Freud erkannte einen Todestrieb als Gegensatz der Libido. Der will Ruhe, Frieden, Entspannung, Loslassen. Die Gräber der Neandertaler vor 100.000 Jahren schon, die proto-indoeuropäischen Kurgane im Donez, die Pyramiden Ägyptens und viele Gräber der Frühzeit offenbaren eine große Fürsorge für die Verstorbenen: Grabbeigaben aller Art sollen die Zeit nach dem Leben so angenehm wie möglich machen. Es gab also bereits seit der frühesten Enkulturation einen Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod, was auch noch auf der materiellen Ebene, als körperliche Fortexistenz, gedacht und inszeniert wurde. Die indoeuropäische Tradition pflanzt sich durch Rittereliten über Iran nach Indien fort, wo die Unterwelt als Todesraum transmutiert zu einem Weiterleben in Nachgeborenen. Platon nimmt diese Seelenwanderungslehre der indischen Nacktweisen (Gumnosofistai/ = Brahmanen) an seiner Athener Akademie im Anschluß an Pythagoras auf und entwickelt die iranische Lehre vom Großen Jahr weiter: ein perfekter Himmel, der 3000 Jahre lang geistiges Protomodell eines dann für weitere 3000 Jahre materialisierten Abbildes in unserer irdischen Lebenswelt ist. In Platons Reich der himmlischen Ideen (ei)de/ai), der Urbilder, lebt das eigentliche Leben, welches auf der dreckigen Erdenwelt sich transformiert in Körper zum Anfassen. Die Seelen nun kommen aus einem großen himmlischen Mischkrug (Timaios 41: krath=r) auf die Erde gesandt in die Körper von Tier und Mensch und werden nach dem Erdendurchgang post mortem auf der Rückkehr zur Himmelsheimat einem Totenrichtertribunal (Minos, Rhadamanthys und Aiakos. cf. Gorgias 523ff; Minos 318-21; Leges 624 + 948) vorgeführt, was je nach moralischem Einklang des Erdenlebens mit den himmlischen Idealen des Guten und Schönen die Form der nächsten Inkarnation festlegt. So kann zur Strafe für Gehen über Leichen und rücksichtslose Mißachtung der Mitgeschöpfe ein Mann zu einem Schwein verwandelt werden, wo er im nächsten Erdendurchgang erfährt, wie es ist, von Menschen gequält und geschlachtet zu werden. Aus dieser pytharogäisch-platonischen Adaption der hinduistischen Widergeburtslehre der Upanishaden stammt - über die Gnosis eingewandert ins Christentum - die Idee der Unsterblichkeit der Seele (Atman). Die pythagoräisch-orphisch-platonische Lehre von der Metempsychosis hat im orientalischen Fundus keine andere Parallele als die indische Karma-Lehre, nach der sich ethische Schulden und Verdienste in der Inkarnationskette akkumulieren und verrechnen lassen, teils auch himmlisch oder höllisch abgefeiert oder abgebüßt werden, bevor es zum nächsten Erdendurchgang geht. Im Buddhismus bildet das Nirwana mit seinem Samsara die Aufhebung des Wiedergeburtenzyklus durch Erleuchtung, den achtfachen Pfad der Überwindung von Gier und Haß. Das große letzte Ziel ist auch hier: wirklich und endgültig sterben zu können und ewige Ruhe zu erlangen.
Individuelles Seelengericht gab es ohne Wiedergeburt ebenso an der iranischen Cinvatbrücke oder der ägyptischen Herzwägung und in der Lazarusgeschichte Jesu Lukas 16,19-25 mit Höllenstrafe oder Himmelslohn. Dabei ist der Himmel nicht die Heimat der Seelen, sondern Abrahams Schoß ein Trost für die Armen. Das irdische Leben war damit irreversibel beendet, ob im iranischen garothman oder den ägyptischen Unterweltstädten, in denen die Reichen wohlversorgt von Usheptis bedient wurden wie der Herrscher im Donezbecken seinen ganzen frisch erwürgten Hofstaat mit ins Kurgan-Grab bekommt. Die Armen werden nur verscharrt. Diese feudalistische Grabkultur machte Jesus nicht mit.
Besonders Täufergruppen wie die Mandäer hatten eine detailliert rituell ausgestaltete Vorstellung von postmortaler Auffahrt der Seele in den Heimathimmel. Damit wird der griechische Hades als Totenreich in Höhlen oder der Insel der Glückseligen in eine himmlische und immaterielle Sphäre verschoben. Wie in der Orphik Losungsworte auf Goldplättchen im Grab (als Schutz gegen das Vergessen beim Trinken aus der Lethequelle) die Einlaßbedingung in den Hades sind, so sind im mandäischen Seelenaufstieg die 7 Grenzkontrollen auf dem Weg zum obersten Himmel kleine Gerichte, deren Urteil die Seele zu fürchten hat. Das Elysium (Ἠλύσιον oder Πεδίον) verstand man als im westlichsten Teil des Oceanos gelegenen Insel der Seligen, in den die großen Helden unsterblich entrückt werden. Sie können dort reiten, turnen, musizieren, im Schatten von Weihrauchbäumen auf blühenden Wiesen lecker essen. Auch hier ist schwer vorstellbar, daß einfache Sklaven post mortem eine Reitschule besuchen oder ein Instrument lernen; es sind wieder einmal die Reichen, die sich auf der Insel der Seligen tummeln, genau wie im irdischen Leben.
Eine Fülle von Himmelsreiseliteratur erzählt über die Harmonie des himmlischen Lebens, um die Gläubigen der Gemeinschaft zur Lust auf diesen Himmel einzustimmen und als dessen Vorbedingung auf ein der Nächstenliebe hingegebenes integres Alltagsleben. Dessen hohe Moral stammt wiederum aus dem Wissen, als Abkömmling der göttlichen Welt ein von außergewöhnlicher Liebesfähigkeit beseeltes Wesen zu sein und darum in einzigartiger Weise lieben zu können. Es ist keine moralische Pflicht intendiert, ein Gutmensch sein zu müssen, sondern eine hoch narzißtische Selbstüberschätzung einer herausragenden Solidaritätsbegierde, Helferlust, Freude am Eintreten für die Rechte der Unterprivilegierten einer Gesellschaft. Das Motiv ist nicht der Kampf um einen bedrohten Platz im Himmel post mortem, wie es in christlich-pietistischen Gruppen grassiert. Es ist vielmehr der freudige Stolz, als Himmelswesen mit schönem Götterfunken im Hautsack die Welt ein kleines bißchen himmlischer umzubauen.
All diese Traditionen gehen entweder von der Himmelsheimat als Anfang und Ende des einzelnen irdischen Lebens aus oder sogar von Zyklen der Oszillation zwischen Himmelsheimat und einer endlosen Serie von Erdgängen. Aber auch dort ist das höchste Ziel, aus dem Hamsterrad der Wiedergeburten dermaleinst in das Nirwana zu gelangen, wo die pausenlose Herumtreiberei auf der Erde in ständig wechselnden Gestalten ein Ende in einer ewigen Ruhe und der Auflösung des Selbst hat.
Genau diese Sehnsucht haben auch die vielen Suizidanten: frei zu sein von Pflichten, Verantwortungen, Schmerzen, Qualen, inneren bösen Stimmen, der Selbstverurteilung. Der Tod bringt die Erlösung vom Jammertal Erde. Es ist der Wunsch, daß das ein für alle Mal ein Ende hat.
Wie kann man sich als Materialist den Tod und die Ewigkeit des Lebens zusammendenken? Ohne Fleisch keine Seele. Alle seelischen Prozesse werden neurobiologisch immer deutlicher als cortikal/somatische Prozesse erkannt. Das Hauptaugenmerk liegt derzeit auf elektrischem Reizaufkommen in bestimmten Hirnregionen, denen wiederum bestimmte Funktionen zugeordnet werden können. Adäquate Prozesse in anderen Körperzonen dürften wesentlich dazugehören und in neuronaler Wechselwirkung und Synergie seelische Prozesse basal stützen, beispielsweise bei sexueller Erregung genitale Schwellungen, bei Angst Darmentleerungsprozesse usw.
Die Seele arbeitet nicht ohne den Körper. Sie ist eine Arbeit des Körpers und in ihm beheimatet und ohne ihn nicht mehr nachweisbar. Es gibt keine meßbare seelische Regung ohne eine Regung des Körpers. Dies Miteinander nennen wir Leib. Biologisch-medizinisch gesehen ist die Seele bei komplettem Hirntod gestorben, während der Körper durchaus noch weiter funktionieren kann durch Reflexe der Ganglien und künstliche Beatmung. Der Körper kann die Seele überleben durch technische Gerätschaften.
Die Seele kann den Körper nicht überleben. Die Seele löst sich auf, sie erlischt. Sie kommt zur Ruhe, zur tiefsten vorstellbaren Entspannung. Dieser Zustand wird als Ruhe in Gott vorstellbar und ist wie jede tiefe Ruhe ein äußerst angenehmer Zustand. Er ist der Endzustand der Seele. In Meditationen kann dieser Zustand tiefster Entspannung lebzeitig erfahren werden. Es ist tiefe Harmonie und Frieden.
Weshalb wünschen sich manche Menschen eine Seelenbeständigkeit, ihre Wanderung durch die Zeiten und immer wieder andere Körper, wie können sie sicher sein, daß sie nicht als Tier oder Pflanze wiederkommen? Das Motiv scheint mir eine unglaubliche Angst vor dem endgültigen Tod zu sein, der als Schrecken attributiert wird und nicht als Frieden begriffen werden kann. Daß Hiob im AT alt und lebenssatt stirbt, zu seinen Vätern versammelt wird in der Scheol (low):$), ist ein Lebensmodell ohne ewige Wiederkehr, in dem das Ziel das erfüllte Leben ist, eine Diesseitigkeit des Schalom, des Wohlbefindens und Glücklichseins in erlebter Gerechtigkeit, die nicht schon am Anfang herrschte, sondern errungen werden mußte mit der Hilfe Gottes. Es ist Satisfaktion, Rehabilitation, die den Menschen das Gefühl gibt, genug getan zu haben und für sie genug getane Fürsorge und Liebe der Anderen erlebt zu haben.
In der Medizin gehen viele Forschungen auf die Überwindung von Krankheiten zwecks Verlängerung des Lebens und haben die Lebenserwartung in den Industrieländern erheblich gesteigert. Auch hier ist das Ziel, den Tod zu vermeiden. Analog zum Wirtschaftswachstum und der Sucht nach ständiger Erweiterung aller Möglichkeiten und Optionen bis hin zur Erforschung anderer Planeten – wie Kepler 22 - zur Übersiedlung beim Wärmetod der Erde gibt es eine Unersättlichkeit in vielen Menschen, die in unstillbarer Gier ihre Lebensgeschäfte ewig und ohne Grenzen fortführen wollen. Für sie ist unvorstellbar, daß man eines Tages wirklich genug vom Leben hat und loslassen kann, sterben kann. Sie kleben mit einer Krampfhaftigkeit am Leben wie die Millionäre, die sich nach dem Tod einfrieren lassen für Zeiten, in denen die Medizin die Verlängerung des Lebens perfektioniert hat und ihren alten Körper reanimiert und so verjüngt, daß ein zweites Leben möglich wird.
All dies passiert, während unser Kapitalismus die ärmsten Länder weiterhin ärmer macht und ausbeutet. Dort ist die Lebenserwartung nur halb so lang. Wir überleben auf Kosten des Lebens anderer. Wenn es einen Gott gäbe, der Wiedergeburten organisiert, dann müßten wir Europäer alle als Tiere oder Menschen in Afrika, Lateinamerika oder Asien wiedergeboren werden. Dieses privilegierte Leben in Europa ist mit einer göttlichen Gerechtigkeit nicht kompatibel und es ist vermessen und unverschämt, sich von Gott eine Wiederholung dieser privilegierten Existenz zu erhoffen.
Weiterhin hat die Seelenwanderungsvorstellung eine massentouristische Komponente: Sie ist nestflüchtige Lust auf Erkundung ferner Welten analog zu Jetset und Raumfahrt. Die Heimat reicht nicht aus. Auch die psychische Reisegier ist unersättlich. Unstetes, flüchtiges Nomadentum spiegelt sich in den Zeitreisen der Seelen. Die einstige Suche nach validen Weideflächen hat ihren geistigen Überbau in der Heimatlosigkeit der Seele auf Erden gefunden. Von Körper zu Körper vagabundiert sie und lernt fast nichts dazu. Die „Rückführungen“ in esoterischen Zirkeln, in denen jemand unter Anleitung von „Experten“ mit oder ohne Hypnose seine früheren Leben erinnern will, täuschen im Gefolge des Pythagoras eine Bewußtseinskohärenz vor, die es selbst im wirklichen Leben nicht geben kann, weil unsere mnestischen Archive nicht einmal bis in die eigene uterinale Existenz oder die Säuglingsphase hineinreichen. Die hochschwemmenden Bilder und Szenarien können genauso gut aus einem der tausend geschauten Filme stammen, denen wir uns fortwährend aussetzen. Freud nannte das Phänomen Deckerinnerungen. Forschungen zum „hindsight bias“ oder zum Misinformationseffekt zeigen, daß Erinnerungen durch nachfolgende Informationen verändert werden. Durch funktionelle Bildgebung läßt sich neurophysiologisch zeigen, wie Veränderung von Erinnerungen während der Rekonsolidierung mit Veränderungen in der Aktivität jener Hirnregionen korrelieren, die während des Gedächtnisabrufs aktiv waren. Glucocorticoide und Noradrenalin wirken im basolateralen Kern der Amygdala, welche Gedächtnisprozesse in Hirnregionen wie zB dem Hippocampus verändert. Stress bewirkt dabei rigide Dogmatisierung von Erinnerungsspuren, all das, was als engrammierte Angststruktur vom Psychotherapeuten mühsam enthärtet werden muß. Angesichts dieser Flexibilität von Erinnerung ist, selbst wenn es Vorleben gäbe, eine zuverlässige Erinnerung an sie extrem unwahrscheinlich.
Ein weiteres Problem der Seelenwanderung ist der "Zukauf" neuer Seelen durch die wachsende Überbevölkerung. Es müssen ja ständig neue Seelen in den Himmelspool aufgenommen werden, um die explosionsartig wachsende Weltbevölkerungsmasse zu erklären.
Wenn die Seelen in ihrer Wanderung durch die Körper immer besser und vollkommener werden, müßte die Welt immer humaner werden. Das wird sie nicht. Die Grausamkeiten sind eher schlimmer geworden, die Tötungsmaschinen perfider, das indische Kastensystem und die Vergewaltigungen im Lande des Hinduismus so schrecklich wie seine Armut. Es zählt dabei auch nicht, daß die seelenwanderungsgläubigen Anthroposophen sich um eine bessere Erziehung des Menschengeschlechts bemühen und ökologische Verantwortung übernehmen. Es wandern ja alle Seelen, wenn es denn so wäre, und somit müßte die Menschheit insgesamt moralisch integerer werden. Davon sind wir weit entfernt. Zudem wäre die Futurologie des Bewußtseins letztlich sehr narzißtisch motiviert, eine Welt nicht nur einfach den Kindern zu hinterlassen, die noch lebenswert oder überlebensfähig ist. Nein, es geht dann darum, sich selbst diese Welt nicht zu versauen und unbewohnbar zu machen. Also purer Egoismus als Triebfeder guter Handlungen. Würde dieser Egoismus wenigstens dahin wirken, daß die Länder, in denen an Seelenwanderung geglaubt wird, von äußerstem humanistisch-moralischem Geist geprägt sind, hätte dieser Glaube ja etwas für sich. Die dortige strenge Moralität zielt aber keineswegs auf eine gerechte und friedevolle Welt ab. Sie ist nicht vollkommen, sondern befangen in struktureller Ungerechtigkeit, sei es das Kastensystem, indische Frauenvergewaltigungen und Ausschluß von Bildung, sei es der Umgang mit islamischen Minderheiten. Wäre beim Seelenwandern ein Lerneffekt in Richtung moralischer Vervollkommnung eingetreten, könnte die Welt von den verfügbaren Ressourcen her friedlich und frei von Hunger und Krieg sein. Das minimale Stücklein an Zuwachs von Humanität auf der Welt, was stets überlagert wird durch die kapitalistische Technologie der Ausbeutung mit immer effizienteren und weitreichenderen Mitteln, ist gewiß auch ohne die Annahme seelischer Vervollkommnung durch ihre Wanderung erklärbar.
Hinter der Wiedergeburtsvorstellung verbirgt sich eine zutiefst hybride Lebensgier, die teilweise gepaart ist mit einem letzten Rest von Gerechtigkeitsempfinden, indem beim Wirtswechsel der Seele ein Lohn- und Strafsystem der Totenrichter angenommen wird, welches auf Vervollkommnung der Seele abzielt: Kalokagatie bei Platon und Erleuchtung im Hinduismus. Der Perfektionismus technologischer Expansion macht auch vor der Seele nicht halt. Die Intention Luthers war immerhin, der Seele die Kleingläubigkeit und sündige Unvollkommenheit zuzubilligen und den Makel und die Behinderung als Lebensmöglichkeit zuzulassen und nicht gering zu schätzen. Hier paart sich die Demut und Bescheidung in der eigenen Unvollkommenheit mit der Gewißheit, gerade so geliebt und gewollt zu sein vom gnädigen Lebensschöpfer.
Auferstehung war im Judentum der Septuaginta ursprünglich der Gedanke an eine Belohnung der Märtyrer, die in den Makkabäerkriegen im Widerstand gegen die hellenistische „Überfremdung“ gefallen waren. Die Mutter mit ihren 7 Söhnen, die allesamt brutal skalpiert, mit herausgeschnittener Zunge und abgehackten Armen und Beinen gebraten werden, weil sie kein Schweinefleisch essen wollen, vertrauen auf die Belohnung für das unsägliche Leid: Die Erweckung zum ewigen Leben. 2Makk 7,9: „Als er aber in den letzten Zügen lag, sagte er: "Du Verruchter, du beraubst uns zwar des gegenwärtigen Lebens; aber der Herrscher der Welt wird uns, wenn wir für seine Gebote gestorben sind, zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken."“ Hier ist die Idee einer allgemeinen Totenerweckung fremd; nur die Leidenden werden zu Gott aufgenommen. Dennoch ist eine Nähe auch der Makkabäer zur persischen Religion in den beiden Makkabäerbüchern deutlich. Grundmodell dieser Märtyrer-Auferstehung ist die postmortale Auffahrt der Seele des Guten mit Vaju ins Haus des Lobgesanges. Im vorzarathustrischen Hadōxt-Nask 2f (= Yašt 20) wird der Gerechte im Paradies von seiner Doppelgängerseele in Gestalt eines traumhaft schönen Mädchens mit Frühlingsbutter gefeiert. Die Seele lebt in der geistigen Welt nun weiter in Luxus und ewiger Freude.
Im Rahmen des Weltgerichts aus dem iranischen Bundahišn 30.7ff SBE5 (= 34,6ff Anklesaria) war Auferstehung der Toten aus ihren Gräbern die Vorstufe der Versammlung aller Menschen, um ihre gerechte Strafe für ihre egoistischen Verfehlungen zu empfangen. Sie war insofern nichts Gutes, weil sie die Ungerechten mit der Läuterung im Fluß aus glühendem Metall bestrafte, also mit Höllenstrafen.
Um wieviel gnädiger ist dagegen für uns alle in den ausbeutenden Nationen der Welt die Möglichkeit, straflos und lebenssatt zu der Erde zurückverwandelt zu werden, von der wir geworden sind. Und sieht man die Klimakatastrophe und den Wirtschaftskollaps der reichen Länder kommen, dann ist es äußerst unvorteilhaft, in 100 Jahren immer noch zu leben. Vielleicht würde man dann von den Millionen aus Afrika einströmenden Menschen überrannt und im Kampf um Wasser und Nahrung getötet werden. Die Zukunft der Erde ist nicht rosig und mit der Heilsgeschichte als Hoffnung auf eine endzeitliche Verwandlung der Welt zu einer paradiesischen Allversöhntheit aller Menschen in Partnerschaft mit Tieren und Pflanzen unvereinbar. Das Rad der Wiedergeburten führt die Adepten in die Katastrophe immer tiefer hinein. Für uns derzeit in Deutschland Lebende ist die derzeitig hiesige Abwesenheit von Krieg und Elend eine sagenhafte Gnade des Lebens. Darum gibt es für uns nichts Besseres als alt und lebenssatt sterben zu dürfen. Was wäre für uns ewiges Leben, wenn eine zeitlich grenzenlose Fortexistenz nur grauenvoll würde?
Die biblische Formulierung aionios (ai)w/nioj) für ewig meint gar nicht zeitlos, sondern langzeitig, unbefristet, also mit offenem Ende, wie lang auch immer sich die physikalisch meßbare Zeit erstreckt. Besonders Regierungszeiten aufgeblasener Machthaber wurden als ewiges Reich attributiert, um die Größe des Herrschers zu betonen. Solche Ewigkeiten mögen maximal 60 Jahre gedauert haben. Speziell meint aber aionios in Adaption des iranischen Großen Jahres: zeitlich datiert innerhalb der dritten oder vierten Periode der in vier Äonen zu je 3000 Jahren vorgestellten Weltgeschichte. Nach geistiger Schöpfung (Äon 1) folgt deren Materialisierung (Äon 2). Äon 3 ist die Periode des Eindringens des Bösen in die vormals nur gute und gelungene Welt, wobei der Kampf von Gut und Böse am Ende das Böse besiegt. Dann kann das Weltgericht kommen mit Abstrafung der Bösen und Versöhnung aller, der Guten sowie der geläuterten Ex-Sünder. Damit brachen die letzten 3000 Jahre friedlicher, gerechter und liebevoller Gemeinschaft an, kurz: das Paradies (garothman) auf Erden. Dieser kommende letzte Äon ist das Traumziel der Gläubigen und ewiges Leben meint genau diese Art zu leben. Im Denken von Paulus und dem johannäischen Kreis in Damaskus (Joh-Ev, Joh-Briefe) ist allerdings von den 4 Äonen nur der religionshistorisch ursprünglichere vorletzte und letzte Äon geblieben, also „dieser“ vom Teufel und satanischen Mächten beherrschte Äon mit Leid, Krieg und Verfolgung der Gläubigen – und „jener“ zukünftige Äon der neuen Welt Gottes ohne Leid. Von Ewigkeit zu Ewigkeit meint, von der 3000jährigen Leidenszeit unter Teufelsmächten zur 3000jährigen Heilszeit der versöhnten Welt, die der Messias mit seinem Gericht (Dan 7,13) einleitet und anleitet. Das Reich Gottes ist dieser neue Äon, den der Messias (iranisch: Sošyant) eröffnet.
Ewiges Leben (zwh\ ai)w/nioj) begegnet im Neuen Testament als Leben im Gottesreich bei Mt 19,16-46; Mk 10,17.30; Lk 10,25; 18,18-30; Acta 13,46ff; Röm 2,7-21 u.ö.; Joh 3,15-36, 4,14-36 u.ö.; 1Joh 1 u.ö. Es wird immer kontrastiert die Jetztzeit und die kommende Äonenzeit, in der das ewige Leben empfangen wird (Lk 18,30: e)n t%½ kair%½ tou/t% kaiì e)n t%½ ai¹w½ni t%½ e)rxome/n% zwh\n ai¹w¯nion). Dabei war die Naherwartung der Urgemeinde, noch zu Lebzeiten den Anbruch des neuen Äons erleben zu dürfen mit Ankunft des Messias, Weltgericht und der irdischen Theokratie.
Auch eine der sechs Aməša Spənta Zarathustras, Aməretāt verlieh Unsterblichkeit. Nichtsterben wird Y 45,7 als Sein mit Ahura Mazdā im Paradies (garothman) nach dem Tod präzisiert. Die gesamte Äonen-Lehre der neutestamentlichen und gnostischen Schriften inclusive hiesiger Teufelsherrschaft (Teufel iranisch Ahriman) und künftigem Weltgericht mit Totenerweckung ist iranischen Ursprungs. In die Rolle des Messias oder Sošyant wurde Jesus als Christus eingefügt nach seinem Tod, der Mt 27,50ff sogar als Beginn des Weltgerichts mit Totenauferstehung gedeutet wird: „Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von obenan bis untenaus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, die Gräber taten sich auf, und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen, und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.“ Dies ist eine fast exakte Paraphrase von der iranischen Auferweckung zur Gerichtsversammlung in Bundahišn 30.7ff.
Ewiges Leben ist der Traum versöhnter Gemeinschaft der Heiligen, inspiriert vom Heiligen Geist der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des aus Gerechtigkeit erwachsenden Friedens. Wenn wir uns von der alten Vorstellung des vierteiligen Großen Jahres mit seinen 12000 Jahren freimachen, wäre der Heilsgeschichtsplan Jesu, daß schon jetzt mitten im Kampf von Gut und Böse der vierte Äon durchscheint und wir schon vor dem Weltgericht so zu leben versuchen wie es danach abgehen sollte. Jesus versucht, diese Versöhnung zu leben und indem wir ihm nachfolgen, inszenieren wir „ewiges Leben“. Dieses hat nichts zu tun mit Unsterblichkeit und meint das auch gar nicht. Jesus selbst ist gestorben und im Grab verwest wie alle anderen Kämpfer für Gerechtigkeit und Frieden. Wenn wir sagen, er lebt weiter, dann in uns, im nur gemeinsam erfolgreichen Geist und Mühen um eine heilere Welt. Wenn ewiges Leben die Lebensform des versöhnten vierten Äons nach dem Weltgericht meint, die Jesus antizipiert hat, wenn der Äon der Versöhnung nun doch nicht angebrochen ist mit Messias und Weltgericht, so bleibt nur das Spiel des als ob: zu leben, als ob Gottes Reich bereits angebrochen wäre und so miteinander umzugehen wie Freunde und Liebende es lieben.
Ewigkeit ist intensionale Zeit, ihre Dauer nicht chronometrisch meßbar, sondern „lang“ wird subjektiv oder intersubjektiv erlebt. Glückliche Zeit vergeht im Fluge, Warten kann „eine Ewigkeit“ dauern. Es sind immer Übertreibungen, wo wir von Ewigkeit sprechen, es sind gefühlte Zeiträume. Vielleicht könnte man angesichts der universalen Mobilmachung der Industrien aller Länder des Globus mit Stechuhr und Terminplaner im Handy Ewigkeit als entschleunigte Zeit verstehen, als ein Leben ganz und gar im Hier und Jetzt. Dazu die Freiheit haben und heraustreten können aus den Verwertungszwängen gesellschaftlicher Naturbeherrschung, also dem Reich der Notwendigkeit, ist ein Privileg der Begüterten, die nicht pausenlos für das tägliche Brot tätig sein müssen. Hier konvergieren Ewigkeit als subjektive Erfahrung des Verschwindens der Zeitkategorie im eigenen Erleben mit dem Reich der Freiheit, was dem Einzelnen die ganze Fülle seiner Selbstverwirklichung eröffnet. Es ist das Erleben von Glück wie in dem Lied: So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergehn. Es ist die Versorgtheit, nicht an den morgigen Tag denken zu müssen, sondern sich ganz dem Gegenwärtigen widmen zu können im Grundvertrauen darauf, daß wir gemeinsam Lösungen finden werden für die Sorgen des morgigen Tages. Es ist das Grundvertrauen in die friedenschaffende Kraft des Heiligen Geistes, der – mit Hegel – ganze Völker und die Weltgemeinschaft beseelt und einen tatsächlich auch meßbaren (Kriminal-, Kriegs- und Hungertodstatistik) Fortschritt in den Verfriedlichung der Welt bewirkt.
Und es ist eine gewisse Unverdrossenheit, angesichts drohender Weltuntergangsszenarien der Klimakatastrophe und Überbevölkerung der Erde, den zu erwartenden weiteren Kriegen um gerechtere Güterverteilung angesichts fortschreitender Verödung ganzer Kontinente – doch noch zu kämpfen und einzutreten für Abwendung des Schlimmsten und Veränderung der Wirtschaft, Technik und Rechtsverhältnisse im Sinne einer Weltinnenpolitik der gegenseitigen Verantwortung und Fürsorgepflicht aller Nationen miteinander.
Die Teleologie schrumpft zusammen auf die Sicherung der Fortexistenz des Menschengeschlechts auf der Erde für einen noch relativ langen Zeitraum. Im Kontext der astrophysikalischen Erkenntnisse von den 13,7 Milliarden Jahren der Kosmosgeschichte ist die Existenz der Menschheit nur eine kleine Episode. Es ist quasi „unser“ Spiel, in der noch verfügbaren Zeit der Bewohnbarkeit dieses Planeten das Beste daraus zu machen. Eigentlich wäre es auch egal, ob wir noch einmal wiedergeboren würden. Für die Entwicklung der Menschheit spielt dies keine Rolle. Vervollkommnung wäre auch durch eine immer bessere Erziehung möglich. Es ist sinnvoller auf sie zu setzen statt auf eine Herzensbildung nach einer unendlichen Kette von Vorleben, aus denen wir nachweislich wenig gelernt haben. Die Vision des neuen Äons, des ewigen Lebens als Leben in gerechter sozialer Ordnung weltweit, kann einen mythologischen Leitfaden abgeben für die politische Zieltaxonomie. Wir können versuchen, die Erde zu bewahren vor den Folgen unserer Raubbau-Wirtschaft. Dann ist es zielführender, statt über Unsterblichkeit zu phantasieren, von konkreten Plänen der ökologischen Sanierungsmöglichkeiten zu reden und die Wirtschaftssysteme weltweit von den destruktiven Effekten des Kapitalismus zu befreien. Dazu möge jeder überlegen, was in seinem eigenen Handlungsbereich liegt, ihm möglich wäre zu tun oder zu unterlassen. Es wird um weitreichende Einschränkungen unseres Luxus gehen, der andere Länder beraubt. Es wird als neuer kategorischer Imperativ um ein einfacheres Leben gehen, um Energiesparsamkeit mit globaler Nutzung von Sonne und Wind, um Beschränkung auf lebenswichtige Güter, um Teilen von Maschinen und Werkzeugen mit den Nachbarn, um Genossenschaftsbildung, Nachbarschaftshilfe, Subsidiarität. Es wird um reflektierte Mobilität gehen, Einschränkung unnötiger Touristik mit Kreuzfahrten und Flugreisen und Wiederentdeckung der eigenen Heimat. Es wird um Wiederherstellung der einstigen Nähe von Wohn- und Arbeitsquartieren in der Städteplanung gehen, um den Umstieg vom Auto aufs Fahrrad oder Bus und Bahn. Es wird um präventive psychosoziale Humanisierung der Arbeitswelten gehen, die Menschen nicht ausbluten läßt am Arbeitsplatz, sondern justiert ist auf die tatsächlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Einzelnen. Es wird um eine Neustrukturierung des gesamten Arbeitslebens gehen, um gerechtere Verteilung der Aufgaben. In dieser Zukunftswerkstatt unter Einbeziehung der Digitalisierung der Arbeit und Reproduktion der Arbeitskraft wird viel zu tun sein. Dieser langwierige Umbau der Welt zur Heimat wird eine Ewigkeit dauern. In dieser Ewigkeit wird gestorben werden. „Selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“(Apk 14,13)
Statt sich in Hoffnungen auf weitere Leben einer unsterblichen Seele zu ergehen ist die Liebe Gottes an jedem einzelnen einmaligen Leben interessiert und berührt seine Aura mit der Würde des Unwiederbringlichen.