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Aktuelle Informationen:

 
 

3. Februar 2000: Informationen für Bewerberinnen und Bewerber

I. Stipendien
An der Ruhr-Universität Bochum wird ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Graduiertenkolleg „Kriterien der Gerechtigkeit in Ökonomie, Sozialpolitik und Sozialethik“ eingerichtet, in dessen Rahmen zum 1. Mai 2000 5 Doktorandenstipendien zu vergeben sind. Die Laufzeit des Projektes beträgt zunächst drei Jahre.
Die Doktorandenstipendien umfassen gemäß den Verwendungsrichtlinien der DFG monat-lich einen Grundbetrag in Höhe von 1.600,– DM; hinzu kommt ein monatlicher Zuschuss für Sach- und Reisekosten in Höhe von 200,– DM. Zusätzlich können gegebenenfalls Familien- und Kinderbetreuungszuschläge bewilligt werden. Stipendien sind steuerfrei und unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht. Eigene Einnahmen werden auf den Grundbetrag angerechnet; unberücksichtigt bleiben Einnahmen aus wissenschaftlicher Tätigkeit, sofern sie 6.000,– DM im Jahr nicht übersteigen sowie Einnahmen aus Vermögen. Der Bewil-li-gungs-zeit-raum beträgt in der Regel zwei Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit um ein Jahr.
Es sei darauf hingewiesen, dass außerdem 5 Doktorandenstipendien zum 1. November 2000 so-wie 2 Postdoktorandenstipendien zum 1. Mai 2001 zu vergeben sein werden. Diese wer-den gesondert ausgeschrieben. Interessierte Bewerberinnen und Bewerbern erhalten recht-zei-tig aktuelles Informationsmaterial.

II.  Bewerbungsmodalitäten
Vor-aussetzung für die Teilnahme ist ein qualifizierter Studienabschluss in den Fächern Evan-gelische Theo-lo-gie, Katholische Theologie, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaft. Über die end-gül-tige Zulassung wird nach einem Auswahlgespräch entschieden. Bewerbungen (mit Lebenslauf, Zeug-nis-kopien, einem Exemplar der Abschluss-arbeit sowie einem Exposé über die thematischen Absichten) sind bis zum 1. März 2000 an den Sprecher des Graduier-tenkollegs zu richten.

Im Exposé sollten Sie, wenn Sie bereits eine Doktorarbeit geplant oder angefangen haben, die wissenschaftli-che Absicht der Arbeit sowie deren Bezug zum Thema des Graduiertenkollegs darstellen. Wenn Sie noch kein kon-kretes Vorhaben begonnen haben, sollten Sie Ihre Interessenschwerpunkte hinsichtlich einer möglichen Dis--sertation sowie Ihre bis-herige Beschäftigung mit dem Thema des Graduiertenkollegs (z. B. im Rahmen des Studiums) schildern. Der Umfang sollte etwa fünf Seiten nicht überschreiten.

Die Ruhr-Universität Bochum strebt die Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre an und fordert geeignete Wissenschaftlerinnen ausdrücklich auf, sich zu bewerben. Die Bewerbungen geeigneter Schwerbehinderter sind erwünscht.
Die Bewerber(innen) sollten in der Regel nicht älter als 28 Jahre sein. Erwartet wird die Be-reitschaft zur aktiven Mitarbeit im Kolleg.

III. Studienprogramm
Die Einrichtung des Graduiertenkollegs dient der Effektivierung von Promotionsvorhaben; da-mit soll die Promotionsdauer verkürzt und die Ergebnisqualität gesteigert werden. Der Ein-stieg in die Bearbeitung des Promotionsthemas soll beschleunigt werden.
Die Stipendiaten nehmen an einem in-ter---disziplinären Studi-en---programm teil, das größtenteils auch Nicht-Stipendiaten offen stehen wird. Dadurch sollen die Methoden der eigenen Diszi-plin aus der Perspektive der anderen Disziplinen schärfer wahrgenommen und fakultäts-über-grei-fen--de Forschungsdiskurse gefördert werden.
Die begleitenden Veranstaltungen werden etwa sechs Stunden pro Semester umfassen. Ge-plant sind Seminare und Oberseminare mit thematischem Schwerpunkt (z. B. Anthro-po-logie, ‚homo oeconomicus‘, Gerechtigkeit, ...), Vorlesungen (z. B. in den ersten zwei Seme-stern Ein--füh--rungs-vorlesungen in die jeweils anderen Disziplinen und eine Ringvorlesung „Grund-la--gen der Gerech-tigkeit“) sowie Kolloquien aller Beteiligten.

IV. Inhaltliche Ausrichtung
Gerechtigkeit scheint ein vielbehandeltes Thema zu sein. Aber der Moraltheologe, der Ethiker und Sozialethiker, der mit dem Thema der Allokation befaßte Ökonom sowie der auf Verfah-rensfragen konzentrierte Jurist müssen immer wieder feststellen, dass die Diskussion um Kon-zeptionen der Gerechtigkeit im Blick auf die Kriterien, mit deren Hilfe kontroverse Streitfra-gen bearbeitet und Entscheidungen getroffen werden, entweder gar nicht benannt werden können oder sehr undeutlich bleiben. Prominente Ökonomen halten deshalb das Konzept der Gerechtigkeit für obskur. Auf der anderen Seite scheint in alltäglichen Entschei-dungen und in politischer Rede das Verständnis und die Anwendung der Gerechtigkeit intuitiv fest-zustehen. Aus diesem in seiner Ambiguität problematischen Eindruck hat eine inter-dis-zi-plinäre Arbeitsgruppe an der Ruhr-Universität Bochum in intensiven Kolloquien eine Projekt-skiz-ze entwickelt, die den schwierigen Vemittlungsprozess zwischen Konzeptionen und prak-tischer Gestalt der Gerechtigkeit suchen und analytisch aufarbeiten will. Die Fragestellungen sollen aus theologischer (mit einem Schwerpunkt in der Moraltheologie bzw. Ethik, in der christlichen Gesellschaftslehre und einem weiteren in der Ökumenik), aus ökonomischer (mit ei-nem Interesse an Allokation und Distribution sowie den meist verborgenen normativen Leit----gesichts-punkten), aus rechtsphilosophischer bzw. rechtssozio-logischer sowie aus sozialpo-li--tischer Sicht behandelt werden.
Das gemeinsame Interesse der verschiedenen Disziplinen richtet sich vor allem auf die bis-lang selten ausdrücklich benannten und kaum begründeten Kriterien. Sie sind offenbar häufig in kryptonormativen Menschenbildern bzw. Bildern eines guten oder gelingenden Lebens verborgen. Ihre Explikation und kritische Bearbeitung nötigt deshalb, die Frage nach einer Fundamentalanthropologie zu stellen, die sowohl in der eigenen Tradition als auch über sie hinaus orientierend wirkt bzw. wirken kann. Deren lebenspraktische Konsequenzen können nicht nur in einer individuellen Moral liegen, sondern betreffen die institutionellen Arrange-ments, sei es der Distribution, der sozialen Hilfe, der gesellschaftlichen Ausgleichs-prozesse usw. Um auf diesem Gebiet der Sozialität neue Gesichtspunkte zu Tage zu fördern, reicht es nicht aus, den umfassenden, aber meist nur abstrakt-theoretischen Diskus-sions-pro-zess um Gerechtigkeit etwa im Anschluss an Rawls weiter zu differenzieren und fortzutreiben, son-dern bevorzugt anwendungsorientierte Verfahren, Prozesse, Institutionen und soziale Verän-derungen zu beobachten, in denen ein normativer Gerechtigkeitsanspruch besteht. Diese sind dann an den Traditionen des geschichtlichen und v. a. des aktuellen Gerechtigkeits-diskurses zu messen, wobei die allgemeinen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit durch diese Konkretionen präzisiert, verschoben oder korrigiert werden müssen.

Gerechtigkeit ist in den letzten Jahren überall propagiert worden: auf Katholikentagen und Kirchentagen, in kirchlichen Dokumenten, im politischen Diskurs und in anderen öffentlichen Stellungnahmen. In der gesamten öffentlichen Diskussi-on tritt allerdings ein eklatanter Mangel an analytischer Präzision zutage. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gerechtigkeit vielfach intuitiv in die Debatte eingeführt, aber nicht nach Kriterien entfaltet wird. (In der angelsächsischen Ethik ist die intuitive Einführung von Normen durchaus üblich, aber sie hat in der Regel analytische Bearbeitung zur Folge.) Deshalb kommt es immer wieder zu Gesprächsabbrüchen und Konflikten zwischen der Volkswirt-schaftslehre und der öf-fent-lich propagierten Moral. Das Graduiertenkolleg soll diesen ‚blinden Fleck‘ des öffentlichen Diskurses bearbeiten und nach der (in der Regel unzureichend geklärten) sozialen Kriterienbildung der Gerechtigkeit fragen.
Die Diskussion um die Gerechtigkeit ist seit einem Vierteljahrhundert vor allem von der praktischen Philosophie vorange-trieben worden. Die jeweiligen Konzepte bemühen sich zunächst um eine möglichst universale Begründung von Gerech-tigkeit; dies ist in zahlreichen Arbeiten vor allem im Anschluss an Rawls‘ bahnbrechende „Theorie der Gerechtigkeit“ oder – in Deutschland – von Höffe versucht worden. Eine besondere theoretische Heraus-forderung ergab sich aus den Beiträ-gen der nordamerikanischen Kommunitaristen, die an der universalen Geltung von Gerechtigkeitskonzepten zweifeln (z. B. Walzer mit seiner Sphären-theorie). Die konfessionellen Sozialethiken bzw. die christliche Gesellschaftslehre haben diese Dis-kussion verfolgt und zum Teil aufgenommen; manchmal waren sie in der Lage, diese mit der älteren Naturrechtstraditi-on zu verbinden oder auf befreiungstheologische Ansätze („Option für die Armen“) zu beziehen. Diese neueren Diskussio-nen sowie weitere An-regungen des Kommunitarismus (v. a. Etzioni), der konstitutionellen Wirtschaftstheorie (James Bu-cha-nan), der dynamischen Nachhaltigkeitsanalyse (z. B. Hartwick) und nicht zuletzt sol-cher aus dem Gebiet des Feminismus soll-ten dazu veranlassen, die unterschiedlichen Traditionen des Christentums und der vernunftrechtlichen oder vertrags-tech--nischen Debatte auf mögliche Kriterienbildung und deren Reichweite zu prüfen.
Kriterienbildung lässt sich im öffentlichen Diskurs über Gerechtigkeit meist nur in Ansätzen erkennen. Zum Teil wird in Frage gestellt, ob Gerechtigkeit überhaupt möglich sei, etwa in radikaleren Äußerungen seitens der Nationalökonomie, die bezweifeln, dass es in der Wirt-schaft um Gerechtigkeit gehen könne. Auf der anderen Seite werden in wirtschaftsethischen Denkschriften Kataloge menschlicher Grundbedürfnisse eingeführt, die entweder allgemein und unspezifisch oder aber kul-turell so variabel sind, dass ihre Verbindlichkeit nur postuliert, kaum jedoch begründet werden kann. Diesem Defizit ist abzuhelfen. Kriterien sind sowohl für pragmatische Diskurse – etwa: Welche sozialpolitische Richtung ist einzuschlagen? – als auch für praktische Diskurse – Was trägt zur Sicherung der elementaren Menschlichkeit bei? – notwendig.
Es kann nicht Ziel des Graduiertenkollegs sein, einen neuen, deduktiv operierenden Entwurf über Gerechtigkeit zu erstel-len. Vielmehr soll es die eher intuitiv aussehenden Gerech-tigkeitsdiskurse und Vorschläge prüfen, um in ihnen theoretische Elemente zu identifizieren und die Rückfrage nach Legitimationsgründen in bestimmten Gerechtigkeitsstrategien zu ermöglichen. Was heißt es, dass ein bestimmter Vorschlag zur Gerechtigkeit beiträgt oder aber die Gerechtigkeit beschädigt? Die Anwendung von Gesichtspunkten der Gerechtigkeit kann zwar von Theorie absehen, aber sie wird immer wieder die Frage nach besserer Ge-rech-tigkeit stellen. Diese fordert ihrerseits Kriterien und auch theoretische Fragestellungen.
Die am Graduiertenkolleg beteiligten Hochschullehrer(innen) haben in gemeinsamen Kolloquien die Problematik der Kriterienbildung für gerechte Verfahren umfassend diskutiert und als Grundlage herausgearbeitet, dass die Kriterien für gerechte Verfahren mit bestimmten chiff-rierten Menschenbildern zusammenhängen. Dieses Thema stellt eine wissen-schaft-lich weit-ge-hend vernachlässigte Problematik dar. Es ist ihnen bewußt, dass es den klassischen ‚homo oeconomicus‘ in der Realität der Lebenswelt nicht gibt, sondern dass er ein eindimensionales Kon-strukt darstellt, das allerdings sehr wirkungsvoll ist. Gerade von ethischer oder moral-theologischer Seite ist deshalb die Frage einzubringen, ob bestimmten Gerechtig-keitskonzeptionen und -kriterien eine Fundamentalanthropologie zugrunde liegt, die unter-schwellig legitimatorischen Charakter besitzt. Diese ist aufgrund ihrer jeweiligen Leitfunktion zusammen mit der Kriterienbildung herauszuarbeiten. Ferner ist zu prüfen, auf welcher Ebene eine kritische Sichtung fundamentalanthropologischer Prämissen ansetzen kann. Bei dieser methodologischen Reflexion werden Grundlegungsfragen der Ethik berührt. Eine konkrete Fragestellung, die man in dieser Hinsicht beleuchten kann, ist beispielsweise die Beur-teilung altruistischen Handelns. Bislang liegt bezeichnenderweise noch keine ver-gleichende, interdisziplinäre Betrachtung vor, wie die einzelnen Disziplinen aus metho-dologischer Perspektive zur Beantwortung von Fragen der Gerechtigkeit altruistische Verhaltensweisen verstehen. Um die eigene Sichtweise durch interdisziplinär aufgenommene Anregungen ergänzen zu können, müsste zum Beispiel grundlegend gefragt werden, ob der An-satz beim ‚homo oeconomicus‘ individuelle und kollektive Entscheidungen, die augen-scheinlich nur einem reinen Altruismus zugeordnet werden, nicht doch erfassen könnte – kurz: Ökonomie und Solidarität sich nicht widersprechen müssen.
Die Kriterienbildung kann sich nicht primär auf klassische tugendethische Vorstellungen beziehen, sondern berührt die sozialen, die sozialpolitischen sowie die politischen Diskurse und Probleme.
Kriterien der Gerechtigkeit – vor allem in der Sozialpolitik und der Ökonomie – verbinden sich mit Akzentuierungen nor-mativer Menschenbilder, die geschichtlich gewachsen und keineswegs – wie oft postuliert – allein auf rationaler und zu-gleich universaler Grundlage begründet werden können und deren universale Geltung deshalb zu prüfen ist. Von den ‚Warenkörben‘ der Sozialhilfe bis zu den Katalogen unbedingt zu erfüllender menschlicher Grundbedürfnisse werden fol-gen-reich oft nur umrisshafte Bilder von Mindestbedingungen menschlichen Lebens mit nationaler und internationaler So-zi-al-politik verbunden.
Mangelnde Analytizität läßt sich vor allem für politische Diskurse bzw. Propaganda nachweisen. Was bedeutet es, dass Veränderungen in der Steuergesetzgebung den Postulaten der Gerechtigkeit besser nachkommen sollen? Auch hier geht es um Kriterienbildung, die in der Regel nicht offengelegt wird, weil das Gerechtigkeitspostulat eher intuitiv oder sogar mani-pu-lativ eingeführt wird. Allgemein lässt sich feststellen, daß staatliche Eingriffe in das gesellschaftliche Handeln in der Regel Einschnitte in die Freiheit einzelner Bürger mit sich bringen. Auf der einen Seite ist zu erörtern, welche Eingriffe sozial ge-recht sein können. Auf der anderen Seite muss analysiert werden, wie dem Staat Regeln vorgegeben werden können, da-mit er eine einmal verfasste Gerechtigkeitsnorm nicht umgehen oder gar missbrauchen kann, vielmehr durchzusetzen hat. Es ist zu erwarten, dass verschiedene Ebenen staatlicher Tätigkeit (z. B. Rechtsstaat, Sozialstaat) andersartige Befugnisse bzw. Beschränkungen staatlicher Tätigkeit erfordern. Auf diesem Gebiet dominiert eine effizienz-orientierte For-schung. Das Graduiertenkolleg hingegen sollte den Gerech-tigkeits-aspekt zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung machen.
Das Problem der Kriterienbildung betrifft sowohl die nationale wie auch die internationale Problemebene. Bereits in natio-nalen Gesellschaften gibt es eine Fülle von Lebensformen und unterschiedlich gebündelten Bedürfnissen, die alle einen Anspruch auf Förderung bzw. Erfüllung erheben und dies mit dem Postulat der Gerechtigkeit legitimieren. Besonders pre-kär wird das angesichts von Fällen, in denen keine Tauschgerechtigkeit vorausgesetzt werden kann, etwa bei den Ansprü-chen Behinderter und anderer Gruppen, die von ökonomischer Aktivität weitgehend ausgeschlossen sind. Offenbar müs-sen Kriterien der Gerechtigkeit in diesen Fällen nicht vom potentiellen Tausch, sondern von der Menschenwürde her be-gründet werden. Von Interesse wäre beispielsweise, sich konkret mit staatlichen Regelungen zu Problemen Behinderter zu befassen. Die in der Ökonomie beheimatete – aber nicht rein ökonomisch begründbare – Theorie meritorischer Güter, die sich solcher Problemlagen angenommen hat (z. B. Allen Buchanan), müsste auf implizite Verteilungs- und Gerechtigkeits-normen untersucht werden. Die zu erwartende Aufdeckung dieser Normen sowie die Stützung der Meritorisierung seitens einer sozialethischen Konzeption wären für die interdisziplinäre Einschätzung dieses Konzepts, gerade auch für die Erfor-schung der Grenzen seiner Anwendbarkeit, von herausragender Bedeutung. Die Kriterienfrage knüpft auch an ein klassi-sches Problem vor allem der Christenheit an: Wie weit reicht die Caritas und wo beginnt die Gerechtigkeit? Hier sind auch in der christlichen Ethik erhebliche Verschiebungen zu konstatieren.
Schwieriger noch wird das auf der internationalen Ebene, auf der die kulturell definierten Menschenbilder weit auseinan-dergehen. (Das betrifft besonders die Rolle der Frau in unterschiedlichen Gesellschaften.) Sowohl die befreiungstheologi-sche „Option für die Armen“ als auch die ökumenischen Bemühungen um internationale Gerechtigkeit stellen die Frage nach Kriterien und deren Universalisierbarkeit. Da es hier eine erstaunliche Fülle von häufig ‚prophetisch’ gemeinten Äu-ßerungen gibt, ist eine analytische Untersuchung dringend erforderlich.
Die Frage der Kriterienbildung fällt in die kontroverse Debatte zwischen universalisierender Gerechtigkeitstheorie (Rawls: rationaler Vertrag) und auf Sphären begrenzten Gerechtig-keitskonzepten (Walzer). Von beiden Richtungen her muss erar-beitet werden, inwieweit Kriterien (welches Konkretionsgrades auch immer) überhaupt universalisierbar sind. In der Wirt-schaftswissenschaft wird seit geraumer Zeit neben den Überlegungen von Rawls auch auf andere Ansätze der Universali-sierung, beispielsweise den von Hayek eingegangen. Neuerdings haben Buchanan und Congelton den Universalisierungs-gedanken Hayeks, der für wirtschaftliche Tätigkeiten entwickelt wurde, auf politisch-ökonomische Zusammenhänge aus-gedehnt und spieltheoretisch für demokratisch verfasste Gesellschaften zu interpretieren versucht. Sowohl in methodologi-scher Sicht als auch hinsichtlich der Reichweite dieser Universalisierungsansätze ist weiterer Forschungsbedarf notwendig.

Zusammenfassung: Die beteiligten Hochschullehrer(innen) teilen die Auffassung, dass die Grund-lagendiskussion um die Gerechtigkeit bereits weit vorangetrieben worden, aber deren Kontrolle durch Analyse von Verfahrensgerechtigkeit und intuitiven Gerechtigkeitspostulaten vernachlässigt worden ist. Sie intendieren daher nicht die Begründung einer Supertheorie, sondern wollen, gleichsam durch verschiedene Fenster blickend, eine gemeinsame Perspek-tive entwickeln, in der die unterschiedlichen ‚Sprachen‘ der beteiligten Disziplinen kommu-nikabler werden. Daher ist methodologische Sorgfalt besonders wichtig. Zugleich wird zu prüfen sein, welche Art von Legitimation in Verfahren gesucht wird, wie sich Freiheit und Gerechtigkeit verhalten und wer in welchen sozialen Arrangements Verantwortung für eine anwendungsorientierte Gestaltung von Gerechtigkeit trägt.
[...]

V. Kontakt
Am Kolleg beteiligt sind die Hochschullehrer(in-nen)
– Prof. Dr. Cay Folkers, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft: Fi--nanz-wis-senschaft;
– Prof. Dr. Christofer Frey, Evangelisch-Theologische Fakultät: Sy-ste-matische Theo---logie – Ethik;
– Prof. Dr. Erich Geldbach, Evangelisch-Theologische Fakultät: Öku-me-nik und Kon-fes-sions-kunde;
– Prof. Dr. Traugott Jäh--nichen, Evangelisch-Theologische Fakultät: Christliche Gesell-schafts-lehre;
– Prof. Dr. Wim Kö-sters, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft: Volks-wirt-schaftslehre;
– Prof. Dr. Hans Kra-mer, Katholisch-Theologische Fakultät: Mo-raltheologie;
– Prof. Dr. Notburga Ott, Fakultät für Sozialwissenschaft: So-zi-al--politik und öffentliche Wirtschaft;
– Prof. Dr. Klaus F. Röhl, Juristische Fakultät: Rechts-so-zio--lo-gie und Rechts-philosophie;
– Prof. Dr. Joachim Wie-mey-er, Katholisch-Theologische Fakultät: Christ-li-che Gesellschafts-lehre.
Spre-cher des Kollegs ist Prof. Dr. Christofer Frey, Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, E-Mail: christofer.frey@ruhr-uni-bochum.de, Telefon: (0234) 32–22506, Tele-fax: (0234) 32–14483. Bei Rückfragen können Sie sich auch an Lars Klinnert, E-mail: lars.klinnert@ruhr-uni-bochum.de, Telefon: (0234) 32–24799 wenden.
Eine Home-page des Graduiertenkollegs (http://www.ruhr-uni-bochum.de/gerechtigkeit/) mit weiteren ausführlichen Informationen und aktuellen Hinweisen wird voraussichtlich Anfang Februar eingerichtet. Bis dahin sind die beteiligten Hochschul-leh-rer(innen) über die Seiten der Ruhr-Universität (http://www.ruhr-uni-bochum.de) im Internet erreichbar.
 

Wir würden uns über Ihre Bewerbung freuen und wünschen Ihnen dafür viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüßen,
 

i. A.
 
 
 

(Lars Klinnert)
 
 
 
 
 

27. Januar 2000: Ausschreibung der Stipendien

An der Ruhr-Universität Bochum wird ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Graduiertenkolleg "Kriterien der Gerechtigkeit in Ökonomie, Sozialpolitik und Sozialethik" eingerichtet, in dessen Rahmen zum 1. Mai 2000
5 Doktorandenstipendien zu vergeben sind. Die Laufzeit der Stipendien beträgt zunächst drei Jahre.

Ziel des Kollegs ist es, den Vermittlungsprozess zwischen Konzeptionen und praktischer Gestaltung der Gerechtigkeit analytisch aufzuarbeiten. Dabei sollen Verfahren, Prozesse, Institutionen und soziale Veränderungen betrachtet werden, in denen ein normativer Gerechtigkeitsanspruch besteht, um sie an den Traditionen des geschichtlichen und aktuellen Gerechtigkeitsdiskurses zu messen. Den Stipendiaten wird hierzu ein interdisziplinäres Studienprogramm angeboten. Am Kolleg beteiligt sind die Hochschullehrer(innen) Folkers (Finanzwissenschaft), Frey (Systematische Theologie / Ethik), Geldbach (Ökumenik und Konfessionskunde), Jähnichen (Christliche Gesellschaftslehre), Kösters (Volkswirtschaftslehre), Kramer (Moraltheologie), Ott (Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft), Röhl (Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie) und Wiemeyer (Christliche Gesellschaftslehre).

Voraussetzung für die Teilnahme ist ein qualifizierter Studienabschluss in den Fächern Evangelische Theologie, Katholische Theologie, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaft. Über die endgültige Zulassung wird nach einem Auswahlgespräch entschieden. Bewerbungen (mit Lebenslauf, Zeugniskopien, einem Exemplar der Abschlussarbeit sowie einem Exposé über die thematischen Absichten) sind bis zum 1. März 2000 an den Sprecher des Graduiertenkollegs zu richten. Dort sind auch weitere Inormationen erhältlich. Es wird darauf hingewiesen, dass außerdem 5 Doktorandenstipendien zum 1. November 2000 sowie 2 Postdoktorandenstipendien zum 1. Mai 2001 zu vergeben sein werden.

Sprecher: Prof. Dr. Christofer Frey, Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, E-Mail: christofer.frey@ruhr-uni-bochum.de, Telefon: (0234) 32­22506, Telefax: (0234) 32­14483.
 
 
 
 

27. Dezember 1999: Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum

Auf der Suche nach Kriterien für Gerechtigkeit -

RUB-Wissenschaftler erforschen emotionsgeladenen Begriff
 

- DFG genehmigte interdisziplinäres Graduiertenkolleg -

Bochumer Wissenschaftler wollen die schon 30 Jahre währende Diskussion des emotionsgeladenen Gerechtigkeitsbegriffs nun ein entscheidendes Stück vorantreiben: Zum Thema "Kriterien der Gerechtigkeit in Ökonomie, Sozialpolitik und Sozialethik" genehmigte die Deutsche Forschungsgemeinschaft einer Gruppe von RUB-Wissenschaftlern (Sprecher: Prof. Dr. Christofer Frey, Evangelisch-Theologische Fakultät) ein Graduiertenkolleg, das sie ab 1. Mai 2000 für mindestens sechs Jahre lang fördern wird. In ihm soll das Problem der Gerechtigkeit interdisziplinär behandelt werden: Aus juristischer, ökonomischer, sozialer und theologischer Sicht werden die Experten an einer Definition des Begriffs arbeiten. Dies wird der elfte Graduiertenkolleg an der RUB.

- Gerechtigkeit - bisher nur ein Gefühl -

Von einer "Gerechtigkeitslücke" ist dieser Tage in der öffentlichen Diskussion vielfach die Rede. Gerechtigkeit ist ein allgegenwärtiger und scheinbar viel diskutierter Begriff: Mittel sollen in der Gesellschaft gerecht verteilt werden, die Rechtssprechung soll ebenso gerecht sein wie die Steuergesetze. Zusätzliche Aktualität erhält das Thema durch die Globalisierung und den daraus folgenden Blick in die "Dritte Welt": Im Vergleich mit den Industrienationen sind diese Länder benachteiligt - eine Ungerechtigkeit. Was aber ist Gerechtigkeit eigentlich? In Diskussionen wird zwar oft ein allgemeingültiges Konzept von Gerechtigkeit stillschweigend vorausgesetzt; Moraltheologen, Ethiker, Juristen und Ökonomen müssen immer wieder feststellen, dass die Kriterien, nach denen Menschen Gerechtigkeit definieren, entweder gar nicht benannt werden können oder wenigstens sehr unklar bleiben. Prominente Ökonomen (Hayek) haben daher das Konzept der Gerechtigkeit längst als obskur abgestempelt. Dennoch hat jeder Mensch intuitiv ein Gerechtigkeitsempfinden, jeder weiß für sich, was sie ist und wie sie anzuwenden ist. Die Kriterien dafür sind häufig unausgesprochen und verborgen in Menschenbildern oder der Vorstellung eines guten, gelingenden Lebens. Nicht nur in der individuellen Moral treten sie zu Tage, sondern auch im öffentlichen Leben, z. B. in der sozialen Hilfe und gesellschaftlichen Ausgleichsprozessen.

- Auf der Suche nach Kriterien -

Die Bochumer Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, den schwierigen Vermittlungsprozess zwischen Konzeption und praktischer Gestaltung der Gerechtigkeit zu suchen und zu analysieren. Dazu wollen die Wissenschaftler besonders auf die Suche nach den Kriterien für den Gerechtigkeitsbegriff gehen, indem sie anwendungsorientierte Verfahren, Prozesse,
Institutionen und soziale Veränderungen, in denen ein normativer Gerechtigkeitsanspruch mitschwingt, beobachten.
Ihre Beobachtungen wollen sie dann an den Traditionen des geschichtlichen und neuen Gerechtigkeitsdiskurses messen.
Indem konventionelle Zuschreibungen an den Begriff korrigiert und präzisiert werden, soll schließlich ein konkreter Gerechtigkeitsbegriff entstehen.
 
 


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Erstellt am 20. Januar 2000.
Zuletzt aktualisiert am 27. Januar 2000.
Koordination: lars.klinnert@ruhr-uni-bochum.de