RAD im Pott, Ausgabe Herbst 1998:

Umweltfreundliche Verkehrspolitik in Essen ist passé

Das Auto spielt die erste Geige

Über die allgemeine Verkehrspolitik in Essen war in den letzten Ausgaben der RAD im Pott immer wieder etwas nachzulesen, wobei man angesichts der sich häufenden Hiobsbotschaften bereits von einer "Schwarzen Serie" sprechen kann - im Anklang an die düsteren Hollywoodstreifen Ende der 40er Jahre. So gibt es bezüglich der geplanten Autobahnverbindungen A 52 im Essener Norden sowie der B 227n durch das Landschaftsschutzgebiet Asbachtal - schlimm genug - derzeit keinen neuen Sachstand. In den vergangenen Monaten hat man es in Essen jedoch geschafft, diesen umweltpolitischen Katastrophen noch einiges draufzusetzen! Die spektakulärsten Rückschläge waren dabei der Rückzieher der SPD bei der teilweisen Sperrung der Gemarkenstraße in Holsterhausen sowie das Kippen der Anwohnerparkregelung in Rüttenscheid. Bei der Gemarkenstraße sollte der Durchgangsverkehr umgelenkt werden, wobei der gesperrte Abschnitt lediglich ein winziges Teilstück der Gemarkenstraße betraf, der Rest wäre für Autos nach wie vor voll zugänglich geblieben. Eine lautstark polemisierende Gruppierung ortsansässiger Geschäftsleute schaffte es jedoch, den Eindruck zu erwecken, der Autoverkehr würde gänzlich ausgesperrt, was dann die Stimmung derart anheizte, daß letztendlich - entgegen allen vorherigen Verlautbarungen - auch die Holsterhauser SPD den Schwanz einzog. In Rüttenscheid bedurfte es immerhin einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aus Gelsenkirchen, bevor auch hier die SPD den Rückwärtsgang einlegte. Übrigens war hier, wie zuvor in Holsterhausen auch, ein Umsatzrückgang durch die Geschäftsleute selbst herbeigeredet worden, indem diese - anstatt die neue Situation positiv zu vermarkten - die Mär in Umlauf brachten, man könne nun über haupt nicht mehr mit dem Auto einkaufen fahren. Daß man in Rüttenscheid seit Einführung der Anwohnerparkregelung selbst an Markttagen einen freien Parkplatz fand (wenn auch nicht kostenlos), wurde natürlich geflissentlich unterschlagen. Das galt auch für die alternativen Verkehrsträger, denn sowohl das Fahrrad als auch der in beiden Stadtteilen hervorragende ÖPNV spielten bei den Diskussionen keine Rolle. Das Auto ist wieder zum Maß aller Dinge geworden. Ob die vor Ort lebenden Menschen ein lebenswerteres Umfeld bekommen oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Das haben jüngst auch die Bewohner im Stadtteil Frohnhausen zu spüren bekommen, vor allem diejenigen, die unmittelbar am Ruhrschnellweg (A40) leben. Dort ist ohne irgendeine Ankündigung bei der Einrichtung eines Verkehrsleitsystems die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h erhöht worden. Dieses war zwar eine Entscheidung der zuständigen Autobahnbehörde, die Stadt Essen hat aber nicht einmal ansatzweise versucht, diese zu verhindern Im Gegenteil, SPD-Fraktionsvorsitzender Willi Nowack verteidigte diese Maßnahme auch noch, indem er eine durch die höhere Geschwindigkeit hervorgerufene - und mittlerweile auch durch Messungen bestätigte - Zunahme der Abgas- und Lärmbelastung schlichtweg ableugnete. Apropos Willi Nowack: Wie man jüngst der Presse entnehmen konnte, hält er nun auch den umstrittenen Autobahntunnel unter der Ruhrallee für notwendig. Auf daß der Verkehr auch hier noch zunehme! Bezeichnenderweise gibt es hier eine Bürgerinitiative, welche diesen Mehrverkehr befürwortet. Und damit dieser Mehrverkehr auch tatsächlich ein tritt (und dadurch der Bau des Tunnels zwingend wird), befürwortet man sogar den Bau der A 52 sowie der B 227n - welch perverse Logik! Übrigens hat(te) besagte Bürgerinitiative Mitglieder, die sich gegen diese haarsträubende Zielrichtung wandten und für eine Verminderung des Verkehrs auf der Ruhrallee eintraten. Sie wurden kürzlich ausgeschlossen!

Auch der Radverkehr bleibt von Hiobsbotschaften nicht verschont: So hat die SPD inzwischen die geplanten Radverkehrsanlagen der Nordradroute an der Altenessener Straße nicht nur im Bereich zwischen Bahnhof Altenessen und dem Stauderkreisel gekippt, sondern jetzt auch im unmittelbar anschließenden Zentrum von Altenessen. Von einem ursprünglich an dieser Stelle geplanten, nur Fußgängern und Radfahrern vorbehaltenen Bereich war schon lange nicht mehr die Rede. Nun werden selbst die geplanten Radverkehrsanlagen über Bord geworfen - natürlich ohne irgend eine Alternative zu benennen - ob gleich es gerade hier viele Radfahrer gibt, die dieses Ziel ansteuern. Wie oben schon erwähnt, ist auch in diesem Fall das Auto das Maß aller Dinge. Es kommt noch besser: Mitte August wurde die seit Jahren erwartete Anlegung von Radfahrstreifen auf der Wittenbergstraße im Bauausschuß von SPD und CDU vorläufig auf Eis gelegt. Begründung: Es gebe Abstimmungsprobleme im Bereich des zur Umgestaltung anstehenden Stadtwaldplatzes. Daß dieses nur einen winzigen Bereich des Projektes Wittenbergstraße betrifft, den man gut hätte aussparen können, und daß Zuschüsse vom Land bereits seit etlichen Monaten zur Verfügung stehen - man also längst hätte beginnen können - hat diese fatale Entscheidung nicht verhindern können. Entsprechende Einwände seitens der Grünen blieben jedenfalls erfolglos. Das gilt auch für eine Entscheidung der Bezirksvertretung IX (Kettwig, Werden, Bredeney). Dort haben es CDU und SPD kategorisch abgelehnt, daß in ihrem Bereich Fahrradstraßen eingerichtet bzw. Einbahnstraßen für gegen läufigen Radverkehr geöffnet werden sollen. Daß sich solche Maßnahmen in mittlerweile vielen deutschen Städten bewährt haben und selbst die Stadt Essen in einer eigenen Untersuchung die Verkehrssicherheit derartiger Einrichtungen bestätigt hat, wird von den Bezirksvertretern einfach abgestritten. Es ist schon bezeichnend, daß ausgerechnet in einem der nobelsten Vorortbezirke Essens die antiquierteste Radverkehrspolitik betrieben wird! Bleibt zum Schluß nur noch die Frage: Verkehrspolitik in Essen - kann es noch schlimmer kommen??

Radverkehrspolitik im Gespräch

Als Ergänzung zum vorangegangenen Artikel über die derzeitige Misere bei der Verkehrspolitik in Essen sind zwei interessante Gespräche zum Thema Radverkehr anzusehen, die unmittelbar vor bzw. nach dem Redaktionsschluß stattfanden. Beim ersten Gespräch, initiiert vom "Runden Umwelttisch Essen", war der Gesprächspartner der Europaabgeordnete und Oberbürgermeisterkandidat der SPD, Detlef Samland, wobei der Radverkehr nicht alleiniges Thema war. Daß Samland sich als Befürworter der A52 auswies - übrigens ohne konkret Argumente für deren Bau anführen zu können - überraschte nicht weiter, eher schon sein Votum gegen den Ruhralleetunnel. Beim Thema Radverkehr (das für EFI und ADFC Volker Tacken vom VCD vertrat) wurde Samland ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt, war er doch mit der Erwartungshaltung in das Gespräch gegangen, daß diesbezüglich alles bestens laufe. Schließlich stünde doch die Stadtverwaltung mit EFI und ADFC in Form zweier Arbeitskreise im ständigen Dialog. So war er doch sehr überrascht, als er erfahren mußte, daß dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt beileibe nicht so ist, es vor allem beim Arbeitskreis im Tiefbauamt nach wie vor mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander gebe. Die beim Gespräch angeführten Beispiele, zum einen die von Samlands eigenen Genossen gekippte Nordradroute, zum anderen das Passarea konzept (Totalumbau des Hauptbahnhofes, bei dem die Verwaltung bislang den Radverkehr unberücksichtigt ließ), veranlaßten Samland zu dem Versprechen, diesbezüglich tätig werden zu wollen. Und bei der Verwaltung wolle er bezüglich der Arbeitskreise vorstellig werden. Nur wenige Tage später erfolgte ein Gespräch zwischen EFI und ADFC sowie der Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Anlaß hierzu war ein mit dem letzten EFI-ADFC-internen Rundbrief verschicktes Positionspapier zur gegenwärtigen Situation beim Radverkehr in Essen (welches übrigens bei Interesse gegen Erstattung der Portokosten gerne zugesandt wird). Als Ergebnis dieses Gespräches beabsichtigt die Grüne Ratsfraktion eine offizielle Anfrage im Bauausschuß zum derzeitigen Sachstand bei der Umsetzung des Hauptradroutennetzes stellen. Hier muß (und wird hoffentlich) die Verwaltung konkret Farbe bekennen.

Jörg Brinkmann


zur nächsten Seite: Neue Stadtkarte für Essens Radler


zurück zur RAD im Pott-Startseite