UN-Blauhelme zwischen nationaler Mythologisierung und globalem Konfliktmanagement Kanada und die Politik des Peacekeeping im 20. Jahrhundert
Kurzbeschreibung
Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts gehören Friedensmissionen von UN-Blauhelmen zu den zentralen Instrumentarien internationaler Krisenbewältigung. Über vierzig Jahre lang galt Kanada als der Staat, der sich am stärksten mit dem Blauhelm-Einsatz identifizierte. Bis Ende der 1980er Jahre nahmen kanadische Truppen an allen Peacekeeping-Einsätzen der Vereinten Nationen teil. In den neunziger Jahren propagierten kanadische Regierungen eine Ausweitung und Verstärkung des Blauhelm-Mandats. Das internationale Peacekeeping war Kernstück einer multilateralen Tradition kanadischer Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg und trug zur Bildung eines nationalen gesellschaftlichen Konsenses bei, der internationale Lösungen für Sicherheits- und Menschenrechtsfragen befürwortet. Im Zentrum dieses Projektes steht die Frage, warum sich das Peacekeeping zu einer dominanten Form kanadischer Außenpolitik entwickelte und Kanada in die Rolle des Modellstaates im internationalen Peacekeeping wie auch bei der Propagierung eines weit reichenden, globalen Menschenrechtsschutzes schlüpfen konnte. Zum einen müssen die außenpolitischen Entscheidungsfindungsprozesse vor dem Hintergrund der globalen Mächtekonstellationen evaluiert werden. Zum anderen soll analysiert werden, wie sich in Kanada ein nationales Selbstverständnis entwickelte, das auf einem politischen Mythos basierte, der die kanadischen Blauhelm-Einsätze idealisierte. Das Ziel des Projektes ist somit, am Gegenstand des Peacekeeping die Wechselwirkungen zwischen postkolonialer nationaler Identitätsbildung und Kanadas exponierter weltpolitischer Rolle seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu untersuchen. Dies weist weit über den kanadischen Einzelfall hinaus: Das Blauhelm-Engagement Kanadas steht für die Entwicklung einer nationalen wie transnationalen politischen Kultur, die den Diskurs um eine neue Weltordnung seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten maßgeblich geprägt hat. Ein Hauptelement dieses Diskurses bildet die nicht zuletzt auf den Erfahrungen des Peacekeeping beruhende Forderung nach legitimen Formen humanitärer Interventionen. Daraus resultiert auch die Forderung nach Auflösung staatlicher Souveränitätsdogmen sowie nach Globalisierung und Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes. Obwohl der Peacekeeping-Mythos als Schlagwort in der kanadischen Literatur immer wieder bemüht wird, waren seine Entwicklung und Durchsetzung sowie seine Relevanz für das kanadische Selbstverständnis bislang noch nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. Diese Beobachtung gilt auch für die Frage nach der Bedeutung dieses politischen Mythos für die außenpolitische Entscheidungsfindung. Der Blick auf die durch transnationale Einflüsse mitbestimmten internen politischen Prozesse und die sich hieraus ergebenden Rückwirkungen auf außenpolitische Strategien Kanadas erfordert eine methodisch vielschichtige Herangehensweise. Das Vorhaben wird vor allem Instrumentarien einer erweiterten und erneuerten Politikgeschichte wie auch der Geschichte der internationalen Beziehungen anwenden. Bedingt durch den Forschungsgegenstand muss die Arbeit eine nach Außen- und Innenpolitik getrennte Zugriffsweise aufgeben und gerade die enge Verflechtung beider Aspekte untersuchen. Das Projekt wird von der Fritz Thyssen Stiftung finanziell gefördert.
Dr. Jan Erik Schulte Ruhr-Universität Bochum E-mail: jan.e.schulte@ruhr-uni-bochum.de
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