Sitzung 7: Vagheit 2, Fuzzy Logiken 1

Eine Kritik am drei-wertigen Ansatz bzw. dem Ansatz, der von Wahrheitswertlücken Gebrauch macht, ist, dass diese Ansätze zu grobkörnig sind. Smith (2009) etwa spricht in diesem Kontext vom “jolt problem”: es kommt zu einem plötzlichen Sprung in der Zuweisung von Wahrheitswerten in einer Sorites-Reihe, wenn die “Grauzone” beginnt (bzw. aufhört). Wurde eben noch ein Wahrheitswert 1 für \(g_i\) zugewiesen, so kommt es plötzlich und abrupt zu einer Wahrheitswertlücke in \(g_{i+1}\). Ansätze, die nur mit 3 Zuständen arbeiten (wahr, falsch, undefiniert) müssen notgedrungen die Sorites Reihe dreiteilen und ein jolt problem ist so unausweichlich. Im sprachlichen Gebrauch von vagen Prädikaten scheint sich allerdings auch eine feinere Graduierung abzuspielen, indem Sprecher gewöhnlich mit abnehmender Konfidenz etwa das Prädikat Glatze zuweisen je weiter wir in dem mittleren Graubereich der Sorites Reihe kommen. Entsprechend beginnt die Konfidenz wieder zuzunehmen, umso mehr wir uns den klaren nicht-Glatzen Fällen annähern.

In der Fuzzy Logik versucht man, diesen feinen Abstufungen in der Weise gerecht zu werden, dass in Wahrheitswertzuweisungen auch feinere Graduierungen zugelassen werden. Die Fuzzy Logiken folgen den 3-wertigen Logiken dahingehend, dass sie wahrheitswertfunktional vorgehen. Bevor wir uns den technischen Feinheiten widmen, erwähne ich noch kurz eine Kritik von Kit Fine an der Wahrheitswertfunktionalität.

Angenommen \(c_i\) ist ein Individuum, bei dem es uns als kompententen Sprechern schwer fällt (oder gar unmöglich ist) der Aussagen “\(c_i\) hat eine Glatze” (formal: \(G(c_i)\)) einen klassischen Wahrheitswert zuzuweisen. Im 3-wertigen Ansatz würden wir etwa \(u\) zuweisen. Es sei zusätzlich angenommen, dass auch die Aussagen “Punkt \(k\) ist rot” (formal \(R(d_k)\)) und “Punkt \(k\) ist orange” (formal \(O(d_{k})\)) jeweils in die Grauzone einer Rot-Orange-Sorites Reihe fallen.

Nach Fine wäre es nun intuitiv, dass die komplexe Aussage “Punkt \(k\) ist sowohl rot als auch orange” (formal \(R(d_k) \wedge O(d_k)\)) falsch ist. Im Kontrast wäre es allerdings auch intuitiv, dass die komplexe Aussage “\(c_i\) hat eine Glatze und Punkt \(k\) ist orange” unbestimmt bleibt. Beachte hier, dass beide Konjunktionen aus zwei Komponenten zusammengesetzt sind, die den Wert \(u\) haben, jedoch die komplexen Aussagen, so Fine, unterscheiden sich in ihren Wahrheitswerten.

Ebenso wäre es nach Fine sinnvoll die komplexe Aussage “Punkt \(k\) ist rot oder Punkt \(k\) ist orange” als wahr zu bewerten, jedoch eine ähnliche Disjunktion wie etwa “Punkt \(k\) ist rot oder \(c_i\) hat eine Glatze” sollte unbestimmt bleiben.

Ist Fines Attacke auf wahrheitswertsfunktionale Ansätze überzeugend? Smith teilt diese Intuitionen nicht, wie folgendes Zitat zeigt:

  • “Is this point red?” Umm, well, sort of.
  • “Is this point orange?” Umm, well, sort of.
  • “But it’s certainly not red and orange, right?” Well, no,it sort of is red and orange.
  • “Ok, well it’s definitely red or orange, right?” No, that’s what I’ve been saying, it’s a bit of both, the colours blend into one another.

Smith, 2008, p. 86

Im obigen Zitat wird Wahrheitsfunktionalität verteidigt indem feinere Abstufungen in Beurteilungen der Wahrheit von Aussagen gemacht werden: etwa “sort of”, “a bit of”, etc.

Fuzzy Logiken versuchen solchen Abstufungen gerecht zu werden, indem Aussagen Wahrheitswerte gewöhnlich im Interval \([0,1]\) annehmen können. Wir gehen, wie üblich, induktiv vor. Zunächst werden atomare Aussagen durch Belegungen mit Werten in \([0,1]\) assoziiert. Komplexe Aussagen erhalten ihren Wahrheitswert auf der Grundlage der Bedeutung der darin vorkommenden Junktoren. Wie wir das bereits von den 3-wertigen Logiken kennen, gibt es verschieden Möglichkeiten Junktoren Bedeutungen zu verleihen und verschiedene Standard-Ansätze haben sich herauskristallisiert.

Wir beginnen unsere Diskussion mit der Konjunktion. Um dieser in wahrheitsfunktionaler Weise Bedeutung zu verleihen, müssen wir eine Funktion \(\star: [0,1] \times [0,1] \rightarrow [0,1]\) definieren, die jedem Paar von Wahrheitswerten \((x,y)\) einen neuen Wahrheitswert \(x \star y\) zuweist.

Im Seminar haben zunächst eine Liste mit Eigenschaften angelegt, die für eine Konjunktion intuitiv wären. Erwähnt wurden, unter anderem:

  1. Monotonität: falls \(x \le x^{\prime}\), \(y \le y^{\prime}\), dann folgt \(x^{\prime} \star y^{\prime}\) aus \(x \star y\).
  2. Kommutativität: \(x\star y = y \star x\)
  3. Assoziativität: \((x \star y) \star z = x \star (y \star z)\).
  4. Identität der 1: \(x \star 1 = x\).

Funktionen \(\star\), die den 4 Anforderungen genügen werden als t-Normen bezeichnet. Eine intuitive Anforderung an Konjunktionen wäre auch \(x \star 0 = 0\), doch dies folgt unmittelbar aus den obigen Eigenschaften.

Es sei \(x \in [0,1]\) beliebig. Mit Eigenschaft 4, \(0 \star 1 = o\). Mit Eigenschaft 1 und da \(x \le 1\), \(0 \star x \le o \star 1 = 0\). Damit \(0 \star x = 0\). Mit Eigenschaft 2 damit auch \(x \star 0 = 0\). \(\Box\)

Beispiele für t-Normen sind etwa:

  1. Gödel t-Norm: \(\min(x,y)\)
  2. Produkt t-Norm: \(x \cdot y\)
  3. Lukasiewicz t-Norm: \(x \star_L y = \max(x+y- 1, 0)\).
  4. Drastische t-Norm: \(x \star_{d} y = 1\) falls \(x = 1\) oder \(y=1\); und \(x\star_d y = 0\) sonst.

Übung: Welche der obigen t-Normen erfüllt die Eigenschaft der Idempotent: \(x \star x = x\)?

Analog zu Konjunktionen, verleihen wir Disjunktionen Bedeutung durch Funktionen \(\circ: [0,1] \times [0,1] \rightarrow [0,1]\). Für Disjunktionen erwarten wir recht ähnliche Eigenschaften, außer Eigenschaft 4, die wir durch folgende Anforderung ersetzen:

  • Identität der 0: \(x \circ 0 = x\).

Funktionen, die diese Eigenschaften erfüllen werden als t-Conormen bezeichnet. Beispiele sind etwa:

  1. Gödel t-Conorm: \(\max(x,y)\)
  2. Produkt t-Conorm: \(x +y -x \cdot y\).
  3. Lukasiewicz t-Conorm: \(\min(x+y,1)\).

Diese t-Conormen sind über folgendes Rezept aus den korrespondierenden t-Normen erzeugt: \[ x \circ y = 1 - ((1-x) \star (1-y)) \]

Übung: Überprüfen Sie, ob dies tatsächlich in den drei obigen Fällen funktioniert!

Schließlich haben wir uns noch ein paar Kandidaten für Negationen \(\overline{\phantom{A}} : [0,1] \rightarrow [0,1]\) zu Gemüte geführt. Zunächst haben wir dabei Eigenschaften gesammelt, die intuitiv für Negationen erscheinen, wie etwa:

  1. \(\overline{0} = 1\)
  2. \(\overline{1} =0\)
  3. \(\overline{ \overline{x}} = x\)
  4. \(x \le y\) gdw \(\overline{y} \le \overline{x}\)

Beispiele für in der Literatur vorgeschlagene Negationen sind etwa:

  1. Lukasiewicz Negation: \(\overline{x} = 1-x\)
  2. Gödel Negation: \(\overline{x} = 0\) falls \(x > 0\) und \(\overline{x} = 1\) falls \(x = 0\).

Übung: Überprüfen Sie, welche obiger Eigenschaften auf diese beiden Negationen zutreffen.

In der nächsten Sitzung werden wir uns noch kurz genauer Fuzzy Implikationen ansehen und dann abschließend analysieren, wie Fuzzy Logiken mit dem Sorites Paradox umgehen. Danach kommen wir zum nächsten großen und sehr wichtigen Block im Seminar: den Modallogiken.

Korrekturen

  • [2018-12-12 Wed]: Korrektur in der Lukasiewicz Konorm, die als \(\max\) anstatt \(\min\) angesetzt war. Danke, Cristina!