Aus: K.M.Meyer-Abich (Hg.): Physik, Philosophie
und Politik. Festschrift für Carl Friedrich von Weiz-
säcker zum 70. Geburtstag. München (Hanser)
1982, S. 168-177
Akkumuliert, akkumuliert, das ist Moses und die Propheten.
Karl Marx
Risiko, Wachstum und Fall der Profitrate
Michael Drieschner,
Integra-Lebensversicherung, München
Viele Diskussionen in dem inzwischen aufgelösten
»Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedin-
gungen der wissenschaftlich-technischen Welt« drehten
sich um Wirtschaftsfragen. Da das Institut interdiszipli-
när angelegt war, diskutierten dabei Fachleute und »Di-
lettanten«, jeder mit seinem eigenen fachlichen Hinter-
grund. Dieser Geburtstagsband gibt mir die Gelegenheit,
die damaligen Diskussionen fortzusetzen, die sich vor
allem an der Marx-Lektüre und an den Umweltproble-
men entzündet hatten.
Es ging dabei vor allem um die Fragen von Wachstum
und Gewinn, und wieweit beide (im kapitalistischen
System) unerläßlich sind. Als gelernter Physiker kann
ich zu einer solchen Diskussion vor allem mathematische
Modellüberlegungen beitragen hier speziell das Modell
des wahrscheinlichkeitstheoretischen Risikos.
Das Risiko des Unternehmers
Betrachten wir zunächst die Einstellung des einzelnen
Unternehmers zu Wachstum und Gewinn: Er wird sich
in jedem Fall unbehaglich fühlen, wenn er nur gerade
sein Unternehmen in Gang hält, ohne Gewinn (über sei-
nen Unternehmerlohn hinaus) und ohne Wachstum; denn
dann genügt eine geringe Verschlechterung der
wirtschaftlichen Situation, um das Unternehmen auf den
Weg zum Konkurs zu bringen. Da der Erfolg des Unter-
nehmens Schwankungen ausgesetzt ist, die seinem Ein-
fluß nicht unterliegen, braucht es ein gewisses »Polster«,
wenn nicht jeder Einbruch in der wirtschaftlichen Situa-
tion die Gefahr des Ruins bedeuten soll.
Um das genauer zu sagen, müssen wir die verschiede-
nen Begriffe unterscheiden: Wachstum, z. B. des Um-
satzes, kann für sich allein nicht beruhigen, wenn es
nicht auch Gewinn für das Unternehmen bringt. Ande-
rerseits kann auch der Gewinn nicht in jedem Fall das
Unternehmen stabilisieren jedenfalls dann nicht, wenn
er laufend entnommen wird. Wir wollen also hier, im
Zusammenhang mit dem Risiko, den Gewinn betrachten,
soweit er Zuwachs des Vermögens eines Unternehmens
ist, der zum Ausgleich von Verlusten verwendet werden
kann (also der, nach obigem Motto, akkumulierte
Gewinn).
Schumpeter plädiert für die Notwendigkeit von Ge-
winn mit dem Argument, zusätzlich zum Arbeitslohn des
Unternehmers müsse der Gewinn eine Prämie für das
Risiko enthalten. Darin steckt einerseits das psycho-
logische Moment, daß Risiko meistens als etwas Unan-
genehmes angesehen wird, zu dem man durch die Aus-
sicht auf Belohnung verlockt werden muß. Diese psy-
chologische Beschreibung hat aber ein reales Funda-
ment; denn der Unternehmer braucht ein durchschnitt-
liches Wachstum seines Vermögens, das es ihm erst er-
möglicht, die normalen Gewinnschwankungen auszu-
gleichen. Diese etwas vagen Andeutungen wollen wir
im folgenden präzisieren.
Ein quantitatives Modell des Unternehmerrisikos:
Das Versicherungsunternehmen
Das wirtschaftliche Risiko eines Unternehmens abzu-
schätzen bedeutet, Voraussagen über Ereignisse zu ma-
chen, die den wirtschaftlichen Erfolg beeinflussen. Die
einzige Möglichkeit empirisch prüfbarer Voraussagen
sind Wahrscheinlichkeitsaussagen (vgl. Drieschner
1979). Wahrscheinlichkeitsuntersuchungen über wirt-
schaftlichen Erfolg sind das klassische Feld der Versi-
cherungsmathematik. Ein Versicherungsunternehmen
hat mit allen anderen Unternehmen gemeinsam, daß
sein Erfolg (jedenfalls unter anderem) von äußeren Fak-
toren abhängt, auf die es selbst keinen Einfluß hat, und
die es allenfalls mit Wahrscheinlichkeit voraussagen
kann. Das Besondere an einem Versicherungsunter-
nehmen ist die explizite Betrachtung dieser äußeren
Faktoren bzw. ihrer Wahrscheinlichkeit in der versiche-
rungstechnischen Kalkulation. Dabei wird streng ge-
trennt zwischen äußeren Einflüssen, die in die versiche-
rungsmathematische Betrachtung als feste Wahrschein-
lichkeiten eingehen, und den Einflüssen aus dem eige-
nen Betrieb. Diese letzteren gehen in die Tarife nur als
pauschale Zuschläge ein, sie sind eher Gegenstand der
unternehmerischen Entscheidung als der objektiven
Prognose. Daß aber gerade in der Versicherung der Be-
reich der »äußeren« Einflüsse abgetrennt und für sich
prognostiziert werden kann, macht die Betrachtung die-
ses Falls als Modell für alle anderen interessant. Zur
isolierten Betrachtung des Unternehmensrisikos aus
äußeren Einflüssen eignen sich also versicherungstech-
nische Methoden ganz besonders. Die Kosten eines Un-
ternehmens treten dabei als »Schäden« in der Versiche-
rung auf, die Erträge als »Prämieneinnahmen« und das
2
2

xm
e
2
2
''
2
2 ( / ) ( / )/( / )
'


xm
x a m a a
ee
2
0,05 '
2
0,2
0,001


x
e
Vermögen versicherungstechnisch als ein »Schwan-
kungsfonds«.
Die voraussichtlichen Schäden eines Versicherungs-
zweigs lassen sich z. B. nach vergangenen Schäden oder
aus allgemeinen Erfahrungen abschätzen. Die
Prämieneinnahmen müssen so hoch sein, daß sie die
erwarteten Schäden ausgleichen können, zusätzlich zu
den Kosten des Versicherungsbetriebs. Nehmen wir an,
die Prämien würden tatsächlich die durchschnittlichen
Schäden gerade ausgleichen, aber die Versicherung hätte
keinen Schwankungsfonds. Dann müßte sie schon beim
ersten größeren Schadensfall Konkurs anmelden; denn
die Prämien, die diesen Schaden auf die Dauer
ausgleichen würden, sind dann noch nicht eingenommen.
Das Versicherungsunternehmen braucht also auf jeden
Fall einen Schwankungsfonds, aus dem es größere
Schäden zunächst bezahlen kann. Auf die Dauer wird
dieser Fonds dann aus den Prämieneinnahmen wieder
aufgefüllt. Die Höhe des vorhandenen Fonds wird immer
um seinen mittleren Wert herum schwanken. Wenn der
anfängliche Betrag groß genug ist, wird er mit großer
Wahrscheinlichkeit alle Schwankungen der Schäden
ausgleichen können.
Prinzipiell wird aber der gesamte Schaden größer sein
können als jeder noch so große Schwankungsfonds, z. B.
wenn sich Schäden über Jahre hinweg ansammeln. Das
Versicherungsunternehmen kann zwar den einzelnen
Schaden vertraglich begrenzen, im allgemeinen aber
nicht den Gesamtschaden. In einem Unternehmen
anderer Art können die Verluste beliebig hoch werden,
solange das Unternehmen überhaupt tätig ist. Statistisch
ist eine Schwankung zwar um so unwahrscheinlicher, je
weiter sie vom Mittelwert abweicht; aber auf die Dauer
wird jeder noch so hohe Verlust irgendwann einmal
eintreten. Mit anderen Worten: Mit Sicherheit werden
irgendwann die Verluste so groß, daß der
Schwankungsfonds (samt eventuellen Bankkrediten etc.)
aufgezehrt wird; der Ruin des Unternehmens tritt also
mit Sicherheit irgendwann ein dies alles unter der
Voraussetzung, daß die Prämien (Einnahmen) gerade die
durchschnittlichen Schäden (Ausgaben) decken.
Wie ist es aber nun im Fall der Akkumulation von
Gewinnen, also in der aus Unternehmersicht komfor-
tableren Situation?
Eine Formel der Risikotheorie
Die kollektive Risikotheorie liefert für die Wahrschein-
lichkeit des Ruins eines Versicherungsunternehmens
eine schöne Formel (vgl. Wolff 1970), die zu studieren
sich lohnt: Nehmen wir an, ein solches Unternehmen
habe einen Schwankungsfonds von x DM, und dieser
wachse jedes Jahr um denselben Betrag m DM. Nehmen
wir außerdem an, die Schäden schwankten nach Art der
Brownschen Bewegung mit einer mittleren
Schwankung σ DM. Wir betrachten also die Schäden
nach Höhe und Häufigkeit als ganz zufällig, nur
spezifiziert durch die Angabe der mittleren
Schwankung. Die Formel gibt dann die
Wahrscheinlichkeit dafür an, daß irgendwann der Ruin
des Unternehmens eintritt. Diese
Ruinwahrscheinlichkeit ψ ist:
Die Gleichung enthält zunächst die obigen Ergebnisse:
Wenn der Schwankungsfonds x = 0 ist, oder wenn der
jährliche Zuwachs m = 0 ist, dann ist die Ruin-Wahr-
scheinlichkeit ψ = 1, d. h. der Ruin tritt mit Sicherheit
irgendwann ein. Dagegen kann die
Ruinwahrscheinlichkeit niemals Null sein (außer im
Grenzfall verschwindender Schwankung, σ = 0): Der
Ruin des Unternehmens ist immer möglich. Wenn ein
Schwankungsfonds vorhanden ist, der regelmäßig
wächst (d. h. x > 0 und m > 0), dann gibt es eine positive
Wahrscheinlichkeit, daß der Ruin des Unternehmens
überhaupt nie eintritt, nämlich die Wahrscheinlichkeit l
ψ.
Die Formel wird vielleicht etwas besser verständlich,
wenn man alle Werte auf die Größe des Unternehmens
bezieht, etwa den Jahresumsatz a. Dann gilt:
Die „gestrichenen“ Größen x', m' und σ' sind hier der
Schwankungsfonds, sein jährlicher Zuwachs und die
mittlere Schwankung, alle bezogen auf den Jahresumsatz
a des Unternehmens; m' wäre dann also direkt der
»Sicherheitszuschlag« in Prozent, der auf die Prämien
erhoben wird.
Betrachten wir ein Beispiel:
Kann ein Versicherungsunternehmen eine mittlere
Schwankung der Jahresschäden von σ’ = ± 20% voraus-
sagen und sind die Prämien mit m' = 5% Sicherheitszu-
schlag kalkuliert, wie groß muß dann der Schwankungs-
fonds sein, damit die Ruinwahrscheinlichkeit unter ein
Promille liegt?
Die Bedingungen bedeuten:
d.h.
x '> 0,4 ln 1000 2,8.
Der Schwankungsfonds muß also mindestens das
2,8-fache des Jahresumsatzes betragen.
2
' 3,3
2
0,2
0,001


m
e
Wegen der exponentiellen Abhängigkeit kann man die
Ruinwahrscheinlichkeit relativ stark beeinflussen: An
der mittleren Schwankung der Schäden wird man nichts
ändern können, wohl aber an den anderen beiden
Größen: Eine Verdopplung des Schwankungsfonds oder
eine Verdopplung des Risikozuschlags würde die Ruin-
wahrscheinlichkeit schon von ein Tausendstel auf ein
Millionstel reduzieren; umgekehrt wird bei einem Ab-
sinken des Risikozuschlags auf ein Fünftel des Aus-
gangswerts (im Beispiel auf 1%) die Ruinwahrschein-
lichkeit statt 1 Promille bereits 25 Prozent betragen!
Die Einstellung des Gleichgewichts
Wir haben das Versicherungsunternehmen als Modell
herangezogen, weil sich dort die äußeren Einflüsse
explizit abgetrennt darstellen lassen. Die Überlegungen
sind aber so allgemein, daß man sie leicht auf andere
Unternehmen übertragen kann: Das Kapital jedes
Unternehmens schwankt im Wechselspiel von
Einnahmen und Ausgaben »statistisch«, so daß wir es als
Brownsche Bewegung darstellen können mehr war für
die Anwendbarkeit der Risiko-Formel nicht
vorausgesetzt.
Kein Unternehmer wird seine Ruinwahrscheinlichkeit
explizit ausrechnen und seinen Wünschen gemäß ein-
stellen können. Das braucht er auch nicht, denn in einem
Konkurrenzsystem wird sich ein Gleichgewichtsgewinn
(m') von selbst einstellen: Wählt ein Unternehmen seinen
Risikozuschlag, d.h. seinen mittleren Gewinn, zu gering,
dann wird die Ruinwahrscheinlichkeit zu groß: das
Unternehmen wird bald verschwinden. Wählt es dagegen
den Risikozuschlag zu hoch, dann wird ein
Konkurrenzunternehmen ceteris paribus auch bei
niedrigeren Preisen noch eine ordentliche
Überlebenschance haben, also das erstere vom Markt
verdrängen. Der tatsächliche Gewinn vergleichbarer
(d.h. auch, wie wir unten sehen werden, etwa gleich
großer) Unternehmen wird sich daher so einpendeln, daß
die Ruinwahrscheinlichkeit niedrig genug ist, daß
Unternehmen sich überhaupt am Markt etablieren kön-
nen aber wegen der Konkurrenz wird er auch nicht
wesentlich höher werden können.
Hierbei ist die Akkumulation des Gewinns vorausge-
setzt. Sie ist aus den genannten Gründen und nach der
angegebenen Formel ein ehernes Gesetz des Kapitalis-
mus: Entnimmt ein Unternehmer mehr Gewinn als an-
dere entzieht ihn also seinem Schwankungsfonds ,
dann wird er sich nicht lange halten können; denn der
erzielbare Gewinn hatte sich gerade so eingependelt, daß
seine Akkumulation das Schwankungsrisiko tragbar
macht. Es werden also bald alle Kapitalisten
akkumulieren, weil diejenigen, die das nicht wollen oder
können, aus dem Kreis der Kapitalisten verschwinden.
Alle diese Erwägungen gelten »ceteris paribus«, also
z. B. ohne Rücksicht auf Erweiterungs- oder Innovati-
ons-Investitionen, die natürlich auch die Überlebens-
higkeit eines Unternehmens stärken können.
Wachstum und Konzentration
Bisher haben wir den Einfluß des (akkumulierten) Ge-
winns m auf das Risiko betrachtet, bei festgehaltenem
Vermögen (»Schwankungsfonds«) x und fester
Schwankung σ. Betrachten wir nun umgekehrt ver-
schiedene Versicherungen, die sich nur durch die Höhe
des Schwankungsfonds x unterscheiden. Offensichtlich
ist die Ruinwahrscheinlichkeit um so geringer, je höher
der Schwankungsfonds ist der bekannte
Wettbewerbsvorteil kapitalkräftiger Unternehmen.
Nun wächst, nach unserer Grundannahme, der
Schwankungsfonds x jährlich um den Betrag m, in alle
Zukunft. Das bedeutet, das Unternehmen müßte sich in
alle Zukunft an die angenommene Vermögensentwick-
lung halten, wenn die berechnete Wahrscheinlichkeit
stimmen soll. Für obiges Beispiel heißt das: der
Schwankungsfonds x muß in alle Zukunft jährlich um
5% des (konstant angenommenen) Umsatzes wachsen.
Angenommen aber, wir ermitteln nach 10 Jahren neu,
wie man die Ruinwahrscheinlichkeit von 1‰ erreichen
kann. Der Schwankungsfonds ist inzwischen auf x =
2,8a + 0,5a = 3,3a gewachsen, die Ungleichung heißt
also jetzt:
d.h.
m' > 4,2%.
Nach der neuen Berechnung ist dieselbe Ruinwahr-
scheinlichkeit mit einer geringeren Akkumulationsrate
m' zu erreichen. Und das setzt sich fort: Auch mit der
niedrigeren Rate wächst x' weiter an, so daß man m'
immer niedriger ansetzen kann und doch bei derselben
Ruinwahrscheinlichkeit bleibt. Widerspricht dies nicht
der ursprünglichen Voraussetzung, daß m in alle Zukunft
gleich bleibt?
C. F. von Weizsäcker hat ähnliche Paradoxien, vor al-
lem in der Quantenmechanik, geklärt, indem er den
Voraussagecharakter der Wahrscheinlichkeit betrachte-
te. Das Muster dazu liefert sein Aufsatz von 1939 über
den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Wenn man
die zeitliche Struktur der Wahrscheinlichkeitsaussagen
in Betracht zieht, verschwinden undurchdringlich schei-
nende Paradoxien wie Nebel in der Morgensonne nicht
2
2

xm
a
e
2
22
2
2
2
2
( ) ,


xm
aa
e

nur in der Quantenmechanik, sondern z. B. auch in der
Risiko-Theorie. Das Argument ist folgendes:
Die ursprüngliche Wahrscheinlichkeit bezieht sich auf
eine Voraussage für alle dann bestehenden Unterneh-
men, ein statistisches Ensemble. Da die
Ruinwahrscheinlichkeit positiv ist, werden in einem
Ensemble gleicher Modellunternehmen jedes Jahr einige
verschwinden, und zwar gemäß der obigen Formel am
Anfang mehr, später mit wachsendem Kapital-«Polster«
immer weniger. Das heißt, die anfänglich hohe Ruin-
wahrscheinlichkeit wird (als Prognose) durch die zuerst
verschwindenden Unternehmen erfüllt; die übriggeblie-
benen Unternehmen können dann also durchaus eine
niedrigere Ruinwahrscheinlichkeit haben oder dieselbe
Ruinwahrscheinlichkeit bei einem niedrigeren als dem
ursprünglich notwendigen Gewinn erreichen. Die An-
nahme einer konstanten Akkumulationsrate m' bezieht
sich also auf das Ensemble der zur Zeit der Prognose
bestehenden Unternehmen, die Möglichkeit abnehmen-
der Akkumulationsraten m auf die jeweils übriggeblie-
benen Unternehmen.
Aus unserer Formel läßt sich außerdem ableiten, daß
nicht nur ein größeres Vermögen (Schwankungsfonds)
das Risiko vermindert, sondern auch ein größerer
Geschäftsumfang, bei unverändertem relativem Gewinn
und Vermögen.
Betrachten wir z. B. zwei Gesellschaften mit genau
gleichen Kenngrößen x, m, σ und a. Die Ruinwahr-
scheinlichkeit ist für jede Gesellschaft:
Legen wir nun die beiden Gesellschaften zusammen!
Die neue Gesellschaft hat einen Schwankungsfonds 2x
mit jährlichem Zuwachs 2m; bei der mittleren Schwan-
kung addieren sich die Quadrate, d. h. das neue mittlere
Schwankungsquadrat ist 2σ
2
. Die Ruinwahrscheinlich-
keit der neuen Gesellschaft ist also
d. h., wenn die Ruinwahrscheinlichkeit einer Gesell-
schaft ursprünglich z. B. 1% war, dann ist sie nach der
Fusion mit einer ebensolchen Gesellschaft nur noch
0,01%. Dasselbe würde für eine Gesellschaft gelten, die
ceteris paribus ihren Geschäftsumfang (z. B. den
Umsatz) verdoppelt.
Der Trend zu größeren Einheiten ist also unaufhaltsam:
Nicht nur weil die öffentliche Hand leichter zu
Stützungsaktionen zu bewegen ist, wenn mehr Arbeits-
plätze auf dem Spiel stehen, sondern auch weil ein grö-
ßeres Unternehmen bei sonst gleichen Verhältnissen die
Risiken besser ausgleichen kann, dadurch bessere Über-
lebenschancen hat und sich daher, nach Darwin, besser
durchsetzen wird.
Der tendenzielle Fall der Profitrate
Der »tendenzielle Fall der Profitrate« ergibt sich bei
Marx aus der Veränderung der Zusammensetzung des
Kapitals: Mit der Akkumulation der Gewinne nimmt der
Anteil der Arbeit am eingesetzten Aufwand ab. Da aber
der Gewinn nach Marx nur aus der Mehrarbeit stammt,
nimmt dieser Gewinn im Verhältnis zum Gesamtauf-
wand die Profitrate gleichermaßen ab. Nach der
Risikotheorie wird man einen Fall der Profitrate
ebenfalls vorhersagen, und zwar wiederum wegen der
Akkumulation der Gewinne wenn auch auf Grund
eines anderen Mechanismus: Denn die Erhöhung des
Schwankungsfonds durch die Akkumulation der Ge-
winne trägt zur Verringerung der Ruinwahrscheinlichkeit
bei. Die Verringerung der Ruinwahrscheinlichkeit be-
wirkt dann aber, nach den obigen Überlegungen zum
Gleichgewicht, eine Verringerung der Profitrate. Denn
wenn die Unternehmen eine Weile Gewinne akkumuliert
haben, so daß allgemein ihr Schwankungsfonds größer
geworden ist, dann wird sich die notwendige
Überlebenswahrscheinlichkeit mit einer geringeren
Profitrate m erzielen lassen, und im Konkurrenzsystem
wird sich diese geringere Profitrate auch einstellen. Auf
diese Weise wird verständlich, daß es in einer älteren
Wirtschaft immer schwieriger für ein neugegründetes
kleineres Unternehmen wird, sich gegen die
»etablierten« zu behaupten.
Natürlich greifen die vorausgegangenen Überlegungen
nur einen einzigen Gesichtspunkt heraus: den äußeren
Einfluß statistischer Schwankungen. Zinsen, Inflation,
technischer Fortschritt, Massenproduktion,
Organisationsprobleme um nur einige weitere
Gesichtspunkte zu nennen sind nicht berücksichtigt.
Um so überraschender ist es, daß man allein aus der
Betrachtung der Schwankungen nach der einfachen
Ruinformel bereits einen so deutlichen Aufschluß über
die Tendenzen der Unternehmensentwicklung gewinnen
kann.
Literatur
M. Drieschner: Voraussage Wahrscheinlichkeit Objekt.
Heidelberg 1979.
C F. von Weizsäcker: Der zweite Hauptsatz und der Un-
terschied von Vergangenheit und Zukunft (1939). In: Die
Einheit der Natur. München 1971 S. 172182.
K.-H. Wolff: Versicherungsmathematik. Wien 1970.