Sitzung 9: Modallogiken 1

Einleitung

Modallogiken sind formal-logische Modelle des Schlußfolgerns mit Aussagen, deren Gegenstandsbereich nicht-aktuale/wirkliche, und im weiteren Sinne lediglich mögliche Sachverhalte einschließt. Während in der Aussage

Heute gibt es Pizza in der Mensa.

(möglicherweise in falscher Weise) Bezug nimmt auf den aktualen Zustand der Welt, wird in

Möglicherweise gibt es heute Pizza in der Mensa.

Bezug genommen auf eine mögliche Situation. Letztere Aussage mag wahr sein, obwohl es heute keine Pizza in der Mensa gibt.

Andere Beispiele für Aussagen, die von Modalitäten Gebrauch machen sind etwa:

  • Notwendigerweise gibt es heute Pizza in der Mensa. – Aussagen über notwendige Sachverhalte.
  • Übermorgen wird es Pizza geben in der Mensa. – Aussagen über künftige oder vergangene Sachverhalte.
  • Ich muss eine Klausur schreiben. – Normative Aussagen über was sein soll/muss/etc.
  • Ich weiss, dass es Pizza in der Mensa gibt. – Aussagen über Wissen oder Überzeugungen.

In Modallogiken werden sogenannte Modaloperatoren benutzt, um solche Modalitäten formal zu analysieren. Etwa ist es gängig

  • \(\Box A\) zu benutzen, um auszudrücken dass der Inhalt der Aussage \(A\) notwendigerweise gilt,
  • \(\Diamond A\) zu benutzen, um auszudrücken, dass der Inhalt der Aussage \(A\) möglicherweise gilt.

Einstellige logische Operatoren kennen wir aus der Prädikatenlogik: die Negation \(\neg\). Funktionieren \(\Box\) und \(\Diamond\) ähnlich wie die Negation in der Hinsicht, dass wir sie über Wahrheitstabellen charakterisieren können? Obwohl diese Möglichkeit historisch etwa von Gödel und Lukasiewicz untersucht wurde, gelten solche Ansätze heute generell als gescheitert (obwohl sie noch vereinzelt erforscht werden). Dies ist recht offensichtlich, wenn wir nur mit den beiden klassischen Wahrheitswerten \(0\) und \(1\) arbeiten. Kandidaten für Wahrheitstabellen für \(\Box\) wären etwa:

\(A\) \(\Box A\)
0 0
1 0

und

\(A\) \(\Box A\)
0 0
1 1

Doch beide Optionen sind unzureichend:

  • nur weil \(A\) wahr ist, ist \(A\) noch lange nicht notwendig (etwa: Es mag heute Pizza in der Mensa geben, aber es wäre durchaus möglich, dass heute morgen der Pizzaofen der Mensa defekt gegangen ist und es deshalb heute keine Pizza gibt.)
  • im Falle, dass \(A\) wahr ist, gilt nicht notwendigerweise \(\neg \Box A\). Etwa ist die Aussage dass Quadrate viereckig sind wahr und auch notwendig (aus begrifflichen Gründen).

Dies scheint zu zeigen, dass Modaloperatoren wie \(\Box\) und \(\Diamond\) nicht wahrheitsfunktional sind, bzw. dass diese intensionale Operatoren sind. Als Erinnerung aus dem Grundkurs: extensionale logische Operatoren, wie etwa unsere Junktoren aus der klassischen Aussagenlogik, erlauben die Substitution (die Ersetzung) von Unteraussagen mit gleichem Wahrheitswert, ohne dass sich dabei der Wahrheitswert der komplexen Aussage ändert.

Beispiel:

  • \(A\): Ich besuche in diesem Semester das Seminar in philosophischer Logik.
  • \(B\): Dieses Seminar macht viel Spass.
  • \(C\): In Paris steht der Eiffelturm.

Die Aussage \(A \wedge B\) hat den gleichen Wahrheitswert (nämlich “wahr”) wie \(A \wedge C\). Das Austauschen der (hoffentlich) wahren Unteraussage \(B\) durch die wahre Aussage \(C\) hatte keinen Einfluss auf den Wahrheitswert der resultierenden komplexen Aussage.

Intensionale Operatoren dagegen haben diese Eigenschaft nicht. Das heißt, das Ersetzen einer Unteraussage mit einer Unteraussage selbigen Wahrheitswerts, kann zur Änderung des Wahrheitswerts der modalen Aussage führen. Hier ein paar Beispiele:

  • \(A\): Heute gibt es Pizza in der Mensa.
  • \(B\): Ein Quadrat ist viereckig.

Es gilt \(\Box B\) aber nicht \(\Box A\), obwohl \(A\) und \(B\) den gleichen Wahrheitswert (nämlich “wahr”) haben.

  • \(A\): \(p \vee \neg p\) ist eine Tautologie der klassischen Logik.
  • \(B\): \((p \rightarrow \neg p) \vee (\neg p \rightarrow p)\) ist eine Tautologie der klassischen Logik.

Es gilt:

  • Peter weiß, dass \(A\).
  • Aber: Peter weiß nicht, dass \(B\).

Beachte, dass beide Aussagen \(A\) und \(B\) wahr sind.

Mögliche Welten Semantiken

Da uns keine Wahrheitstabellen zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage: wie bestimmen Modallogiker die Wahrheitsbedigungen modaler Aussagen? Sie benutzen dazu sogenannte Mögliche Welten Semantiken.

Die Grundidee ist dabei folgende. Eine Aussage hat einen Wahrheitswert immer nur bezüglich einer bestimmten Situation. Dies ist offensichtlich für Aussagen, die sich auf die aktuale Situation beziehen: “Es regnet.” ist wahr in einer Situation in der es regnet, sonst ist die Aussage falsch. Bei modalen Aussagen ist dies grundsätzlich nicht anders, nur beziehen sich modale Aussagen inhaltlich auf andere, potentiell nicht-aktuale und lediglich mögliche Situationen. Wir müssen also Situationen in Beziehung setzen in der Hinsicht, dass manche Situation aus einer gegebenen Ausgangssituation aus möglich sind, andere wiederum nicht. Etwa ist es in der gegebenen Situation möglich, dass ihr eine Klausur in philosophischer Logik Ende dieses Semesters schreibt, in der alternativen Situation in der ihr den Kurs philosophische Logik nicht in diesem Semester belegt habt, wäre dies unmöglich. Damit haben wir die beiden zentralen Teile unserer Semantik bereits beschrieben:

  • eine Menge möglicher Situationen \(W\): meist genannt die Menge möglicher Welten
  • eine Relation \(R\), die Welten in Verbindung setzt: die sogenannte Erreichbarkeitsrelation.

Eine Frage ist noch, wie die möglichen Welten mit Inhalt gefüllt werden. Dies geschieht, wie wir das aus der Aussagenlogik bereits kennen, mithilfe von Belegungen. Wir benutzen dazu eine Funktion \(v: W \times \mathsf{Atome} \rightarrow {0,1}\), die jedem Atom \(p\) in jeder Welt \(w\) einen Wahrheitswert \(v(w,p)\) zuweist.

Zusammenfassend ist ein Modell in der Mögliche-Welten-Semantik ein Tripel \[ M = \langle W, R, v \rangle\]

bestehend aus einer nicht-leeren Menge von Punkten \(W\) (die möglichen Welten), einer Erreichbarkeitsrelation \(R \subseteq W \times W\) und einer Belegungsfunktion \(v: W \times \mathsf{Atome} \rightarrow {0,1}\).

Wie üblich, gilt es zu klären, wie in einem Modell Formeln interpretiert werden. Wie bereits motiviert, gelten Aussagen immer bzgl. gegebener Situationen: die Frage ist also, wann gilt eine Formel \(A\) in einer gegebenen Welt \(w\) in einem Modell \(M\). Wir schreiben: \(M, w \models A\), falls \(A\) im Modell \(M\) in der Welt \(w\) gilt.

Wir definieren dies wie üblich in induktiver Weise, beginnend mit den Atomen:

  • \(M,w \models p\) genau dann wenn \(v(w,p) = 1\).

Der Wahrheitswert eines Atoms ist also gegeben durch die Belegung: genau wie wir das aus der Aussagenlogik kennen.

Auch die Junktoren verhalten sich wie erwartet:

  • \(M, w \models A \wedge B\) gdw \(M,w \models A\) und \(M, w \models B\)
  • \(M,w \models A \vee B\) gdw \(M,w \models A\) oder \(M,w \models B\)
  • \(M,w \models \neg A\) gdw nicht gilt \(M,w \models A\).
  • etc.

Die zentrale Frage ist nun: was sind die Wahrheitsbedingungen unserer Modaloperatoren? Die Idee ist, dass \(\Box A\) in \(w\) gilt, falls \(A\) in allen von \(w\) aus erreichbaren (also in allen von \(w\) aus möglichen Situtationen) gilt.

  • \(M,w \models \Box A\) gdw für alle \(w^{\prime}\), für die \(wRw^{\prime}\), gilt \(M,w^{\prime} \models A\).1

Ähnlich gilt \(\Diamond A\) in \(w\), falls \(A\) in mindestens einer von \(w\) aus erreichbaren Welt gilt.

  • \(M,w \models \Diamond A\) gdw es gibt ein \(w^{\prime}\) so dass \(wRw^{\prime}\) und \(M,w^{\prime} \models A\).

Beispiel. Angenommen \(M = \langle W, R, v \rangle\) wobei

  • \(W = {w_{1}, w_{2}}\)
  • \(R = { (w_{1}, w_{1}), (w_{1}, w_{2})}\)
  • \(v\) ist gegeben durch folgende Tabelle:
    \(w_{1}\) \(w_2\)
    \(p\) 0 1
    \(q\) 1 1

Das Modell lässt sich wie folgt visualisieren als gerichteter Graph:

Es gilt etwa:

  • \(M,w_1 \models \neg p\)
  • \(M,w_1 \models \Box q\)
  • \(M,w_1 \models \Diamond \neg p\)

aber es gilt nicht: \(M,w_1 \models \Box p\), da \(w_1 R w_1\), aber \(M,w_1 \models \neg p\).

In künftigen Sitzungen werden wir uns noch vertiefter mit Eigenschaften der Erreichbarkeitsrelation, und dem Beweisen in Modallogiken beschäftigen.

Übungen

Übung (\(\star\)): Gegeben sei folgendes Modell \(M = \langle W, R, v \rangle\) wobei \(W = { w_{1}, w_{2}, w_{3}}\) und die Erreichbarkeitsrelation sei durch folgenden Graph gegeben:

Die Belegung ist durch folgende Tabelle gegeben:

\(w_{1}\) \(w_2\) \(w_{3}\)
\(p\) 1 1 1
\(q\) 1 1 0

Welche der folgenden Aussagen gelten?

  1. \(M, w_1 \models \Box\Box p\)
  2. \(M,w_1 \models \Diamond \Diamond \Box p\)
  3. \(M,w_1 \models \Diamond \Diamond \Diamond A \leftrightarrow A\) für jede Formel \(A\)
  4. \(M,w_1 \models \Box \Box \Diamond q\)
  5. \(M,w_1 \models \Box \Box q\)
  6. \(M,w_1 \models \Box\Box (q \rightarrow \Diamond \neg q)\)
  7. \(M, w_1 \models \Box\Box (\Diamond \neg p \rightarrow q)\)
  8. \(M,w_1 \models \Box \Box ( \Diamond \neg p \rightarrow \neg q)\)

Übung (\(\star\)):

Ein modallogischer Rahmen ist gegeben durch \(F = \langle W, R \rangle\) (\(F\) für “frame”) wobei \(W\) eine nicht-leere Menge von Punkten ist. Ein Modell \(M = \langle W, R, v \rangle\) ist ein Modell im Rahmen \(\langle W,R \rangle\).

Eine Formel \(A\) gilt in einer Menge von Rahmen \(\mathcal{F}\), falls \(A\) in jeder Welt jedes Modells eines Rahmens \(F \in \mathcal{F}\) gilt: in Zeichen, \(\mathcal{F} \models A\) falls \(\langle W, R, v \rangle,w \models A\) für alle \(w \in W\) und alle \(\langle W,R \rangle \in \mathcal{F}\).

Gegeben seien drei Mengen von Rahmen:

  • \(\mathcal{F}\) beinhaltet alle alle Rahmen \(\langle W, R \rangle\) wobei \(R\) und \(W\) beliebig sind
  • \(\mathcal{F}_{\mathsf{refl}}\) beinhaltet alle Rahmen \(\langle W, R \rangle\) wobei \(R\) reflexiv ist
  • \(\mathcal{F}_{\mathsf{trans}}\) beinhaltet alle Rahmen \(\langle W,R \rangle\) wobei \(R\) transitiv ist
  • \(\mathcal{F}_{\mathsf{refl}+\mathsf{trans}} = \mathcal{F}_{\mathsf{refl}} \cap \mathcal{F}_{\mathsf{trans}}\).

Füllen Sie folgende Tabelle (\(\checkmark\) falls die Formel im Rahmen gilt, \(\times\) falls sie nicht gilt):

Rahmenklasse \(\Box\Box p \rightarrow \Box p\) \(\Box p \rightarrow \Box \Box p\) \(\Box p \leftrightarrow \Box\Box p\) \(\Box p \rightarrow p\) \(\Diamond p \rightarrow \Box \Diamond p\) \(\Box p \rightarrow \Diamond p\)
\(\mathcal{F}\)
\(\mathcal{F}_{\mathsf{refl}}\)
\(\mathcal{F}_{\mathsf{trans}}\)
\(\mathcal{F}_{\mathsf{refl}+ \mathsf{trans}}\)

Falls ihre Antwort negativ ausfällt, versuchen Sie ein Gegenmodell in der gegebenen Rahmenklasse anzugeben.

(Einleitende) Literatur

  • Modal Logic (Stanford Encyclopedia of Philosophy)
  • Humberstone, L. 2015, Philosophical Applications of Modal Logic, College Publications, London.
  • Chellas, B., 1980, Modal Logic: An Introduction, Cambridge: Cambridge University Press.
  • Hughes, G. and M. Cresswell, 1996, A New Introduction to Modal Logic, London: Routledge.

Updates

  • [2018-12-14 Fri 12:17] Übungen wurden hinzugefügt.
  • [2018-12-17 Mon 10:51] Tippfehler: \(\mathcal{F}_{\mathsf{trans}}\) beinhaltet alle Rahmen mit transitiven \(R\), nicht notwendigerweise reflexiven \(R\).

  1. In der Kontext der Modallogik wird oft die Infix-Schreibweise \(w R w^{\prime}\) anstatt \((w,w^{\prime}) \in R\) benutzt. ↩︎