Meine
Damen und Herren,
die
moderne Kunst befindet sich momentan in einer Krise, ohne daß sie
es bemerkt. Diese Einschätzung drängt sich auf, will man jüngsten
Verlautbarungen Glauben schenken. Jean Clair hat in seiner jüngsten
Schrift namens ‘Avantgarde zwischen Terror und Vernunft’ von den unheilvollen
Verquickungen der modernen Kunst mit den Machenschaften, den Ideologien
und den Verbrechen der Macht berichtet.
Ungeachtet
der Widersprüchlichkeiten in der Argumentation, der flüchtigen,
beinahe zwanghaften Anführung von Indizien sei Clairs Generaltendenz
benannt: Er plädiert für eine Verantwortung des Künstlers,
die sich aus dem Kraftquell einer Art ‘ethischen Anthropologie’ speisen
soll. Wie dies eingelöst werden soll, darüber gibt er keine Auskunft.
Das heißt läßt sich diese Energiequelle am konkreten Fall
durch Aktionen und Reaktionen nutzen?
Martin
Warnke
spricht von der Bedeutungslosigkeit der Avantgarde in einem Artikel, der
im Sommer erschien. Daselbst überraschte Walter Grasskamp mit
einer ähnlichen Perspektive auf das Problem, wenn er nach der Bedeutung
der Avantgarde in der Gegenwart fragt. Er beantwortet diese Frage abschlägig
- man könnte sie mit der Formel fassen: ‘Der lange Marsch durch die
Illusionen’ -wie ein Buchtitel Grasskamps
lautet.
Ausführlicher
berichtet Heinrich Klotz von der nahenden Ankunft einer im Grunde
lautlosen Wandlung: der sogenannten 2. Moderne. Die Zeichen ihrer baldigen
Präsenz sind untrügerisch. Noch zaghaft, aber exklusiv zeigt
sie sich der Kunst, und dankbar nimmt die Kunstwissenschaft die Rolle der
Zeugin ein:
Die
‘2. Moderne’ wird als eine leise, stille Revolution beschrieben,
die keine markante Bruchstelle hinterläßt. Die Vorboten der
2. Moderne geben sich verschiedenen Disziplinen zu erkennen, etwa der Politikwissenschaft,
der Philosophie, der Kunstgeschichte und anderen Sensoren der Kultur: Ulrich
Beck benennt mit dem Stichwort ‘Globalisierung’ den politischen Kern
der 2. Moderne, Peter Sloterdijk spricht von der „progressiven Eroberung
des Nichts“ und Heinrich Klotz von der nüchternen Erkenntnis, daß
die Kunst zur Autonomie zurückkehren müsse: Also, keine Entgrenzung
der Kunst ins Leben mehr.
Seiner
Auffassung nach ist das Streben nach einer Entgrenzung der Kunst in das
Leben gescheitert, so daß nun die Rückkehr der Kunst zu sich
selbst verkündet werden kann. Es gibt keine Notwendigkeit mehr, daß
sich die Kunst als exklusive Sphäre des gesellschaftlichen Lebens
selbstbegründen muß:
Klotz
proklamierte:
1.
die Rückkehr der Fiktionalität, des Utopischen in der Kunst und
2.
die Rückkehr der Autonomie der Kunst gegenüber dem Leben.
Die
Beweisführung für die Existenz der 2. Moderne treten in der bildenden
Kunst Künstler wie Gerhard Richter, Sigmar Polke, Günther Förg
oder Helmut Federle an.
Sie
werden sich fragen, ob sie vielleicht im falschen Film sind. Es geht um
Merz
und Dadaismus. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Widersprüche
in der Argumentation der 2. Moderne-Apostel eingehen. Da wären Sie
falsch am Platze- und auch ich.
Viel wichtiger ist es zu fragen, inwiefern es eine Avantgarde mit einer
bestimmten programmatischen Stoßrichtung noch heute an Aktualität
nicht mangeln läßt. Denn aus der Perspektive der 2. Moderne
ist vorbei mit einer Avantgarde-Kunst a la EL Lissitzkys, Laszlo Moholy-Nagy
und den Bauhäuslern.
Zur
Geschichte können gezählt werden auch der Dadaismus, der Surrealismus
und andere Richtungen, die nach einer Verschmelzung mit dem Leben trachteten
- auch wenn diese Fusion mit einigen Reibungsverlusten versehen war.
Ich
werde versuchen, in den nächsten Minuten den historischen und theoretischen
Aspekten der Avantgarde-Kunst am Beispiel von Merz und Dadaismus nachzugehen.
Es wird die Frage zu stellen sein, inwiefern dieses künstlerische
Streben noch heute von Bedeutung ist.
Eigentlich
fing alles gleichermaßen revolutionär an - wie es nun heute
die 2. Moderne exklusiv für sich selbst in Anspruch nimmt - vielleicht
nur wesentlich lauter - auch wenn es damals nur wenige Zeitgenossen vernommen
haben.
Der
Dadaismus wie auch die Merz-Kunst hatten zeitlich wie konzeptionell verschiedene
Ansatzpunkte. Die historischen Eckpunkte seien nun in rascher Folge in
Erinnerung gerufen: Hugo Ball soll es gewesen sein, der 1916 im Züricher
Cabaret Voltaire im Papprollen-Kostüm auf die Bühne gesprungen
sei und dort ein unverständliches Gedicht zum Vortrage gebracht haben
soll. Man hatte sich in der Schweiz versammelt, um der militärischen
Einberufung für den Weltkrieg zu entgehen. Hatte die Schweizer Dada-Szene
eine mehr kunstphilosophische Stoßrichtung, so waren die Berliner
Dadaisten mit John Heartfield eher politisch ausgerichtet. Geht man von
diesen beiden Pole der Dada-Bewegung aus, so formieren sich dazwischen
weitere Positionen in Köln, Holland und New York, die insgesamt mit
Namen wie Richard Huelsenbeck, George Grosz, Theo van Doesburg, Max Ernst,
Hannah Höch, Johannes Baader und anderen verbunden werden.
Kurt
Schwitters bildet mit seiner MERZ-Kunst selbst innerhalb der Dada-Bewegung
ein eigenes und eigensinniges Konzept, auf das ich noch zu sprechen komme.
Als ein markantes Ereignis in der Bewegung darf die Dada-Messe 1920 in
Berlin betrachtet werden, die allerdings zeitgenössisch auf nur wenig
Resonanz gestoßen war: Gerade mal 300 Besucher und herbe bis arrogante
Kritik beispielsweise von Kurt Tucholsky. Auch auf die Dada-Messe komme
ich noch zu sprechen.
Die
vermeintlich mehr philosophischen Richtungen einerseits und die mehr politischen
Positionen andererseits waren im Grunde verschiedene Antworten auf eine
kulturell
desolate Situation - gelinde gesagt. Die Schlacht von Verdun, der
Stellungskrieg als Fortführung der Politik bürgerlicher Prägung,
die politischen Umwälzungen in Osteuropa, die in der Russischen Revolution
mündeten, und die Installierung der ersten Demokratie in Deutschland,
einem damals vollkommen unbekannten staatspolitischen Gebilde, gehörten
zu den gesamtkulturellen Ausnahmezuständen und Ereignissen.
Gab
es auch verschiedene programmatische Prägungen innerhalb der frühen
Avantgarde, so wollten sie zusammen kommen, um das Neue gemeinsam durchzusetzen.
Von zentraler Bedeutung in der Avantgardegeschichte war der 1. Internationale
Kongreß fortschrittlicher Künstler im Mai 1922 in Düsseldorf.
Die dort beheimateten modernen Künstler waren in lokalen Streitereien
mit den Konservativen verstrickt und erhofften sich durch einen Auf- und
Hilferuf an die Genossen in ganz Deutschland diese Auseinandersetzungen
für sich entscheiden zu können. Ein in Düsseldorf veranstalteter
Kongreß sollte die Internationalität der Progressiven einerseits
und die Provinzialität der Ewiggestrigen andererseits vor Augen führen.
Außer
den Weimarer Bauhäusler kamen sie alle: Lissitzky, Theo van Doesburg,
Hans Richter, Kurt Schwitters, Laszlo Moholy-Nagy und viele andere. Doch
von einer gemeinsamen Gesinnung, von einer Solidaritätsaktion konnte
keine Rede sein. Kleinkrämerische Verbandszänkereien waren an
der Tagesordnung. Auch - nächtens im Hotelzimmer - hektisch verfaßte
Satzungen und Programme und selbst ein buntes Unterhaltungsprogramm inklusive
einem beschaulichen Bootsausflug auf dem Rhein konnte keine Abhilfe schaffen.
Eine im Kaufhauf Tietz veranstaltete Ausstellung, die zahlreiche Werke
der Erneuerer vereinigte, sollte die Geschlossenheit der Avantgarde in
Deutschland eines Besseren belehren: Alles vergebens.
Von
diesen Verbandsdünkeln wollte eine Splittergruppe nichts wissen. Die
Fraktion der Konstruktivisten, bestehend aus Konstruktivisten und Dadaisten
wie Hans Richter, Theo van Doesburg, Kurt Schwitters, El Lissitzky versammelten
sich sinnigerweise unter der Anzeigetafel einer zeitgleichen Veranstaltung.
Man signalisierte Entschlossenheit und stellte ultimative Forderungen,
die auf das Konto von Theo van Doesburg, einem Dada-Konstruktivisten, gingen:
1.
Abkehr von der individuellen Willkür in der Gestaltung und Entwicklung
eines gemeinverbindlichen Stils
2.
Ablehnung des Kunstkommerzes - zumindest als vorrangiges Ziel
3.
Öffnung zu neuen Gestaltungsgebieten, die später zur angewandten
Kunst zählen sollten
4.
Abkehr von der akademischen Norm in der Verwendung von Materialien
5.
Einbeziehung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und
6.
die Anerkennung der Künstler als wichtige, mithin ausschlaggebende
Entscheidungsträger der Gesellschaft.
Dieser
Forderungskatalog verhallte in der Düsseldorfer Versammlung, die Abtrünnigen
verließen demonstrativ den Kongreß. Die kleine Splittergruppe
wollte sich im Herbst 1922 in Weimar wieder treffen, um eine eigene Union,
eine Konstruktivistische Internationale, kurz K.I., zu gründen.
In der Zwischenzeit aber machten sich alle Mitglieder daran, bereits im
Vorfeld der Gründung die gesteckten Ziele zu realisieren.
So
veranstaltete Theo van Doesburg im Verlauf des Sommers in Weimar
einen De Stijl-Kurs. In Konkurrenz und sogar in unmittelbarer Nachbarschaft
zum Staatlichen Bauhaus wollte van Doesburg das Konzept von Walter
Gropius als bloß subjektivistelnde Kreativität entlarven. Am
Ende war van Doesburg war allerdings gescheitert; und zwar gleich mehrfach:
Van
Doesburg war schließlich auch für das Scheitern des Gründungstreffens
im September desselben Jahres verantwortlich. Wie geplant, versammelte
sich die konstruktivistische Avantgarde mit Dadaisten und Konstruktivisten
in Weimar. Doch bevor überhaupt ein gemeinsames Programm ausgearbeitet
werden konnte, traten die Dadaisten mit Tristan Tzara, Kurt Schwitters
und auch van Doesburg auf, um diese Gründung zu verhindern. Aus Briefen
geht hervor, daß der Drahtzieher dieses Störmanövers van
Doesburg selbst war. Er bezichtigte Laszlo Moholy-Nagy politischer Umtriebe
und beschuldigte ihn, die K.I. für seine Zwecke nutzen zu wollen.
Van Doesburg argumentierte mit der Beteiligung Moholys bei dem Aufstand
1919 in Ungarn, der zur Ausreise Moholys nach Berlin führte.
Der
Konflikt wurde nie offen ausgetragen, da sich die Vorwürfe nicht halten
ließen. Vermutlich war es van Doesburgs gekränkte Eitelkeit,
in Weimar und auch nicht in Deutschland fußgefaßt zu haben.
Seine Hoffnung auf eine Rolle als Leitfigur der Avantgarde in Deutschland
wurden enttäuscht. Und vielleicht stand schon Ende 1922 fest, daß
sein Widersacher bald als Lehrer an das Bauhaus gehen sollte.
In
Weimar ging man nun unverrichteter Dinge auseinander. Van Doesburg und
Schwitters gingen nach Holland, um dort eine Dada-Tournee zu starten.
Lissitzky ging nach Hannover und später in die Schweiz.. Das Bauhaus
aber blieb von diese Ereignissen nicht verschont. Die Programmatik veränderte
sich grundlegend. War auch Walter Gropius der Konzepteur des Dessauer Programms,
so wirkten die genannten Ereignisse in nächster Nähe mindestens
stimulierend, die Formel ‘Kunst und Technik: eine neue Einheit’ auszurufen.
Nun
geht es nicht um das Bauhaus, sondern um Kurt Schwitters und den Dadaismus.
Mühelos aber scheinbar nur können wir heute die einzelnen Ismen
wie Konstruktivismus und Dadaismus auseinanderhalten. Die von mir erwähnten
historischen Zusammenhänge lassen aber an diesen einfachen Modellen
zweifeln. Was hat die Künstler Theo van Doesburg, Lissitzky, Tristan
Tzara und Schwitters 1922 zusammengeführt - allein die kunstbetrieblichen
Stimulanzen, das heißt allein das Streben, den Konservativen die
Führung streitig zu machen?
Schauen
wir in den nächsten Minuten genauer hin:
„Dada
bedeutet nichts“ lautet die Fomel Tzaras. Er rechnet in dem selben
Manifest, eben der ‘Proklamation ohne Anspruch’ von 1918, mit den anderen
Avantgardisten ab: Der Kubismus habe die Gegenstände von oben und
verschoben betrachtet - der Futurismus hat die Gegenstände in Bewegung
gesetzt. „Wir haben die kubistischen und futuristischen Akademien satt.
Laboratorien formeller Gedanken.“ Dada dagegen wurde aus dem Geiste der
Anarchie geboren: „Hier haben wir das Recht zu proklamieren, denn wir haben
das Schaudern und das Erwachen kennengelernt. Voller Energie kehren wir
zurück und stechen den Dreizack ins sorglose Fleisch ein. Wir sind
triefende Fluche in tropischen Überfluß von schwindelerregenden
Vegetationen, unser Schweiß ist Gummi und Regen, wir bluten und brennen
den Durst aus, unser Blut ist Lebenskraft.“
Beinahe
manisch-depressive Stimmungen zwischen offensiv-aggressiver und defensiv-melancholischer
Sprache mag man angesichts solcher Formulierungen vermuten. Doch ist der
verzweifelte Sprachduktus nichts anderes als der emphatische Ruf nach Freiheit.
Gemeint ist jener erfrischend haltlose Zustand, keiner Doktrin verpflichtet
zu sein. Keine Wertmaßstäbe von High and Low sollen gelten,
keine Kunsttheorie, keine Kunstkritik sollte fortan zwischen Qualität
und Unbrauchbarkeit unterscheiden. Keine Institutionen wie Akademien oder
Museen gaben Richtungen vor: alles ist möglich. Dieses kulturelle
Vakuum ist nicht das Hirngespinst eines verirrten Geistes oder Genies -
ganz wie man will. Sondern eine Generalkritik an jene monarchistische wie
bürgerliche Kultur zu Beginn dieses Jahrhunderts, die die Grausamkeit
eines Weltkrieges zu verantworten hat.
Ein
Blick in die Dada-Messe von 1920 dokumentiert dieses Ansinnen: Dicht
gedrängt und unorthodox gehängt lassen diese Ausstellung auf
den ersten Blick zu einem Kuriosum werden. Foto-Collagen wechseln sich
mit Schrifttafeln ab, skulpturale Objekte, Puppen und Werbematerial komplettieren
das chaotische Ensemble. Parolenhafte Schriftzüge verkünden in
marktschreierischer Art die Vorzüge des Dadaismus - jener Kunst des
Nichts, wie Tzara sagen würde. Daneben finden sich Kunstwerke herkömmlichen
Stils, das heißt, Rahmungen wurden verwendet, die das gebastelte
Werk als Kunstwerk nobilitieren sollen. Im ganzen ist sie eine Mischung
aus Kunst und Alltag, zwischen der hehren Sphäre der ästhetischen
Erfahrung und der profanen Erlebniswelt des Konsums - eben eine Ausstellung
namens Dada-Messe.
Inmitten
dieser bunten Szenerie posieren die Protagonisten des Dadaismus, Raoul
Hausmann und Hanna Höch sowie George Grosz und John Heartfield.
Die beiden Herren präsentieren ein nicht minder provokatives Schild,
mit dem auf etwas verwiesen wird, von dem sie eigentlich nur per Hören-Sagen
wissen konnten. Die Maschinenkunst Tatlins kann ihnen im Jahre 1920 nur
durch die Schrift Umanskijys ‘Neue Russische Kunst’ bekannt gewesen sein.
Kontakte nach Rußland gab es nur spärliche; wenn überhaupt
dann durch die ungarische Avantgarde oder den Niederländer Piet Zwart.
Die Blockade der westlichen gegen die Östlichen wurde erst im April
1922 durch den Rapallo-Vertrag aufgehoben. Der Verweis auf Tatlins angebliche
Maschinenkunst diente lediglich als Bürgerschreck. Es kann nicht verwundern,
wenn nach diesem Schock im Hintergrund ein Lichtlein brennt: Es ist eine
besondere Figur, vor der sie sich plaziert haben: ‘Der wildgewordene Spießer
Heartfield’, so der Titel der Skulptur. Es ist das selbstironische Portrait
eines Künstlers, der - im Zustande des Glühens - derart Unerhörtes
dem biederen Publikum zumutet.
Auf
der anderen Seite finden sich Hausmann und Höch - scheinbar
im Gespräch vertieft - vor der Kamera während der Eröffnung
zusammen ... und dies wie zufällig neben einer wichtigen Arbeit der
Künstlerin: ‘Der Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die
letzte Weimarer Bierbauch-Kulturepoche Deutschlands’ von 1919. Kommt die
Fotocollage auch so unorganisiert daher, so ist sie am Ende dann doch komponiert:
Viergeteilt muß man sich die Ordnung denken - die Detailmotive sind
nach Themen sortiert: Die Schwerpunkte lauten:
1.
oben links: Wissenschaft mit einem Konterfei von Albert Einstein
2.
oben rechts: unverkennbar: das Militär
3.
unten links: Industrie und Arbeiterschaft
4.
unten rechts: die Dada-Revolutionäre mit Marx und Lenin
Ist
es auch keine zielgerichtete Kritik auf ein Ereignis oder auf eine Person,
so erscheint die Collage am Ende als Vexierspiel der Gegenwart. Die ‘kulturtragenden’,
gesellschaftssteuernden Kräfte werden in Gestalt ihrer massenmedialen
Präsenz aufgerufen. Die Flüchtigkeit und Omnipotenz ihrer Erscheinung
in der Presse wird zu einem karikierenden Mixtum verdichtet. Die Generaltendenz
ist klar abzulesen: Der Dadaismus tritt als Bürgerschreck in Erscheinung,
der die Grundfeste bürgerlicher Werte erschüttern will. Schock
und Schöpfung ließe sich als Devise der Dadaisten ausrufen.
Raoul
Hausmann
ist im Gegensatz zu Tzara den Futuristen verpflichtet: seine sogenannten
Lautgedicht folgen den italienischen Avantgardisten, wenn er synästhetisch
verschiedene Medien miteinander verbindet. Der Schriftgrad, die Schrifttype
und die Komposition aktivieren den beim Lesen wohl eher vernachlässigten
Sinn, das Gehör, und ebenso das Sprechen. Die Kopplung von Lesen,
Sprechen und Hören im Medium der Schrift, eben des Plakates, verweist
im ersten Moment auf die Werbung. Marktschreierisch werden wieder einmal
die Sphären ‘Kunst und Leben’ miteinander verknüpft. Diese Verbindung
getrennter Wertsphären, also Konsum und Kunst, sollte die bürgerlichen
Etikette erschüttern. Und zugleich der Emphase einer jungen revolutionären
Generation Ausdruck verleihen. Neben diesen, in der Kunstgeschichte bereits
bekannten Interpretationen lassen sich weitere Dimensionen entdecken, die
die Aktualität der Avantgarde - gemessen an diesen Beispielen - vor
Augen führen.
Bevor
diese These von mir im Detail vorgetragen wird, sei mehr als nur ein Blick
auf Kurt Schwitters getan. Schwitters wird der Dada-Bewegung zugerechnet,
wobei die Gemeinsamkeiten zunächst in der personellen und formalen
Hinsicht benannt werden. Schwitters ist der Erfinder von MERZ, jenem Wortkonstrukt,
das gleich verschiedene Bedeutung hatte wie Aus-MERZEN, Kom-MERZ usw. Schwitters
gibt rückblickend Auskunft. Unmittelbar nach der Nachricht vom Ende
des Krieges verließ Schwitters seine Arbeitsstelle, wandelte auf
der Straße und wollte seinem Glücksgefühl Ausdruck verleihen:
„“Ich fühlte mich frei und mußte meinen Jubel hinausschreien
in die Welt. Aus Sparsamkeit nahm ich dazu, was ich fand, denn wir waren
ein verarmtes Land. Man kann auch mit Müllabfällen schreien,
und das tat ich, indem ich sie zusammen leimte und nagelte. Ich nannte
es Merz, es war mein Gebet über den siegreichen Ausgang des Krieges,
denn noch einmal hatte der Frieden wieder gesiegt. ... Das aber war Merz
(...) Es war ein Abbild der Revolution in mir, nicht wie sie war, sondern
wie sie hätte sein sollen.“
Sehen
wir einmal ab von Werken der Dichtung, Skulptur und Environments wie der
berühmte Merz-Bau, der sich - ähnlich wie nachfolgende Beispiele
in der Emigration - durch das gesamte Wohnhaus der Schwitters fortpflanzte.
Konzentrieren
wir uns auf die ‘Müll-Bilder’, die zum Merkmal der MERZ-Kunst
werden sollten. Zwei Beispiele von 1921 und 1939 zeigen das Konzept: Schwitters
komponierte die gefundenen Schnipsel und Gegenstände nach dem Prinzip
des geplanten Zufalls oder auch nach formalen geometrischen Kriterien.
Zeitungsausschnitte mit Textpassagen wechseln sich mit monochromen Flächen
ab. Übermalungen dienen als ästhetische Verdichtungen, als Klärungen
und Verunklärungen der präsentierten Informationen.
Der
Blick des Betrachters wandert unruhig über die Versammlung von geklebten
und genagelten Details. Ein Sinn, eine eindeutige Aussage wird nicht erkennbar.
Informationen werden übermittelt, jedoch fügt sich kein sinnstiftendes
System, keine Architektur der Bedeutung. Semantisch gesehen ist alles im
Schwebezustand, im Vakuum von Inhalt, Form und Medium.
Deutlicher
wird dieser Aspekt in einem besonderen Werk, das Dada und Merz verbindet
und trennt, die sogenannte ‘Ur-Laut-Sonate’. Zwei Dias zeigen Schwitters
bei der Rezitation der Sonate. Es geht - ähnlich wie bei Hausmanns
Lautgedichten - um eine Reduktion der Sprache auf das Phonetische. Doch
bevor ich weiterrede, lauschen sie den Urlauten von MERZ.
Schwitters
reduziert die Sprache auf reine Laute. Diese Reihung von phonetischen ‘Elementarteilchen’
soll zur Entdeckung und Bergung von eben jenen Urlauten führen. Der
MERZ-Künstler hat seine Arbeit an der Sonate 1922 begonnen und eigentlich
nie abgeschlossen, obgleich er längere Einheiten mit Opus-Charakter
geschaffen hat. Die Durchkreuzung von verschiedenen Bedeutungskontexten,
von Aussage und Nicht-Aussage - wie es in den MERZ-Bilder
sichtbar wird - wird bei der Urlaut-Sonate radikalisiert. Die Verneinung
von Sinn erfolgt nicht mittels der Inszenierung von Widersprüchen,
sondern durch eine gnadenlose Reduktion auf das Formale. Nur noch Laute
sollen als Urform des menschlichen Ausdrucks Geltung haben und damit eine
geradezu anthropologische Dimension freisetzen, die unberührt und
in Reinkultur erscheint.
Schwitters
entwickelte Strategien und Systeme der Sinnentleerung. Landläufig
wird dieser Aspekt, also das Beharren des MERZ-Künstlers auf Sinnentleerung,
mit der Disfunktionalität von Kunst gleichgesetzt - gemeint ist damit
die Zweckfreiheit der Kunst. Schwitters MERZ-Werke können nicht durch
Dritte für ihre Zwecke vereinnahmt werden. Die Politik, die Kultur
wird dies nicht vermögen, jedoch die Institutionen des Kunstbetriebs,
wie Museum und Wissenschaft, und schließlich die Wirtschaft wie etwa
der Kunstmarkt.
Aber
dies ist ein anderes Kapitel, das jedoch angesichts der Avantgarde-Diskussion
vielleicht sogar im Verlauf dieser Ringvorlesung noch aufgeschlagen werden
wird. Es ist weniger ein institutionelles Problemfeld, das die Dadaisten
und auch Schwitters eröffnen, sondern ein kulturelles, das grundsätzlich
mit der Moderne verbunden ist. Dieses kulturelle Problemfeld ließe
sich - an diesen Beispielen gemessen - als ein medientheoretisches benennen,
das schließlich Fragen der Erkenntnisgewinnung und Prozesse der individuellen
wie kollektiven Identitätsbildung im Zeitalter der Massenmedien betrifft.
Ich
will Sie an dieser Stelle nicht damit quälen, die verschiedenen Medientheorien
von Marshall McLuhan über Neil Postmann bis zu Vilem Flusser und Friedrich
Kittler aufzuzählen. Konzentrieren wir uns auf einen der Gründungsväter
der Medientheorie, McLuhan, so lassen sich erstaunliche Entdeckungen machen,
die über die kunstgeschichtliche Forschung hinausgehen. Lassen Sie
mich aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Zeit punktuelle Momente
herausgreifen, auch wenn dies zu einer unerlaubten Verkürzung führt.
Dies sei mir an dieser Stelle verziehen. Ich hoffe auf Ihre Großzügigkeit.
‘The
Medium is the message’, lautet eine von McLuhans Generalformeln,
die einen bestimmten Zusammenhang zwischen Kultur und Technik betrifft:
Wir gehen von der schlichten Erkenntnis aus, daß unsere die Schrift
und die Sprache passive, neutrale und am Ende dienstbare Instrumente zur
Vermittlung eines Inhaltes sind. Der eigentliche Inhalt eines Mediums aber
ist ein anderes Medium.
·Sprache
ist der Inhalt der Schrift
·Schrift
ist der Inhalt des Buchdrucks
·Buchdruck
ist der Inhalt von weiteren Informationstechnologien usw.
Die
Verschiebung erfolgt nicht zwischen Inhalt und Form, sondern von Medium
zu Medium - selbst im Falle von Kommunikations- und Informationstechniken.
Die Folge sind unmerkliche Steuerungen, die den Inhalt, die Entscheidungen
usw. beeinflussen. Die Wahrnehmung gewinnt grundsätzlich an Bedeutung,
insbesondere wenn die Sinnesorgane in ihrer Potenz verschieden gewichtet
werden: das Sehen ist wichtiger als das Hören.
In
der Schrift ‘The Gutenberg-Galaxy’ mündet seine These in eine Evolution
der Medien. So forderte der Buchdruck eine Standardisierung der medialen
Erscheinungsform: die Bleilettern brachten eine vereinheitlichte Typographie
und damit eine visuell homogenisierte Wahrnehmung. Die Folge ist - nach
McLuhan - eine Linearität des Denkens. Es bestehe nur bedingt eine
offene Struktur der Erkenntnisgewinnung, die im eigentlichen keine Nebenpfade
oder mühelose Ebenenverschiebungen vorsieht. Nationalismen, das Nationalgefühl
ist für McLuhan grundsätzlich eine Entwicklung, die mit der fortschreitenden
Standardisierung der Medien mindestens einhergeht.
Bleiben
wir bei diesem Modell, greifen wir unter anderem den Aspekt des Nationalgefühls
einmal auf und verbinden ihn mit den Dadaisten. Es drängen sich sofort
Vergleichsparameter auf, wenn das ‘Nationalgefühl’ - gelinde gesagt
- eines der zentralen Motoren war, die den 1. Weltkrieg ausgelöst
haben. Uns es ist dieser 1. Weltkrieg, das Grauen und das Denken seiner
Protagonisten, die erklärtermaßen im Zentrum der Kritik der
Dadaisten standen.
Schauen
wir noch einmal auf die dadaistische Programmatik und Ästhetik: Hausmanns
Lautgedichte wie auch Schwitters Urlaut-Sonate zerlegen das homogene, hermetische
System von Form, Inhalt und Medium. Nichts dient mehr fraglos dem anderen:
der Buchstabe ist in seiner Form zu erkennen, nicht mehr als namenloses,
anonymes Detail eines Wortes, Satzes oder ganzen Textes. Bei Schwitters
melden sich die Elementarteilchen, die Urlaute, zu Wort. Die Konstruktionen
von Satz und Rede erscheinen als dämmrige Figurationen in Anmutungsqualität.
Man erahnt nur noch die rhetorischen Bausteine einer Rede.
Im
ganzen werden die Mechanismen der Sinngebung durch deren Zurückdrängung
offenbar. Form, Inhalt und Medium treten mindestens gleichrangig zueinander.
Irritationen lösen die dadaistischen Zerlegungen unserer Kommunikations-
und Informationsapparaturen noch bis heute aus. Können die politischen
Entscheidungen, wirtschaftlichen Prozesse usw. auch nicht durch eine Regulierung
der medialen Strukturen bereinigt werden, wie es McLuhan wohl gern sähe,
so zeigen sie doch empfindsamst das Regelwerk der Erkenntnisgewinnung,
Informations- und Kommunikationsformen auf.
Ähnliches
läßt sich bei El Lissitzky, dem Konstruktivisten, Künstlerfreund
von Schwitters und Teilnehmer der Kongresse in Düsseldorf und Weimar,
im Jahre 1922 erkennen. Just im Jahre 1922 experimentierte er mit moderner,
elementarer Typographie, die ihn unter anderem berühmt gemacht hat.
Jenem Instrumentarium des Buchdrucks, das McLuhan verdammt hat. Lissitzky
- so meine These - bezieht sich auf den mittlerweile in Berlin ansässigen
Wahrnehmungspsychologen Max Wertheimer. Als Beispiel sei der Gedichtband
‘Für die Stimme’ angeführt, der in Berlin entstanden ist.
Der
Band ‘Für die Stimme’ zeigt in einem rotfarbenen Umschlag eine Folge
von insgesamt 13 Gedichten Majakowskis. Eingeblendet sind Einzel- und Doppelseiten,
die ein geometrisches ‘Formenspiel’ aus roten und schwarzen Balken zeigen.
Auffällig ist ein Daumenregister, mit dem es dem Leser ermöglicht
wurde, eine gesuchte Seite rasch aufzufinden. Hilfreich waren kleine zeichenartige
Formationen im Stile der Balken- und Linientypographie Lissitzkys, die
kein mittelbaren ‘Lesen’ der Inhalte durch Buchstaben, sondern ein unmittelbares
Erkennen durch abstrakte Zeichen.
Wertheimer
konnte sich zum gleichen Zeitpunkt einer großen Popularität
erfreuen. Es ist erwiesen, daß seinen Berliner Vorlesungen insbesondere
von linksorientierten osteuropäischen Studenten besucht wurde, die
zum Teil für Tucholsky arbeiteten. Dieser historische Umstand verleitet
mich zu der Annahme, daß in den zahlreichen Zusammenkünften
in Cafes oder Ateliers Wertheimers Entdeckungen und Versuchsreihen Gegenstand
der Diskussionen gewesen sind. Ich vermute, daß auch Lissitzky Kenntnis
von den Ansichten des Wahrnehmungspsychologen hatte - zumindest lassen
sich Parallelen einerseits in der formalen Gestaltung der bis zu jenem
Tage einmaligen und erstmaligen Balken- und Linientypographie des Bandes
‘Für die Stimme’ und andererseits in der Konzeption der Typographie-Thesen
erkennen. Ein Vergleich beider, des Typographen und des Psychologen, ist
daher naheliegend.
In
schier endlosen Versuchsreihen analysierte Wertheimer die Bedingungen
und Möglichkeiten des menschlichen Sehens. Er entdeckte sogenannte
Schein- oder Phiphänomene. Damit wurden Ereignisse bezeichnet, die
sich nicht real, sondern nur in der Vorstellung abspielen. Wertheimer setzte
die Versuchspersonen vor Seh-Apparate, sogenannte Stroboskope und Tachistoskope,
und setzte sie künstlich besonderen Seh-Erfahrungen aus. Vor einem
neutralen weißen Hintergrund zeigte er am Rande des Bildfeldes eine
schwarze Vertikale. Danach eine gleiche Szenerie allerdings mit einer Horizontalen.
Nach mehrfacher und rascher Wiederholung dieses Versuchs schilderten die
Betrachter ähnliche Phänomene: Die beiden Linien liefen um einen
Scheitelpunkt aufeinander zu. Wertheimer konnte durch weitere Versuche
sogar Bewegungstypen bestimmen: Sukzession, Simultanität und Ruhe.
Formal
gesehen, gibt es rein gestalterische Ähnlichkeiten zwischen
Wertheimers Illustrationen und Lissitzkys Balken- und Linientypographie.
Sie schwirren im Band ‘Für die Stimme’ ohne Halt über einen hellen
monochromen Hintergrund. Sie scheinen sich aufeinander zuzubewegen und
entfernen sich wieder. Der helle Hintergrund ist nun keine passive Fläche
mehr, sondern ein aktiver, mit Energie angereicherter Erfahrungsraum. Das
Entscheidende ist, daß Lissitzky - auf wissenschaftlicher Basis -
zu einer ‘reinen’ Wahrnehmung fähig ist. Die Balken- und Linientypographie
ist das Werkzeug zu einer energetischen Stimulanz, die besondere Formen
der Scheinwahrnehmung hervorruft. Diese Wahrnehmung ist deshalb ‘rein’,
da sie sich nur physiologisch abspielt und nicht kulturell konditioniert
ist. Später wurden diese Entdeckungen von Lissitzky allerdings in
den Dienst politischer Interessen gestellt, etwa in der Politpropaganda.
Zu diesem Themenfeld habe ich an anderer Stelle ausführlich Auskunft
gegeben.
Die
Dadaisten, Schwitters und Lissitzky arbeiteten allesamt an den Mechanismen
der Wahrnehmung und Kommunikation. Dies kann nicht verwundert, denn die
neue Gesellschaftordnung, die erste Demokratie auf deutschem Boden, formierte
sich erst. Die Grundlagen ihres Funktionierens in einer modernen Massengesellschaft
waren die Medien der Kommunikation und Information. Die Interessen innerhalb
einer heterogenen Gesellschaft konnten unter anderem auf diesem Wege durchgesetzt,
ausgeglichen oder gesteuert werden.
+
So
war es nicht verwunderlich, daß sich die Erneuerer als Gleichgesinnte
auf den Kongressen in Düsseldorf und Weimar trafen. Sie verband nicht
nur der gemeinsame Feind, die Tradition und der Konservatismus. Die mediale
Spurensicherung zu Beginn einer neuen Massenkultur, getragen, gesteuert
und forciert durch massenmediale Kommunikations- und Informationstechnologien
haben die Avantgardisten zusammengeführt. Kleinlich waren ihre Streitigkeiten
aus heutiger Sicht, wenn man bedenkt, zu welchen Ufern sie aufgebrochen
waren. Auf dem Wege gerieten sie ins Fahrwasser der Eitelkeiten, verloren
das Ziel am Horizont aus den Augen und gingen in den Strudeln der Peinlichkeiten
unter.
Kehren
wir zum Ausgangspunkt zurück. Betrachten wir noch einmal die 2. Moderne.
Das Programm der Avantgarde, die Kunst ins Leben zu überführen,
ist für die 2. Moderne gescheitert. Ein Scheitern bedeutet, daß
es realiter zumindest in Versuchen, diese Übertragung gegeben hat.
Ich behaupte, die Identität oder Überführung von der Kunst
ins Leben war ein reiner Mythos. Die Kunst braucht also nicht wieder autonom
zu werden oder gar fiktional. Sie war es bereits oder sie ist es nicht.
Die Forderung nach einer Entgrenzung ins Leben wurde auf dem Gebiet der
Kunst selbst formuliert und verblieb dort als programmatischer Punkt. Die
Dadaisten und Merz-Künstler haben kulturelle Grundlagen der westlichen
Zivilisation thematisiert und waren damit inmitten des Lebens und wiederum
außerhalb.
Die
Parole ‘Kunst=Leben’ war meines Erachtens lediglich Bestandteil einer künstlerischen
Rhetorik, die faktisch auf die Intensivierung der Wechselwirkungen
zwischen den Wertsphären Leben und Kunst zielten, nicht aber auf die
Verschmelzung beider.
Die
Moderne kennzeichnet bis heute im Idealfall folgendes aus:
1.
die grundsätzliche Autonomie von Wertsphären, wie sie Max Weber
beschreibt: Kunst, Wissenschaft und Moral
2.
die Ambivalenz verschiedener Wertmaxime als permanente Konfliktsituation
und
3.
das Wissen um einen nicht selten aporetischen Zustand
Jede
autonome Sphäre formuliert ihre immanent entwickelten Erkenntnisse
und überführt diese in die anderen Sphären, die hierfür
empfänglich sein sollte. Etwa die Dadaisten und Schwitters mit dem
Massenmedien und Lissitzky mit der Wahrnehmungspsychologie. Die Identität
von Kunst und Leben hat - kunstgeschichtlich gesehen - nur diese Wechselwirkung,
die Transformation vor Augen. Die Kunst hat in diesem Wechselspiel
der Sphären eine zentrale Rolle: Sie wird zu einem Kristallisationspunkt
dieses permanenten Widerstreits verschiedener Lebensmaximen, sie wird zum
Austragungsort des osmotischen Transformationsprozesses der Sphären
und visualisiert die kulturelle Befindlichkeit.
Und
meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Ausruf schließen,
den Tristan Tzara hat vernehmen lassen und der - so hoffe ich - nicht der
Ausdruck Ihres Stimmungsbildes nach meinem Vortrag darstellt:
Das letzte Wort hat nun ein Dadaist:
„Dada,
Dada, Dada, Geheul der verkrampften Schmerzen, Verflechtung und alter Widersprüche,
der Grotesken, der Inkonsequenzen: das Leben“
Vielen
Dank !