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Zur Sühnopfertheologie 

26. März 2019

Daß Jesus für unsere Sünden gestorben sei, ist ein altes Bekenntnis der Urgemeinde, was Paulus 1Kor 15,3 zitiert.[1] Hier wird bereits auf Jes 53 verwiesen. Es gibt nur noch drei weitere Stellen, wo Jesu Tod als Versöhnung mit Gott gedeutet ist.[2] In Heb 9,22 gibt es keine Vergebung ohne Blutvergießen und Jesus gab dazu seines, um uns Freikarten für den Himmel zu beschaffen. Die Textbasis dieser Sühnopfertheorie ist gemessen am gesamten Textbestand des Neuen Testaments mehr als dünn. Gleichwohl ist sie durch Luther ins Unermeßliche aufgeblasen worden. Jesus konnte doch noch gar nicht wissen, ob ich sündige und es sich lohnt, für diese kleinen Sünden zu sterben. Jesus ist für seine Mißachtung des Sabbatgebots und viele andere Provokationen der jüdischen Frömmigkeit hingerichtet worden, aber nicht für meine paar Dummheiten. Jesus war auch nicht besonders erpicht darauf, hingerichtet zu werden. In Gethsemane betet er, daß ihm die Hinrichtung erspart bleibt. Er hat eine höllische Angst vorm Tod.

Im Heiligkeitsgesetz Lev 17 wird gefordert, jedes Tier vor dem Zelt Jahwes auf einem Altar zu schlachten und dessen Blut dort auslaufen zu lassen, weil Blut Lebenssaft ist und ausschließlich Gott Blut trinken darf. Blut trinken ist eine Todsünde und wird mit dem Tod bestraft. Das Blut des Todeskandidaten gehört Gott und muß in die Erde oder auf einen Altar rinnen. Stellvertretend für das Menschenopfer darf aber später auch ein Tier geopfert werden. Sein Blut wird anstelle des Sünderblutes vergossen. Jes 53 erzählt von einem Knecht, der die Sünden des ganzen Volkes auf sich nimmt, ihre Krankheiten an sich trägt und nach seiner Opferung als Sühne für die Volkssünde von Gott rehabilitiert wird. „Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben.“[3] Dieser prophetische Text wird nach Jesu Tod als Vorschau des Lebens Jesu verstanden und in Phil 2,11ff vertieft: Der Höchste läßt sich herab zu den Niedrigsten, wird ihnen gleich in seiner Solidarität und nach seinem Tod als Märtyrer rehabilitiert, sitzt zur Rechten Gottes.

Nach dieser von Paulus aufgegriffenen Theorie schickt Gott seinen Sohn ans Kreuz und erniedrigt damit sich selbst[4], um nicht sein eigentliches Vorhaben der Vernichtung der Menschheit wahrmachen zu müssen wie seinerzeit in der Sintflut. Aufgrund seiner Verfehlungen hätte normalerweise jeder Mensch den Tod verdient. Stellvertretend für ihn aber übernimmt Jesus den Tod. Somit hat der Christ durch seine Sünde Jesus ans Kreuz gebracht und müßte eigentlich auch mit ihm ans Kreuz genagelt werden. Statt dessen hat er wenigstens seine Krankheiten, seine Pleiten, Pech und Pannen.

In 2Makk 12,32-45 wird sogar für Kriegstote, die ein verbotenes Amulett trugen, ein Sühnopfer finanziert, damit diese sündlos werden und dadurch an der Auferstehung teilhaben können, die es also schon lange vor Jesus gegeben hat für Kriegstote der Makkabäerkriege. Gott wird hier als unerbittlich grausam beschrieben: wer anderen Göttern vertraut, hat den Tod verdient und kommt nicht in den Himmel. In der Sühnopferlehre muß getötet werden. Es gibt keine Gnade für den Sünder ohne Blutvergießen. Gott will Blut sehen.

Wie böse ist Gott? Zur Frage von Gewalt als Zorn Gottes in der Bibel

Ein Gott, der eifersüchtig ist und keine anderen Götter neben sich duldet, ist böse. Ein Gott, der Menschenopfer gewohnt war und sie erst bei Isaak durch Tieropfer ersetzt, ist böse. Ein Gott, der Tieropfer verlangt, ist böse. Ein Gott, der Sintfluten macht, ist böse. Ein Gott, der die Erde in tektonischen Schichten geschaffen hat, die regelmäßig und dauerhaft zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis und Feuersbrünsten führen, ist böse. Ein Gott, der Wirbelstürme durch die warmen Meeresströmungen geschaffen hat, ist böse. Ein Gott, der die Ernährung der Lebenden durch Töten und Fressen anderer Lebenden geschaffen hat, ist böse. Ein Gott, der den Menschen als seinen Ebenbildern den Brudermord in die Gene gelegt hat, ist ein habgieriges eifersüchtiges Untier. Ein Gott, der Menschen die Möglichkeit des Kriegführens und Niedertrampelns[5] der Schöpfung gegeben hat, ist ein Sadist. Ein Gott, der eigentlich alle Menschen aufgrund ihrer meist lapidaren Verfehlungen töten will, ist sehr sehr böse. Ein Gott, der statt dessen seinen eigenen Sohn tötet, ist brutal. Ein Gott, der dann nicht wenigstens dafür Sorge trägt, daß den Menschen, für die Jesus gestorben ist, nichts Schlimmes und schon gar nicht die Todesstrafe widerfährt, ist wortbrüchig und so auch böse. Der Zorn Gottes offenbart, wie böse unser Gott ist. Dabei ist es unerheblich, ob Gott den Menschen ebenfalls eine beschränkte Freiheit zum Bösesein gegeben hat.

Es ist egal, ob er seine Allmacht durch die Ermöglichung der menschlichen Freiheit eingeschränkt hat, ob er verzichtet hat auf die Ausübung der Macht, menschliche Dummheiten oder Bosheiten zu verhindern, oder ob er die selbstgewählten Schicksalswege der Menschen gar nicht wissen will in freiwilliger Selbstbegrenzung seiner Allwissenheit und Vorhersehungsfähigkeit. Ein Gott, der eine sündige Menschheit auf Erden sich selbst überläßt, weil er ihr Freiheit lassen will, ist verantwortungslos. Ein Gott, der sich selbst als Liebe begrenzt, ist lieblos. Alle diese Behauptungen über Gott, die den Widerspruch von einem liebenden und allmächtigen Gott angesichts des so massenhaften unverschuldeten Leidens auf der Erde auflösen sollen, verschärfen nur die Erkenntnis der radikalen Unvollkommenheit Gottes. Daß er weder universale Liebe etablieren kann noch die Natur so schaffen, daß diese ohne Leiden existieren kann, zeigt ihn als schlechten Schöpfer: weder Liebe noch allmächtig.

Die angebliche Selbstbegrenzung Gottes zugunsten menschlicher Freiheit ist eine zur Ehrenrettung Gottes erdachte Ausrede und kaschiert die faktische Ohnmacht Gottes. Er ist Seniorchef, der aus der Firma aussteigt, wobei er unter der Herabwirtschaftung der Erde durch seine Nachfolger leidet, etwa in Auschwitz.

Die Naturkatastrophen: Erdbeben, Dürre, Hunger, Überschwemmungen, Stürme und Feuer sind nicht bedingt durch menschliche Schuld. Hier ist allein Gottes fehlerhafte Schöpfung schuld daran, daß unzählige Menschen sterben, die selbst absolut unschuldig an diesen Naturgewalten sind. Da versagt die theologische Rede von der freiwilligen Selbstbegrenzung Gottes auf ganzer Linie.

Den früher in Israel konstruierten Tat-Folge-Zusammenhang von Sünde und Krankheit, ja Tod, hat Jesus entschieden bestritten. Daß Gott völlig unschuldige Kinder grausam an schrecklichsten Krankheiten leiden lassen kann, offenbart seine Bosheit in besonders drastische Weise. Daß Krankheit ebenfalls aufgrund einer Selbstbegrenzung der angeblichen Allmacht Gottes entsteht, ohne daß der Allmächtige noch Macht hat, sie zu heilen, wie Jesus es versucht hat, ist eine zynische Ausrede. Ein liebender Gott hätte die Organismen so harmonisch wachsen lassen können, daß Krankheit ausgeschlossen bliebe. Wenn wir als Ebenbilder Gottes immer wieder kränkeln und sterben, ist das Originalbild Gott wohl selbst ein krankes Subjekt.

Daß die seelsorgerliche Begleitung Kranker und Sterbender die einzige Form sein soll, in der die Liebe Gottes des Allmächtigen uns zuteil wird, ist ein trauriges Armutszeugnis für diesen Gott. Daß Wilfried Härle schreibt: „es ist Teil seiner Erschaffung personaler Wesen, dass er nicht wissen will, welche dieser Möglichkeiten von ihnen in der Zukunft gewählt werden“[6], ist makaber ohnegleichen bei der Betrachtung des Heiligen Leidens und Sterbens der Kinder von Hiroshima und Nagasaki. Sie hatten keine Wahl in ihrem Sterben.

Die Mehrzahl der Menschen in Leid und Not hat keine Wahl und erst recht keine Freiheit. Die gesamte Rede von menschlicher Freiheit angesichts des Leidens ist ein theologischer Faustschlag ins Gesicht der gequälten Leidenden. Diese Menschen haben es nicht verdient, mit solchen Sprüchen von Gottes angeblicher Liebe überzeugt werden zu sollen. Aufrichtig wäre allenfalls, den Menschen, die fragen, wie Gott das alles zulassen kann, zu sagen: wenn er allmächtig genug wäre, um überhaupt irgendwas zulassen oder verbieten zu können, dann wäre er ein Sadist und das ist keine akzeptable Art, einen Kranken zur Reife zu erziehen. Und umgekehrt brauchen Menschen zur Akzeptanz ihres Leidens keinen Gott, der unsichtbar mitleidet, wovon nun wirklich keiner etwas hat. Man kann sein Leiden auch ohne einen mitleidigen Gott annehmen lernen, auch als Atheist reifen. Gut wäre es, Menschen zu haben, die einen nicht allein lassen und die Leid lindern helfen.

Jahwe, der Gott des Heiligen Krieges und Abschlachtens aller Gefangenen

Der Gott des Alten Testaments gebietet gefangenen Feinde zu liquidieren: „Aber in den Städten dieser Völker, die der Herr, dein Gott, dir zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, sondern du sollst unbedingt an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an den Hetitern, Amoritern, Kanaanitern, Pheresitern, Hewitern und Jebusitern — so wie es der Herr, dein Gott, dir geboten hat“.[7] So konnte verhindert werden, daß die Ureinwohner Palästinas als Sklaven der Juden ihre lebensbejahende Religion als attraktive Alternative zum Jahwismus verbreiten konnten. Gott hat Israel das Land dieser Völker als Erbe gegeben und will, daß deren Bevölkerung ausgemerzt wird, damit dort die Juden sich breitmachen können. Schöner kann Völkermord kaum noch legitimiert werden. Der Aufpreis für das gelobte Land mit Milch und Honig war die Pflicht zum Völkermord. Hitlers Programm vom Lebensraum im Osten mit Vernichtung ganzer polnischer Dörfer ist eine getreue Kopie dieser Bann-Gebote. Heute geht es in der Westbank munter weiter.

Reifung als bereitwilliges Leiden

Während Psalmen oft unverhohlen über Leid klagen, hält Härle die Klage und den Schrei des Leidenden wechselweise für wehleidig, kindisch oder einseitig angesichts einiger Frommen, die in ihrer Not zum Glauben gefunden haben.[8] Der Sinn des Leidens wird bei Härle mit Reifung des Leidenden und Annahme des Leidens durch den Glauben bestimmt. Die Reifung besteht darin, das, was sowieso unabänderlich ist, zu akzeptieren. Gott ist kein Gott, der Leidende erlöst, sondern allenfalls ihnen nahe ist, sofern sie dies auch glauben.[9] Leiden sei der „göttliche Weg zum Heil“ mit Mk 8,33, wo die Kreuzesnachfolge als der Weg Jesu dem Kampf um das eigene Wohl kontrastiert wird. Der Leidende ist genauso verzweifelt wie Jesus. Das verbindet wie in einer Selbsthilfegruppe das geteilte Leid.

Gottverlassenheit Jesu?

Nun hat aber gerade der gekreuzigte Christus noch eine letzte Frage: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Betet er Ps 22 nur, weil ihm als frommem Juden dies nahegelegt ist? Oder hat er als Sohn Gottes erlebt, wie brutal der Vater ihn fallen gelassen hat? Warum hat er nicht als Vorbild für alle Märtyrer und Kreuzesnachfolgenden gesagt: „Es ist schön zu leiden, weil ich da eine ganz besondere Nähe zu Gott erlebe. Zu dem Vater, der mich schlachtet, damit ihr alle Frieden habt und verschont bleibt vor seinem alles vernichtenden Zorn. Ihr Ungläubigen und bösen Menschen, ich sterbe für euch! Und habt keine Sorge, es ist nur ein Gefühl von Gottverlassenheit, in Wirklichkeit ist Gott mir ganz nahe und wird mich in drei Tagen wieder lebendig machen, dann hab ich alles überstanden und kann dann wieder zurück in meinen Himmel fahren auf meinem Wolkentaxi. Alles nur halb so schlimm. Und es ist eben der schnellste Weg nach oben. Ihr wißt doch: Märtyrer haben Vorfahrt, fahren sofort nach dem Tod himmelwärts.“ Der Satz von der Gottverlassenheit ist somit eher als ein theologischer Ausrutscher Jesu zu bewerten, der während seines 7stündigen Erstickens kurzfristig die Contenance verlor. Gerade auch während der Folter sind Christen normalerweise sehr gereift in ihrem Element. Meist übrigens als Folternde.

Es ist zynisch, Leiden als Königsweg zum Himmel anzuempfehlen. Es ist makaber, das Kreuz als Zeichen Gottes in den Mittelpunkt des Kirchraums zu stellen. Es ist die Verherrlichung der Folter als besonderer Gottesnähe. Um wieviel befreiender wäre zu sagen, daß all dies gar nicht der Wille Gottes ist und die Gerechtigkeit Gottes will, daß kein Mensch gefoltert und gequält wird und daß dieser Wille auf unsere Hände und Köpfe angewiesen ist, um Wirklichkeit zu werden? Wir sollten mit der permanenten Konnotation von Gott und Leiden brechen und beginnen mit einem Gottesbild, welches keine Opfer mehr will.

Logik der Sühnopfer

Wenn der Allmächtige auf Eingriffe in die Menschheitsgeschichte verzichten wollte, um ihnen die völlige Freiheit zu lassen, warum hat er dann vorgehabt, die Menschen alle zu vernichten, weil sie Sünder sind? Wenn er nämlich Jesus als Sühnopfer auf die Erde geschickt hat, um uns die Todesstrafe zu ersparen, muß er ursprünglich die Totalvernichtung aller Sünder im Schilde geführt haben wie zu Sintflut-Zeiten. Hätte er den Sündern nicht auch ohne die Abschlachtung Jesu vergeben können? Wozu im Abendmahl die symbolische Wiederholung dieser Abschlachtung mit dem Leib Jesu und seinem Blut zur Vergebung unserer Sünden? Ist Gott so zornig, daß er uns nicht einfach so und ohne Blutvergießen vergeben kann?

Nach alter jüdischer Lehre ist Bluttrinken ein todwürdiges Verbrechen und Gotteslästerung. Das Abendmahl ist eine Todsünde, legt man die komplette Theorie des Sühnopfers zugrunde, nach der alles Blut und Fett einzig Gott zusteht.

So bleiben als klassische Antworten auf den Widerspruch von Allmacht und Leiden:

A)   Gott ist gerecht: Er schickt das Böse als Strafe.

B)   Gott ist nicht allmächtig: Er kann das Böse nicht verhindern.

C)   Gott hat dem Menschen die Freiheit gegeben, auch für das Böse.

D)   Gott ist nicht nur gütig und nicht gerecht; er will (auch) das Böse und schickt Katastrophen nach für Menschen nicht erkennbaren Absichten.

E)   Gott hat mit dem Gang der Welt nach dem Ende des Schöpfungsaktes nichts mehr zu tun (Uhrmacher-Modell).

F)   Es gibt gar keinen Gott: Katastrophen als Argument für den Atheismus.

 



[1] 1Kor 15,3: oÀti Xristo\j a)pe/qanen u(pe\r tw½n a(martiw½n h(mw½n kata\ ta\j grafa/j,

[2] Kol 2,22; 1Pt 1,17ff kauft Jesu Blut die Gläubigen von ihrem niederen Wandel los als reines Lamm

[3] Jes 53,10

[4] Phil 2,11ff

[5] $abfk in Gen 1,28 mein hartes erbarmungsloses Niedertrampeln, Fesseln, Unterdrücken

[6] Wilfried Härle, Warum Gott?, Leipzig 2013,165

[7] Dtn 20,17f; Gerhard von Rad, Der heilige Krieg im Alten Israel, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 1952,25ff; Cornelius Brekelmans, Artikel {er"x Bann, in: THAT I,635-639: Die Kriegsbeute ist Jahwe zu weihen durch komplette rituelle Tötung, cf Dtn 2,34; 3,6; 7,2; 13,16f; Jes 34,2; 37,11; Jer 25,9; 50,12.21-26; 51,3; Num 21,2f; Jos 6,17ff; 7,1-15; 8,26; 10,1.28 u.ö.; Ri 1,17; 21,11; Ex 22,19; Lev 27,29; Esr 10,8; 2Chr 20,23; 2Kön 19,11

[8] aaO 172

[9] aaO 173