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Internet-Predigt zum Pessimismus

Bremen am Reformationstag 31. 10. 2019 

Halloween mit Kürbissuppe


Liebe Internetgemeinde!
Eine völlig neue Art zu predigen: Vom Schreibtisch aus an Menschen, die ich nicht sehe und die mich nicht kennen. Anonym wie im Beichtstuhl. Man kann sofort wegklicken, wenn es einen langweilt.
Ich habe meine Predigten von 1975 bis jetzt ins Internet gestellt und noch einmal durchgelesen. Damals war ich Feuer und Flamme für das Evangelium und hoffte auf das Reich Gottes zu meiner Lebenszeit. Blochs militanter Optimismus beflügelte meine Haßpredigten gegen den Krieg und die Rüstungsindustrie, die Lobby der Kriegsexporteure. Es war sehr naiv und langweilt inzwischen meine Freunde.
Höre Wagner während dieser Predigt und kann auf seinen Harmonien unheimlich abfahren. Tannhäuser-Ouvertüre, wie die Hegelschen Vorreden, die alle Weisheit des Buches zusammenfaßten. Die Geigen in den höchsten Tönen buchstäblich, der Höreindruck wird extatisch, die Ohren gehen auf. Und Wagners epische Dynamik mit naturmalerischen Themen – geradezu Programmusik, aber er reizt alles an Instrumenten Verfügbare aus, macht wie Udo Lindenberg eine Riesenshow auf der Bayreuther Bühne, die die Reichen anzieht. Wagners Soundeffekte sind ausgefuchst, die Melodien oft martialisch, wenn man das einschmeichelnde Vorgeplänkel mal wegläßt. Erschlagen von der Musik, die einen wie eine Riesenwelle überflutet.
War die Übernahme von Adornos Kritik an Wagner als Vorläufer des faschistischen Inszenarios vielleicht auch etwas beißerisch und hätte man ihn nicht mehr von der Nutzung musikalischer Mittel her als großen Experimentator mit leider und schrecklicherweise ausgesprochen AfD-artigen Sehnsüchten nach einem feierlichen Hitleraufmarsch sehen können?

Da ist schon wieder das Beißerische, die Bissigkeit Adornos, sein Biß. Ich liebte seinen Biß als 18jähriger in meiner brodelnden Seele. Durch Vaters Verbote war sie durchwoben von einem Geflecht von Verdrängungen, von unsagbar Gewordenem. Und Adorno schrieb mir aus der Seele. Die Treffsicherheit seiner Sätze, die Präzision der Analyse fand die Worte für das, was ich nur fühlte, ohne Worte gefunden zu haben. Worte, bei denen das Herz aufgeht vor Einverständnis mit sich, wo die inneren Pforten und sogar die Enge in der Brust aufgeht, man frei atmen kann ganz bei sich selbst ankommt.

Eigentlich wollte ich sagen: Ich mißtraue mir in meiner Beißerart, sehe fremde Blicke auf mich als dem Querulanten, dem Publikumsbeschimpfer, dem moralinsauren Eigenbrötler. Meine Kollegen sagten immer wieder: „Die Gemeinde braucht etwas positives, aufbauendes, braucht Hoffnung und Stärkung für ihren Lebensalltag, ihre alltäglichen Probleme und Sorgen. Du läßt sie damit völlig hängen.“ Und weshalb haben damals die bescheidensten und einfachsten Leute meiner Gemeinde sich am stärksten engagiert für den Aufbau eines Dorfkrankenhauses in Mandu Tawahun in Sierra Leone? Die hatten damals Hoffnung, daß man an der Armut etwas verändern kann. Das waren Idealisten und ich habe sie verführt durch mein Moralin.

Kritische Theorie als Hobby von Quengelköpfen und Meckerpötten? Und sind die Forscher mit ihren Erkenntnissen nicht ein zentraler Wegweiser und Bahnbrecher für Prognosen wie Klimakatastrophe, Kapitalismuszusammenbruch? Da wird unser Verhalten zu Recht geprüft und getadelt. Die Folgen unseres Tuns werden uns einholen. Und würde diese Kritik an unserem politischen und privaten Verhalten dieses korrigieren, hätte die Vernunft gesiegt über die Fülle egoistischer Konsumgewohnheiten im weitesten Sinne. Einfacher Leben als Ziel.
Ich habe als junger Pfarrer noch ganz fromm an das Reich Gottes geglaubt, während mein Vater als Pfarrer sagte, Kriege wird es immer geben, es gibt keinen Frieden und keine Gerechtigkeit auf Erden und das Reich Gottes ist im Himmel und das himmlische Jerusalem senkt sich nicht auf die Erde und dort wird Gott keine einzige Träne abwischen.
Nun gibt es die Realpolitiker, die wollen wie Joschka Fischer die Konflikte mit Muslimen in Jugoslawien beenden durch eine Intervention und erzeugen dann einen unglaublichen grausamen Krieg, statt ihn zu verhindern. Das Ganze mit der tollen Maxime, einen Faschismus dort zu verhindern.

Nichts wurde verhindert und die Wunden sind für Jahrzehnte noch offen. Die afrikanischen Kriege wurden emsig beliefert durch unsere Rüstungsindustrie und die will immer wieder neue Märkte erschießen, erschließen, stopp.
Ich gerate auch jetzt sofort wieder in das Klagen über all die Nöte dieser Welt und kann es nicht lassen, sie am Friedenswillen Gottes zu messen. Warum kann ich nicht zulassen, daß es immer Kriege geben soll und Gott keine Realität in dieser Welt ist, sondern eine Art zweites Universum, wo wir später hingelangen, wenn wir artig sind und uns nicht in die Geschäfte dieser Welt einmischen.
Angenommen, es wird noch 100 Jahre dauern, bis Kriege durch bessere Arten der Konfliktlösung abgelöst sein werden und wir waren in diesem Jahrhundert einfach noch nicht so weit, wie Obama es sieht. Dann wäre es nur eine Zeitfrage, wann das Reich Gottes beginnt und ich kann sowieso nichts machen daran, daß es in diesem Leben nichts wird mit Gottes Reich. Daß wir hier in Bremen aber leben können wie die Made im Speck, Schlaraffenland und herrlich schmausen, keine Angst vor der Zukunft und gesund im großen Ganzen. Also ich habe das Reich Gottes hier in meiner Hütte realisiert. Keine Kämpfe mehr mit irgendwem. Alles friedlich geworden. Und jetzt? Ich habe mich also geirrt. Ich habe geglaubt an die Zukunft des Reiches Gottes. Und es ist nicht gekommen und ich habe es keinen Millimeter näher zur Welt bringen können mit meinem Gequatsche und Tun. Ich wollte Gott als Realität propagieren, der Welt immanente schwache Tendenzlatenz. Ich konnte noch nie an eine jenseitige Existenz Gottes glauben. Das war für mich nie mehr als Aberglauben. Jetzt muß ich kapitulieren und zugeben, auch mein Versuch ist gescheitert, Gott als zukünftige Herrlichkeit der versöhnten Weltgemeinde zu denken. Was bleibt? Vielleicht alles zu tun, um später sagen zu können: ich war ein gutes Tier, halbwegs gut. Kein Heiliger, habe viel Glücksmomente mit vielen Frauen erlebt, genossen und erlitten, wie sie vergingen. Habe einen halbwegs guten ökologischen Fußabdruck, etwa die Hälfte des Bundesdurchschnittes. Noch immer viel zu viel.
Eigentlich bin ich der Parusieerwartung aufgesessen. Diesmal nicht in der paulinischen Form: noch zu seinen Lebzeiten, sondern mit den 2000 Jahren Verzögerung, aber dann doch durch Entwicklungen wie UNO und 70 Jahre Frieden in Europa geschützt und gestützt.
Die Hoffnung auf Frieden noch zu meinen, unseren Lebzeiten ist obsolet, naiv, verblendet. Aber wer hätte vor 1989 gedacht, daß der kalte Krieg mal der Vergangenheit angehören würde? Da hat sich doch so viel Ermutigendes getan. Und die Proteste gegen Mißstände sind in den letzten Jahren immer massiver geworden und es tut sich dadurch auch vieles, wenn auch zu langsam. Greta Thunberg hat in wenigen Monaten eine ungeahnte Radikalisierung in der BRD erreicht. Wie sehr ist das alles Grund zur Hoffnung? Oder die Kapitänin Carola Rackete, die im Juni 53 Menschen aus Seenot rettete und gegen das Verbot von dem faschistischen Italiener Salvini an Land brachte. Es gibt wieder Heldinnen, fast immer Frauen, kaum einmal Männer. Wo doch die männerdominierten Regierungen vieler mächtiger Länder die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und die Klimakatastrophe kaum noch abzuwenden ist.
Ich bin skeptisch, aber werde das Schlimmste nicht mehr selbst miterleben. Nach mir die Sintflut – wortwörtlich.

Und dies jetzt soll eine Predigt sein? Für Leser im Internet? Ein Abgesang auf die minimale Macht Gottes in einer katastrophalen Welt. Ein Wort der Resignation, der Kapitulation vor den Mächten in dieser Welt. Es ist zu spät für Hoffnungen. Vielleicht gibt es ja einen Himmel, aber ich komme da nicht rein, so wenig wie in Richys Hütte in Bayreuth. Das Motto dieser Predigt ist: Macht euch keine Hoffnungen mehr, es ist gelaufen, die Rettung der Welt ist nicht mehr machbar. Und warum auch.

Ihr jüngeren PredigtleserInnen, sucht euch Orte in Norwegen, bevor die Karawane der Klimaflüchtlinge Europa überschwemmt und es hier unerträglich heiß und trocken wird. Gut, daß wir Verursacher all dieses Elends, wir Seehofer-Unterstützer und Merkel-Wähler, dann schon in der Urne sind. So kann uns keiner mehr vorwerfen: Warum habt ihr es nicht verhindert?
Warum diese Predigt keinen ausgewiesenen Bibeltext hat? Lest Jeremia von vorne bis hinten. Wird ungern gepredigt, weil so negativ. Und es gibt jetzt keinen Trost, kein einlullendes und erbauliches Wort. Wenn irgendwas noch hilft, dann nicht fromme Sprüche, sondern auf die Straße gehen und der Regierung Druck machen, ihre Klimaziele beherzt umzusetzen. Es kommt die Zeit, wo man sagen wird: Wie konntet ihr so blöd sein, euch SUVs zu kaufen und nach Malle zu fliegen? Und es wird keine solche Dreckschleuder mehr auf unseren Straßen zu finden sein. Jaja, Meistersinger, träum deinen Traum. Amen.