Überarbeitete Fassung des Aufsatzes in: T. Fischer, R. Seising (Hg.): Wissenschaft und Öffentlichkeit. Frank-
furt/M. (Lang) 1996, S. 173-198.
Die Verantwortung der Wissenschaft
Ein Rückblick auf das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen
der wissenschaftlich technischen Welt.
M.Drieschner
Dieses mit der Person Carl Friedrich von Weizsäckers untrennbar verbundene Max-
Planck-Institut war schon zu den Zeiten, als es noch arbeitete, eine Legende in der Öffent-
lichkeit. Davon hat sich bis heute die Nachricht gehalten, daß mit der Schließung dieses
Instituts (oder genauer, der Weizsäckerschen Abteilung) zum 30.6.1980 ein hoffnungsvol-
ler Ansatz der Wissenschaft, ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen, von außen abge-
würgt worden sei. - Richtig ist daran, daß tatsächlich die Max-Planck-Gesellschaft mit der
Emeritierung Weizsäckers seine Abteilung geschlossen hat, gegen den Wunsch aller am
Institut Tätigen einschließlich Weizsäckers; und daß zu diesem Entschluß fraglos auch
beigetragen hat, daß der Mehrheit der maßgeblichen Leute in der Max-Planck-Gesellschaft
das, was in dem Institut gemacht worden war, überwiegend nicht gefallen hat. Bei näherem
Hinsehen wird man aber auch feststellen, daß die Sache im Detail viel komplizierter und
verwickelter war, und daß die großen Fragen der Verantwortung der Wissenschaft von
dem Institut auch nicht gelöst worden wären, wenn es weiterbestanden hätte.
Die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft ist auch heute nicht weniger brisant
als Ende der 60er Jahre, aus deren Diskussion dieses Institut entstand. Da sich mit seiner
Tätigkeit und vor allem seinem Ende die eher romantische Vorstellung verbindet, daß sein
Erfolg nur von außen verhindert worden sei, kann ein Rückblick auf die Geschichte dieses
Instituts sicher auch dazu dienen, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten einer derartigen
Unternehmung etwas nüchterner abzuschätzen.
Den Ursprung des Gedankens an ein solches Institut muß man an das Ende des Jahres 1938
datieren, als Otto Hahn die Möglichkeit entdeckte, daß Atomkerne sich spalten konnten
und dabei Energie freisetzen. Carl Friedrich von Weizsäcker, der als einer der ersten von
diesen Experimenten erfuhr, sah sofort die ungeheuren Möglichkeiten, die eine technische
Anwendung dieser Entdeckung bieten könnte, und zugleich - der baldige Ausbruch des
Zweiten Weltkriegs war voraussehbar - die ungeheuren Gefahren, die darin steckten, daß
man diesen Prozeß zum Bau von Bomben von bis dahin ungeahnter Explosivkraft verwen-
den konnte.
Carl Friedrich von Weizsäcker war, aufgrund seiner Mitarbeit an der Entwicklung der
Atomkern-Physik und Kerntechnik, zutiefst davon überzeugt, daß Wissenschaftler die
Verantwortung für die Folgen ihrer Entdeckungen zu übernehmen hätten. An die Öffent-
lichkeit trat Weizsäcker mit dieser Überzeugung weithin sichtbar im Jahr 1957 in der „Göt-
tinger Erklärung“ von 18 bekannten Physik-Professoren, in der sie die Politik der Bundes-
regierung kritisierten. Franz Josef Strauß war kurz zuvor Verteidigungsminister geworden
und strebte offensichtlich energisch eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr an. Bun-
deskanzler Adenauer unterstützte diese Tendenz und verteidigte seine Unterstützung öf-
fentlich damit, daß ja Atomwaffen nur die konsequente Fortsetzung der Artillerie seien.
Das gab den Anstoß dazu, daß sich die genannten 18 Fachleute auf diesem Gebiet zusam-
mentaten und eine Erklärung veröffentlichten, in der sie nicht nur über die Gefährlichkeit
von Atomwaffen und ihre unvergleichlich große Wirkung aufklärten und aus politischen
Gründen von einer Bewaffnung der Bundeswehr mit solchen Waffen abrieten, sondern in
der sie auch persönlich erklärten: „Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichneten bereit, sich
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an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise
zu beteiligen.“ - Weizsäcker hatte diese Erklärung sehr sorgfältig formuliert (in der diplo-
matischen Tradition, in der er aufgewachsen war), und der Teil mit der persönlichen Ver-
pflichtung war ihm daran besonders wichtig. Er schildert das sehr eindringlich in seiner
„Selbstdarstellung“1
Aus der Zusammenarbeit dieser 18 entstand im Anschluß an die Göttinger Erklärung die
„Vereinigung deutscher Wissenschaftler“ (VDW), in der die Naturwissenschaftler ihre
politische Verantwortung dadurch wahrnehmen wollten, daß sie fachlich unbestreitbare
Studien lieferten zu Themen, die politisch kontrovers diskutiert wurden, ähnlich wie die
Aufklärung über die unvergleichliche Wirkung von Atomwaffen in der Göttinger Erklä-
rung. Im Jahre 1961 trat die VDW mit einer solchen Studie an die Öffentlichkeit: Die Bun-
desregierung hatte ein Gesetz über den Bau von Luftschutzräumen vorgeschlagen, mit ei-
ner technischen Begründung. Die VDW ließ von einer Kommission aus Mitgliedern und
Mitarbeitern in einjähriger Arbeit ein Gegengutachten „Ziviler Bevölkerungsschutz heute“
anfertigen. Aufgrund dieses Gegengutachtens mußte die Bundesregierung ihre Vorschläge
sehr weitgehend modifizieren. Im Max-Planck-Institut kursierte später die Geschichte, daß
in der Regierungsvorlage auch ausgerechnet worden sei, wie heiß es in einem Bunker mit
sehr dicken Betonwänden in unmittelbarer Nähe der Explosion einer Atombombe werden
könne. Die Regierungsvorlage hatte den Anstieg der Temperatur für 24 Stunden nach der
Explosion berechnet und befunden, daß die Temperaturen durchaus erträglich sein würden;
die VDW-Kommission brach die Rechnung nicht nach 24 Stunden ab, sondern rechnete
weiter und stellte fest, daß im Verlauf von einigen Tagen die Temperatur so angestiegen
sein würde, daß alle Bunkerinsassen durchgegart wären. - Schnitzer dieser Art sind natür-
lich für ein Gegengutachten ein gefundenes Fressen.
Die VDW erreichte daraufhin, daß eine Stiftung eine kleine Arbeitsgruppe finanzierte, die
nach allen Regeln der naturwissenschaftlichen Kunst die Folgen eines Atomkriegs für die
Bundesrepublik in Abhängigkeit von den verschiedensten Modellen für den Verlauf eines
solchen Krieges untersuchte. Dafür wurde eine „Forschungsstelle der VDW“ in Hamburg
eingerichtet, unter Leitung von Horst Afheldt und unter der Oberaufsicht von Carl Fried-
rich von Weizsäcker. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind in der umfangreichen Studie
„Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“2 im Jahre 1971 veröffentlicht worden.
Zwei Mitarbeiter dieser Forschungsstelle, Jürgen Heinrichs und Otto Kreye, koordinierten
außerdem eine Studie auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich dem „Welternährungspro-
blem“, wie das damals hieß.3 Dieses Problem war nicht allzu lange Zeit vorher, nach der
Vollendung der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien, ins Bewußtsein der Öffentlich-
keit getreten. Der Vorspann zu dem Buch beginnt: „Der Hunger ist heute das Weltproblem
Nummer eins. Jahr für Jahr verhungern allein 3.500.000 Kinder in den sog. „Entwicklungs-
ländern“.“ - Außerdem trat um diese Zeit, Ende der sechziger Jahre, gerade das Problem
der Umweltzerstörung ins Bewußtsein: zunächst vor allem Lärm und Abgase von Autos in
den Städten und Zerstörung der Struktur durch den Versuch, die Städte „autogerecht“ zu
machen. Dazu kam dann die Vergiftung von Wasser und Luft durch Abfälle und Pestizide.
Auch zu diesen Problemen bereitete die VDW eine Studie vor.
In der Forschungsstelle der VDW in Hamburg arbeiteten inzwischen fünf Wissenschaftler
und eine Sekretärin, finanziert nur jeweils von Jahr zu Jahr durch Stiftungsmittel der Os-
kar-Mahr-Stiftung. Es war klar, daß in dieser Weise niemand auf Dauer würde arbeiten
1
Abgedruckt in: Der Garten des Menschlichen, München (Hanser) 1977, S.553-597.
2
C.v.Weizsäcker (Hg.): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung, München (Hanser) 1971.
3
Vereinigung deutscher Wissenschaftler (Hg.): Welternährungskrise oder ist eine Hungerkatastrophe
unausweichlich?, Hamburg (Rowohlt) 1968, rororo aktuell.
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können, und daß daher die Arbeit der Forschungsstelle, wenn sie überhaupt weitergehen
sollte, auf eine neue finanzielle Basis gestellt werden mußte.
Inzwischen kamen aber auch von anderer Seite Vorschläge zur Gründung eines Instituts,
das sich mit „Futurologie“, „Planungswissenschaft“, „Technology Assessment“, „Friedens-
forschung“ u.ä. beschäftigen sollte. Man muß sich einmal die öffentliche Diskussion Ende
der 60er Jahre vor Augen führen: Die Studentenrevolte erregte Aufsehen - so etwa die
Demonstrationen beim Besuch des persischen Schahs, bei denen am 2. Juni 1967 in Berlin
der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. In den USA beschäftigte der Streit über
den Vietnamkrieg die Menschen, der auch die europäische Studentenrevolte ausgelöst hat-
te, und zugleich die ersten Veröffentlichungen der großen „Think Tanks“, politischer Pla-
nungs- und Vorhersageinstitutionen, die mit großem Aufwand versuchten, die Zukunft in
den Griff zu kriegen. Hermann Kahn, einer der Großen dieser Branche, hatte gerade mit
seinem Buch „Ihr werdet es erleben“ in Deutschland Furore gemacht, in dem er den unauf-
haltsamen Fortschritt zu einer paradiesischen Welt voraussagte - kurz darauf brach die
Umweltdiskussion los und machte die Kahnschen Thesen zu Makulatur. Zu derselben Zeit
schien sich im Ost-West-Konflikt eine Entspannung anzubahnen, seit 1967 insbesondere
im „Prager Frühling“; die Hoffnung auf diese Lockerung wurde aber jäh zunichte gemacht
durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei im Au-
gust 1968.
In dieser Situation gab es viele Pläne für Planungsinstitute - vor allem wohl inspiriert von
der Hoffnung, die Zukunft durch Prognose und Planung technologisch in den Griff zu be-
kommen. Daß derartige Pläne auch an Weizsäcker herangetragen wurden, lag nahe, einer-
seits wegen seiner Rolle als geistiger Vaterfigur des bundesrepublikanischen Deutschland,
andererseits wegen seiner Fähigkeit, verschiedene weit entfernte Gedankenstränge zusam-
menzuführen, vor allem aus Naturwissenschaft, Politik und Philosophie, und wegen seiner
vorliegenden Erfahrung mit der kleinen Forschungsstelle der VDW. Unter anderem plante
der damalige Generalsekretär der Max-Planck-Gesellschaft, Friedrich Schneider, ein Insti-
tut, das die Wissenschaftspolitik und die Politikberatung durch die Wissenschaft theore-
tisch fundieren sollte, und schlug Weizsäcker vor, sich dieser Pläne anzunehmen.
Es ist einleuchtend, daß ein Max-Planck-Institut Weizsäcker besonders verlockend er-
schien. Er kannte ja Max-Planck-Institute aus eigener jahrelanger Mitarbeit sehr gut und
hat selbst öfter betont, wie sehr er die Vorteile eines solchen Instituts zu schätzen wußte.
Es war und ist bis heute die Politik der Max-Planck-Gesellschaft, ein neues Institut um
einen „verdienten Gelehrten“ herum zu gründen, so daß dieser die Möglichkeit hat, seine
Forschungen mit von ihm ausgewählten Mitarbeitern ganz unabhängig nach seinem Gut-
dünken auszuführen. Die Max-Planck-Gesellschaft wählt die Gelehrten, denen sie in dieser
Weise ein Institut anvertraut, besonders sorgfältig aus, gibt ihnen dann aber vollkommene
Freiheit und alle einigermaßen erschwinglichen Möglichkeiten an die Hand, wirklich un-
behindert und effektiv zu forschen - angefangen von der genügenden Anzahl von Wissen-
schaftlerstellen über Bibliotheks- und Hilfskräfte, angemessene Gebäude und wo nötig
Werkstätten, bis hin zum Wagen mit Chauffeur für den Direktor. Der Direktor ist dann in
seinen Entschlüssen beinahe unangreifbar, solange er tätig ist, dafür wird aber - jedenfalls
nach der Selbstinterpretation der Max-Planck-Gesellschaft - beim Weggang eines Direk-
tors sehr sorgfältig geprüft, ob das Institut unter einem Nachfolger genau so oder in ähnli-
cher Weise weitergeführt werden kann, oder ob es eher geschlossen werden sollte.
Die Überlegungen zu einem solchen Institut, das um Weizsäcker herum gegründet werden
sollte, schlugen sich in öffentlichen Äußerungen nieder, lange bevor der konkrete Plan der
Institutsgründung öffentlich bekannt war. Von Georg Picht, Weizsäckers Jugendfreund
und Weggefährte, der selbst eine „Forschungsstelle der evangelischen Studiengemein-
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schaft“ in Heidelberg leitete, erschien 1967 ein Büchlein „Prognose - Utopie - Planung“;
Weizsäcker hielt 1968 vor dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft einen Vortrag
„Über die Kunst der Prognose“.4
Gründung
Unter diesem Aspekt der Prognose und Planung war die Gründung des Instituts dann in der
Max-Planck-Gesellschaft sehr umstritten. In Ihrem Entscheidungsgremium, dem Senat,
sitzen traditionsgemäß neben wissenschaftlichen Mitgliedern der Max-Planck-Gesellschaft
etwa in gleicher Anzahl auch Vertreter „der Wirtschaft“, also Vorstände und Aufsichtsräte
großer Unternehmen, und einige wenige Vertreter der staatlichen Verwaltung. Unter den
Wirtschaftsvertretern waren es vor allem die Fürsten der chemischen Industrie, Carl Wur-
ster von der BASF und Karl Wienacker von Höchst, die von einem solchen Institut Ein-
flüsse auf die Politik fürchteten, die ihren Interessen zuwiderlaufen könnten. - Von dem
späteren Institut hätten sie in dieser Richtung nichts zu befürchten brauchen, aber es ist
anzunehmen, daß sie, hätten sie gewußt wie das Institut wirklich würde, es ebenso sehr
abgelehnt hätten.
Weizsäcker wollte sich in seinen Vorschlägen für die Institutsgründung möglichst viel
Freiheit vorbehalten, da er selbst noch keine genauen Vorstellungen davon hatte, wie das
Institut schließlich aussehen sollte. Die Fortführung der Arbeiten aus der Forschungsstelle
der VDW waren natürlich geplant, im übrigen dachte er einerseits an Politikberatung -
wobei ihn allerdings die Wissenschaftspolitik am wenigsten interessierte -, daneben auch
an sehr prinzipielle Analysen von Politik mit Einschluß vor allem von Ökonomie, aber
auch Soziologie, Psychologie und einer „historischen Anthropologie“, wie er sie später im
„Gartenbuch“5 ausgeführt hat. Daneben wollte er auf jeden Fall, als „Bedingung für sein
eigenes Überleben“, wie er es nannte, seine Arbeit an den Grundlagen der Physik bzw. an
der „philosophischen Physik“ weiterführen. Weizsäcker hatte wohl, von seiner Natur und
seiner gewohnten Arbeitsweise her, von vornherein im Sinn, sich mit diesen Themen vor
allem selbst zu beschäftigen und darüber zu schreiben. Im Institut wollte er sich, neben
einem „Apparat“, der ihm die technische Seite der Arbeit erleichtern würde, auf Ge-
sprächspartner stützen, von denen er im Gespräch Informationen und Meinungen über
Themen einholen konnte, mit denen er sich gerade beschäftigte. So entsprach es ja auch
der ursprünglichen Konzeption der Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Institute, die um
den jeweiligen Direktor herum errichtet wurden. So war auch dieses Institut von Anfang an
sehr stark auf die Person Weizsäckers zugeschnitten worden; schon vor der Gründung
wurde ausdrücklich die Möglichkeit diskutiert, das Institut wieder zu schließen, wenn für
Weizsäcker kein geeigneter Nachfolger gefunden würde.
Weizsäcker wollte zunächst mit 15 wissenschaftlichen Mitarbeitern eine „mehrjährige Pla-
nungsphase“ durchlaufen, nach der das Institut dann ausgeweitet werden sollte auf bis zu
60 wissenschaftliche Mitarbeiter. Diese anfänglichen 15 Mitarbeiter standen beinahe alle
schon aus Hamburg bereit: Von der Forschungsstelle der VDW zunächst deren Leiter
Horst Afheldt - nach Alter und Stellung zwischen Weizsäcker und der Schar der 30- bis
35-jährigen übrigen Mitarbeiter. Er brachte seine Mitarbeiter Utz Reich, Philipp Sonntag,
Otto Kreye und Jürgen Heinrichs mit. Dazu kamen aus dem philosophischen Seminar Ger-
not Böhme, Wolfgang Krohn, Wolfgang van den Daele, Klaus Michael Meyer-Abich,
4
Georg Picht: Prognose, Utopie, Planung. Stuttgart (Klett) 1967; abgedruckt in ders.: Wahrheit, Ver-
nunft, Verantwortung. Stuttgart (Klett) 1969, S. 373-407. - C.F.v.Weizsäcker: Über die Kunst der Pro-
gnose. Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Privatdruck 1968. abgedruckt in ders.: Der ungesi-
cherte Friede. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1969, S. 57-76.
5
C.F.v.Weizsäcker: Der Garten des Menschlichen. München (Hanser) 1977 (Taschenbuchausgabe: Fi-
scher-tb 6543)
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Walter Schindler, Folker Fröbel und Michael Drieschner, außerdem gleich zu Anfang Wal-
ter Bonhoeffer und etwas später die beiden Physiker Lutz Castell und Kai Drühl.
Ein entscheidender Aspekt schon in der Gründungsphase war der Einfluß der linken Stu-
dentenbewegung. Die Mehrheit der Mitarbeiter am philosophischen Seminar in Hamburg
zählte sich selbstverständlich zur Linken und bekämpfte das Establishment. Weizsäcker
hatte die studentischen Angriffe an der Universität relativ gut überstanden, wenn man be-
denkt, daß er doch ein herausragender Repräsentant des so bekämpften professoralen Esta-
blishments war. Ich erinnere mich an die Sitzung eines „Tribunals“ von aufmüpfigen Stu-
denten, das öffentlich speziell über Weizsäckers Verhalten zu Gericht sitzen wollte und ihn
dazu eingeladen hatte. Er erschien tatsächlich zu der Sitzung und schlug sich diplomatisch
sehr geschickt gegen die studentischen Tribunalisten, die ihm in diesem Punkt nicht ge-
wachsen waren, und dies vor einem Publikum, das halb und halb mit ihm sympathisierte.
Aber man merkte ihm die ungeheure Anstrengung an, die ihn diese Diplomatie kostete,
angesichts des ganz und gar undiplomatischen, betont ruppigen Benehmens der übrigen
Diskussionsteilnehmer, das ihm angesichts seiner eigenen Umgangsformen und Gewohn-
heiten sichtbar zuwider und strapaziös war. Ähnliches - vielleicht nicht ganz so extrem -
hat sich später in Diskussionen innerhalb des Instituts zugetragen, mit ähnlichem Effekt:
Weizsäcker war meistens der diplomatisch Geschicktere, aber sichtlich angestrengt und
angewidert. Dabei war ihm die Kritik, die die linken Studenten an den bestehenden Ver-
hältnissen äußerten, durchaus einleuchtend. Er schreibt, daß sie seinen Vorbehalten, die er
seit jeher gegen die bestehenden Verhältnisse gehabt hätte, durchaus entsprach; nur war
ihm der Stil natürlich sehr konträr, und gegen die von den Linken erhoffte und propagierte
Lösung der Probleme war er mindestens so skeptisch wie gegen die der konservativen Ge-
genseite.
Einige dieser Linken kamen also mit ans Institut. Weizsäcker hatte zwar diese Stimme des
Zeitgeistes aus dem Chor der Stimmen seines Instituts keinesfalls ausschließen wollen, er
wurde aber dann wohl von der Entwicklung überrollt, als diese linken Stimmen das Institut
sehr stark bestimmten.
Das Institut war bei der Gründung sehr auf Weizsäcker zugeschnitten gedacht, es wurden
aber auch Kooperationen mit verschiedenen anderen relativ etablierten Gelehrten erwogen.
Daß sie nicht zustande kamen, lag vielleicht zum Teil an dem Einfluß der linken Mitarbei-
ter, der schon vor der Gründung sehr sichtbar wurde; es lag aber sicher mindestens ebenso
sehr an Weizsäckers persönlichem Schwergewicht, dem sich keiner der gleichaltrigen und
einigermaßen gleichgewichtigen Kooperationspartner aussetzen wollte. Es war z.B. zu-
nächst daran gedacht, das neue Institut in Heidelberg zu gründen, da dann eine relativ enge
Zusammenarbeit mit Georg Picht und seinem ähnlich konstruierten Institut möglich gewe-
sen wäre. Picht hat sich in diesem Sinne zunächst an den Vorgesprächen beteiligt, war
dann aber Ende 1968 plötzlich nicht mehr daran interessiert.
Da außerdem der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Butenandt, Interesse daran geäu-
ßert hatte, Weizsäcker in der Nähe seiner Münchner Generalverwaltung zu haben, lag es
nahe, das Institut in der Nähe von München anzusiedeln - nicht in München selber, da für
Weizsäcker die Ruhe auf dem Land und die Möglichkeit zu Spaziergängen wichtig war.
Unter diesem Gesichtspunkt wurde in Starnberg die im Jahr 1903 von dem Jugendstil-
Architekten Richard Riemerschmid für den eigenen Gebrauch gebaute Villa gemietet. Sie
stand auf einem Bergvorsprung hoch über dem Städtchen Starnberg und war bis dahin eine
romantische Ritterburg in einem verzwickten Stilgemisch gewesen, mit einem dicken
Turm, dessen oberstes Zimmer mit Fernblick über die Alpenkette sich sehr gut als Zimmer
des Direktors geeignet hätte. Leider war es kurz vorher an einen Baulöwen verkauft wor-
den, der es zwar nicht abreißen durfte, der es aber durch den Umbau in ein Wohnhaus so
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zurichtete, daß die alte Ritterburg-Romantik nicht mehr zu erkennen war. Immerhin, es bot
eine ruhige Arbeitsatmosphäre und zunächst auch genügend Platz für das ganze Institut;
und ein bißchen spiegelte die erhabene Position des Hauses auch das Bewußtsein der Mit-
arbeiter.
Ich schildere diese Äußerlichkeiten, da sie alle zusammen schließlich den Erfolg oder
Mißerfolg des Unternehmens „Verantwortung der Wissenschaft“ ausmachen. Ein solches
Institut, da mögen die Pläne noch so systematisch und von hehren Motiven begleitet sein,
ist ein konkretes Gebilde mit ganz konkreten Mitarbeitern mit eigenen Schwächen und
Stärken und einer ganz konkreten Umgebung, von der natürlich auch die Arbeit abhängt.
„Planungsphase“
Schon vor der offiziellen Gründung des Instituts am 1.1.1970 begannen wir mit großem
Enthusiasmus und ebenso großer Naivität, seine künftige Arbeit zu planen. An diesem In-
stitut sollte nun alles anders sein als in der bisher üblichen Wissenschaft, besser natürlich.
Gedacht war daran, in mehreren Einzelprojekten jeweils ein akutes Thema zu behandeln,
so wie z.B. in der Forschungsstelle das Problem der Kernwaffen und das der „Ernährungs-
katastrophe“ angegangen worden war. Diese Projekte sollten um einen relativ kleinen Kern
aus Philosophen herumgruppiert sein, der zugleich die einzelnen praktisch orientierten
Projekte in einen allgemeineren Zusammenhang einordnen sollte. Nach Weizsäcker sollte
zunächst die Hauptfrage sein: „Wonach muß man eigentlich sinnvollerweise fragen?“6,
oder die Frage nach dem „umgreifenden Zusammenhang der Fragen“7.
An Projekten bot sich zunächst die Fortsetzung des in der Forschungsstelle schon Begon-
nenen an, nämlich 1. die Fertigstellung der schon weit fortgeschrittenen, vor allem von
Afheldt, Reich und Sonntag verantworteten Studie
„Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“;
2. die Fortsetzung der Untersuchungen der „Ökonomie der Entwicklungsländer“ durch
Kreye und Heinrichs, zu denen sehr bald Fröbel stieß; 3. eine Studie zum „World Order
Models Project“ des World Law Fund, dessen europäische Gruppe Weizsäcker mit Afheldt
leitete; der erste Arbeitsbericht nennt 4. die Mitarbeit in einer OECD-Kommission über
„New Ideas in Science Policy“ und 5. die Mitarbeit an einer Beratung der Bundesregierung
„Förderung der Friedensforschung der Bundesrepublik“. Die beiden letzteren gehörten zur
Politikberatung über Wissenschafts- und Technikförderung, zu der Weizsäcker immer
wieder aufgefordert wurde. Er hatte vorgesehen, daß Krohn und van den Daele ihn in die-
ser Arbeit unterstützen sollten; zu der so gebildeten Arbeitsgruppe stieß später Böhme hin-
zu.
Zu diesen übernommenen Projekten sollte dann ein weiteres im großen Gebiet der Um-
weltprobleme kommen, um dessen Formulierung sich Meyer-Abich und Bonhoeffer küm-
mern sollten. Der Gruppe der Philosophen gehörten Schindler und zunächst Böhme, au-
ßerdem Drieschner als Physiker an. Sehr bald spielte die „Physikergruppe“, ergänzt um
Castell und Drühl, eine relative Sonderrolle neben dem übrigen Institut. Um den Zusam-
menhang der reinen Theoretiker mit den praxisorientierten Projekten zu fördern, sollte je-
der dieser Theoretiker etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit einem der an praktischen Proble-
men orientierten Projekten widmen. Auf diese Weise kam Böhmes Verbindung mit Wis-
senschaftspolitik zustande, Schindlers praktische Tätigkeit bestand zunächst darin, daß er
als persönlicher Referent Weizsäcker unterstützte, während ich mich an der Arbeit der
Umweltgruppe beteiligte; ich hatte schon vor Gründung des Instituts und auch noch in sei-
ner Anfangszeit kritische Gutachten zum erwartbaren Fluglärm durch den damals geplan-
ten neuen Flughafen Hamburg-Kaltenkirchen erstellt. Im ersten Tätigkeitsbericht an die
Max-Planck-Gesellschaft vom Juni 1971 sind außerdem zwei weitere Gruppen genannt, an
6
SZ-Interview 1970
7
Arbeitsbericht Juni 1970 an die MPG.
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die ich mich ohne die Lektüre dieses Berichts kaum erinnert hätte: nämlich - dort nach
„Umwelt“ und „Entwicklungsländer“ als dritte genannt - eine Arbeitsgruppe zum grup-
penpsychologischen Thema „Konfliktlösung durch Kompromiß“, in Zusammenarbeit mit
dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie; das hing offenbar mit den beiden Psychoanalyti-
kern zusammen, Bartning und Zacharias, die in der Anfangszeit als Gäste am Institut wa-
ren. Als vierte Gruppe wird eine genannt, die soziale Selbstbestimmung an Beispielen stu-
dieren wollte; als Beispiel sind tansanische Dorfgemeinschaften genannt, - das Thema
sollte eine Verbindung zur Entwicklungsländer-Gruppe herstellen. Das war wohl nur ein
Gedanke, der gerade bei der Abfassung des Berichts akut war; später tauchte er nicht mehr
auf.
Für diese Anfangszeit war überhaupt charakteristisch die Flut von neuen Gedanken und
mehr oder weniger verrückten Ideen, die teils schnell wieder verschwanden, wie die Sache
mit dem tansanischen Dorf, teils schließlich zu jahrelanger Projektarbeit führten. Meine
Erinnerung an die ersten ein bis zwei Jahre des Instituts ist vor allem geprägt vom Ein-
druck eines ungeheuren Chaos, das einerseits sehr anregend war, andererseits aber beinahe
unerträglich anstrengend in der Konzentration auf die mögliche Entscheidung, was nun zu
verfolgen sei und was nicht. Keiner von uns tatendurstigen jüngeren Mitarbeitern hatte ja
die geringste Erfahrung darin, wie man so etwas angeht und wie man es gar praktikabel
macht, und auch Weizsäcker war nach Temperament und Erfahrung nicht der Mann, der
einen solchen Wespenschwarm von losgelassenen Enthusiasten zu bändigen vermochte
hätte. Dabei standen uns eigentlich alle Möglichkeiten offen; die Max-Planck-Gesellschaft
war bereit, für einige Zeit jedenfalls, praktisch alles zu finanzieren, was von Weizsäcker
gutgeheißen würde. Und Weizsäcker selbst war bereit - teils aus Unfähigkeit, die Dinge in
die Hand zu nehmen, teils aus liberaler Experimentierfreude - praktisch alles, was sein
enthusiastisches Gefolge da aushecken würde, auch zu decken.
Charakteristisch für die Atmosphäre, in der in diesen Sitzungen diskutiert wurde, war mir
vor allem ein Vorschlag von Utz Reich, der sich gar nicht auf die wissenschaftlichen Inhal-
te bezog: Man solle doch alle Gehälter in einen großen Topf werfen und dann gleichmäßig
an alle Mitarbeiter neu verteilen, differenziert höchstens nach Bedarf z.B. entsprechend der
Zahl der Kinder oder der sonst unterstützten Personen. Reich hat diesen Vorschlag wohl
durchaus ernst gemeint; jedenfalls hat Weizsäcker ihn ernst genommen und in einer länge-
ren Rede dargelegt, warum er sich wohl kaum an einer solchen Teilung beteiligen könnte,
zumal er wohl der hauptsächliche Zahler bei diesem Projekt wäre. Es war aber unabhängig
davon sofort klar, daß so weit die Freundschaft auf gar keinen Fall gehen würde: Es wur-
den zwar sehr eifrig Fragen des Zusammenwirkens erörtert: neben den Möglichkeiten der
interdisziplinären Zusammenarbeit an den Projekten auch Fragen der sozialen Gerechtig-
keit, der Mitbeteiligung aller an der Wissenschaft oder wenigstens an der Verwaltung des
Instituts. Aber das geschah doch alles in der für ein wissenschaftliches Institut wohl allein
möglichen spielerischen Weise, bei der von vornherein klar ist, daß das Privatleben im
weitesten Sinn die Sache des einzelnen Wissenschaftlers bleibt - abgesehen natürlich von
freundschaftlichen Kontakten auch unter den Mitarbeitern des Instituts -, und daß das Zu-
sammenwirken sich auf die theoretische Erörterung im Institut beschränken mußte. Außer-
dem zeigten sich sehr schnell die praktisch unüberwindlichen Probleme der interdiszi-
plinären Forschung; doch davon wird später die Rede sein müssen.
Die Konsequenzen dieser anregend-chaotischen Diskussionen machten sich bei der Pla-
nung der künftigen Wissenschaft nicht sofort konkret bemerkbar, dagegen wurden sie so-
fort sichtbar bei der Verwaltung des Instituts. Es fing damit an, daß gemäß den Partizipati-
ons-Idealen der 68er bei der Institutsverwaltung jeder für alles zuständig sein sollte. Die
Mitarbeiter der Bibliothek, die Sekretärinnen und übrigen nichtwissenschaftlichen Mitar-
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beiter zogen sich sehr bald aus den entsprechenden Plenumssitzungen zurück, da ohnehin
nur die Wissenschaftler redeten, während die übrigen wohl mit nüchternerem Realitätssinn
sahen, daß das zu nichts führen konnte. - Selbst die eifrigsten Theoretiker der Partizipation
sahen dann recht bald, daß so selbst ein Institut, das eigentlich ganz anders sein sollte als
alle bisherigen, nicht zu verwalten war. In vielen Diskussionen, die selbst nicht weniger
mühsam waren als die Diskussionen über das wissenschaftliche Programm, schälte sich im
Laufe der Zeit dann eine Institutssatzung heraus, die immer noch viele Elemente der Mit-
bestimmung enthielt, aber im übrigen dann doch ein solides Stück Organisationsarbeit
zeigte. Bis es soweit war, vergingen allerdings mehrere Jahre, und man kann an dieser
Entwicklung den Weg von einer allgemeinen Anarchie zu einem gesetzlichen Zustand ver-
folgen, wie er als Modell auch in philosophischen Geschichtsentwürfen vorkommt.
Die Anarchie dieser Institutsarbeit hat durchaus auch praktische Probleme mit sich ge-
bracht, z.B. bei der Arbeitszeit: Zu schöpferischer wissenschaftlicher Arbeit im Sinne der
Forderung der 68er gehörte natürlich auch die freie Wahl von Ort und Zeit für die Arbeit.
Es haben einige zu Hause gearbeitet, andere auch im Institut, aber davon einige wieder
vorwiegend nachts und am Wochenende - Wissenschaftler natürlich; die nichtwissen-
schaftlichen Mitarbeiter waren selbstverständlich an die üblichen Arbeitszeiten gebunden.
Da die Ausflugsgebiete um München am Wochenende normalerweise überfüllt waren,
arbeiteten viele Wissenschaftler am Wochenende und nahmen sich dafür während der Wo-
che frei. Das führte dazu, daß z.B. am Mittwoch früh um acht eine Gruppe fröhlicher Frei-
zeitmenschen mit großem Hallo zum Skifahren aufbrach, während die gewöhnlichen
Sterblichen gerade mit ihrer ohnehin nicht besonders geliebten Arbeit beginnen mußten -
ein unhaltbarer Zustand, wie alle Beteiligten sehr schnell einsehen mußten.
Die kleine Szene scheint mir ganz charakteristisch für die fröhliche Unbefangenheit und
zugleich höchst gefährliche Naivität, mit der diese junge Mannschaft an das Geschäft der
Weltveränderung heranging.
Abteilung Habermas
Schon bei der Gründung des Instituts war von den verschiedensten Seiten die Notwendig-
keit einer Ergänzung durch zusätzlichen Sachverstand empfunden worden, insbesondere
aus den Gebieten der Ökonomie und Soziologie. Ein Soziologe, der geeignet schien und
evtl. auch verfügbar sein würde, war Albrecht Wellmer, damals noch Assistent bei Haber-
mas. Auf einer Rundreise zur Erkundung dieser und ähnlicher Möglichkeiten kam Meyer-
Abich ins Gespräch mit Habermas, der seinen Wunsch betonte, weiter mit Wellmer zu-
sammenzuarbeiten. Dadurch kam es zu dem Gedanken: „Wenn schon Wellmer, warum
nicht gleich Habermas?“. Habermas, daraufhin befragt, willigte überraschenderweise ein -
nach unserem Eindruck vor allem deshalb, weil er den ewigen Streit mit seinen linken Stu-
denten in Frankfurt leid war und eine Zeit lang in Ruhe arbeiten wollte. Da er nur als
gleichrangiger Direktor neben Weizsäcker eingestellt werden konnte, wurde ihm auch die-
selbe Arbeitsmöglichkeit zugestanden, mit derselben Anzahl von Stellen wie Weizsäcker,
d.h. unter anderem 15 Wissenschaftler.
Habermas begann seine Arbeit am Institut mit seinen Mitarbeitern am 1.9.1971. Das Insti-
tut war damit doppelt so groß geworden.
Weizsäcker hatte praktisch nur nach „linken“ Soziologen gesucht, da ihm das - sicher mit
Recht - der einzige Typ von Soziologen schien, der von seinen bisherigen Mitarbeitern
akzeptiert werden würde. Daß Habermas außerdem Philosoph war, erwies sich als ein ein-
zigartiger Glücksfall für die Zusammenarbeit im Institut, auch wenn sie anders und we-
sentlich spärlicher zustande kam als erhofft.
Erst als Habermas schon da war und intensivere Gespräche über das Arbeitsprogramm
begannen, stellte sich heraus, daß die beiden Gruppen am Institut über die Ziele und Ar-
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beitsweise des Instituts vollkommen gegensätzliche Ansichten hatten: Weizsäcker war mit
seiner Gruppe angetreten, um endlich mit der Hilfe von wissenschaftlichem Sachverstand
die großen in der Politik relevanten praktischen Probleme unserer modernen Welt anzuge-
hen. Wir interpretierten unseren Schritt von der Universität in das Institut fundamental als
einen Schritt von der Theorie zur Praxis. Habermas dagegen hatte seine Lehrtätigkeit an
der Universität mit den ständigen Auseinandersetzungen mit den Studenten als irritierend
praxisnah empfunden und wollte nun an dem Institut endlich in Ruhe an den großen Theo-
rien arbeiten. Seine Mitarbeiter hatten den Eindruck gewonnen, daß ihre politische Aktivi-
tät keinen befriedigenden Erfolg gebracht hatte, und wollten ihre politische Effektivität
dadurch verbessern, daß sie in dem Max-Planck-Institut nun ein „Theoriedefizit“ ausglei-
chen würden. - Auf diesen fundamentalen Auffassungsunterschied läßt sich sicher ein gro-
ßer Teil der Konflikte, die teils heilsam, teils auch nur ermüdend waren, zurückführen.
Habermas merkte natürlich sofort, daß die Juristen, Philosophen und Physiker um Weizsä-
cker bei den gesellschaftswissenschaftlichen Themen, denen sie sich im Institut zuwand-
ten, nur dilettieren konnten, und verabscheute das Unhandwerkliche ihrer Arbeitsweise.
Als - schon einige Jahre später - von einigen Wohlmeinenden die „Beförderung“ einer
Sekretärin auf eine Bibliotheksstelle vorgeschlagen wurde, entfuhr Habermas der Stoß-
seufzer: „Nun laßt doch wenigstens einen Menschen einmal das arbeiten, was er gelernt
hat!“.
Anders als die einen eher lässigen Schreib- und Arbeitsstil gewohnten Physiker und Ma-
thematiker hielt Habermas viel von handwerklicher Sorgfalt beim Schreiben. Ein Natur-
wissenschaftler kann es sich erlauben, im Stil und Aufbau seines Textes eher schlampig zu
sein, weil die Formeln, an denen er sich festhalten kann, die Exaktheit des Arguments ge-
währleisten. Ein Soziologe, zumal wenn er eher geisteswissenschaftlich arbeitet und au-
ßerdem eine sehr umstrittene - eben die marxistische - Richtung vertritt, hat allen Anlaß,
auf die handwerkliche Sorgfalt bei der Textgestaltung, bei der Recherche und bei den An-
merkungen größten Wert zu legen. Habermas wurde so zum wachen Gewissen des ganzen
Instituts, was die Sorgfalt der wissenschaftlichen Arbeit angeht.
Die Habermas-Gruppe („die Habermäuse“) brachten den fertigen Plan dreier Arbeitsberei-
che mit, die später mit den folgenden Stichworten charakterisiert wurden: 1. „Krisenpoten-
tiale spätkapitalistischer Gesellschaften“ - eine vorwiegend ökonomische Untersuchung,
die zeigen sollte, daß die kapitalistische Wirtschaft auf Krisen zusteuert, die sie nicht be-
wältigen kann; die Gruppe sagte mit als erste die steigende Arbeitslosigkeit voraus, unter
der wir bis heute leiden. 2. „Krisenbehandlung durch den Staat“ - mit der Erwartung, daß
die Studie ergeben würde, daß der Staat die kapitalistischen Krisen nicht würde beherr-
schen können. Und 3. „Protest- und Rückzugspotentiale von Jugendlichen“ - eine psycho-
logische und sozialpsychologische empirische Studie über Jugendliche mit der Untersu-
chung von moralischen Motivationen, im Gefolge vor allem von Kohlberg. An diese Stu-
die von Rainer Döbert und Gertrud Nunner-Winkler war das „Design“ interessant, nicht
auf leicht formalisierbare Fragebögen zum Ankreuzen zurückzugreifen, sondern sehr we-
nig formalisierte längere Interviews nachträglich auszuwerten. - Ich war an diesen Projekt-
arbeiten nur sehr entfernt beteiligt, es hat daher wenig Sinn, daß ich mich inhaltlich weiter
dazu äußere. Daneben gab es aber, wenn auch nur selten und kurzfristig, philosophische
Kolloquien, die für mich viel von dem Frust der übrigen Institutsarbeit kompensierten.
Hier wurde vielleicht der interdisziplinäre Ansatz des Instituts am fruchtbarsten, wo es sich
im Prinzip um Diskussionen innerhalb einer Disziplin handelte, aber zwischen Richtungen,
die so verschieden waren, daß sie im normalen Wissenschaftsbetrieb auch der Philosophie
wohl kaum in so intensive Diskussionen geraten wären. Weizsäcker, im Grunde seines
Herzens naturwissenschaftlich orientiert, aber umfassend orientiert in der Philosophiege-
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schichte und der geistigen Tradition, mit Erfahrung und einem gewissen Ehrgeiz in Diplo-
matie und Politik; Habermas auf der anderen Seite, vor allem moralisch orientierter Mar-
xist, im Grunde seines Herzens Philosoph in der Tradition des deutschen Idealismus, So-
ziologe der Frankfurter Schule und die Politik vor allem theoretisch betrachtend. Beide
gingen mit großem Respekt füreinander auf die jeweils andere, sehr fremde Position ein
und versuchten auf das intensivste, sich jeweils in eigenen Worten die Position des Ande-
ren klar zu machen, unterstützt von Mitarbeitern, die überwiegend auch ein wenig in der
anderen Denkweise beheimatet waren.
Abgesehen von diesen intensiven und auch sehr fruchtbaren Verständigungsbemühungen
war es doch offensichtlich, wie gegensätzlich ihre Temperamente waren. Soziologen aus
der Umgebung von Habermas charakterisierten den Unterschied so, daß Habermas eben
eher ein Kleinbürger sei - peinlich auf die Beachtung der Regeln bedacht, eher ängstlich
gegenüber der Verwaltung; während Weizsäcker im Gegensatz dazu eher ein Großbürger
sei, souverän und diplomatisch gegenüber den Verwaltungsbeamten, sie mit seiner Verach-
tung fürs Detail oft auch vor den Kopf stoßend. Für den Umgang der beiden Direktoren
miteinander prägte ein Biologe aus der Weizsäcker-Umgebung das Bonmot, sie seien eben
wie zwei Alpha-Männchen in einer Affenhorde, zwischen denen es keine Über- und Un-
terordnung gäbe. Sehr liebevoll charakterisiert Weizsäcker in seinem Bericht über das In-
stitut8 das wissenschaftliche Über-Ich und das moralische Herz von Habermas.
Habermas machte das gleichgültig-liberale Gewährenlassen Weizsäckers bei der Mitbe-
stimmung nicht in dem selben Maß mit und zwang so die Mitarbeiter zur Formulierung
einer Satzung, die formal einigermaßen durchgearbeitet war und schließlich auch von der
Max-Planck-Gesellschaft akzeptiert wurde: davon wird später noch zu berichten sein.
Projekte der Weizsäcker-Abteilung
Die bei der Gründung des Instituts mitgebrachten Arbeiten, die oben aufgezählt sind, wa-
ren sehr bald abgeschlossen. Die Mitarbeiter (Afheldt, Reich, Sonntag) der „K&K“-Studie
waren zunächst erschöpft und sahen sich nicht in der Lage, gleich an den entsetzlichen
Themen der Kriegsfolgen weiterzuarbeiten. Nach einiger Zeit gab es daher unter den
Weizsäcker zugeordneten Mitarbeitern folgende Projekte:
1. Umwelt und Wachstum (Meyer-Abich, Afheldt, Reich, Sonntag, Bonhoeffer; teilweise
Drieschner).
Zunächst hatten sich Meyer-Abich und Reich mit „Friedensforschung“ beschäftigt, konn-
ten sich da aber auf kein gemeinsames Programm einigen. In der Anfangsphase wurde au-
ßerdem ein Projekt „Urbanistik“ diskutiert, das auch die damals im Bewußtsein der Öffent-
lichkeit brennenden Umweltprobleme angehen sollte, speziell in den Fragen der Stadtpla-
nung und Stadtentwicklung, mit vor allem durch den Autoverkehr verursachten Problemen.
Bei detaillierterer Diskussion stellte sich allerdings sehr schnell heraus, daß man dafür ein
empirisch arbeitendes Institut brauchen würde, mit sehr verzweigten Untersuchungsgebie-
ten, und daß ein solches Projekt den Rahmen der für unser Institut möglichen Arbeiten sehr
bald sprengen würde. Das Umweltprojekt war dann vor allem ökonomisch orientiert. Zur
eigenen Weiterbildung lasen wir gemeinsam zunächst das Lehrbuch von Samuelson, dann
Marx' „Kapital“ - wir haben uns tatsächlich, mit vielen Diskussionen und gegenseitiger
Unterstützung, durch alle drei Bände durchgebissen. - Zu Beginn der Projektarbeit stand
Afheldts These, daß das angebliche Wachstum des Bruttosozialprodukts eigentlich eine
Täuschung sei; denn diese Zahl würde die gesamten Aufwendungen messen, die im Wirt-
schaftsprozeß gemacht würden, und enthielte daher auch alle Aufwendungen, die zur Be-
seitigung von Schäden notwendig seien - also etwa Aufwendungen für Verkehrsopfer, für
8
„Erforschung der Lebensbedingungen“. In: C.F.v.Weizsäcker, Der bedrohte Friede. München (Hanser)
1981; S. 472 ff
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Gesundheitsdienst bei Krankheiten, die durch Schadstoffe oder Lärm verursacht seien,
Umbau von Städten in „autogerechte“, was eigentlich eine Verschlechterung sei. - Die
Gruppe hat später selbst gemeint, daß diese These sich mit Zahlen nicht belegen ließe (was
Weizsäcker zu großer Bewunderung nötigte).
Meyer-Abich bekam sehr bald einen Ruf in den Gründungssenat der Universität Essen. Er
ist mit seinen Arbeiten - Publikationen, Organisation und Regierungsberatung, zeitweise
sogar verantwortlicher Tätigkeit in der Politik - den ursprünglichen Intentionen des Um-
weltprojekts am nächsten geblieben. Sonntag verließ einige Zeit später ebenfalls das Insti-
tut, Afheldt wandte sich wieder seinem ursprünglichen Arbeitsgebiet Strategie und Außen-
politik zu, Bonhoeffer übernahm andere Aufgaben im Institut. So waren es vor allem Reich
und Sonntag, - später kamen Hans Werner Holub und Verena Melin dazu -, die dann ge-
meinsam in Fortsetzung dieses Projekts eine „Arbeits- und Konsumrechnung“ entwickel-
ten, die den Wohlstand besser messen sollte als die bisher übliche volkswirtschaftliche
Gesamtrechnung. Die übliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, mit dem Ergebnis
einer einzigen Zahl für das Bruttosozialprodukt, mißt vor allem den Erfolg der Unterneh-
men. Die Staatstätigkeit wird nur nebenbei, die Tätigkeit der privaten Haushalte gar nicht
berücksichtigt. Die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Arbeits- und Konsumrechnung
sollte dagegen den Fortschritt des Wohlstands im privaten Haushalt, mit seiner Erhaltung
und Verbesserung der Arbeitskraft messen.9 - Der Blick dieser Gruppe auf die
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, der damals sehr exotisch wirkte, ist heute ein ganz
etablierter Teil der volkwirtschaftlichen Forschung.
2. Entwicklung und Unterentwicklung (Kreye, Heinrichs, Fröbel). Diese Gruppe hatte sich
schon in der Forschungsstelle der VDW mit der „Welternährungskrise“10 beschäftigt. Die
Gruppe hat diese Arbeit relativ konsequent und eher unabhängig vom übrigen Institut wei-
terverfolgt. Sie vertrat unter anderem die These, daß die „Entwicklungsländer“ am besten
dran wären, wenn sie vom Weltmarkt getrennt ihre Entwicklung allein betreiben könnten -
fasziniert, wie zu dieser Zeit sehr viele, vom chinesischen Modell.11 Insbesondere vertreten
sie die These, daß sich zwischen von Industrieländern und Entwicklungsländern das Ver-
hältnis wiederhole, das zu Beginn des Kapitalismus zwischen Kapitalisten und Proletariat
bestanden hat; die internationale Arbeitsteilung bedeute eine Ausbeutung der proletarisier-
ten unterentwickelten Länder durch die Industrieländer.
Faktisch bestand die Arbeit der Gruppe vor allem darin, Berichte über einzelne Unterneh-
men zu sammeln und auszuwerten, die in unterentwickelten Ländern produzierten, vor
allem in freien Produktionszonen in Asien. Die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, unter-
mauert mit viel Faktenmaterial12 hat auch in der Fachwelt große Anerkennung gefunden -
auch wenn die Fachleute mit den strukturellen Thesen der Gruppe nicht übereinstimmten.
Die Gruppe hat sehr stark mit Gewerkschaftsstellen zusammengearbeitet, auch mit der ILO
in Genf. Nach der Schließung des Instituts ist die Arbeit der Gruppe noch fünf Jahre lang
von der Max-Planck-Gesellschaft weiterfinanziert worden, seitdem hält die Gruppe sich
bis heute mit Auftragsarbeiten und Spenden über Wasser. Sie bildet damit ein seit 25 bzw.
30 Jahren stabiles Team - eine Lebensdauer, die selbst bei staatlicher Finanzierung unge-
9
Utz-Peter Reich, Philipp Sonntag, Hans-Werner Holub. Arbeits- und Komsumrechnung. Köln (Bund)
1977
10
Vereinigung deutscher Wissenschaftler/Jürgen Heinrichs, Hrsg.: Welternährungskrise - oder - ist eine
Hungerkatastrophe unausweichlich? rororo aktuell 1147. Reinbek (Rowohlt) 1968. Außerdem Jürgen
Heinrichs: Hunger und Zukunft. Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 1969.
11
Jan Myrdal: Bericht aus einem chinesischen Dorf. dtv 591. München 1969.
12
Folker Fröbel / Jürgen Heinrichs / Otto Kreye: Neue internationale Arbeitsteilung. rororo aktuell 4185.
Reinbek (Rowohlt) 1977.
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wöhnlich wäre. So betrachtet, ist für diese Gruppe die Zeit im Max-Planck-Institut nur eine
Durchgangsphase gewesen.
3. Alternativen in der Wissenschaft - Aus der Gruppe, die Weizsäcker wissenschaftspoli-
tisch beraten sollte (Böhme, van den Daele, Krohn; später Rainer Hohlfeld, Wolf Schäfer,
Tilman Spengler), ist sehr bald eine eigenständige Forschungsgruppe geworden. Der Impe-
tus der Gruppe kam, nach dem Vorbild von Edgar Zilsel und Thomas S. Kuhn13, aus dem
Versuch, Wissenschaftsgeschichte nicht als eine Siegergeschichte der Theorien, die sich
schließlich durchgesetzt haben, zu schreiben, sondern unter einem soziologischen oder
sozialpsychologischen Gesichtspunkt als die Geschichte widerstreitender Ideen, Schulbil-
dungen und Machtkämpfe, deren Gang nicht so sehr aus dem Inhalt der Theorien wie aus
dem sozialen Gefüge verständlich wird, in dem die Theoretiker leben. Außerdem erregte
die Gruppe Aufsehen durch die aus ihren Untersuchungen entwickelte These von der „Fi-
nalisierung der Wissenschaft“, die These nämlich, daß die Wissenschaft zunehmend ge-
sellschaftlich gesteuert würde und nicht aus innerer Notwendigkeit, und entsprechend von
den Interessen gesellschaftlicher Gruppen außerhalb der Wissenschaft bestimmt. Diese
relativ stark formulierte These trug der Gruppe den wütenden Protest vieler Kollegen ein,
aber auch entsprechenden Ruhm in der Zunft. In München fand eigens ein Kongreß zu
diesem Thema statt - was ja in der Welt der Wissenschaft schließlich das Normale ist;
nicht normal war allerdings, daß zu diesem Kongreß Befürworter der Theorie überhaupt
nicht eingeladen wurden, nicht einmal Mitglieder der Starnberger Gruppe, die die These
von der Finalisierung der Wissenschaft aufgebracht hatte.
Den Ertrag ihrer Arbeit veröffentlichte die Gruppe im ersten Band einer Reihe „Starnber-
ger Studien“14, die durch Habermas' Vermittlung im Rahmen der Edition Suhrkamp zu-
stande gekommen war, und die in drei weiteren Bänden die Forschungserträge anderer
Gruppen veröffentlichte. Einen Teil ihrer wissenschaftshistorischen Studien hatten Böhme,
van den Daele und Krohn schon ein Jahr vorher unter dem Titel „Experimentelle Philoso-
phie“15 publiziert.
Weizsäcker persönlich ist sehr wohl als wissenschaftlicher Berater der Bundesregierung
aktiv geworden. Er war von 1969 bis 1974 Vorsitzender des Verwaltungsrat des Deutschen
Entwicklungsdienstes, 1974-1977 Vorsitzender des „Beratenden Ausschusses für For-
schung und Technologie“ (BAFT) unter dem Minister Matthöfer, und in der Debatte über
die Kernenergie 1979 Vorsitzender des „Gorleben-Hearings“ über die Endlagerung von
„Atommüll“. Unmittelbare Hilfe hatte beim BAFT seit 1974 vor allem von Klaus Gott-
stein, der von seinem Amt als Wissenschaftsattaché an der deutschen Botschaft in Wa-
shington an das MPI überwechselte.
4. Strategie und Außenpolitik - Afheldt wandte sich doch sehr bald wieder seinem eigent-
lichen Arbeitsgebiet zu, der Verteidigungspolitik; auch Sonntag schwenkte nach einiger
Zeit wieder auf dieses Thema ein, allerdings sehr bald nicht mehr im Rahmen des Instituts.
Für Afheldt war die Zusammenarbeit mit Militärs von entscheidender Bedeutung, vor al-
lem mit Leuten, die von der offiziellen Linie abweichende strategische Auffassungen ver-
traten. Insbesondere entwickelte Afheldt aus der gemeinsamen Betrachtung von Strategie
und Außenpolitik eine Linie, die später „defensive Verteidigung“ genannt wurde - eigent-
13
Edgar Zilsel (hrsg. von W.Krohn): Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft. Frank-
furt/M. (Suhrkamp) 1976. - Thomas S.Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frank-
furt/M. (Suhrkamp) 1967
14
Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Rainer Hohlfeld, Wolfgang Krohn, Wolf Schäfer, Tilman
Spengler: Die gesellschaftliche Orientierung des wissenschaftlichen Fortschritts. Starnberger Studien 1.
Edition Suhrkamp 177. Frankfurt/M. 1978.
15
Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Wolfgang Krohn: Experimentelle Philosophie - Ursprünge
autonomer Wissenschaftsentwicklung. stw 207. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1977.
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lich ein Pleonasmus, der aber wohl notwendig wurde, weil der Begriff „Verteidigung“
schönfärberisch für alles verwendet wurde, was mit militärischer Gewalt zu tun hatte, etwa
„Vorwärts-Verteidigung“ als neues Wort für Angriff.
Afheldts Grundüberlegung war folgende: Das Wettrüsten entsteht in der heutigen Situation
nicht dadurch, daß primär eine Macht das Gebiet der anderen erobern will und daher stär-
ker sein muß als die andere, sondern daraus, daß beide Mächte befürchten, sie könnten
schwächer sein als der andere und deshalb einem Angriff des Gegners nichts entgegenzu-
setzen haben. Da auch bei noch so guter Spionage niemals die Stärke des Gegners in allen
Details bekannt ist, und da jeder sich auch schon wegen der Ungewißheit der möglichen
Kriegsverläufe eine gewisse Sicherheitsmarge verschaffen will, scheint das Wettrüsten
unvermeidlich. Solche Überlegungen waren schon maßgebend für die „K&K“-Studie16.
Die Modellrechnungen dieser Studie hatten immer auch psychologische Momente berück-
sichtigt: Wie würde wohl der Gegner auf diese oder jene eigene Aktion reagieren, welche
eigenen Aktionen könnten, unter Berücksichtigung der psychologischen Situation des Ge-
gners, den Krieg wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich machen, ihn eskalieren
oder de-eskalieren. Dieses psychologische Argument ist ja schon strukturell mit dem Be-
griff der Abschreckung verbunden.
Nach Afheldts Überlegungen müßte das Wettrüsten aber nicht sein, wenn es Arten der Rü-
stung gibt, die sich nach ihrer Struktur prinzipiell nicht zum Angriff eignen, wohl aber zur
Verteidigung. Wenn der Gegner deutlich sichtbar zwar zur Verteidigung des eigenen Terri-
toriums in der Lage ist, aber nach der Struktur seiner Rüstung überhaupt nicht imstande
wäre, auf mein Territorium vorzudringen, dann entfällt wenigstens teilweise die Notwen-
digkeit großer Verteidigungsanstrengungen. Eine ungewöhnlich starke Rüstung, die sich
auch für den Angriff eignen würde, wäre dagegen sichtbar auf die Eroberung des gegneri-
schen Gebiets gezielt, und würde dementsprechend auch in der öffentlichen Meinung ver-
urteilt werden. - Eine Rüstung, die sich nur für die Defensive, nicht aber für den Angriff
eignet, ist mit der Bezeichnung „defensive Verteidigung“ gemeint.
Der Vorschlag für eine derartige Strategie läßt sich politisch nur dadurch stark machen,
daß man einigermaßen konkret durchdiskutiert, wie eine solche Verteidigungsanstrengung
aussehen kann. Afheldt war dazu auf die Mithilfe von Militärexperten angewiesen. Er fand
dafür zunächst zwei Mitstreiter im Ausland, nämlich den französischen Militärtheoretiker
Guy Brossollet und den Armeekommandanten des österreichischen Bundesheeres General
Emil Spannocchi, die beide ähnliche Vorschläge vertraten. Aus der Zusammenarbeit dieser
beiden mit Afheldt und Weizsäcker ist ein Bücher-Trio entstanden, das im Jahre 1976 im
Hanser Verlag erschien.17
Gleichzeitig stand Afheldt in ständigem Diskussionkontakt mit aktiven und vor allem nicht
mehr aktiven Militärs der Bundeswehr. Einige Zeit war auch Alfred Mechtersheimer als
Gast ständig am Institut, der gerade wegen seiner von der offiziellen Linie abweichenden
Vorstellungen seine militärische Karriere aufgegeben hatte und aus der Bundeswehr ausge-
schieden war - später gründete er ein eigenes Institut und wurde bekannt als Bundestags-
abgeordneter der Grünen. Afheldt gründete dann eine neue Arbeitsgruppe, die auch nach
der Schließung des Max-Planck-Instituts in Zusammenarbeit mit Weizsäcker sehr aktiv
war, bis zu Afheldts Pensionierung im Jahre 1989.
Weizsäcker meinte gelegentlich, daß die Arbeit auf dem Gebiet von Strategie und Außen-
politik wohl die wichtigste Leistung des Instituts gewesen sei. Das mag mit daran liegen,
16
C.F.v.Weizsäcker (Hrsg.): Kriegsfolgen und Kriegsverhütung. München (Hanser) 1971
17
C.F.v.Weizsäcker: Wege in der Gefahr / Horst Afheldt: Verteidigung und Frieden, Politik mit militäri-
schen Mitteln / Guy Brossollet und Emil Spannocchi: Verteidigung ohne Schlacht. Alle: München
(Hanser) 1976
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daß Weizsäcker stets die Probleme im Gefolge der Kernwaffen als die gefährlichsten und
entscheidenden angesehen hat, es lag aber sicher auch daran, daß Afheldt in jahrzehntelan-
ger Arbeit einer der wenigen wirklichen Experten auf dem Gebiet geworden war und
gleichzeitig in seiner unkonventionellen und kreativen Denkweise, gerade in der Zusam-
menarbeit mit Weizsäcker, neue und wirklich überzeugende Gedanken entwickelte, an
denen auch Militärfachleute der ganzen westlichen Welt nicht einfach vorbei konnten.
Wohl auch für Afheldt, vor allem aber für Weizsäcker waren diese strategisch-politischen
Überlegungen ein Gegenstand ungeheurer Frustrationen und schließlich von Verzweiflung,
wie Weizsäcker es gelegentlich auch in seinen Publikationen schildert.18 Weizsäcker emp-
fand, daß er die Gefahren für die Weiterexistenz der Menschheit besonders deutlich sah,
daß er auch - als einer derjenigen, die an der Entwicklung der Theorie entscheidend betei-
ligt war - eine besondere Verantwortung dafür hatte, daß es ihm aber trotz ungeheurer An-
strengungen nicht gelang, andere ausreichend von der Notwendigkeit zu handeln zu über-
zeugen. Darin lag sicher ein Hauptmotiv für die Gründung des Instituts, er schrieb und
redete unablässig unter diesem Druck, schließlich baute er fast demonstrativ in seinem
Garten am Haus einen auch für einen Atomkrieg in gewissem Maß tauglichen Bunker - für
sich und seine Familie, wie er sagte. Ab 1985 hat er sich dann beinahe hauptberuflich für
das geplante „Friedenskonzil“ engagiert, als Wanderprediger in Sachen Frieden, wie er es
gelegentlich scherzhaft bezeichnete. - Ich habe diese Tätigkeit als den Griff des in der
Verzweiflung Ertrinkenden nach dem Strohhalm empfunden.
Die Situation hat sich nach 1989 entscheidend gewandelt. Die Konfrontation der beiden
großen Machtblöcke gibt es nicht mehr, mit ihr ist aber auch die Berechenbarkeit und da-
mit die Nützlichkeit strategisch ausgeklügelter Modelle verschwunden. Es ist sehr fraglich,
ob die Situation, daß sich Atomwaffen in der Hand vieler Räuberbanden befinden, hoff-
nungsvoller ist als die Konfrontation, die bis 1989 bestand.
Eher am Rande der Tätigkeit dieser Gruppe war die Arbeit von Michail Voslensky ange-
siedelt: Er kam zunächst als Gastwissenschaftler mit offiziellem Auftrag der Akademie der
Wissenschaften der Sowjetunion. Daß er in dieser Rolle am Institut war, hatte zur Folge,
daß in regelmäßigen Abständen Schreiben der Bundesregierung eintrafen, die vor dem
Spion Voslensky warnten. Wir kannten uns inzwischen so gut, daß wir ihn direkt auf diese
Frage ansprechen konnten. Er sagte, daß er natürlich, wie jeder andere Sowjetbürger im
Ausland, „Berichte“ schriebe; er habe schließlich noch eine Tante in Rußland, die keine
Schwierigkeiten bekommen sollte. - Unser amerikanischer Kollege am Institut, Hans Zuc-
ker, meinte dazu, wir sollten uns doch glücklich schätzen, daß auf diese Weise wenigstens
in Moskau unsere Erzeugnisse gründlich gelesen würden!
Voslensky hat sehr bald eine heftige Liebe zur Politik der CSU entdeckt. Frucht seines
mehrjährigen Aufenthalts am Institut war sein Buch „Nomenklatura“[19] über die Herr-
schende Klasse in der Sowjetunion, das ein Welterfolg wurde. In die Sowjetunion konnte
er nicht mehr zurück, aber die deutsche Staatsangehörigkeit konnte er auch nicht so leicht
erwerben. Auf Bruno Kreiskys Fürsprache bekam er dann die österreichische Staatsange-
hörigkeit.
Physik und Philosophie
Weizsäckers Herzensanliegen ist schon seit den 50er Jahren die Weiterentwicklung seiner
Gedanken zu einer fundamentalen Physik. Die „Physikergruppe“ (Castell, Drieschner
Drühl; später Görnitz, einige Diplomanden und Doktoranden von Castell) führte im Institut
ein relativ isoliertes Leben, was wohl inhaltlich wegen der mathematischen Vertraktheit
schon unvermeidlich war, was sich aber auch noch in der räumlichen Trennung vom übri-
18
Vgl. die 'Selbstdarstellung'. In: C.F.v.Weizsäcker, Der Garten des Menschlichen. München (Hanser)
1977, S.572ff.
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gen Institut niederschlug. Ich selber habe mich relativ intensiv außerhalb der Physiker-
Arbeit am Leben des Instituts beteiligt, zeitweise in der Umweltgruppe, eine Zeit lang als
persönlicher Referent von Weizsäcker und einige Zeit als Mitglied des Institutsrats. Castell
hat sich vor allem in der letzten Zeit des Instituts im Betriebsrat engagiert.
Die Arbeit an den Grundlagen der Physik zu schildern, ist hier nicht der Ort. An sich war
die Physikergruppe ja als Teil des philosophischen „Kerns“ des Instituts gedacht, der vor
allem für die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Institut verantwortlich sein sollte. Außer
der Physikergruppe gehörten zu den Philosophen einige Einzelarbeiter, die an größeren
Werken saßen, eine Zeit lang war Ernst Tugendhat in der Abteilung Habermas Mitarbeiter
des Instituts. Die schon erwähnten philosophischen Kolloquien waren eine außerordentlich
interessante Dreingabe zur praktischen Arbeit im Institut, Weizsäcker hat von der persönli-
chen Zusammenarbeit mit den einzelnen philosophisch tätigen und interessierten Mitarbei-
tern sicher auch noch am meisten profitiert. Die Rolle als philosophischer Katalysator und
Koordinator der Institutsarbeit hat diese Gruppe, die nicht einmal untereinander als Gruppe
zusammengearbeitet hat, nicht erfüllen können. Wahrscheinlich liegt das daran, daß sich
die Philosophie - und dementsprechend auch die Philosophen - noch weniger als andere
zur interdisziplinären Zusammenarbeit eignet.
Interdisziplinarität
Die Projekte am Institut waren so angelegt, daß praktische Probleme in der Zusammenar-
beit aus verschiedenen Wissenschaften bearbeitet werden sollten. Für den Zusammenhang
zwischen den verschiedenen Projekten sollte dann vor allem die philosophische „Kern“-
Gruppe sorgen. Für beides war interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt, wie sie auch
sonst sehr viel propagiert aber sehr selten ausgeübt wurde.
Wie ungeheuer schwierig eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist, ist mir erst bei diesen
Versuchen konkret klar geworden. Selbst eng benachbarte Wissenschaften verwenden ja,
wie die Analysen der Theorie-Reduktion in der Wissenschaftstheorie der letzten Jahrzehnte
deutlich gezeigt hat, eine je ganz eigene Begrifflichkeit und dementsprechend verschiedene
Sprachen, zwischen denen eine Übersetzung nicht ohne weiteres möglich ist. Erst recht gilt
das natürlich für weiter entfernte Wissenschaften, wie z.B. zwischen Physik und Ökonomie
oder gar zwischen einer Naturwissenschaft und einer der traditionellen Geisteswissen-
schaften. Interessanterweise werden dabei die Verständigungsschwierigkeiten gar nicht auf
Anhieb klar, denn oft verwenden beide Seiten dieselben Worte und merken erst nach län-
gerer Diskussion, daß sie mit demselben Wort ganz verschiedene Dinge bezeichnen.
Wenn also Fachleute verschiedener Disziplinen ernsthaft miteinander arbeiten wollen,
braucht das von beiden Seiten eine ungeheure Anstrengung; es bedeutet, daß sich jeder auf
ein intensives Studium des anderen Faches für einige Zeit einlassen muß. Das ist norma-
lerweise im Alltagsbetrieb der Wissenschaft gar nicht möglich. Es wäre vielleicht an dem
neu gegründeten Institut in gewissem Maß möglich gewesen, wenn alle Beteiligten bereit
gewesen wären, sich unabhängig von weiteren Rücksichten darauf einzulassen. Dazu wa-
ren aber die meisten weder Willens noch in der Lage, denn es war abzusehen, daß vor al-
lem die Jüngeren ihre Karriere woanders als gerade in diesem Institut würden fortsetzen
müssen, und daß sie dazu nur Chancen haben würden, wenn sie sich auf dem Arbeitsgebiet
ihrer „Zunft“ profilierten und nicht allzuviel „Allotria“ trieben. So war zwar theoretisch
eine interdisziplinäre Arbeit denkbar, aber unter den konkreten Umständen doch faktisch
unmöglich.
Nach der ersten Zeit der intensiven Programmdiskussion, die durch ihren chaotischen Cha-
rakter ungeheuer strapaziös war und schon deswegen nicht lange dauern konnte, etablierten
sich die einzelnen Arbeitsgruppen, die ich oben beschrieben habe. Je mehr sie sich auf eine
einheitliche Wissenschaft als Grundlage stützen konnten, desto stabiler war die Gruppen-
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Zusammenhalt im Inneren und die Abschottung der Gruppe nach Außen. Die Umwelt-
gruppe, in der am ehesten interdisziplinäre Arbeit gefordert gewesen wäre, hatte deswegen
auch am wenigsten internen Zusammenhalt und wirkliche Kooperation und am meisten
Fluktuation der Mitarbeiter. Man muß wohl resümieren, daß die interdisziplinäre Zusam-
menarbeit nicht gelungen ist oder doch jedenfalls sehr weit hinter dem Geplanten und Er-
warteten zurückblieb.
Erweiterungspläne
Schon bei der Berufung von Habermas hatte die Max-Planck-Gesellschaft die Erwartung
ausgedrückt, daß noch ein dritter Direktor berufen würde, dessen Arbeit mehr empirisch
ausgerichtet sei. Weizsäcker und später auch Habermas dachten vor allem an einen empi-
risch arbeitenden Ökonomen. Das Problem war dabei natürlich von vornherein, daß ein
Wissenschaftler mit empirischen Arbeiten einen viel größeren Apparat brauchen würde, als
dieses Institut ihm bieten konnte. So hat Weizsäcker, nach Absagen von Kissinger und
Dahrendorf, weitere bekannte große Leute auf diesem Gebiet gar nicht erst nach einer Mit-
arbeit gefragt. Alle anderen Versuche, von Habermas und Weizsäcker als geeignet angese-
hene Leute zu berufen, zerschlugen sich, und das ganze Berufungsprojekt wurde schließ-
lich dadurch beendet, daß sich in der Max-Planck-Gesellschaft die Meinung durchsetzte,
daß es für Weizsäcker keinen geeigneten Nachfolger geben würde und daß man deswegen
auch keinen dritten Direktor mehr für das Institut würde berufen wollen.
Vielleicht wäre es bei einer realistischen und zielstrebigen gemeinsamen Politik möglich
gewesen, einen ökonomischen Direktor zu bekommen und mit seiner Hilfe das Institut am
Leben zu erhalten. Aber auch dann wäre sicher die Weizsäckersche Abteilung aufgelöst
worden, so wie es ja faktisch geschehen ist, obwohl zunächst die Abteilung Habermas
weiterbestehen sollte. - Die einzige Mitwirkung eines etablierten Ökonomen bestand darin,
daß Winfried Vogt, der in Regensburg lehrte, extern die Leitung des ökonomischen Pro-
jekts von Habermas übernahm.
Ein ähnliches Schicksal wie der dritte Direktor erlitten die Neubaupläne für das Institut.
Schon mit der Ankunft von Habermas war das ursprünglich angemietete Gebäude in
Starnberg zu klein geworden, nach einigen Jahren war das Institut schließlich auf ein hal-
bes Dutzend Gebäude im Stadtgebiet von Starnberg verteilt und es lag nahe, einen Neubau
für die gemeinsame Unterbringung zu planen. Die Bayerische Rückversicherung, über ih-
ren Vorstandsvorsitzenden Jannot eng mit der Max-Planck-Gesellschaft verbunden, besaß
eine große Wiese nicht weit vom Bahnhof Starnberg. Darauf gab es zwar kein Baurecht,
aber für ein wissenschaftliches Institut würde sich das wohl schaffen lassen, zum Wohl und
Ruhm der Stadt. Längere Zeit wurde intensiv geplant, in Zusammenarbeit mit der Bauab-
teilung der Max-Planck-Gesellschaft, und mit der Stadt über das Baurecht verhandelt. Als
die Pläne dann aber einigermaßen konkret dastanden, wurde die Finanzierung „höheren
Orts“ abgelehnt. Gerüchtweise verlautete, daß die Bayerische Rück die Institutsarbeit in-
haltlich nicht billigte; es war auch die Rede davon, daß Franz-Josef Strauß sich dagegen
gewendet habe. - Die Bayerische Rück hat ihre Wiese anschließend an einen Bauträger
verkauft, der eine Wohnsiedlung daraufgestellt hat.
Mitbestimmung
Max-Planck-Institute werden, nach den Vorstellungen der Max-Planck-Gesellschaft, um
einen in seiner Wissenschaft erfahrenen verdienten Direktor herum errichtet und dienen
ihm als Arbeitsinstrument. Die Verfassung eines Max-Planck-Instituts ist demgemäß die
einer Monarchie, allenfalls gelockert durch den liberalen Geist des Monarchen im Interesse
einer gemeinsamen Wahrheitssuche.
Unser Institut war politisch weitgehend bestimmt von Ideen der 68er Jahre. Daraus folgte,
daß unmöglich das Institut im traditionellen Stil von einem Direktor oder den Direktoren
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gemeinsam geleitet werden konnte, und die Mitarbeiter sich nach den Beschlüssen dieser
Direktoren zu richten haben würden. Weizsäcker war sich seiner überragenden Stellung,
auch was die Macht im Institut betrifft, sicher genug, und auch seinem Temperament nach
dazu geneigt, alle möglichen Mitbestimmungsexperimente nicht nur selbst mitzumachen,
sondern auch der Max-Planck-Gesellschaft gegenüber zu vertreten und zu decken. Da wir,
die jüngeren Mitarbeiter, entschlossen waren, nicht nur die Wissenschaft sondern auch die
Verwaltung der Macht auf ganz neue Füße zu stellen, begann dieses Experiment damit,
daß jeder alles machte - wie oben schon geschildert. Es gehört zu den großen Erlebnissen
und Erfahrungen aus diesem Institut, daß wir wirklich einen sonst kaum vorstellbaren Frei-
raum hatten, alles mögliche - wenn auch spielerisch - durchzuprobieren, so daß wir mit
den Folgen unmittelbar konfrontiert wurden.
Nach einigen Wochen des kompletten Chaos der Institutsleitung durch alle war es klar, daß
einzelne Leute für einzelne Aufgaben zuständig sein mußten. Dazu wurden die verschie-
densten Ämter erfunden und - selbstverständlich rotierend - besetzt; aber auch das erwies
sich als nicht praktikabel. Außerdem erschien es natürlich wichtig, die errungenen Mitbe-
stimmungskompetenzen auch formal festzuschreiben, etwa in einer neuen Satzung für das
Institut, die auch von den Gremien der Max-Planck-Gesellschaft verabschiedet wäre und
als Muster für andere Institute dienen könnte. Für eine solche Institutssatzung war aber
durch die Satzung der Max-Planck-Gesellschaft ein Rahmen gezogen, wie er faktisch auch
an unserem Institut bestand: Die letzte Verantwortung hatten immer die Direktoren, denen
das Institut von der Max-Planck-Gesellschaft sozusagen anvertraut war.
In diesem Rahmen wurde nun eine Institutssatzung entwickelt. Darin sollte zunächst das
Plenum aller Mitarbeiter die Befugnis zu Grundsatzentscheidungen haben. In der endgülti-
gen Fassung blieb aber das Plenum allenfalls als Verzierung übrig, Grundsatzentscheidun-
gen über das wissenschaftliche Programm wurden in der Wissenschaftlerkonferenz getrof-
fen - bei Vetorecht der Direktoren. Für das laufende Geschäft der Institutsleitung war ein
Institutsrat eingerichtet, bestehend aus den beiden Direktoren und zwei gewählten Insti-
tutsmitarbeitern. Auch im Institutsrat hatten die Direktoren ein Vetorecht, aber mit der
Verpflichtung, ein eventuelles Veto ausdrücklich auszusprechen und zu begründen.
Die Sitzungen der Wissenschaftlerkonferenz waren, solange es etwas zu entscheiden gab,
langwierig, anstrengend und eher unangenehm - es wurde sichtlich hinter einer Nebelwand
aus scheinbar sachlichen Argumenten um Positionen und Finanzen gekämpft. Als später
die Gruppen einigermaßen etabliert waren und es klar wurde, daß keiner dem anderen
würde dreinreden können, wurden die einzelnen Gruppenberichte zunehmend sachlich
intensiv und auch interessant diskutiert.
Die Arbeit des Institutsrats war, wohl auch wegen seiner Kleinheit, effektiv und vernünf-
tig. Die wöchentlichen Sitzungen entlasteten die Direktoren von der sonst üblichen Ver-
waltungsarbeit und gaben die Möglichkeit, die laufenden Entscheidungen kompetent vor-
zubereiten und ihre Ausführung zu kontrollieren. In meinen Unterlagen aus der Zeit finden
sich immer neue Ergänzungen zur Geschäftsordnung oder Beschlüsse über Verfahrenswei-
sen, die sich im Stil von den ursprünglichen Manifesten eines Revolutionstribunals immer
mehr ministeriellen Runderlassen annähern. Verwaltung funktioniert so, und die Geschich-
te des Instituts gab eine ausgezeichnete Gelegenheit, am Modell im Kleinen diese Entwick-
lung zu erfahren.
Einen Zug an dieser Mitbestimmung haben wir damals nicht sehr stark wahrgenommen, er
ist mir aber später sehr bewußt geworden: das immer noch spielerische Element. Auch im
Text der Institutssatzung erscheint ja - wenn auch eher versteckt und durch die Erfordernis
eines begründeten Vetos formal erschwert - die letzte Verantwortung der Direktoren. Die
Satzung spiegelt hier eine Tatsache wider, die auch faktisch die Entscheidungen sehr stark
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bestimmt hat: Das Institut war von Anfang an, auch von den Befürwortern in der Max-
Planck-Gesellschaft, als eine Möglichkeit für Weizsäcker und später auch für Habermas
gedacht, die Arbeiten zu machen, die sie für richtig hielten. Dazu konnten sie auch Leute
beschäftigen, wie sie es für richtig hielten. Deren spezielle Eigenheiten hat man dann teils
wohlwollend, teils deutlich mißbilligend eben in Kauf genommen. Alles, was Institutsmit-
arbeiter unternommen haben, sei es in den Fragen der Mitbestimmung, sei es in der Wis-
senschaft, konnte nur unter dem großen Schirm geschehen, den Weizsäcker und Habermas
darüber aufspannten.
Diese Tatsache wurde in der täglichen Arbeit eher beiseite geschoben und in den Äußerun-
gen versteckt, aber faktisch hat sie doch, wie man nachträglich sehen kann, die Arbeit sehr
stark geprägt. In allem, was wir machten und überlegten, gab es für die Verantwortung
noch ein letztes Auffangnetz, auch wenn es nur die Veto-Möglichkeit der Direktoren war;
voll verantwortlich war doch keiner der jüngeren Mitarbeiter. Das ist nun freilich generell
an staatlichen oder para-staatlichen Institutionen so; das schlimmste, was dort passieren
kann, ist eine Rüge vom Rechnungshof - während jemand, der wirklich verantwortlich
wirtschaftet, im schlimmsten Fall dabei sein Vermögen verlieren kann. - Aber in diesem
Institut gab es doch noch vor dieser allgemeinen Beschränkung der Verantwortlichkeit die
sehr viel spürbarere durch die Verantwortung der Direktoren. Da sich dies als Konstante
während der ganzen Zeit des Instituts durchhielt, ist es auch von daher kein Wunder, daß
das Institut mit dem Weggang der Direktoren auch wieder aufgelöst wurde.
Auflösung
Das Institut ist in verschiedener Hinsicht gescheitert. Der sichtbarste Punkt ist der, daß es
aufgelöst wurde, sobald die Max-Planck-Gesellschaft die Möglichkeit dazu hatte. Der ge-
nauere Hergang war so: Schon einige Jahre vor der Emeritierung Weizsäckers, als sich
kein dritter Direktor fand, stellte der Senat der Max-Planck-Gesellschaft fest, daß ein ge-
eigneter Nachfolger für Weizsäcker nicht mehr zu finden sein würde und daß deswegen die
unter seiner Leitung stehende Abteilung mit seiner Emeritierung aufgelöst werden würde.
In der Öffentlichkeit ist dieser Beschluß so empfunden worden, daß die Max-Planck-
Gesellschaft einen unbequemen und politisch mißliebigen Teil zum Schweigen bringen
wollte. Das ist, soweit die Gefühle der Senatoren beteiligt sind, sicher nicht ganz falsch:
Den Wissenschaftlern aus anderen Max-Planck-Instituten war schon die Arbeitsweise des
Starnberger Instituts höchst suspekt: keine nachprüfbaren Fakten, keine Theorien, die ir-
gendwie nachvollziehbar getestet werden konnten - eigentlich war das gar nicht wirklich
Wissenschaft, was da getrieben wurde. Dazu noch das befremdliche Benehmen dieser
Nach-68er: schlampige Kleidung, chaotische Planungen, unmögliches Auftreten. Daß dann
auch noch die politischen Ansichten aus dem Institut praktisch allen Senatoren der Max-
Planck-Gesellschaft höchst zuwider waren, ist nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Inner-
halb des Instituts war Weizsäcker ja ein extrem Rechter, einziger und typischer Vertreter
des Establishments; in den Gremien der Max-Planck-Gesellschaft hingegen wirkte er aus-
gesprochen links; ein bißchen angesteckt war er natürlich auch von der zum Teil durchaus
berechtigten Systemkritik aus dem Institut - abgesehen von den ihm ganz natürlichen Vor-
behalten gegenüber allem Bestehenden.
Das Institut war also den meisten, die über sein weiteres Schicksal zu entscheiden hatten,
ganz verständlicherweise unsympathisch, und sie werden über die Entscheidung froh ge-
wesen sein. Andererseits ist es auch aus anderen Gründen plausibel, daß die Entscheidung
eigentlich nicht anders fallen konnte:
Auf die Abhängigkeit des Instituts von der Person Weizsäckers (jedenfalls seiner Abtei-
lung) hatte ich schon hingewiesen. Das liegt in der Struktur der Max-Planck-Institute be-
gründet, und wenn sich ein Institut außerdem noch auf einem so ausgefallenen Feld bewegt
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wie das Starnberger, dann ist schon von daher die Fortsetzung der Arbeiten unter einem
neuen Direktor nicht zu erwarten.
Das Scheitern liegt aber tiefer, und jeder der Mitarbeiter einschließlich Weizsäcker hat das
Scheitern in einem tieferen Sinn sehr stark empfunden. Die ursprünglich gestellte Aufgabe,
nämlich in interdisziplinärer Zusammenarbeit Lösungen für die großen durch die Wissen-
schaft und Technik verursachten Probleme vorzuschlagen, und das im Zusammenhang mit
den großen philosophischen Problemen, diese Aufgabe ist nicht erfüllt worden. Sie konnte
wohl nicht erfüllt werden, weil so etwas einfach zu schwer ist. Man wird also das Scheitern
schon da ansetzen müssen, wo überhaupt ein solcher Plan ernsthaft erwogen wurde bzw.
wo er nicht ausdrücklich durch einen anderen ersetzt wurde. Es ist bezeichnend, daß der
Erfolg der Arbeit am ehesten da lag, wo die Beteiligten ihre Ansprüche sehr bald auf ein
viel bescheideneres Programm zurückschraubten, etwa in der Gruppe „Entwicklung und
Unterentwicklung“, soweit ihr Ziel nur noch war, empirische Erhebungen über das Faktum
der internationalen Arbeitsteilung anzustellen, oder bei der Gruppe „Alternative Wissen-
schaft“, die schließlich nicht mehr wollte, als einen ordentlichen Beitrag zur laufenden
wissenschaftshistorischen Diskussion zu leisten.
Gescheitert ist aber auch in gewisser Weise jeder einzelne Mitarbeiter, und dieses Scheiten
bestimmt sehr stark den Wert der Institutsjahre in jeder individuellen Biographie. Jeder
hatte nämlich durch das Institut die Möglichkeit, genau das zu machen, was er für richtig
hielt, mit den Mitteln, die er für notwendig hielt. Die Möglichkeiten waren praktisch unbe-
grenzt: Jeder konnte reisen, Kongresse besuchen, selber Kongresse veranstalten, Hilfsper-
sonal beschäftigen, Literatur beschaffen; die Arbeitsatmosphäre war angenehm und ruhig,
Kontakte aller Art innerhalb und außerhalb des Instituts wurden erleichtert - kein giganti-
scher Apparat, aber doch so, daß keiner mehr die Möglichkeit hatte, seine mangelnde Pro-
duktivität auf die Ungunst der Umstände zu schieben. Daß ich trotzdem nun nichts wesent-
lich Besseres produzierte als vorher, daß nun trotzdem nicht ein Geniestreich dem anderen
folgte, das mußte erst einmal verkraftet werden. Das hatte auch Weizsäcker beobachtet,
daß keinem, der an dem Institut Wissenschaft machte, eine tiefe persönliche Krise erspart
blieb.
Die Erfahrungen in diesem Institut waren andererseits für jeden Mitarbeiter zweifellos un-
geheuer wertvoll. Von mir jedenfalls kann ich sagen - und ich glaube, daß es auch den
anderen, die lang genug gearbeitet haben, ähnlich ergeht -, daß die Jahre in diesem Institut
mein weiteres Leben sehr stark geprägt haben, einerseits durch die Erfahrung des Arbei-
tens unter optimalen Bedingungen, einschließlich der damit verbundenen Krise, anderer-
seits durch die Erkenntnis, sowohl inhaltlich von der Institutsarbeit her wie auch unmittel-
bar im Institutsalltag, daß die meisten Probleme rational, etwa mit Hilfe von Wissenschaft,
gar nicht lösbar sind: Es läuft sowohl im Weltmaßstab wie im Maßstab eines solchen klei-
nen Instituts doch vor allem auf Fragen wie die hinaus, ob ich mich durchsetzen kann, ob
meine Wünsche erfüllt werden, wie weit ich mich gegen Angriffe anderer schützen kann,
wie weit ich anderen vertrauen kann - letztendlich, wenn man es auf einen Nenner bringen
will, auf Probleme des Mißtrauens bzw. der Macht. Diese Erkenntnis hätte man, so schier
und unmittelbar, wohl nirgends sonst gewinnen können.
Nachdem die Schließung der Weizsäcker-Abteilung endgültig feststand, wollte Habermas
die Verantwortung für die Arbeit der verbliebenen Mitarbeiter - mit unbefristeten Verträ-
gen - nicht allein übernehmen. Daher entschloß er sich schon sehr bald, sein Amt ebenfalls
niederzulegen und wieder als Professor an die Universität zurückzukehren. Damit war
praktisch das gesamte Institut aufgelöst, wenn auch einige
(vor allem die nicht-
wissenschaftlichen) Mitarbeiter in ein neues Max-Planck-Institut übergingen, das noch
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heute in München arbeitet. Aber die spezifische Geschichte des Starnberger Instituts war
damit zu Ende.
Die Mitarbeiter, die aufgrund des Schließungsbeschlusses das Institut verlassen mußten,
wurden von der Max-Planck-Gesellschaft traditionsgemäß großzügig abgefunden - im Fall
dieses Instituts vielleicht noch etwas großzügiger, wegen der überdurchschnittlichen Ver-
waltungserfahrung der Mitarbeiter. Die meisten Mitarbeiter erhielten die Möglichkeit,
noch fünf Jahre lang nach der endgültigen Schließung des Instituts ihr Gehalt weiter von
der Max-Planck-Gesellschaft zu beziehen, wenn sie in dieser Zeit an einem anderen Insti-
tut sich einarbeiteten mit der Aussicht, von dem betreffenden Institut als Mitarbeiter über-
nommen zu werden.
Die Gruppe „Entwicklung und Unterentwicklung“ gründete ein privates Forschungsinsti-
tut, dessen Etat ebenfalls fünf Jahre lang von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wurde,
und das heute durch Aufträge und Spenden finanziert wird. Die Gruppe „Strategie und
Außenpolitik“ arbeitete unter der Leitung von Horst Afheldt mit überwiegend neuen Mit-
arbeitern noch weiter bis zu Afheldts Pensionierung im Jahr 1989; Weizsäcker hatte nach
seiner Emeritierung sein Büro in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Gruppe und
arbeitete auch weiterhin eng mit Afheldt zusammen. In einem Resümee der Institutsarbeit
meinte Weizsäcker einmal, inhaltlich sei das wohl die wichtigste Leistung des Instituts
gewesen, daß es Afheldt in Zusammenarbeit mit ihm die günstigsten möglichen Arbeitsbe-
dingungen gewährt habe.
Äußerlich ist das Institut also gescheitert, ebenso ist es gescheitert, wenn man es an seinen
eigenen ursprünglichen Ansprüchen mißt. Nach Maßstäben, wie man sie an wissenschaftli-
che Institutionen normalerweise anlegen würde, kann man es aber durchaus als erfolgreich
ansehen. Es sind ansehnliche Publikationen in dem Institut entstanden, es ist trotz des an-
fänglichen Chaos sehr fleißig gearbeitet worden, und die Gunst der Arbeitsbedingungen
und die Möglichkeiten des Zusammenarbeitens haben, auch wenn sie die anfänglichen
Erwartungen nicht erfüllen konnten, doch dafür gesorgt, daß keine der entstandenen Publi-
kationen langweilig oder seicht geworden ist. Dazu hat das Institut alle Mitarbeiter ent-
scheidend und positiv für ihre weitere Tätigkeit geprägt, so daß ich nicht zögern würde, die
Bilanz des Instituts trotz berechtigter Kritik als positiv anzusehen. - Sein Ende ist nicht auf
einen plötzlichen Coup seiner Gegner aus politischen Gründen zurückzuführen, es war von
vornherein vorauszusehen, wohl sogar unausweichlich. Wäre das Institut nicht von außen
beendet worden, so wäre es doch in der Art, wie ich es hier beschrieben habe, ungefähr um
dieselbe Zeit von selbst zu Ende gewesen; es hätte wohl nur als eine Art von interessantem
Konglomerat verschiedener konventioneller Arbeitsgruppen weiter existieren können. So
gesehen war die Beendigung von außen sogar eher ein Glücksfall: sie ermöglichte die Ent-
stehung einer heroischen Legende.