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Zur Dialektik der Todsünden

Zwischennetzpredigt vom 23. Dezember 2019

Todsünden waren Lebenseinstellungen, die das soziale Weiterleben auf Dauer gefährden oder bedrohen:

superbia - Hochmut, Stolz, Übermut und Eitelkeit

avaritia - Habgier und Geiz

luxuria - Wollust, Begehren, Ausschweifungen und Genusssucht

ira – Zorn, Wut, Jähzorn

gula - Völlerei, Maßlosigkeit, Gefräßigkeit, Selbstsucht

invidia – Neid, Missgunst und Eifersucht

acedia – Trägheit, Faulheit, Ignoranz und Feigheit

Der römische Bischof Gregor I. hatte so die Lasterkataloge des NT und andere Sündentabellen mit bis zu 8 "Fertigkeiten" zusammengefaßt und auf sie als göttliche Strafe das ewige Höllendasein proklamiert.

Eigentlich geht es um Übermäßigkeit in einer Dimension des gesellschaftlichen Miteinanders. Die Warnungen der mittelalterlichen Kirche wollten Begrenzungen schaffen, um das Gleichgewicht mit der Natur und untereinander zu befördern. Mit der Säkularisierung, der Industrialisierung wurden die Grenzen des Mittelalters zum Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung und die Todsünden bekamen teils sogar den Anstrich von Tugenden.

Heute sind wir an der Grenze unseres Wirtschaftssystems angelangt. Wir wissen alle, es kann so nicht weitergehen, wir schlittern unaufhaltsam in eine ökologische Katastrophe und zerstören die Erde an allen Enden. Jetzt ist die Zeit gekommen, uns auf die verpönten Grenzsteine der mittelalterlichen Verhaltensempfehlungen neu zu besinnen und zu überprüfen, mit welchen alten Wertvorstellungen wir unsere bedrohte Zukunft als gesamte Weltgesellschaft neu gestalten können und müssen.

Dazu wollen wir an sieben Abenden in der Passionszeit über den Sinn von Verzicht nachdenken. Es ist dabei ein riesiger Unterschied, ob wir aus Zwang verzichten auf etwas scheinbar Schönes, oder ob wir es mit Genuß tun, aus einer tiefen Leidenschaft für das Leben der Anderen, die sonst nicht genug vom Weltkuchen abbekommen.

Jesus sagt: "Ich lebe und ihr sollt auch leben." Wenn jeder so leben würde, daß alle satt werden auf dem Erdball, wäre das nicht ein wunderbares Glück? Verzichten kann glücklich machen. Die Grünen trauen sich nicht, von Verzicht zu sprechen, weil sie Wähler verlieren könnten. Wir in der Kirche sind frei, darüber nachzudenken und wollen das tun. Fastenzeit ist Zeit der Befreiung von viel unnötigem Ballast. Das loten wir aus im gemeinsamen Feiern, Beten, Singen, Meditieren über anregende Texte und Gesprächen in der vertrauensvollen Kompetenzgemeinschaft der Mitmachenden.

Die Sieben Todsünden sind im großen Ganzen auch heute noch als asoziales Verhalten verpönt und dies in fast allen Nationen, soweit es um den Lebensstile des Einzelnen geht. Die moralische Bewertung hinkt mit einer Verspätung von vielen Jahrzehnten hinter der tatsächlichen Firmenphilosophie und Praxis der Wirtschaftsunternehmen hinterher.