Wegen  der  exponentiellen  Abhängigkeit  kann  man  die 
Ruinwahrscheinlichkeit  relativ  stark  beeinflussen:  An 
der mittleren Schwankung der Schäden wird man nichts 
ändern  können,  wohl  aber  an  den  anderen  beiden 
Größen: Eine Verdopplung des Schwankungsfonds oder 
eine Verdopplung des Risikozuschlags würde die Ruin-
wahrscheinlichkeit  schon  von  ein  Tausendstel  auf  ein 
Millionstel  reduzieren;  umgekehrt  wird  bei  einem  Ab-
sinken  des  Risikozuschlags  auf  ein  Fünftel  des  Aus-
gangswerts  (im  Beispiel  auf  1%)  die  Ruinwahrschein-
lichkeit statt 1 Promille bereits 25 Prozent betragen! 
 
 
Die Einstellung des Gleichgewichts 
Wir  haben  das  Versicherungsunternehmen  als  Modell 
herangezogen,  weil  sich  dort  die  äußeren  Einflüsse 
explizit abgetrennt darstellen lassen. Die  Überlegungen 
sind  aber  so  allgemein,  daß  man  sie  leicht  auf  andere 
Unternehmen  übertragen  kann:  Das  Kapital  jedes 
Unternehmens  schwankt  im  Wechselspiel  von 
Einnahmen und Ausgaben »statistisch«, so daß wir es als 
Brownsche Bewegung darstellen können – mehr war für 
die  Anwendbarkeit  der  Risiko-Formel  nicht 
vorausgesetzt. 
Kein Unternehmer wird seine Ruinwahrscheinlichkeit 
explizit  ausrechnen  und  seinen  Wünschen  gemäß  ein-
stellen können. Das braucht er auch nicht, denn in einem 
Konkurrenzsystem wird sich ein Gleichgewichtsgewinn 
(m') von selbst einstellen: Wählt ein Unternehmen seinen 
Risikozuschlag, d.h. seinen mittleren Gewinn, zu gering, 
dann  wird  die  Ruinwahrscheinlichkeit  zu  groß:  das 
Unternehmen wird bald verschwinden. Wählt es dagegen 
den  Risikozuschlag  zu  hoch,  dann  wird  ein 
Konkurrenzunternehmen  –  ceteris  paribus  –  auch  bei 
niedrigeren  Preisen  noch  eine  ordentliche 
Überlebenschance  haben,  also  das  erstere  vom  Markt 
verdrängen.  Der  tatsächliche  Gewinn  vergleichbarer 
(d.h.  auch,  wie  wir  unten  sehen  werden,  etwa  gleich 
großer) Unternehmen wird sich daher so einpendeln, daß 
die  Ruinwahrscheinlichkeit  niedrig  genug  ist,  daß 
Unternehmen sich  überhaupt  am  Markt etablieren kön-
nen  –  aber  wegen  der  Konkurrenz  wird  er  auch  nicht 
wesentlich höher werden können. 
Hierbei ist die Akkumulation des Gewinns vorausge-
setzt. Sie ist aus den genannten Gründen und nach der 
angegebenen Formel ein ehernes Gesetz des Kapitalis-
mus: Entnimmt ein Unternehmer mehr Gewinn als an-
dere  –  entzieht  ihn  also  seinem  Schwankungsfonds  –, 
dann wird er sich nicht lange halten können; denn der 
erzielbare Gewinn hatte sich gerade so eingependelt, daß 
seine  Akkumulation  das  Schwankungsrisiko  tragbar 
macht.    Es     werden   also    bald    alle  Kapitalisten 
akkumulieren, weil diejenigen, die das nicht wollen oder 
können, aus dem Kreis der Kapitalisten verschwinden. 
Alle diese Erwägungen gelten »ceteris paribus«, also 
z.  B.  ohne  Rücksicht auf  Erweiterungs- oder  Innovati-
ons-Investitionen,  die  natürlich  auch  die  Überlebensfä-
higkeit eines Unternehmens stärken können. 
 
Wachstum und Konzentration 
Bisher haben  wir  den Einfluß  des (akkumulierten) Ge-
winns  m  auf  das  Risiko  betrachtet,  bei  festgehaltenem 
Vermögen  (»Schwankungsfonds«)  x  und  fester 
Schwankung  σ.  Betrachten  wir  nun  umgekehrt  ver-
schiedene Versicherungen, die sich nur durch die Höhe 
des  Schwankungsfonds  x  unterscheiden.  Offensichtlich 
ist die Ruinwahrscheinlichkeit um so geringer, je höher 
der  Schwankungsfonds  ist  –  der  bekannte 
Wettbewerbsvorteil kapitalkräftiger Unternehmen. 
Nun  wächst,  nach  unserer  Grundannahme,  der 
Schwankungsfonds x jährlich um den Betrag m, in alle 
Zukunft. Das bedeutet, das Unternehmen müßte sich in 
alle  Zukunft  an  die  angenommene  Vermögensentwick-
lung  halten,  wenn  die  berechnete  Wahrscheinlichkeit 
stimmen  soll.  Für  obiges  Beispiel  heißt  das:  der 
Schwankungsfonds  x  muß  in  alle  Zukunft  jährlich  um 
5% des (konstant angenommenen) Umsatzes wachsen. 
Angenommen aber, wir ermitteln nach 10 Jahren neu, 
wie man die Ruinwahrscheinlichkeit  von  1‰ erreichen 
kann.  Der  Schwankungsfonds  ist  inzwischen  auf    x  = 
2,8a  +  0,5a  =  3,3a  gewachsen,  die  Ungleichung  heißt 
also jetzt: 
 
 
d.h. 
m' > 4,2%. 
Nach  der  neuen  Berechnung  ist  dieselbe  Ruinwahr-
scheinlichkeit  mit  einer  geringeren  Akkumulationsrate 
m'  zu  erreichen. Und das setzt  sich  fort: Auch mit der 
niedrigeren  Rate  wächst  x'  weiter  an,  so  daß  man  m'
 
immer niedriger ansetzen kann und  doch  bei derselben 
Ruinwahrscheinlichkeit  bleibt.  Widerspricht  dies  nicht 
der ursprünglichen Voraussetzung, daß m in alle Zukunft 
gleich bleibt? 
C. F. von Weizsäcker hat ähnliche Paradoxien, vor al-
lem  in  der  Quantenmechanik,  geklärt,  indem  er  den 
Voraussagecharakter  der  Wahrscheinlichkeit  betrachte-
te. Das Muster dazu liefert sein Aufsatz von 1939 über 
den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Wenn man 
die  zeitliche  Struktur  der  Wahrscheinlichkeitsaussagen 
in Betracht zieht, verschwinden undurchdringlich schei-
nende Paradoxien wie Nebel in der Morgensonne – nicht