Sitzung 2: Report (Parakonsistente Logik)

In der letzten Sitzung haben wir die parakonsistente Logik LP eingeführt.1 Es sei zunächst als Wiederholung angemerkt, dass die klassische Logik keine Interpretationen zulässt in der Widersprüche wahr sind. Das heißt unter anderem dass folgendes Ex contradictione quodlibet Prinzip gilt (für eine beliebige Formel \(A\)):

\[ {p, \neg p, \ldots } \vDash A \]

Der Grund ist, dass es keine Interpretationen der Prämissenmenge \({p, \neg p, \ldots}\) gibt und somit –trivialerweise– in allen Modellen der Prämissenmenge \(A\) gilt.

Motivationen für Parakonsistente Logiken

Wir haben die Sitzung damit begonnen, Motivationen zu geben, warum eine Logik, die mit Widersprüchen umgehen kann, in verschiedenen Szenarien attraktiv sein könnte. Zunächst wurden semantische Paradoxien erwähnt.2

Etwa führt der Lügner-Satz

Dieser Satz ist falsch.

zu Widersprüchlichkeiten. Um dies zu sehen,

  • nehme man an, er wäre wahr, aber dann wäre er zugleich falsch!
  • nehme man an, er wäre falsch, dann wäre er aber zugleich wahr!

In der Diskussion um das Lügnerparadox haben wir folgendes angemerkt. Um dies in einer formalen Logik auszudrücken, benötigen wir ein Wahrheitsprädikat \(T\), um auszudrücken, dass ein Satz von sich selbst ausdrückt falsch zu sein: \(A \leftrightarrow \neg T(\ulcorner A \urcorner)\). Von einem Wahrheitsprädikat würde man erwarten, dass gilt \(A \leftrightarrow T(\ulcorner A \urcorner)\). Hat man also einen Lügnersatz in einer formalen Logik mit einem Wahrheitsprädikat, so führt dies zu einem Widerspruch.

Der Lügner-Satz referiert direkt auf sich selbst. Es gibt jedoch Varianten, wie folgende

  • Anne: “Peters Aussage ist wahr.”
  • Peter: “Annas Aussage ist falsch.”

in denen keine direkte Selbstreferenz gegeben ist. Noch drastischer ist folgendes Paradox von Yablo:

  • \(A_1\): Alle folgenden Sätze sind falsch.
  • \(A_2\): Alle folgenden Sätze sind falsch.
  • \(A_n\): Alle folgenden Sätze sind falsch.

Warum führt dies zu einem Widerspruch.

  1. Angenommen für ein beliebiges \(n\), \(A_n\) ist wahr. So, ist \(A_{n+1}\) falsch. Damit ist ein \(A_m\) mit \(m > n+1\) wahr. Widerspruch zur Aussagen von \(A_n\), dernach \(A_m\) falsch ist.
  2. Damit sind alle \(A_n\) falsch. (Reduktio!)
  3. Angenommen für ein beliebiges \(n\), \(A_n\) ist falsch. So gibt es ein \(A_m\) mit \(m > n\), das wahr ist. Das kann aber mit 2 nicht sein. Widerspruch!

Schließlich haben wir uns noch das Curry Paradox angesehen. Ein Curry Satz ist wie folgt:

\(c\): Falls \(c\) wahr ist, so ist der Mond aus grünem Käse.

Dies führt paradoxerweise dazu, dass der Mond aus grünem Käse sein muss! Warum?

  • Angenommen \(c\) ist wahr, so gilt mit Modus Ponens, dass der Mond aus grünem Käse ist.
  • Kann \(c\) nicht wahr sein? Nach gewöhnlicher Herangehensweise ist ein Konditional genau dann falsch, wenn die Voraussetzung auf der linken Seite wahr und die Konklusion auf der rechten Seite falsch ist. Aber dann wäre \(c\) sowohl wahr als auch nicht wahr!

Neben den semantischen Paradoxien gibt es andere Motivationen für parakonsistente Logiken. Einige davon wurden in der Einführungssitzung besprochen:

  • Wissenschaftliche Theorien sind manchmal (zumindest in frühen Phasen) inkonsistent. Wissenschaftler schlußfolgern trotzdem und machen nicht Gebrach von Schlüssen wie Ex contradictione quodlibet. Ist dies ein Indiz dafür, dass solchen Perioden wissenschaftlichen Schlußfolgerns eine parakonsistente Logik zugrundeliegt? So wird manchmal argumentiert. Dies ist jedoch kontrovers, da manche Historiker den widersprüchlichen Status der paradigmatischen “inkonsistenten Theorien” in Frage stellen. Beispiele für solche Theorien sind etwa:3

    • Bohrs frühe Atommodell
    • der frühe Differentialkalkulus
    • naive Mengenlehre
  • Wenn wir mit großen Mengen von Daten aus unterschiedlichen Quellen operieren müssen, ist es manchmal unausweichlich in Widersprüchlichkeiten zu laufen.

  • Moralische Theorien geben manchmal Anlass zu sogenannten deontischen Paradoxien. Hier ist ein Beispiel von Sartre:

    In Zeiten des zweiten Weltkrieg mag sich eine Person Peter in folgender Zwangslage befinden:

    • Peters Mutter ist schwer krank und er hat die Pflicht, sich um sie zu kümmern in den nächsten Wochen.
    • Peter hat auch die Pflicht gegen die Nazis im Militär zu kämpfen (wir gehen davon aus, dass Peter kein überzeugter Pazifist ist).

    Nicht immer lassen sich solche Situationen durch Präferenzen lösen, indem eine Pflicht gewichtiger ist als die andere.

  • etc.

Die parakonsistente Logik LP

Der Grundmechanismus hinter der Logik LP ist es, die klassische Zweitwertigkeit aufzugeben, dernach eine Aussage einen von zwei Wahrheitswerten hat: wahr oder falsch, niemals beides, niemals keines. In der Logik LP führen wir einen dritten Wert \(i\) ein, der für inkonsistent steht. Eine Widersprüchliche Aussage \(A\), deren Negation auch wahr ist, bekommt demnach den Wert \(i\), genauso wie ihre Negation.

Die Wahrheitstabelle für \(\neg\) ist also wie folgt:

\(\neg\)
0 1
i i
1 0

In einem Modell \(M\) gilt eine Aussage \(A\) (in Zeichen, \(M \models A\)) falls sie in der zugrundeliegenden Interpretation entweder den Wert 1 oder den Wert \(i\) hat. Eine Interpretation ergibt sich wie üblich aus einer Belegung der Atome mit Wahrheitswerten. Im Unterschied zur klassischen Logik, kommen nun die Wahrheitswerte aus der Menge \({0,i,1}\) anstatt aus \({0,1}\).

Um den Wahrheitswert von komplexen Formeln \(A\) zu bestimmen, brauchen wir entsprechend auch Wahrheitstabellen für die anderen Junktoren:

\(\wedge\) 0 i 1
0 0 0 0
i 0 i i
1 0 i 1

und

\(\vee\) 0 i 1
0 0 i 1
i i i 1
1 1 1 1

Die Implikation \(\rightarrow\) wird wie auch in der klassischen Logik äquivalent zu \(\neg A \vee B\) angesetzt.

Übung: komplettieren Sie folgende Tabelle:

\(\rightarrow\) 0 i 1
0
i
1

In der nächsten Sitzung werden wir uns eingehender mit Eigenschaften dieser Logik LP beschäftigen.


  1. Die Logik LP wurde zunächst von Asenjo (Asenjo, F. G. (1966). A calculus of antinomies. Notre Dame Journal of Formal Logic, 7(1), 103–105) eingeführt. Vor allem durch Graham Priest fand sie große Bekanntschaft, so dass sie heute zu den prominentesten parakonsistenten Logiken gehört. Siehe dazu: (i) Priest, G. (1979). The logic of paradox. Journal of Philosophical Logic, 8, 219–241 und (ii) Priest, G. (2006). In Contradiction: A Study of the Transconsistent. Oxford University Press. ↩︎

  2. Einen guten Überblick zum Lügner Paradox findet man in https://plato.stanford.edu/entries/liar-paradox/. In Priests Buch “In contradiction” findet man eine Diskussion vieler Paradoxa vom Standpunkt der parakonsistenten Logik. ↩︎

  3. Eine sehr guten Überblick über diese Debatte findet sich in Peter Vickers Buch “Understanding inconsistent science” (Oxford University Press, 2013). ↩︎