104) »Jede Neuanpassung erfordert die Zuwendung der Aufmerksamkeit, eine Arbeitsleistung des Bewußtseins und der Wahrnehmungsfläche, während die Gewohnheiten im Unbewußten des Individuums deponiert sind. Eine Gewohnheit aneignen, hieße demnach eine vorgängige Ich-(Anpassungs-)Leistung dem Es zu überantworten« als »eine Art Übergang zwischen den Wahlhandlungen und den eigentlichen Trieben«.(105) Gewohnheiten sind Introjekte der Außenwelt im Es.(106) Aufgabe der Psychoanalyse ist der »Kampf gegen die Gewohnheiten«, die für die Bewältigung der realen Bedürfnisse dysfunktional geworden sind, durch »fortschreitende Eroberung des Es«.(107) Indem der vergessene, verdrängte Sinn einer auffälligen, absurden Gewohnheit durch ihr Verbot und dessen energetische Durchbruchswirkung dem Ich wieder erinnernd zugänglich wird, kann die damalige Intention auf neue, der jetzigen Realität angemessenere Weise aufgegriffen werden.

    Genau das ist die Neuorientierung einer offenen Gestalt. Ferenczi hat bereits Wesentliches der Gestalttherapie vorweggenommen. Perls zitiert diesen Aufsatz wegen des Manometers im Anusloch.(108) Die von Ferenczi als wichtige Ergänzung zu Freuds todestrieblichem Wiederholungszwang aufgebrachte Theorie der Gewohnheit aber bietet er in seiner Rekonditionierungstheorie ohne jeden Hinweis auf den wirklichen Urheber.(109) Gewohnheit sieht Ferenczi lange vor der behavioristischen Konditionierungstheorie als Introjekt und Psychoanalyse als seine Aufhebung ins Bewußtsein zwecks realitätsgerechterer Anpassung, in der das die Umwelt störende, einst ihr abgeguckte Verhalten mit seinem anfänglichen Sinn vom Es ins Ich zurückgeholt, neues Verhalten ausprobiert und bei Bewährung nach häufiger Wiederholung ins Es assimiliert wird. Ferenczis Nacherziehung hat gerade in der Konzentration auf Körperöffnungen Ähnlichkeit mit der Perlsschen Konzentrationstherapie. Nur legt Perls zusätzlich großen Wert auf die oralen Praktiken und ihre Neuorientierung.(110)

    Ferenczi nennt im Gegensatz zu Freuds reiner Assoziationsdeutung als einer »Analyse von oben« seine aktive Versagungstechnik zur Spannungssteigerung zwecks Bewußtseinsdurchbruch »Analyse von unten«.(111) Das Es des allzu bequemen Patienten(112) wird so aufgemischt und provoziert, daß es sein Inkognito verläßt und massiv aktiv wird, erkennbar und interpretierbar aktiv. Dem voraus geht a) lange Beobachtung, b) der in einer Schonzeit mit Thema »zärtliche Regungen« lockende Aufbau und die geduldige Beherrschung der Übertragung und c) allmähliches Mitteilung der Deutungen.(113) Die Taktik der »Analyse von unten« ist dabei, gehemmtes Begehren zu entfesseln bis zur vollen Entfaltung, um es im zweiten Schritt der Frustration und Übung der bewußten Kontrolle und Beherrschung als eine kontrollierbare Fähigkeit ins Ich zu assimilieren. Das Ziel der Analyse ist »die Entwicklung zu einer Persönlichkeit mit starken Trieben, aber auch mit starker Kraft, sie zu beherrschen.«(114) Die letzte »aktive« Frustration ist schließlich die Entwöhnung von der Psychoanalyse selbst, die selbst zur Gewohnheit, ja Sucht werden kann. Abschied und Trennung von der Geborgenheit therapeutischer Embryonalität, zweite Geburt im Angst, Trauer und Wut auslösenden Mitteilen des nahe terminierten Endes der Analyse zwingt den Patienten zur Ablösung vom Arzt, so die Idee Ranks.(115)

    Die aktive Technik erweist sich als eine Steigerung des Versagungsprinzips. Ferenczi gesteht, daß er die Gewährung streng vernachlässigt hat, »obzwar es unleugbar Fälle gibt, in denen auch der Analytiker zu diesem in der Medizin sonst allgemein gebräuchlichen psychischen Beeinflussungsmittel greifen muß.«(116)

    1.2.2.1.5 Revision der Technik: Elastizität und Gewährenlassen

    Auf dem Homburger Kongreß der IPV 1925 bilanziert Ferenczi seine Versuche im Referat »Kontraindikationen der aktiven Psychoanalytischen Technik«.(117) Die Versagungen der Aktivtechnik provozieren immer auch Widerstand gegen den Arzt als den, der Härte auferlegt, ja lassen möglicherweise die positive Übertragung abrupt in Feindseligkeit umschlagen, müssen daher genaustens dosiert werden.(118) Die Indikation einer Anweisung verlangt in der Intuition des Arztes eine sorgfältige und treffende Deutung einer Störung des Patienten, um statt Triebdurchbruch ins Bewußtsein nicht Verheerungen und Traumatisierungen anzurichten. Irrtümer sind nicht vermeidbar und verlangen volles Eingeständnis des Fehlers durch den Therapeuten.(119) Überstrenge als Kopie des Vaterimagos bedeutet, daß der Arzt »seinen Willen den Patienten mit Gewalt aufdrängt oder sich gar sadistische Schullehrerallüren gestattet.«(120) Ferenczi legt jetzt Wert auf intellektuelles Einverständnis des Patienten und Widerrufbarkeit »aktiver Aufträge«.(121) Sie sollen »nicht von starrer Konsequenz, sondern von elastischer Nachgiebigkeit sein«.(122) Gerade für Zwangskranke sind Zwänge vom Arzt kontraindiziert. Auch die Termingebung des Endes als Beschleunigungsmittel, von Rank als »Wiederholung und Erledigung des Traumas der Geburt« als Quelle aller Angst übernommen, gibt Ferenczi auf.(123) Kern der Analyse bleibt die Deutung.(124) Das Gewährenlassen von Schreien, Herumgehen im Zimmer, Blickkontakt, Exhibitionismen usw. läßt infantil verdrängte Regungen offensichtlich werden und bleibt, ausgenommen bei Psychotikern, harmlos und ungefährlich für Arzt und Patient.(125) »Im allgemeinen läßt sich die Grenze der zulässigen Aktivitätsmöglichkeiten so formulieren, daß den Patienten alle Ausdrucksmöglichkeiten gestattet werden können, bei denen der Arzt nicht aus der Rolle des freundlichen Beobachters und Ratgebers fällt.«(126) Dabei ist alles, was der Patient tut, immer auch als Antwort auf den Arzt zu verstehen, als Widerstand oder Gefälligkeit, überträgt frühere Reaktionsmuster auf ihn und ist selbst Echo der Gegenübertragung des Arztes auf den Patienten.(127) Ein Auftakt zur Relaxation resultiert aus den Erfahrungen mit den verordneten Sphinkterkontraktionen zur Spannungssteigerung. »Ich habe seither gelernt, daß es manchmal zweckmäßig ist, Entspannungsübungen anzuraten und daß mit dieser Art Relaxation die Überwindung auch von psychischen Hemmungen und Assoziationswiderständen gefördert werden kann.«(128) Nicht mehr die Härte der Durchbrüche, sondern die Rücksicht auf die Zartheit des Patienten bestimmt Ferenczis kommende Arbeit, illustriert von den Verletzungsängsten und der phantasievollen »Vorhauterotik« von Männern mit hochsensiblen Eicheln, von der Vorhaut geschützt und umspielt wie von ihrem Analogon, der Vagina.(129) Aber noch neigt er zum Lobpreis der Beschneidung als »Symbol des Kastrationsrechtes des Vaters« und »Abhärtung des Penis«. Ein junger Kollege sagte ihm: »Nun weiß ich, was aktive Technik ist, man läßt den Patienten die Vorhaut zurückstülpen.«(130) Der Charakter beschnittener Völker, Juden und Araber, könnte sich von daher anders entwickeln.(131) Vielleicht tatsächlich ein Grund, weshalb der Jude Freud und der Jude Perls mit solchem paulinischen Eifer die Frustration als Wiederholung der väterlichen Kastration in der Therapie agieren und dabei eine militärische Mentalität der Abhärtung zugunsten der »Realität« als Psycho-Chirurgie applizieren. Ferenczi gesteht sadistische Impulse in der Vesagungshaltung freimütig ein.(132) Der Widerstand des Therapeuten gegen die Weichlichkeit seines Patienten ist auch einer gegen seine eigene, eskamotierte Zartheit, die überall verpönt ist, wo Leute Kreuze auf sich nehmen müssen.

    »Die Anpassung der Familie an das Kind« fordert Ferenczi 1927 von Londoner Pädagogen und Medizinern, unter ihnen als Diskussionsteilnehmer auch Ernest Jones, Susan Isaacs, Barbara Low und Ferenczis Analyseschülerin Melanie Klein.(133) Das Plädoyer spricht den Kindern Wahrhaftigkeit und Intelligenz zu, die bei Erwachsenen weniger häufig anzutreffen ist; deshalb »sollten wir im allgemeinen eher von den Kindern lernen als sie von uns. Symbole sind die Sprache der Kinder, man muß sie nicht lehren, wie sie sie zu gebrauchen haben.«(134) Nicht die Kinder haben die falsche Position, sondern die Familie als Enkulturationsgefüge. »Die Anpassung der Familie an das Kind kann erst beginnen, wenn die Eltern anfangen, sich selbst besser zu verstehen«.(135) Anpassung versteht Ferenczi dabei mit Darwin und Lamarck als Überleben sichernde Assimilation des Lebewesens an seine Umwelt, die es seine vitalen Prozesse fortschreitend optimieren läßt, spezialisiert für seine Umwelt.(136) Die bei jeder Assimilationsleistung aktive psychische Energie ist - gegen Watson - nicht nur behavioristisch als physiologisch Meßbares, sondern primär als introspektiv Verstehbares und Mitteilbares vorhanden. Introspektion ist Maßstab allen Verstehens auch im behavioristischen Meßverfahren - wie anders sollte sonst der flüchtenden Maus Angstreaktion zu bescheinigen sein.(137) So bleibt der Innenaspekt der Anpassung, der Bereich des über jede Messung hinausgehenden intersubjektiv-symbolisch Signifikanten die jeder Versuchsanordnung vorgängige primäre Sphäre des Erlebens: Subjektivität, die Psychoanalyse introspektiv kommunizierend ins Wissen hebt.(138)

    Gegen Rank macht Ferenczi nicht die biologisch bestens organisierte, eher triumphale Geburt als Trauma geltend, sondern die sozialen Ereignisse Entwöhnung, Reinlichkeitsdressur und Sexualtabus.(139) Die ungeschickte, allzu abrupte Entwöhnung von der nährenden Brust, Thema Melanie Kleins, kann das ganze Leben verdunkeln, deprimieren. »Es ist sehr wichtig, sich klarzumachen, wie empfindlich Kinder sind; aber Eltern... benehmen sich in ihrer Gegenwart, als empfänden die Kinder nichts von den aufregenden Szenen um sie herum.«(140) Phobien und hysterische Angst resultieren aus solchen frühen Störungen der Abnabelung von der Brust.(141)

    »Die natürliche Neigung des kleinen Kindes geht dahin, sich selbst zu lieben und ebenso alles, was es als einen Teil seiner selbst betrachtet; seine Exkremente sind tatsächlich ein Teil von ihm, ein Zwischending zwischen Subjekt und Objekt.«(142) Darum muß auch die Entwöhnung von Kot und Urin vom Wickeltisch an ein sanftes Abschiednehmen von diesen Selbstanteilen sein, um nicht hier schon die Struktur der harten Ich-Spaltung zu setzen mit dem Ekel vor den von den Eltern ungeliebten Teilen der eigenen Person.(143)

    1.2.2.1.6 Aufrichtigkeit als Pädagogikum in der Regressionsarbeit

    Für die Selbstakzeptanz der eigenen Sexualität der sich autoerotisch liebenden Kleinen ist der Schlag auf die spielenden Fingerchen Gift. Ferenczi sieht das Problem nicht in der Masturbation des Kindes, sondern dem unbewußten Motiv des verbietenden Erwachsenen, der die frühe Äußerung der Sexualität seines Zöglings nicht erträgt.(144) Es ist schwer zu ertragen, wenn Kinder auf ein Gebiet vorstoßen, welches als Vorrecht Erwachsener gilt. Melanie Kleins erfolgreiche Analysearbeit mit Kindern, »als wären sie Erwachsene«(145) und die Walden-School (USA) mit psychoanalytisch geschulten Lehrern, einem TZI-ähnlichen Unterricht und Einzelarbeit mit gestörten Kindern zeigen: es ist möglich und fruchtbar, Kinder außerordentlich ernst zu nehmen. Sein sexuelles Forscherinteresse läßt das Kind früh schon am Klapperstorch zweifeln und allen Lügen Erwachsener über die Funktion der Sexualorgane. »Es ahnt dunkel, daß der Sexualakt öfters wiederholt wird und daß er den Eltern Vergnügen bereitet. Sympathetisch... hat es erotische Sensationen in seinem eigenen Genitale, die sich durch bestimmte Betätigungen befriedigen lassen.«(146) Solange Erwachsene die Lust ihrer eigenen Genitalien verschweigen, wird das Kind sich für seine Sexualität schämen, schuldig fühlen und als Ideal einen schier unerreichbaren asexuellen Fortpflanzungsstil anstreben.(147) »Die Eltern können nicht glauben, daß das Kind in seinen Genitalien ähnliche Sensationen hat wie sie selbst. Das Kind hingegen dünkt sich aber wegen dieser Gefühle verworfen und glaubt, die Erwachsenen seien in dieser Hinsicht rein und makellos.«(148) Die Sexuallügen Erwachsener verwirren Kinder und zerstören ihr soziales Vertrauen und Verhältnis zur sinnlichen Wahrheit, womit sie auch für politische Lügen anfälliger werden.(149) »Der einzige Teil, auf den man sich nicht verlassen kann, sind die anderen Menschen, vor allem die Eltern... Auch Tiere verändern sich nicht wesentlich. Sie lügen nicht; wenn man sie einmal kennt, kann man sich auf sie verlassen. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das lügt.«(150)

    Ferenczis Thema absoluter Aufrichtigkeit, verwoben mit dem aufrechten Gang, den Analyse fördern will, macht nicht halt vor der Kritik des aus dem verlogenen Teil der Umwelt, den Eltern und Erwachsenen, im Stande mentaler und fundamentaler Abhängigkeit ins Ich übernommenen Über-Ichs.(151) Daß Süßes schlecht, Versohltwerden gut sei, wiederstreitet der awareness, der ganzen Wahrnehmung des Kindes, treibt Keile zwischen die anfängliche Identität von Begriff und Sache der ersten Spracherfahrung des Kindes: Metonymie verdreht die Welt. Die Instauration von »inneren Eltern« im Über-Ich resultiert aus »Angst vor der Strafe«, die in »Identifikation... mit der strafenden Autorität« umgeschlagen ist, vermittelt durchs Schlagen.(152) Je mehr Eltern ihre Kinder zwingen, »ihre Empfindungen um so mehr zu verdrängen«, je liberaler sie das Erziehungsprogramm stylen, umso nötiger wird »Psychoanalyse als eine Art Nacherziehung des Individuums... Die Psychoanalyse wird die Pädagogen und Eltern lehren, ihre Kinder so zu behandeln, daß diese 'Nacherziehung' überflüssig wird.«(153) Analerotik als Charakterbildenes ist es wegen der Frühe der Reaktionsbildungen, der Konditionierung kleiner Menschenwesen wie eine automatische Maschine.(154) »Die Art, wie das Individuum in seinen ersten fünf Lebensjahren seine primitiven Bedürfnisse an die Forderungen der Zivilisation anpaßt, wird auch die Art bestimmen, in der es sich mit allen späteren Schwierigkeiten im Leben auseinandersetzt. Vom Standpunkt der Psychoanalyse aus ist 'Charakter' gleichsam eine Mechanisierung eines bestimmten Reaktionsmodus, nicht unähnlich einem Zwangssymptom.«(155) Die Gewohnheit, das Charaktermuster als Sediment meist beschädigender Anpassung an eine beschädigte Umwelt wird immer mehr zum zentralen Thema der Arbeit Ferenczis. Daß Psychoanalyse kaum mehr als Tropfen auf heiße Steine zustandebringt, evoziert umfassende sozialpädagogische Aufklärung und Veränderung. Es ist kaum übertrieben, die Intention Ferenczis in die antiautoritären Erziehungskonzepte einzureihen. Das Gewährenlassen wird zum entscheidenden Moment seiner letzten Lebensjahre.

    Ein weiterer Aufsatz zur Relaxationspraxis greift das Über-Ich-Problem im Verbund mit der Wahrhaftigkeit neu auf.(156) Die black-outs, die nicht nur Kanzler, sondern auch normale Psychopathen haben, erweisen sich im aufgeführten Fallbeispiel eines in der Analyse Lügenden als multiple, voneinander völlig unabhängige und sich gegenseitig nicht »kennende« Über-Ich-Konfigurationen als Teilbereiche einer tiefgreifenden Schizophrenie: »Ich habe keine Bedenken, diese Einzelbeobachtung zu generalisieren und alle Fälle sog. 'Spaltung der Persönlichkeit' als Symptome der z.T. bewußten Unaufrichtigkeit auszulegen, die jene Menschen zwingt, abwechselnd Teile ihrer Person zu manifestieren. In der Ausdrucksweise der Metapsychologie könnte man sagen, daß dies Personen mit mehreren Über-Ichs sind, deren Vereinheitlichung nicht gelungen ist.«(157) Hier wird Lüge als Symptom der personalen Desintegration verstanden, Verleugnung unangenehmer Wahrheit durch Flucht in »Phantasienester«, »Unterdrückung oder Entstellung von Tatsachen«.(158) Diese aus Not geborene Spaltung der Wahrheitsevidenz in der kindlichen awareness wieder zu einem kohärenten Bewußtsein zu verbinden ist zentrales Ziel auch von Perls, welches Ferenczis anschließendes Programm der Charakteranalyse ausdehnt auf das Gesamt von Erfahrung und Verhalten: Integration zum Selbst.(159)

    Die Not, lügen zu müssen, ist sogar das Grundproblem der gesamten Konflikte im Innern des Menschen: »Was wir mit den schön klingenden Namen: Ideal, Ichideal, Über-Ich benennen, verdankt seine Entstehung einer gewollten Unterdrückung wirklicher Triebregungen, die also verleugnet werden müssen, während die durch die Erziehung aufgedrungenen Moralvorschriften und moralischen Gefühle mit übertriebener Geflissentlichkeit zur Schau getragen werden.«(160) Freuds Zweite Topik ist demnach nur die Beschreibung eines Krankheitsphänomens, einer internen Disgregation als Produkt der Pathologie der abendländischen Moral.

    Die therapeutische Reedukation dieser Disgregation und ihrer Gerinnung zum Charakter als einem in der Verdrängung als schützender Automatismus entstandenen kann nur in intensiver Regressionsarbeit abgehen. »Es muß sozusagen alles wieder flüssig werden, um dann aus dem vorübergehenden Chaos unter günstigeren Bedingungen eine neue, besser angepaßte Persönlichkeit entstehen zu lassen. Das würde... heißen, daß keine Symptomanalyse theoretisch als beendigt betrachtet werden kann, die nicht gleichzeitig oder anschließend eine vollständige Charakteranalyse ist.«(161) Solche Charakteranalyse zerstört zwar Verkrustungen, Tics und spezifische Zwangsmarken des Individuums; es fragt sich aber, ob Narben und Schrullen das Wesentliche eines Menschen sind. Auf die regressive Labilisierung charakterlicher Zwangsstrukturen folgt »automatisch die Synthese«.(162) »In der Tat ist die Auflösung der kristallinischen Struktur eines Charakters eigentlich nur die Überleitung zu einer allerdings zweckmäßigeren neuen Struktur, mit anderen Worten, eine Umkristallisierung.«(163) Was auch Reich zum Hauptprogramm seiner energetischen Körperarbeit gemacht hat, die Neuorientierung schmerzhafter Sedimente von Abwehrhaltungen, trifft auch zu auf den Gestalttherapieprozeß: Aktion, Regression bis zur Aporie der Blockierung, Chaos, Verwirrung, Verzweiflung, Wüste und schließlich Neuorientierung. Die Motive sind inzwischen hinlänglich bekannt(164); interessant scheint mir jedoch, zu zeigen, wie Ferenczis Relaxationsidee sich immer deutlicher und immer an den Aporien seiner eigenen therapeutischen Experimente lernend kristallisiert, darin Musterbeispiel einer Prägnanztendenz zur guten Gestalt.

    Die Stigmata, dem Patienten meist von seiner hinter seinem Rücken lachenden oder schimpfenden Umwelt aus falschem Takt nicht mitgeteilt, hält Ferenczi ihm konfrontierend wie ein Spiegel vor, damit intensive Labilisierung auslösend.(165) Intensives Durcharbeiten des im Stigma agierend Wiederholten und des Erinnerten als »Finden der pathogenen Motive und Entstehungsbedingungen eines Symptoms« kann plötzlich neues Erinnerungsmaterial freisetzen; darin zeigt sich Heilung und das nahe Ende der Analyse.(166)

    Wenn häufig der Patient den Arzt radikal und mißtrauisch einer Generalprüfung seiner Aufrichtigkeit unterzieht(167), klaffen damit die Verwirrungen auf, die das moralische Lügengut der Eltern einst bewerkstelligt hatten; hier ist durch absolute Ehrlichkeit, Eingeständnis von Irrtümern etc. viel an Verlogenheit der Eltern und dem wirren Wahrheits- und Realitätsbezug eines solchen Über-Ichs zu kompensieren; eine mühevolle Arbeit, die des Arztes Geduld bewährt.(168) Sie ist archäologisch, gräbt sich durch die Charakterkrusten: »Nachdem das schlimme, trotzige Kind alle seine Geschosse unwirksam verpufft hat, kommen seine versteckten Ansprüche auf Zärtlichkeit und Liebe in naiver Offenheit zutage. Keine Analyse ist beendigt, bei der nicht die meisten Vor- und Endlustbetätigungen der Sexualität, sowohl in ihren normalen wie in ihren abnormen Äußerungsformen in der bewußten Phantasie gefühlsmäßig durchlebt werden«.(169) Sind die Widerstände der Charakterkrusten der Rekonsolidierung der Zärtlichkeit gewichen, so ist diese in der »analytischen Entsagung« als »aktuelle(r) Erledigung jener infantilen Versagungssituationen«(170) einer sanften Entwöhnung anheimgestellt, welche die Trauer der Neurose ersetzt durch die Trauerarbeit der Ablösung vom Analytiker. Der Patient hat am Schluß gelernt, sich »nach anderen, realeren Befriedigungsmöglichkeiten« umzuschauen.(171)

    »Die Elastizität der psychoanalytischen Technik« beschreibt Ferenczi 1927 im Sinne einer prozessualen Diagnostik: die richtige Deutung steht am Ende eines von Interpretationsirrtümern und unvollständigen Theorien gekennzeichneten Erkenntnisweges über die individuelle Beschaffenheit dieser spezifischen Neurose, dieses spezifisch unvollständigen Menschen.(172) Die »persönliche Gleichung« von Technik und Techniker, der in der Lehranalyse seinen eigenen Therapiestil herauszufinden hat, der seinen (Un-)Fähigkeiten entspricht, drückt sich aus im »Takt«, in intuitiver Einfühlung, die sein Erspüren der unbewußten Intentionen des Patienten davor bewahrt, durch plump-wilde und voreilige Mitteilung des Erspürten seinen Widerstand zu provozieren.(173) Das »Drauflosdrängen« der aktiven Technik kann zu Verletzungen in der Therapie führen und zum Abbruch der Analyse. »Jedenfalls aber muß man geduldig abwarten; jede Ungeduld seitens des Arztes kostet dem Patienten Zeit und Geld und dem Arzte eine Menge Arbeit, die er sich ganz gut hätte ersparen können.«(174)

    Bezeichnenderweise wird die biblische Goldene Regel Mt 7,12 Motto dieser empathischen Feinfühligkeit und ist reflektierte, methodische Güte.(175) Reflektiert, weil: »Bevor sich der Arzt zu einer Mitteilung entschließt, muß er vorerst seine Libido vom Patienten für einen Moment abziehen, die Situation kühl abwägen, er darf sich also keinesfalls von seinen Gefühlen allein leiten lassen.«(176) Der Arzt supervidiert also ständig seine Gegenübertragung. »Man könnte förmlich von einem immerwährenden Oszillieren zwischen Einfühlung, Selbstbeobachtung und Urteilsfällung sprechen.«(177)

    Elastizität zeigt Ferenczi nicht nur in der zwischen Übertragung, Geboten, Assoziationsarbeit und Deutung pendelnden Techniken, sondern vor allem innerhalb der Deutung selbst: »Man hat, wie ein elastisches Band, den Tendenzen des Patienten nachzugeben, doch ohne den Zug in der Richtung der eigenen Ansichten aufzugeben, so lange die Haltlosigkeit der einen oder der anderen Position nicht voll erwiesen ist.«(178) Solche Prozessuale Diagnostik verlangt vom Arzt, nicht auf seiner ersten Deutung zu beharren und alles, was dieser vom Patienten her an Widerstand entgegengebracht wird, als Bestätigung der Triftigkeit der hermeneutischen Vorannahme zu werten, als Widerstand gegen die Wahrheit. Daß Freud jeden Widerstand als einen gegen die Wahrheit der Deutung verortet hat, machte seine Metatheorie schier unangreifbar. Der Patient mußte einfach unter sein nosologisches Volumen fallen, war eingefangen zwischen den Rastern der Nosogramme und bestenfalls ein »besonderer Fall von Paranoia« etc. Dagegen ist Ferenczis Elastizität der Deutung in einem ungleich höheren Maße lernfähig und verlangt schon im Ansatz, therapiegeschichtlich mit der gesellschaftlich bedingten Veränderung der nosographischen Syndrome und Krankheitsformationen sowohl diagnostisch als auch behandlungstechnisch über seine Budapester Therapieerfahrung hinauszuwachsen. »Jede bedeutsame neue Einsicht erfordert die Revision des ganzen bisherigen Materials«; gegen Analysenende wird ein Revuepassieren des Behandlungsverlaufs obligat mit einer »Revision der Erlebnisse während der Behandlung selbst«.(179)

    Neben einem regelrechten Geiz mit Deutungen empfiehlt Ferenczi in Revision seiner aktiven Technik, weder Ge- und Verbote noch Ratschläge zu geben, sondern nur verstärkend-deutend einzuwirken auf »versteckte Aktionstendenzen des Patienten« und »leise Versuche, die bisher bestandenen neurotischen Hemmungen zu überwinden«, ohne jedoch »auf die Durchführung von Gewaltmaßnahmen zu drängen oder sie auch nur anzuraten«.(180) Immer mehr Zurückhaltung des Arztes fördert so einen Prozeß, in dem der Patient »die ganze Deutungsarbeit fast ganz allein oder nur mit geringer Nachhilfe leistet.«(181)

    Zur Aufrichtigkeit gehört auch Bescheidenheit: Der Arzt macht keine großen Heilungsversprechen, gesteht, daß andere Verfahren oft schneller wirken, auch effizienter, gibt Grenzen und Chancen der kostspieligen Psychoanalyse offen bekannt.(182) »Die Bescheidenheit des Analytikers sei eine nicht eingelernte Pose, sondern der Ausdruck der Einsicht in die Begrenztheit unseres Wissens.«(183) Während Freuds Versagungsregel das ödipale Trauma agierend wiederholt, um es ins Bewußtsein zu führen, läßt Ferenczi in der Therapie ein alternativ strukturiertes Gegenmilieu entstehen, in dem gerade das Aufhören der Wiederholung den Weg des Verdrängten ins Bewußtsein ermöglicht, das Loslassen des normalen moralisch-sozialen Drucks, den Autoritäten repräsentieren. »Nichts ist schädlicher in der Analyse als das schulmeisterliche oder auch nur autoritative Auftreten des Arztes. Alle unsere Deutungen müssen eher den Charakter eines Vorschlages« haben, sind fehlbar, unvollständig, vorläufig, genau wie die »bisherige Theorie«, aus der sie erwachsen.(184) Wie mochte ein solcher Satz auf Freud wirken, der in diesen Jahren immer mehr Mißbilligung gegen seinen intimen Freund entwickelte?(185) Wenn gar Ferenczi noch Freuds Ersetzung des Eltern-Über-Ichs durch das vom Arzt übernommene Über-Ich(186), also die »Substitution des einen Über-Ichs durch ein anderes« als »Übertragungserfolg«, nicht aber »Endzweck der Therapie« einstuft und meint, »daß eine wirkliche Charakteranalyse, wenigstens vorübergehend, mit jeder Art von Über-Ich, also auch mit dem des Analytikers, aufzuräumen hat«(187), so konnte sich Freud nur bedroht fühlen in seinem ödipal begrenzten Urvaterverständnis.

    Während der Analyse achtet Ferenczi auf latentes Mißtrauen des Patienten und versucht, diesen Widerstand anzusprechen und den Mut zur Artikulation negativer Gefühle zu fördern zur beidseitigen Aufrichtigkeit.(188) Ferenczis Therapie scheint von dem Mißtrauen anfänglicher negativer Übertragung zur positiven Übertragung fortgeschritten zu sein(189), umgekehrt als Freud. Hinter dieser Umkehrung des Übertragungsgefälles steckt nicht nur der methodische Gegensatz von Ödipalversagung versus Brustentwöhnung, sondern auch die »persönliche Gleichung«: Ferenczi hat wohl auf den zweiten Blick Vertrauen erweckt, dafür umso nachhaltiger.

    Komplementär gibt es Mißtrauen und Feindseligkeit auch auf der Seite des Arztes dem Patienten gegenüber. Während gewisse Therapeuten schon beim ersten Wort eines neuen Patienten am Telefon zu wissen glauben, daß sie mit ihm nicht arbeiten können und wollen, sind für Ferenczi solche idiosynkratischen Antipathien nur Zeichen für die Unfertigkeit der Lehranalyse.(190) »Jene 'antipathischen Züge' sind ja in den meisten Fällen nur Vorbauten, hinter denen sich ganz andere Eigenschaften verstecken... Das Wissen um diese Dinge befähigt uns, auch den unerquicklichsten oder abstoßendsten Menschen in voller Überlegenheit als einen heilungsbedürftigen Patienten zu betrachten und ihm, als solchem, sogar unsere Sympathie nicht zu versagen. Diese mehr als christliche Demut zu erlernen, gehört zu den schwersten Aufgaben der psychoanalytischen Praxis.«(191)

    1.2.2.1.7 Neokatharsis als induzierte Minipsychose. Adoption des Patienten

    Auf dem Oxforder Kongreß der IPV hält Ferenczi 1929 ein Referat über seine Fortschritte der Psychoanalytischen Technik.(192) Nach einem Rückblick auf die Entwicklung von Hypnose, Katharsis, Suggestion, Assoziationsregel, Widerstandsarbeit, Übertragung und Versagung mit Spannungssteigerung in aktiver Technik begründet Ferenczi die neue Wendung zur Nachgiebigkeit, dem Prinzip des Gewährens und der Relaxation.(193) Die Versagungshaltung der Abstinenzregel und der aktiven Technik reinszenieren und provozieren den ödipalen Kampf mit der Vaterautorität.(194) Der Widerstand ist immer auch Folge des strengen Szenarios auf der Couch und hat oft mehr mit dem autoritären Angebot des Arztes zu tun als mit dem erst durch diesen reaktivierten Trotz des widerspenstigen Patienten, der sich gegen das Hochkommen des traumatischen Leides schützen will. Ferenczi weiß, dieses alte Leid im Zusammenbruch der Verdrängung neu zu spüren, bleibt keinem erspart und statt zu verdrängen ist seine Aufgabe, es bewußt zu ertragen lernen. »Es fragt sich nur, ob man dabei gelegentlich den Patienten nicht mehr als unbedingt nötig leiden läßt.«(195) Im Rahmen einer »Ökonomie des Leidens« müssen Versagung und Heilungsprofit einander aufwiegen, sonst wird Analyse sadistisch.(196)

    Dann beschreibt Ferenczi, wie nach langer Analysearbeit mit »Atmosphäre des Vertrauens« und dem »Gefühl vollkommener Freiheit« plötzlich »hysterische Körpersymptome« auftraten: »Parästhesien und Krämpfe in ganz bestimmten Körperpartien, heftige Ausdrucksbewegungen, die kleinen hysterischen Anfällen ähnelten, plötzliche Änderung der Bewußtseinslage, leichter Schwindel, auch Bewußtseinstrübung oft mit nachfolgender Amnesie fürs Vorgefallene.«(197) Nach langer Rekonstruktionsarbeit an den Originalvorfällen waren diese »körperlichen Erinnerungssymbole« mit einem spezifischen »Gefühle der Wirklichkeit und Dinghaftigkeit behaftet«.(198) Sie waren quasi die Bestätigung des Körpers, daß die Rekonstruktion durch Erinnerung und Assoziationsmaterial auf »heiß« gestoßen ist im Such- und Ratespiel des Unbewußten. Manchmal wurden diese hysterischen Halluzinationen der Vergangenheit so trancemäßig, daß der Analytiker die einzige Brücke zur Realität blieb, aber wie in Hypnose konnte er mit abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen Dialoge führen.(199) Mit der Breuerschen Katharsis als fragmentarisch-passagerer hat diese Neokatharsis wenig gemein, ist sie doch eingebunden in ein langes Durcharbeiten des analytischen Material und nur wie gewisse Träume als »Bestätigung aus dem Unbewußten« für die Richtigkeit der bisherigen Deutung und Rekonstruktion traumatischer Urszenen zu verstehen.(200) Nach allem Zweifel Freuds an der infantilen Verführung und dem Sexualtrauma als Realgrund der Neurose, nach der Entdeckung der phantasmatischen Überlagerung der Urszenen durch Deckerinnerungen geriet über der Charakteranalyse im Übertragungsabbau das jeder Neurose letztlich zugrunde liegenden reale Trauma immer mehr aus dem Blick: »den ersten Anstoß zur Schaffung abnormer Entwicklungsrichtungen gaben immer traumatische, schockartig wirkende reale Erschütterungen und Konflikte mit der Umwelt«.(201)

    So eilfertig Freud die hysterischen Verführungsszenen ins Reich der Phantasie verwiesen hat, um die schockierende Wahrheit sexuellen Mißbrauchs und ihre eigentlich nötigen sozialen und juristischen Konsequenzen verbesserten Jugendschutzes aus der geschützten Neutralität des Analysezimmers zu verbannen, so zwingend beredt ist der Fingerzeig der Körpersprache in der Neokatharsis. Mit solch massiven, von solchen Realitätsgefühlen begleiteten Symptomen des Wiederdurchlebens infantiler Schrecknisse kann nicht allein die Phantasie Urheberin der Erinnerungsdurchbrüche sein. »Die hysterischen Phantasien lügen nicht, wenn sie uns davon erzählen, daß Eltern und Erwachsene in ihrer erotischen Leidenschaftlichkeit Kindern gegenüber in der Tat ungeheuer weit gehen, andererseits geneigt sind, wenn das Kind auf dieses halb unbewußte Spiel der Erwachsenen eingeht, die sicherlich unschuldigen Kinder mit harten, dem Kinde ganz unverständlichen, es schockartig erschütternden Strafen und Drohung zu bedenken. Ich bin heute wieder geneigt, nebst dem Ödipuskomplex der Kinder die verdrängte und als Zärtlichkeit maskierte Inzestneigung der Erwachsenen in ihrer Bedeutsamkeit höher einzuschätzen.«(202) Wenn »das strafende Trauma das Kind mitten in der erotischen Betätigung« trifft, sind lebenslange Störungen der »von Reich so genannten 'orgastischen Potenz'«(203) die Folge. »Aber auch das frühzeitige Forcieren genitaler Sensationen wirkt auf das Kind erschreckend; was das Kind eigentlich will, ist auch im Sexuellen nur Spiel und Zärtlichkeit, nicht aber heftige Äußerungen der Leidenschaft.«(204)

    Ferenczi resümiert die Ergebnisse der rekonstruierten infantilen Traumaszenen: »Die erste Reaktion auf einen Schock scheint immer eine passagere Psychose zu sein, d.h.Abwendung von der Realität, einerseits als negative Halluzination (hysterische Bewußtlosigkeit-Ohnmacht, Schwindel), andererseits oft als sofort einsetzende positiv-halluzinatorische, Lustvolles vorspiegelnde Kompensation.«(205) Das Verdrängte ist demnach ein verborgen fortlebendes Relikt einer psychotisch-phantastischen Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen von der unlustvollen Realität nach traumatischer Schockeinwirkung.(206)

    Öffnet sich der Sesam des Unbewußten in der Neokatharsis als einer spontanen oder gelenkten regressiv-halluzinatorischen Tiefung, so kann der Arzt zu diesen gut geschützten abgespaltenen Teilen eine Konversation aufnehmen, die präzise dem Lebensalter entspricht, in dem das Trauma den phantastischen Rückzug aus der Realität auslöste.(207) Solche Erfahrungen von intensiver Regression, die zugleich zeigen, welches Vertrauen Ferenczi bei seinen Patienten hat aufbauen können, erinnern an eine Zeitmaschine, mit der man in die Vergangenheit zurückreisen kann - wenn man nicht durch eine rigide Stundenmietenregelung von jedem Prozeß abgehalten wird, dessen möglich Eigendynamik totale Kontrollverluste auslösen kann. Die Freudsche Regel sorgte gut dafür, daß es recht kultiviert abging im Arztzimmer. Bei Ferenczi dagegen kam es in der Neokatharsis sogar zu autonomen Körperreaktionen aus prälingualen Säuglingszeiten: »Die hysterischen Körpersymptome bei der Relaxation führten gelegentlich zu Entwicklungsstadien zurück, von denen bei noch nicht erfolgter Ausbildung des Denkorgans nur körperliche Erinnerungen registriert wurden.«(208)

    Von Georg Groddeck hat Ferenczi gelernt, seine Patienten wie Kinder zu behandeln.(209) Das Therapiezimmer als zweite Kinderstube indes ist keineswegs Abwendung von der harten Realität des Lebens, zu der zu erziehen der orthodoxe Analytiker sich gezwungen sieht. Ferenczi setzt allzu tätlichen aggressiven oder sexuellen Wünschen in seiner freundlich-wohlwollenden Haltung klare Grenzen. Im geschützen Rahmen findet neben der Befriedigung kindlichen Zärtlichkeithungers durchaus auch eine behutsame Heranführung der unterentwickelten Persönlichkeitsanteile an die harte Realität statt als Übung von Verzicht und Anpassung zur Überlebensfähigkeit.(210) Sah Freud Fixierungen vornehmlich in der Klebrigkeit der Libido begründet, so erlebte Ferenczi, »daß verdrängter Haß ein stärkeres Fixierungs- und Klebemittel ist als die offen einbekannte Zärtlichkeit.«(211) Damit stellt er zugleich den heuristischen Wert der Übertragung infrage: »Die Ähnlichkeit der analytischen Situation mit der infantilen drängt also mehr zur Wiederholung, der Kontrast zwischen beiden fördert die Erinnerung.«(212) Erst die alternative Gegenerfahrung macht die Distanz zum neurotischen Reaktionsmuster möglich, welche erlaubt, es zu reflektieren und nicht nur perennierend zu agieren. Nicht die Übertragung erlöst vom Bann getrimmter Verdrängung, sondern ein Gegenmilieu, welches nicht analog zum Ödipusdreieck der Familie geprägt ist vom uneingestandenen Sadismus oder Inzestverlangen der Eltern und des schlecht analysierten Analytikers gegen das Analyse-Kind.(213) Viele Neurotiker haben als Kinder statt Nestwärme nur die häufige Mischung von Strenge und Sexualisierung erlebt. »Solche Neurotiker müßte man förmlich adoptieren und erstmalig der Segnungen einer normalen Kinderstube teilhaftig werden lassen.«(214) Das Konzept der Nachnährung als Alternative zu Freuds eher versagender Nacherziehung ist hiermit geboren. Ferenczi stellt es 1931 zu Freuds 75. Geburtstag in Wien vor.(215)

    Besonders schwere Fälle hatten Ferenczi immer schon gereizt, die Hoffnung nie aufzugeben, solange der Patient noch kam. Dem unbezwingbaren Widerstand oder Narzißmus des Patienten ein Mißlingen oder Versanden der Therapie anzulasten, ist meist nur die Rationalisierung eigener Bequemlichkeit und zeugt vom Widerstand des Arztes gegen die Anpassung seiner Metodik an die Eigenheit des Patienten, während er von diesem gleichzeitig die Anpassung an die Realität verlangt.(216)

    Die reservierte Haltung des Zuhörers und Interpreten mußte Ferenczi aufgeben, weil seine Patienten auf ihren Regressionreisen in die Gefahrenwelt der Kindheit als Beistand die expressive Anteilnahme des Arztes benötigten.(217) Sie wollten ihn als fühlenden und antwortenden Menschen, nicht als Orakel psychoanalytischer Klischeebildungen der Metatheorie. Wenn Patienten soweit kamen, traumatogene Szenen ihrer Kindheit zu spielen, trugen sie ihm mit kindlicher Selbstverständlichkeit bestimmte Rollen an. Übernahm er das Übertragungsangebot mit dem entsprechenden Rollenverhalten, mit adäquater Stimmlage, Wortwahl, Gestik, so entspann sich ein spielerischer Dialog, der die gesamte damalige Szene vergegenwärtigte. Wie der Opa beim Kaufmannsladen sofort als zuckerkaufender Kunde engagiert ist und über diese seine Rolle erst allmählich während des Spiels Aufschluß erhält, so findet auch der Therapeut, der aus der deutenden Ataraxie zum Mitspieler der Szene des Patienten wird, daß ihm eine dedizierte Rolle übertragen wird. Hier ist Übertragung in der Reinkultur des Kinderspiels als Zuweisung einer Rolle in der Wiederholung einer erlebten Szene gestaltet.(218) Nimmt er diese Rolle nicht flexibel und adäquat auf, so hat er das Spiel verdorben, den hysterischen Höhenflug ernüchternd auf den Teppich gebracht und sich dessen heuristischer Potenz begeben.(219) Für die Patienten ist diese »Spielanalyse« so ernst wie jedes Spiel eines Kindes, dem, so Jesus, das Reich offener steht als dem nekrotischen Ernst Erwachsener.(220) »Die Stunden beginnen, wie immer, mit Gedanken, die von der psychischen Oberfläche ausgehen, befassen sich... recht viel mit den Ereignissen des Vortages, dann kommt etwa eine 'normale' Traumanalyse, die allerdings schon gerne ins Infantile oder in die Aktion ausartet. Aber ich lasse keine Stunde vergehen, ohne das Aktionsmaterial gründlich zu analysieren.«(221) Ferenczis Strategie ist in ihrem Fortschreiten von den Phänomenen zur den Strukturen, dem möglichst breiten Aufdecken der »verborgenen Aktionstendenzen«, dem Beginn im Hier und Jetzt, der dramatisierenden Traumarbeit und dem Einleiten der Aktionsphase und dem anschließenden Durcharbeiten gute Gestalttherapie.

    Als Aktionsmaterial haben sich außerdem »kleine selbstgemachte Geschichten, oder gar Gedichte, Reime« und kindliche Zeichnungen aus der Spontaneität der Patienten entwickelt; als kleine Präsente an Ferenczi geschenkt repräsentieren solche kreativen Medien oft den Hauptschlüssel zum Sesam des Unbewußten.(222) Die Interventionen des Therapeuten sind statt deutenden Behauptungen »sehr einfache Fragen«(223), statt »spezieller Wegweisung« eher »allgemeine Ermutigung« und Verstärkung der gehemmten Aktionstendenzen; soviel ist von der Suggestion übriggeblieben.(224) Die entrückten Trancezustände der Erinnerungsdurchbrüche gleichen Selbsthypnosen. »Wichtig ist, daß man dieses gewiß viel hilflosere Stadium nicht dazu mißbraucht, eigene Theorien und eigene Phantasiegebilde in die widerstandslose Psyche des Patienten zu pressen, sondern diesen nicht zu leugnenden großen Einfluß dazu verwertet, die Fähigkeit des Patienten zu Eigenproduktionen zu vertiefen.«(225) Ferenczis Umformulierung des Abstinenzprinzips für den Analytiker als eine Abstinenz der Indoktrination, Belehrung, ja voreiligen Deutung greift auf seine früheste Formulierung der Übertragungsneurose als »autodidaktisch erlernte Heilungsversuche des Kranken«, aber eben »mißlungene«, zurück.(226) Die Zurückhaltung in der »große(n) Macht, die die Erwachsenen den Kindern gegenüber haben«, dient als »Mittel zur Erziehung zu größerer Selbstständigkeit und Mut«.(227)

    Ferenczis Einsicht über das Wesen der Verdrängung vertieft sich immer mehr. Werden Patienten vom Arzt verletzt oder mißverstanden, reagieren sie oft wie verlassene Kinder: sie spielen mit sich selbst, mit einzelnen Körperteilen, ja ihre in Vater-, Mutter- und Kind-Rollen sich verteilenden Gliedmaßen beginnen ein wahres Psychodrama des einander Bemutterns und Tröstens, ein Kasperltheater am eigenen Leib in einer »narzißtischen Selbstspaltung« als dialogisierendem Bewältigungsversuch der realen Verlassenheit.(228) »Es scheint wirklich, daß unter dem Drucke einer imminenten Gefahr ein Stück unserer selbst sich als selbstwahrnehmende und sich-selbst-helfen-wollende Instanz abspalte, möglicherweise schon im frühen und allerfrühesten Kindesalter.«(229) Kinder, die früh viel gelitten haben und dabei lernten, sich auf diese Weise zu trösten, neigen später dazu, diese Kenntnisse auch auf andere auszudehnen, andere zu bemuttern, werden hilfsbereit und sind so auch nicht mehr verlassen.(230)

    Durch die Verwöhnung und »Verzärtelung« der Neokatharsis(231) wird, entgegen den anfänglichen Hoffnungen Ferenczis, die Therapiedauer zwar nicht verkürzt, es kommt aber zu einer wesentlichen Vertiefung der Phänomenologie der eigenen seelischen Reaktionsbildungen.(232) Die Einsicht von Arzt und Patient in die Dynamik der Abwehr, Konversion und Symptombildung wird durch die tiefen Regressionen, in denen der Patient wieder »Kind« wird, sinnlich und dingfest; sie werden »in flagranti ertappt«.(233) Sie sind nicht nur blasse Erinnerungen, sondern sich in der Leiblichkeit manifestierende Ereignisse. Besonders in der der »Verzärtelung« im Ablöseprozeß folgenden Entwöhnungsphase reaktualisieren sich die kindlichen Bewältigungsversuche von traumatischen Schocks in der Katharsis so manifest, daß man geradezu von einer Inkarnation der Einsicht in die Schmerzen des Kindes im Akt der Urverdrängung sprechen kann.(234) Auch den Ausbildungskandidaten bleibt dieser Gesamtprozeß einer im Fortgang der Analyse zunehmenden passageren Labilisierung der Charaktervorbauten, Infantilisierung der Gefühlswelt, ja ein Stück Krankwerden und Verwöhntwerden, und schließlich die Entwöhnung, das allmähliche Selbstständigwerden, Verlassenwerden, der aufrechte Gang in die Autonomie, nicht erspart.(235)

    In seinem letzten behandlungstechnischen Aufsatz »Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind« setzt sich Ferenczi 1932 mit dem tagtäglichen sexuellen Mißbrauch und der kindlichen Bewältigung der Vergewaltigung durch die Eltern mittels einer Identifikation mit dem Aggressor auseinander.(236) Nicht minder pathogen aber ist der mütterliche Terrorismus des Leidens, wenn sie ihre Kinder aufopferungsvoll zur Aufopferung erziehen. »Eine ihre Leiden klagende Mutter kann sich aus dem Kinde eine lebenslängliche Pflegerin, also eigentlich einen Mutterersatz schaffen, die Eigeninteressen des Kindes gar nicht berücksichtigend.«(237)

    1.2.2.1.8 Streit zwischen Ferenzci und Freud: Zwei Therapiestile?

    Es mutet geradezu grotesk an, daß Ferenczi, der wohl weitaus mehr als Freud die Realität sexuellen Mißbrauchs ernstgenommen hat, von Freud regelrecht gemaßregelt wird, er solle das Küssen in der Therapie sein lassen, weil dieses in Petting ausarten wird und den guten Ruf der Psychoanalyse gefährdet.(238) Freud hat von mütterlicher Zärtlichkeit in der elastischen Technik nichts begreifen können, geschweige denn wollen in seiner starren Fixierung auf den Ödipuskomplex und die Kunst der Verschmähung der Übertragungsliebe. Sein Programm rationaler Strukturbildung und Ferenczis Programm kompensatorischer Nachnährung zum Wachstum der Gefühle stehen sich diametral gegenüber.

    Freud hätte Sommer 1908 in Berchtesgaden Ferenczi gern als Gemahl seiner Ältesten Mathilde gehabt, zu der er schon in deren Pubertät »überzärtliche Gefühle« hatte; sein bester Freund hätte so vollzogen, was dem am Inzesttabu festhaltenden Vater verwehrt war. Ferenczi, der sich ebenfalls leicht inzestuös, aber vor der Eheschließung mit Gizella, in deren Tochter Elma verliebt und 1911 sogar verlobt hatte und eigentlich eher sie hätte heiraten wollen (Jungausgabe der Mutter), schickte seine Prinzessin 1908 zum Meister in die Analyse und bekam sie verwandelt zurück. Später verstand es Freud, mit einer abschätzigen Bemerkung über Elma Ferenczi zur Verstoßung seiner großen Liebe zu veranlassen und eine eher unglückliche Ehe mit der Mutter einzugehen.(239) Hatte Ferenczi schon Mathilde Freud nicht genommen, so sollte er wenigstens auch nicht die Frau bekommen, die er leidenschaftlich liebte - ein unbewußter Racheakt Freuds für die verschmähte latent homoerotische Feilbietung seiner Mathilde als Repräsentantin des Vaters nach Freuds Gleichung von Phallus und Kind? Nimmst du meine Liebe nicht, sollst du auch deine Liebe nicht bekommen. Daraus erwuchs eine kultiviert verdrängte Aggression Ferenczis gegen den Urvater, der die Macht hatte, seinen Söhnen die »richtigen« Frauen zu verpassen, was ja eine doppelte Form von Kastration ist: Verfügung über den Phallus des Sohnes und den Phallus »Kind« bzw. »Frau«, »Analysandin«.

    Freud sorgte sich 1932 sehr um »die fortschreitende Verschlimmerung von Ferenczis Seelenzustand«.(240) In dessen Rückzug von Freuds Sticheleien eine beginnende Paranoia zu diagnostizieren(241) und sogar seine Frau als Zeugin für seinen psychischen und intellektuellen Verfall zu zitieren, ist ein Musterbeispiel für Freuds projektive Feindseligkeit gegen Brüderrivalen, die nicht seinem Hordenvatergestus willfahren.(242) Daß er Ferenczi auffordert, seine Schriften vorläufig nicht mehr zu veröffentlichen, um dem Ruf der Analyse nicht noch mehr zu schaden(243), ist sowohl Maulkorb als auch Kastration. Freud will die »theoretischen Fehler in Ihrer Konstruktion« leicht aufzeigen können, tut es aber nicht, weil er nicht erwartet, Gehör zu finden.(244) Man möchte meinen, er kann es auch nicht, weil Ferenczi nicht theoretische Fehler gemacht hat, sondern nur einen Stil therapeutischer Regression entwickelt hat, mit dem Patienten mit frühen Störungen und auch Unterschichtspatienten zu behandeln sind, bei denen Freuds Methode versagt.

    Ferenczi wechselte noch einige Briefe mit Freud, beiderseits ambivalent, Freud erklärt ihn für alleinschuldig am Zwist.(245) Am 24. Mai 1933 stirbt Ferenczi nach leidvoller perniziöser Anämie; Jones demonstriert Trauer.(246)

    Wenn die »persönliche Gleichung« von Therapeut und Technik Freuds Zwangs- und Angstneurose zum Therapiestil der ödipalen Versagung hat werden lassen, so könnten bei Ferenczi die Bemerkungen über das mißbrauchte Kind, welches seiner klagenden Mutter selbst zum Mutter-Ersatz wird, ein Licht darauf werfen, wie seine eigene aufopferungsvolle Technik ihre »persönliche Gleichung« hat.(247) Ist nicht sogar die »aktive Technik« als Steigerung des Freudschen Versagungsprinzips ein Zeichen für eine Aufopferung, Identifikation mit dem später als sadistisch erlebten phallischen Therapiestil des bis ans Ende verehrten Heldenvaters Freud, eine Aufopferung, die weder Ferenczi noch seinen Patienten gut getan hat?

    Die analytische Grundregel hat sich für Ferenczi zur lebenslangen Fessel entwickelt. Der Duktus seiner gesamten Arbeiten zeigt, mit welcher Mühe er seine eigenen, schon früh vorhandenen Intentionen der Mütterlichkeit, der Bedürfnisorientierung und der Empathie mit den starren Regeln des Meisters zu kombinieren versuchte - eine unglückliche Koalition, die die Möglichkeiten seiner unglaublichen Sensitivität, Beobachtungsgabe und phänomenologischen Feinspürigkeit eher blockiert hat bei der Entwicklung einer diesen Instrumentarien adäquaten Technik. War die Stärke Freuds die Fähigkeit zur Verallgemeinerung der Klinik zur Metatheorie, deren Geltung er auf seine mittelschichtige bis halbadelige Klientel hätte begrenzen sollen, so die Ferenczis die Wahrnehmung des Besonderen, welches aufs Allgemeine zu reduzieren die Wiederholung der Kastration bedeutete. Hat Freud die Strenge zum Instrument der Realitätsanpassung gemacht, so Ferenczi die Sympathie und die Liebe, die doch das Grundthema der Energetik ist und in der Form, in der er sie praktizierte, sicherlich nicht käuflich war, weil ein solches außergewöhnliches Engagement nicht mit dem Geld zu bezahlen ist, was er dabei verdient hat: ein Stück Reich der Freiheit, welches auf dem der Notwendigkeit des finanziellen Überlebens per Stundenmiete sich aufbaut und jenes transzendiert. Ohne Sympathie gibt es keine Heilung.(248) Das ist mehr als Freuds Einzelkampf gegen des Patienten Widerstände gegen die kaum irrige Deutung des Arztes, mehr als diese hermeneutisch ungeschickte, widerstandproduzierende Entmündigung des Patienten bezüglich der Wahrheit seiner Leidreaktionen.(249) »Die Liebesrelation kommt anscheinend weder im Subjekt A noch im Subjekt B, sondern zwischen beiden zustande. Liebe ist also weder Egoismus noch Altruismus, sondern Mutualismus, Austausch von Gefühlen.« »Mutuelles Verhältnis« meint: »Keiner will herrschen.«(250)

    Therapie ist keine einseitige Dienstleistung der Belieferung mit Sinn gegen geringen Aufpreis, sondern Geben und Nehmen beider, Teamarbeit der Erkenntnis, Lernaustausch und gegenseitige Befriedigung des Wunsches nach Anerkennung. Erst wo sich der Arzt als Empfangender und nicht nur verschmähend auf den Patienten einlassen kann, wird Ritual zu Beziehung, institutionalisierte Abwehr(251) zum »Dialog der Unbewußten«, Ich-Es zum Ich-Du.(252)

    1.2.2.1.9 AktiveTechnik, Relaxation, Gestalttherapie: Wahlverwandtschaft

    Resümieren wir die Parallelen der aktiven Technik zur Gestalttherapie: Das Agieren (253), besonders vor dem Arzt als Begleiter und Öffentlichkeit(254) ist Diagnostikum und Therapeutikum zugleich. Neurotische Gewohnheiten und Charakterstrukturen werden durch frustrierende Interventionen labilisiert und umkristallisiert(255) durch Neuorientierung dysfunktional gewordener Anpassungsstereotypen(256) zu einer alle Affekte integrierenden Selbstständigkeit des Patienten.(257) Dabei sind kreative Medien(258), imaginative(259) und dramatische Techniken mit dem Therapeuten als Mitspieler hilfreich.(260) Dieser hält sich mit feinspüriger Empathie wie ein Geburtshelfer oder Katalysator zurück, die Hauptarbeit der Veränderung leistet der Patient selbst.(261) Erst seine Sympathie als alternative Gegenerfahrung des Patienten in den therapeutischen Regressionen sprengt den Milieu-Bann der Übertragung als Wiederholungszwang in Richtung auf Neuanpassung.(262) Die Deutung geht nicht von einer vorgefaßten Theorie aus, sondern von den Phänomenen der Interaktion mit dem Patienten zu den Strukturen als fortschreitender gemeinsam erarbeiteter Erschließungsweg der Einsicht.(263) Awareness ist dabei ein beidseitiges fortwährendes Oszillieren zwischen Eigenleibwahrnehmung, Wahrnehmung des redenden und handelnden Anderen und der gedanklichen Verortung im deutenden Begriff.(264) Die Moral wird als Hauptursache der Persönlichkeitsdeformation begriffen.(265) Entscheidender Unterschied: Perls hat von Verzärtelung überhaupt nichts gehalten, darin Freud folgend. Seine skillful frustration ist im Vergleich zu Ferenczis Entwöhnungsphase nach der langwierigen regressiven Kompensationsarbeit an lebensgeschichtlichen Defiziten etwas Wilder Westen.(266) Während Perls in Esalen nach umtriebigen Ritten durch die Welt schließlich in Cowboyart neurotische Falschspieler vor versammeltem Saloon zum Duell lädt, immer schußbereit(267), hat seine Gattin Lore in New York durchaus den in ihrer Analyse bei Karl Landauer erlebten Therapiestil Ferenczis übernommen und praktiziert, wie Isadore From als ihr Schüler berichtet.(268) Die »Washington Psychiatrist School« unter Leitung von Ferenczis Schülerin Clara Thompson, auch Analysandin Erich Fromms, wird Perls 1947f bei seiner Einbürgerung in den USA begleiten und führt Ferenczis Technik fort.(269)

    1.2.2.2 Die Ungarische Schule als Erbe Ferenzcis

    1.2.2.2.1 Franz Alexander, Sandor Radó, Michael und Alice Balint

    Franz Alexander (1891-1964), Philosophensohn aus Budapest, war wie Erich Fromm und Karin Horney Analysand von Hans Sachs in Berlin. Er hatte sich ab 1924 mit Groddecks Psychosomatik, Ferenczis und Ranks »Entwicklungszielen« kritisch auseinandergesetzt, mit Reich über den neurotischen Charakter mit eigenem Anspruch auf Charakteranalyse als Verfahren gestritten und bei Beibehaltung Freudscher Metatheorie Ferenczis Ansatz psychosomatischer Ich-Integration durch »corrective emotional experience« experimentell weiterentwickelt. Er war Gründer des »Chicago Institute for Psychoanalysis« und dessen Direktor von 1931-1956 und hat u.a. Michael Balint und Frieda Fromm-Reichmann, Erich Fromms erste Frau, auch Freundin von Georg Groddeck und Karl Landauer, beeinflußt.(270)

    Sandor Radó (1890-1972) siedelte nach dem Zerfall der ungarischen Räterepublik als Anhänger Ferenczis nach Berlin über, war am dortigen Institut neben Melanie Klein Analysand von Karl Abraham und bildete selbst Otto Fenichel, Heinz Hartmann und Wilhelm Reich daselbst aus, während jener zugleich Fritz Perls in Analyse hatte.(271)

    Radó befaßte sich mit Totemismus, Sodomie und Tötungsverbot, mit Trauer als Narzißmus und dem Drogenrausch als alimentärem Orgasmus und schließlich mit weiblicher Sexualität.(272) Er emigrierte 1931 nach New York und übernahm das dortige Ausbildungsinstitut, bis er 1944 an der Columbia Universität die Analytikerausbildung besorgte; auch Hefferline, Mitautor von Perls' »Gestalt-Therapy«(1951), lehrte dort. Radó kombinierte Psychoanalyse und Wahrnehmungsphysiologie zur Annahme eines biologischen Ichs als »integrativem Apparat«.(273)

    Michael (1896 Budapest - 1970 London) und Alice Balint haben beide bei Hans Sachs und zuletzt bei Ferenczi ihre analytische Ausbildung erfahren und die Thematik der therapeutischen Regression in die archaischen Formen der Objektliebe vertieft.(274) Zugleich arbeitete er als Internist psychosomatisch, schon 1921 in Berlin, von 1924 in Budapest dann verstärkt bis zur Flucht vor den Faschisten 1936 nach Manchester und ab 1945 an der Londoner Tavistock-Klinik und später auf psychiatrischem Lehrstuhl mit seiner zweiten Frau Enid in der psychoanalytischen Ausbildung von Allgemeinmedizinern.(275) Weil der Arzt kaum Zeit für lange Charakteranalysen hat, kommt Balint zum pragmatisch-effizienten Modell der Fokaltherapie, in der nur ein bestimmtes, somatisch manifestiertes Symptom behandelt wird. Mit Imre Hermanns Anklammerungstheorie kotrastiert er typologisch die Oknophilie des ängstlichen Hascherls dem Philobatismus des Trampers mit Handgepäck in freundliche Weiten.(276)

    1.2.2.2.2 Melanie Klein, Donald Winnicott und René Spitz

    Melanie Klein (1882-1960), deren geliebte Geschwister in ihrer Kindheit beide starben, studierte, was sie mit ihrem Bruder einte: Kunstgeschichte. 1903 ging sie eine 20jährige Ehe mit einem Techniker ein, einem Freund ihres toten Bruders. Häufige Wohnsitzwechsel folgten. Der Ehe entstammten drei Kinder, an denen sie wesentliche Erfahrungen ihrer Entwicklungstheorie und ihrer Kindertherapie mit Spielzeugspielen statt Assoziationen gewann. 1916 lernt sie Ferenczi kennen, in dessen Analyse sie zur Kindertherapie ermuntert wird. 1920 erscheint der erste Aufsatz; zugleich siedelt sie nach Berlin über, wo sie 1924 bei Abraham bis zu dessen Tod in Analyse ist. Nach einigen Vortragsreisen in London siedelt sie sich dort 1926 an, analysiert den Nachwuchs von Jones und organisiert das Ausbildungsinstitut. 1927 auf dem Innsbrucker Kongreß der IPV bricht der Konflikt zu Anna Freud auf, der zu herben Tönen zwischen Wien und London und fast zur Spaltung der Londoner führt. Sie hat dabei eine leicht militante Überzeugtheit von ihrer eigenen Theoriebildung entwickelt. Zu ihren Schülern zählen Paula Heimann, Susan Isaac, Joan Rivere, Eva Rosenfeld und - mit Abstrichen: Harry Stack Sullivan, Donald Winnicott, Erik Homburger Erikson und Rene Arpad Spitz.(277) Die Technik Melanie Kleins: Sie lädt ihre Therapie-Kinder ein, mit einem Koffer voller verschiedener Spielsachen zu spielen. Was das Kind auswählt, wie es sein Spiel inszeniert, offenbart plastischer als Assoziationen die Struktur seiner Objektbeziehungen. Das Spiel wird daraufhin gedeutet.(278)

    Ausgehend von der Abstammung der Verfolgungsangst des Säuglings vom Todestrieb beschreibt sie die zunächst unvereinbare Erfahrung der »guten«, nährenden Brust mit jener der »bösen«, sich verweigernden Brust. Diese läßt den Schreienden hungern. Eine oral-destruktive Wut führt zu Verschlingungswünschen gegen sie, ihr anales Pendent zu Vergiftungswünschen mit Kot und Urin. Die durch Versagung potenzierte Gier wird als eigene verfolgende Wut auf die hungrig lassende, abwesende Brust der Mutter projiziert und ihr als Eigenschaft angelastet, woraus das Verfolgungsgefühl neuen Stoff empfängt: das Bild einer gierige verfolgenden Brust.(279) Wird die stillende Brust erfahren oder halluziniert, verschwinden die Verfolgungsängste vor der bösen in einem Omnipotenzgefühl. Die nährende Brust wird überichhaft introjiziert als ein Sinnen-Bild der Sättigung, Inbegriff aller Feen- und Glückserfahrungen, die böse als Symbol aller Feindseligkeit, Vorform der Kastrationsdrohung. Durch ein der jeweiligen Projektion adäquates Verhalten provoziert das Ich in der Umwelt die Projektion bestätigende Reaktion, die, re-introjiziert, zu einer permanenten Verstärkung des Projizierten führt; hier finden wir das Grundmodell von Perls' Theorie des paranoiden Pseudostoffwechsels. Diese polarisierte Erfahrungsweise nennt Klein die paranoid-schizoide Position der ersten 3-4 Lebensmonate. Sie bestimmt die Intensität, in der später Bewußtes und Verdrängtes voneinander abgesondert oder permeabel sind.

    Daß die beiden Erfahrungen der Brust zwei Aspekte einer kohärenten Person sind, begreift das Kind erst später und bekommt dann Schuldgefühle der guten Brust gegenüber wegen seiner Vernichtungswünsche gegen sie, die sich als identisch mit der bösen, zu Recht verfolgten entpuppt. In dieser angstvollen depressiven Position kommt es erst zeitweilig, dann dauerhafter zur Integration beider Imagines und der Hemmung sowohl aggressiver als auch libidinöser Affekte.(280) Es bildete sich mit der Wahrnehmungssynthese eine Objektkonstanz des verinnerlichten Imagos heraus, wachsende Realitätsnäherung zugleich und Neutralisierung der extremen ambivalenten Affekte Gier, Wut, Haß oder Angst, Schuld, Wiedergutmachungswunsch.(281)

    Später werden die Gefühle gegen die Mutterbrust auf den Vaterpenis übertragen.(282) Der Neid auf die pralle Brust mit seiner wollend-ablehnenden Ambivalenz wird unter der Phantasie des sich gegenseitig fortwährend liebenden und befriedigenden Elternpaares im Ödipaldreieck zur Eifersucht des von Befriedigung ausgeschlossenen Kindes. In allen späteren Sublimationsleistungen fließt dieses archaische Verhältnis zu Brust und Penis strukturbildend ein, als Zirkel angstvoller Argwohn oder als Zirkel der guten Objekte und der Dankbarkeit in einer nährenden freundlichen Welt.(283) War die frühe Angstabwehr Spaltung der Erfahrung gut und böse, Omnipotenz oder Verleugnung, so kann das Ich in der depressiven Position Angst besser aushalten. Die Zurückhaltung giftiger Exkremente per Sphinkterkontrolle mindert die Schuldgefühle, bedeutet Wiedergutmachung und Beherrschung der aggressiven und gefährlichen Angstquellen aus dem Inneren.(284) Die wachsende Integration der konträren Imagines per Realitätskontrolle zu einem kohärenten Bild der Eltern, einem kohärenten Über-Ich, dämmt in der genitalen Phase die Angst noch weiter ein, Introjektion und Projektion verfeinern ihre sensorisch-perzeptive Qualität, und das Über-Ich wird allmählich assimiliert in ein integriertes, starkes Ich.(285) Daraus ergibt sich unmittelbar das Therapieziel Kleins: Nach Aufspüren der Fixierung des Kindes, ihrer Verortung in der Entwicklung, wird vom Punkt des Stehenbleibens der Entwicklung an in intensiver Regressionsarbeit der Integrationsprozeß »nachgearbeitet«, den sie in der gesunden Entwicklung als ein »Durcharbeiten« der archaischen Angst bezeichnet.(286) Klein geriet in heftige Dispute mit Anna Freud, ihrem ehemaligen Schüler Edward Glover und ihrer eigenen Tochter Melitta Schmideberg. Eine Zeitlang gab es zwei Ausbildungsgruppen in London, Anna Freud und Klein. Melanie Klein isolierte sich immer mehr und starb 1960 als verbitterter Mensch.(287)

    Auch Winnicotts Übergangsobjekte wie Schnuffeldecke und Teddy als »Mutterersatz« entspringen Ideen Ferenczis und Kleins.(288) Für ihn ist der analytische Prozeß äquivalent zum Reifungsvorgang des Kleinkinds; der geduldig oft über Jahre wartende Analytiker fördert die Reifung des Patienten durch integrierendes »holding«, personalisierendes »handling« und »objekt-presenting«.(289) Nicht Deuten des Verdrängten, sondern Entwicklung und Aufpäppeln von noch nie psychisch Repräsentiertem bei einer guten Therapeuten-»Mutter« sind Winnicotts Deprivationen kompensierende Arbeitsziele im Umgang mit Frühgestörten.(290) »Reife und die Fähigkeit, allein zu sein, setzen voraus, daß das Individuum die Möglichkeit gehabt hat, durch 'ausreichend gute Bemutterung' einen Glauben an eine wohlwollende Umwelt aufzubauen. Dieser Glaube wird durch eine Wiederholung lustvoller Triebbefriedigung aufgebaut.«(291)

    Rene Spitz, Analysand Ferenczis, hat den gestörten Mutterbeziehungen des Säuglings bei inkohärenten Stimuli empirische Untersuchungen gewidmet. Von aktiver oder passiver Ablehnung des Kindes, Überfürsorglichkeit, kurzschlägigem, launischen Oszillieren zwischen Feinseligkeit und Verwöhnung bis hin zur hinter Freundlichkeit larvierten Ablehnung führen solche Bedrohungen der Objektkonstanz für das Kind zu Säuglingsekzem, anaklitischer Depression oder gar Hospitalismus, dessen Schaukelbewegungen die Ambivalenz der Mutter imitieren.(292) Der Therapeut bietet als Antwort auf die Anaklisis des Patienten eine mütterliche diatrophische Hilfs-Ich-Funktion an.(293) Auch hier ist Therapie Kompensation früher Defizite, Störungen und Traumata.

    1.2.2.2.3 Sascha Nacht, Bela Grunberger, Geza Roheim

    Sascha Nacht, Lacan-Schüler, spricht, trotz Lacans Kritik der Anmaßung der emotionalen Reedukationsprogramme als gefühliger Anpassung an die Norm (294), von liebevoller Präsenz des Analytikers als corrective emotional experience (295) für den defizienten Patienten und praktiziert im Schweigen eine nonverbale, präobjektale Kommunikation, eine Nachbesserung mißlungener Fusionserfahrung mit der Mutter.(296)

    Bela Grunberger, 1903 in Ungarn geboren, Abitur in Budapest, Chemie- und Ökonomiestudium in Deutschland, emigrierte wegen der Nazis nach Zürich und kam durch Eugen Bleuler zur Psychoanalyse. Er kämpfte in der Resistance, wurde in Paris Mediziner und Analyseschüler von Sascha Nacht.(297)

    Bela Grunberger hat Ferenczis Sphinktermoral als »Ober-Ich«-Schule, anal-sadistische Dressur durch die sadistische, böse Mutter schon lange vor jeder Konsolidierung des väterlich-ödipalen Über-Ichs beschrieben.(298) Der leicht zum Ideal für den Patienten werdende Analytiker kontrastiert diese Dressur mit einer weniger sadistischen Moral, zu der die des Verkneifens unvereinbar wird und in Konflikt gerät, ja bekämpft wird vom »Monotheismus« der Analyse.(299)

    Die Adoption eines neuen Über-Ichs durch den Patienten ist nicht nur Revolte gegen sein altes Über-Ich, sondern zugleich der tatsächliche Bruch mit dem Über-Ich seiner Familie.(300) Die Frage bleibt, ob Mütter ihre Reinlichkeitsdressur nicht als Vollstreckerinnnen patriarchalischer Moral betreiben und die böse Mutter kaum eine andere Wahl hat, als so zu sein, selbst Opfer; und wie viel freizügiger das Über-Ich des Analytikers gegenüber der bösen Mutter wirklich ist.

    Es bleibt auch abzuwägen, ob das Herausfallen aus dem familialen Konnex, was sich durch die therapeutische Über-Ich-Revolte als Milieu-Revolte ergibt, kompensiert werden kann durch die Einwurzelung in einem neuen Lebenszusammenhang. Ohne dies könnte die Über-Ich-Revolte vereinsamen und damit nicht weniger sadistische Wirkungen haben als die Mutter.(301)

    Zusammen mit seiner Frau, der Analytikerin Janine Chasseguet-Smirgel, zieht er scharf gegen Wilhelm Reich zu Felde.(302)

    Auch Geza Roheim, 1891 in Budapest als Sohn einer wohlhabenden Familie geboren und schon früh an Ethnographie interessiert, las im Studium Freud und Ferenczi, war zeitlebens von »Totem und Tabu« fasziniert und motiviert, machte ab 1916 eine Lehranalyse bei Ferenczi.(303) Er vereinte eine rege ethnologische Forschung bei Naturvölkern rund um die Welt mit einem psychoanalytischen Interesse und hielt auf Kongressen der IPV ausgezeichnete Vorträge. 1939 ließ er sich in New York als Analytiker nieder, wo er 1953 starb. Neben Disputen mit Malinowski und Margret Mead gab es harte Auseinandersetzungen mit Wilhelm Reich.(304)

    1.2.2.2.4 Margarte Mahler, Otto Kernberg, Rudolf Ekstein, John Rosen

    In der Linie von Ferenczis Regressionsarbeit und Bemutterung mit weitgehendem Verzicht auf Deutungen zugunsten eines nährenden infantilen Milieus arbeiten fast alle Analytiker, die sich mit Psychotikern oder Borderline-Patienten beschäftigen: Margaret Mahler und Otto Kernberg betonen, daß der Analytiker eigene psychotische Anteile entdecken müsse, um mit Psychotikern handelseinig zu werden.(305)

    Bei Rudolf Ekstein gipfelt der Wunsch des Analytikers, mit dem Patienten zu gehen, in seiner empathischen Bereitschaft »to think crazy«, in die bizarre Ordnung der Dinge einzutauchen, um die dialogische Brücke des Vertrauens zu entwickeln, welches die originäre Mutter-Kind-Dyade durch orale Traumata zerstört hat.(306) Mit minimalen Heilungsprognosen bemüht er sich um kleinste Veränderungen in der Stabilisierung der Individuation seiner schizophrenen Patienten, wobei er wie Ferenczi seine prozessualen Deutungen beständigen Revisionen unterzieht.(307)

    Ähnlich hat auch John N. Rosen in seinem psychiatrischen Programm einer »Direkten Psychoanalyse« die Praxis der Bemutterung entwickelt, beeinflußt von Paul Federn, Sandor Ferenczi, Michael Balint, Georg Groddeck, Frieda Fromm-Reichmann, Melanie Klein und Harry Stack Sullivan.(308)

    1.2.2.2.5 Masud Khan, Jaques Lacan, Gregory Bateson, Hilarion Petzold

    In Winnicotts Umkreis hat Masud Khan das Phänomen des kumulativen Traumas, um das Ferenczi im »Tagebuch« von 1932 kreiste(309), als Karriere der Stigmatisierung beschrieben: »Das Tückische am kumulativen Trauma ist, daß es von der Kindheit bis ins Jugendalter latent wirksam ist und sich aufbaut. Erst seit kurzem haben wir gelernt, gewisse frühzeitige Entwicklungen beim Kind als pathogen zu erkennen. Solche Frühreife wurde bis dahin als eine Gabe betrachtet«.(310) Maligne Progression als Flucht des gelehrten Säuglings vor der unerträglichen Situation mit oder zwischen den Eltern führen zum Drama des begabten Kindes.(311) Widerstand ist für Khan die »Selbstbehandlungspraxis des Patienten«, Schutz vor weiteren Traumatisierungen.(312)

    Jaques Lacan(313) hat Ferenczis »Dialog der beiden Unbewußten« ausgeweitet zur Sprachlichkeit des Unbewußten überhaupt und die »Sprachverwirrung« der elterlichen Verlogenheiten als System der Metonymien im Verdrängungsvorgang präzisiert. Die Leibsymbole Melanie Kleins, Brust, Kot und Phallus, hat Lacan als Urform des drängenden Buchstabens im Unbewußten begriffen.(314)

    Wenn auch die Forschergruppe aus Paolo Alto um Gregory Bateson mit ihrer double-bind-Theorie konfligierender Stimuli im Familienkonnex als schizophrenogener Situation nur auf Frieda Fromm-Reichmann direkt Bezug nehmen: Jan Foudraine stellt die Schlüsselrolle Ferenczis in der Aufdeckung der Pathogenität der Familie mit seinem Festhalten an der allerersten Annahme Freuds von der historischen Realität der traumatischen Urszenen heraus.(315) Daß die skurrilen Phantasiegebilde Schizophrener realen Erlebnissen entstammen, war der entscheidende Erkenntnisschritt für eine kontextuelle Deutung der Schizophrenie als einer Flucht aus einer unhaltbaren sozialen Situation und damit einem durchaus adäquaten Verhalten, zeigte den Wahnsinn als Geraune der anderen Seite der Vernunft.(316)

    Schließlich werden die Traditionen der aktiven und der elastischen Therapie Ferenczis in der Integrativen Therapie Hilarion G. Petzolds, vermittelt über seinen russischen Lehrer und Ferenczi-Schüler Vladimir Ilijine mit seiner Idee des »Therapeutischen Theaters«, aufgegriffen.(317) Bei frühen Schädigungen adoptiert der Gestalttherapeut den Patienten (318), um im prävalenten pathogenen Milieu das Defiziente nachzunähren, bei Teil-Imagines des guten Objekts reparentage, bei ganz fehlendem guten inneren Objekt parentage genannt.(319) In wechselseitiger Empathie mit dem Patienten ist der Therapeut in selektiver Offenheit partiell engagiert im Prozeß mütterlicher Zärtlichkeit als Adaption von Ferenczis Mutualität.(320) Anders als Ferenczis mit seiner unermüdlichen Aufopferungsbereitschaft(321) verarbeitet Petzold damit die Erfahrung eigener Begrenztheit des Therapeuten. »Niemand kann 8 Stunden am Tage von Gefühlen unbewegt ein Spiegel sein, der bloß reflektiert - und niemand kann 8 Stunden am Tage seine Patienten wie eine Mutter lieben. Niemand kann 8 Stunden am Tage seine intakten Ich-Funktionen zur Verfügung stellen - und niemand kann 8 Stunden am Tage seine psychotischen Anteile bis zur Desintegration bereithalten.«(322)